Mihna

Mihna

Mihna (arabisch ‏محنة‎, DMG miḥna ‚Prüfung‘) ist die zur Zeit der Kalifen Ma'mun, Mu'tasim und Mutawakkil praktizierte Form der islamischen Inquisition. Die Ursache dafür war das Erstarken der Mu'tazila, welche al-Ma'mun 827 als verbindliche Lehre erklärte und damit die Mihna einleitete, welche erst im Jahr 849 unter Mutawakkil beendet wurde.

Geschichte

Auf Initiative von Al-Ma'mun wurden die Richter (Kadis) geprüft, ob sie die vom Kalifen und der Mu'tazila vertretenen Auffassung, dass der Koran erschaffen und nicht wie Gott ewig sei, teilen. In der damaligen Hauptstadt Bagdad wurden sieben Richter geprüft und als sie sich als glaubensfest erwiesen hatten, beauftragt, 30 weitere Richter einer solchen Prüfung zu unterziehen. Von zwei Gelehrten, nämlich Ahmad ibn Hanbal und Mohammed b. Nuh al-Idschli ist bekannt, dass sie weiterhin an dem Koran als ewiges und unerschaffenes Wort Gottes festhielten und die Glaubensauffassung der Mu'taziliten ablehnten. Beide Gelehrten wurden zuerst in Ketten gelegt und entgingen nur deshalb der Hinrichtung, weil der Kalif bald darauf starb. Des Weiteren wurden vom Kalifen in die anderen Zentren des Reiches Briefe gesandt, die auch dort eine Glaubensprüfung wie in Bagdad anordneten. Nach dem Tode von Ma'mun im Jahre 833 führte der Kalif Mu'tasim († 843) und dessen Sohn al-Wathiq bi'llah († 847) die Mihna weiter und erst unter Mutawakkil wurde diese Form der Inquisition abgeschafft.

Der Siegeszug der Glaubenslehre der Mu'tazila erfasste fast die gesamte islamische Welt soweit sie unmittelbar Bagdad unterstellt war. Sie war allerdings von relativ kurzer Dauer, da sich sehr bald die konservative sunnitische Geistlichkeit gegen diese religiöse Staatslehre stellte. Deren Standpunkt war die Unerschaffenheit des Koran und die unveränderliche Befolgung der Tradition.

Die Nachwirkungen der Mihna bzw. der Gegenbewegung sind noch mehrere Jahrzehnte nach al-Mutawakkils Herrschaft sogar im geistigen Zentrum von Ifriqiya – in Kairouan – dokumentiert. Auf einem Grabstein des Kairouaner Friedhofs vom Januar 905 steht neben den Angaben über den Verstorbenen und nach dem obligatorischen Glaubensbekenntnis der Zusatz: Der Koran ist Gottes Wort und unerschaffen.[1] Fast hundert Jahre später, auf einem weiteren Grabstein desselben Friedhofs vom Juli 1002 steht der Zusatz: Gott der Erhabene wird am Tag der Auferstehung zu erblicken sein.[2] Auch hiermit demonstrierte man gegen die Leugnung der Gottesschau infa' ar-ru'ya / ‏ إنفاء الرؤية‎ / infāʾ ar-ruʾya durch die Mu'tazila. Die Gegner der mu'tazilitischen Glaubenslehre haben es verstanden, die „Ketzer“ nach Maßstäben des islamischen Rechts zu verurteilen: Anhänger des chalq al-Koran / ‏خلق القرآن ‎ / ḫalq al-Qurʾān /‚der Erschaffenheit des Korans‘, die Leugner der Gottesschau und diejenigen, die den Koranvers „… und mit Mose hat Gott wirklich gesprochen“ (Sure 4, Vers 164) hinterfragten, waren nach Ansicht Ibn Hanbals und seiner Anhänger Apostaten, deren Tötung ein Gebot Gottes sei.

Literatur

  • Josef van Ess: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Band 3. de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-013161-7
  • Josef van Ess: Traditionalistische Polemik gegen 'Amr b. 'Ubaid. Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Beirut 1967 (Beiruter Texte und Studien, Band 7)
  • Tilman Nagel: Rechtleitung und Kalifat. Versuch über eine Grundfrage der islamischen Geschichte. Orientalisches Seminar der Universität Bonn, Bonn 1975 (Studien zum Minderheitenproblem im Islam, 2)
  • Walter Melville Patton: Ahmed Ibn Hanbal and the Mihna. A contribution to a biography of the Imâm and to the history of the Mohammedan inquisition called the Mihna, 218–234 A. H. Brill, Leiden 1897
  • William Montgomery Watt: The Formative Period of Islamic Thought. Edinburgh University Press, Edinburgh 1973, S. 280–285, ISBN 0-85224-245-X (Neuauflage: Oneworld Publishing, Oxford 2002, ISBN 1-85168-152-3)

Einzelnachweise

  1. Bernard Roy & Paule Poinssot: Inscriptions arabes de Kairouan.Paris 1950. Bd 1, S. 161
  2. Bernard Roy & Paule Poinssot: op.cit. S. 296

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