Michel Onfray

Michel Onfray
Michel Onfray 2009

Michel Onfray (* 1. Januar 1959 in Argentan, Normandie) ist ein französischer Philosoph, Schriftsteller und Begründer der Université populaire de Caen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Onfray wurde in die Familie eines Landarbeiters in der Normandie geboren. Er hat einen jüngeren Bruder. Aufgrund zerrütteter familiärer Verhältnisse wurde er im Alter von zehn Jahren in eine von Salesianern betriebene Lehranstalt gegeben, wo er auf einen handwerklichen Beruf vorbereitet werden sollte. In dieser Einrichtung, deren Regiment er als sehr leidvoll erfuhr (er nennt es Terror der Pädophilie), blieb er vier Jahre. [1] Nach weiteren drei Jahren in anderen Internaten suchte er „das Weite“ [2] und begann ein Studium der Philosophie, das er mit der Promotion abschloss.

Seit 1983 unterrichtete Onfray an einer höheren berufsbildenden Schule in Caen philosophische Fächer. 1989 begann er mit der Veröffentlichung philosophischer Bücher, die ihn bald so populär und finanziell unabhängig machten, dass er 2002 aus dem Staatsdienst ausscheiden und die Université populaire de Caen, eine freie Volksuniversität, gründen konnte. Onfray gibt dort Kurse in einem mehrjährigen Studiengang, die die Geschichte der Philosophie seit ihren Anfängen so darstellen, dass die im normalen akademischen Betrieb meist ignorierten oder zumindest marginalisierten hedonistischen und libertären Philosophen im Vordergrund stehen. Das Resultat des ersten Studiengangs wird in einer achtbändigen Contre-histoire de la philosophie veröffentlicht.

Position

Michel Onfray begann seine publizistische Tätigkeit 1989 mit der Wiederentdeckung des vergessenen französischen Philosophen Georges Palante, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen Veröffentlichungen als ein Linksnietzscheaner hervortrat. Onfray gab die wichtigsten Schriften Palantes neu heraus und schrieb eine Monographie über ihn. Onfray sah sich als Fortsetzer des Denkens Palantes und wollte einen zeitgemäßen Linksnietzscheanismus begründen. Er schrieb zahlreiche Bücher in diesem Geiste, von denen einige sowohl in Frankreich als auch durch Übersetzungen große Beachtung fanden. Sein größter Bucherfolg bisher war 2005 der Traité d'athéologie. Physique de la métaphysique, von dem in wenigen Monaten mehr als 200.000 Exemplare verkauft wurden und bereits Übersetzungen in mehrere Sprachen erschienen sind.

Onfrays Denken schließt an die antike epikureische und hedonistische Philosophie an und verfolgt ihre zeitweise sehr dünne Traditionslinie bis in unsere Zeit (vgl. seine Contre-histoire / Gegengeschichte der Philosophie). Auf dieser Grundlage übt er Kritik an jeglicher transzendentaler Philosophie und an den Religionen, insbesondere an den monotheistischen. Onfray vertritt die Ansicht, dass der Glaube an Gott nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar schädlich und gefährlich sei. Dagegen setzt er eine erneuerte Philosophie des Hedonismus.

Einige Rezensenten loben Schärfe und Stil seiner Schriften. Andere kritisieren, dass er im Grunde nichts Neues bringt ("Onfray rennt zumindest mit Teilen seines Buches offene Türen ein", schreibt Peter Hölzle), aber auch, dass seine "Polemik" (Kai Köhler) zu wenig differenziert sei.

Politisch ist Onfray Laizist. Bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2002 votierte er für den Kandidaten der trotzkistischen Ligue communiste révolutionnaire.

Veröffentlichungen

Monografien
  • 1989: Le ventre des philosophes. Critique de la raison diététique.
  • 1989: Physiologie de Georges Palante. Portrait d’un nietzschéen de gauche.
  • 1990: Cynismes. Portrait du philosophe en chien.
    • Deutsche Ausgabe: Der Philosoph als Hund. Vom Ursprung des subversiven Denkens bei den Kynikern. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Campus, Frankfurt am Main 1991 ISBN 3-593-34417-3
  • 1991: L’art de jouir. Pour un matérialisme hédoniste.
    • Deutsche Ausgabe: Der sinnliche Philosoph. Über die Kunst des Genießens. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Campus, Frankfurt am Main 1992 ISBN 3-593-34711-3 (Teil 1)
    • Deutsche Ausgabe: Philosophie der Ekstase. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Campus, Frankfurt am Main 1993 ISBN 3-593-34832-2 (Teil 2)
  • 1995: La raison gourmande. Philosophie du goût.
    • Deutsche Ausgabe: Die genießerische Vernunft. Die Philosophie des guten Geschmacks. Übersetzt von Leopold Federmair. Elster, Baden-Baden ISBN 3-89151-241-4
  • 1996: Les formes du temps. Théorie du Sauternes.
  • 1997: Politique du rebelle. Traité de résistance et d’insoumission.
  • 2000: Théorie du corps amoureux. Pour une érotique solaire.
    • Deutsche Ausgabe: Theorie des verliebten Körpers. Für eine solare Erotik. Übersetzt von Ronald Voullié. Merve Verlag, Berlin 2001 ISBN 3-88396-167-1
  • 2001: Antimanuel de philosophie. Leçons socratiques et alternatives.
  • 2002: Célébration du génie colérique. Tombeau de Pierre Bourdieu.
  • 2002: L’invention du plaisir. Fragments cyrénaïques.
  • 2003: Féeries anatomiques.
  • 2004: La philosophie féroce.
  • 2004: La communauté philosophique. Manifest pour l'Université populaire.
  • 2005: Traité d’athéologie. Physique de la métaphysique.
    • Deutsche Ausgabe: Wir brauchen keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muß. Übersetzt von Bertold Galli. Piper, München 2006 ISBN 3-492-04852-8
  • 2006: La sagesse tragique. Du bon usage de Nietzsche.
  • 2006: La puissance d'exister. Manifeste hédoniste. Grasset, Paris ISBN 978-2-246-71691-4
    • Deutsche Ausgabe: Die reine Freude am Sein. Wie man ohne Gott glücklich wird. Übersetzt von Helmut Reuter. Piper, München 2008 ISBN 978-3-492-05136-1
  • 2007: La pensée de midi. Archéologie d'une gauche libertaire. Galilée, Paris ISBN 978-2-7186-0755-9
  • 2008: Le souci des plaisirs. Construction d'une érotique solaire. Flammarion, Paris ISBN 978-2-08-121632-7
  • 2010: Nietzsche: Se créer Liberté. Mit Illustrator Maximilien Le Roy. Les Éditions du Lombard, Brüssel ISBN 978-2-8036-2650-2
  • 2010: Le Crépuscule d’une idole. L'Affabulation freudienne, Grasset, Paris ISBN 2-246-76931-0
    • Deutsche Ausgabe: Anti-Freud. Die Psychoanalyse wird entzaubert. Übersetzt von Stephanie Singh. Knaus, München 2011 ISBN 978-3-8135-0408-8
  • 2010: Apostille au Crépuscule. Pour une psychanalyse non freudienne, Grasset, Paris ISBN 2-246-75781-9
Sammelbände
  • Journal hédoniste (bisher 4 Bände: 1996, 1998, 2001, 2007)
  • Contre-histoire de la philosophie (auf 8 Bände angelegt):
    • 2006/Bd. 1: Les sagesses antiques - de Leucippe à Diogène d'Oenanda.
    • 2006/Bd. 2: Le christianisme hédoniste - de Simon le magicien à Montaigne.
    • 2007/Bd. 3: Les libertins baroques - de Charron à Spinoza.
    • 2007/Bd. 4: Les ultras des lumières - de Meslier à Sade.
    • 2008/Bd. 5: L'eudémonisme social – de Godwin à Bakounine.
    • 2009/Bd. 6: Les radicalités existentielles – de Thoreau à Nietzsche.

Sekundärliteratur

  • Martin A. Hainz: Reine Wollust? Michel Onfrays Theorie der Autoerotik mangelt es an Stringenz. In: literaturkritik.de, Nr 8, August 2006
  • Kai Köhler: Philosophischer Atheismus. Michel Onfray verkennt die Funktionalität von Religion. In: literaturkritik.de, Nr 10, Oktober 2006
  • Peter Hölzle: Manifest gegen den Glauben. In: Deutschlandfunk, 13. März 2006
  • Andreas Mayer: Die Wiener Ödipus-Verschwörung. In: FAZ, 18. April 2011 [1],
  • Hans Wagner: Das richtige Buch zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In: Eurasisches Magazin, 31. März 2006
  • Elisabeth Roudinesco: Doch warum so viel Hass? Eine Erwiderung auf Michel Onfrays „Anti-Freud”. Turia + Kant, Wien 2011 ISBN 978-3-85132-640-6
  • Emile Jalley (éd.): Anti-Onfray, L'Harmattan, Paris 2010, 3 vols.
    • vol. 1: Sur Freud et la psychanalyse. ISBN 978-2-296-11782-2
    • vol. 2: Les réactions au livre de Michel Onfray - débat central, presse, psychanalyse. ISBN 978-2-296-12950-4
    • vol. 3: Les réactions au livre de Michel Onfray - clinique, psychopathologie, philosophie, lettres, histoire, sciences sociales, politique, réactions de l'étranger, le décret scélérat sur la psychothérapie. ISBN 978-2-296-13199-6

Weblinks

 Commons: Michel Onfray – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch

Atheologie

Einzelnachweise

  1. Er berichtet ausführlich darüber in einem Selbstporträt im Kindesalter, einen Text, den er sich abrang, nachdem er „dreißig Bücher [geschrieben hatte], die als Vorwand dienten, um die folgenden Seiten nicht schreiben zu müssen“ (vgl. Die reine Freude am Sein, S. 13–56 (13).
  2. Seinen anschließenden Werdegang hatte er 1997 in dem Buch Politique du rebelle. Traité de résistance et d'insoumission (Der Rebell) beschrieben.

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