Medellin-Kartell

Medellin-Kartell

Das Medellín-Kartell war neben dem Cali-Kartell Anfang der 80er bis Mitte der 90er Jahre der größte Kokain-Exporteur weltweit. Geführt wurde das Kartell u. a. von Pablo Escobar und konzentrierte seine Aktivitäten in der kolumbianischen Stadt Medellín.

Die Entstehung des Kartells, das eher den Charakter einzelner, nebeneinander agierender illegaler Unternehmen als den einer straff geführten, kriminellen Organisation wie z. B. der sizilianischen Mafia trug, war eng mit der rasant steigenden Nachfrage nach Kokain in den USA Ende der 70er verbunden.

Inhaltsverzeichnis

Marimba

Dem Medellin-Kartell gingen Marihuanaschmuggler aus der kolumbianischen Provinz La Guajira dem „Sizilien Kolumbiens“ voran, welche traditionell bereits in den 60/70er Jahren Marihuana in die USA exportierten. Die indianischstämmigen Kaziken (Kogui, Arhuaco) erhoben eine Steuer beim Transit durch ihr Gebiet. Cannabis wurde auf den schwer zugänglichen Hängen der Sierra Nevada de Santa Marta angebaut. Die einheimischen Pflanzer bekamen eine Anleitung zur Produktion, Auswahl des Saatgutes, Bodenuntersuchungen und Pflanzenschutz für die Kultivierung der Cannabispflanzen, die dort lokal in zahlreichen Wildformen vorkommt. Agraringenieure aus den USA überwachten das Erreichen von Spitzenerträgen der Sorte „Santa Marta Golden“ und „Punto Rojo“. Die Kolumbianer waren für Anbau, Pflückernte, Ballenpressen, Verpacken, Abtransport mit Maultieren etc. zuständig und ehemalige Vietnamveteranen flogen das fertige Marihuana in die USA. Bezahlt wurde mit US-Dollars, welches der Guajira Wohlstand der „Bonanza Marimbera“ brachte. Don Cipriano und Donald Steinberg waren einige der ersten großen Marihuanahändler der Marimba. Riohacha und Santa Marta wurden zu Zentren des Reichtums, es wurden Luxusvillen gebaut, man trank Chivas Regal und hatte einen Fuhrpark aus mehreren Autos.

1972 entstanden die ersten Kokapflanzungen in der Smaragdzone Kolumbiens, Gacha und sein Patron Gilberto Molina gründeten die erste größere Kokainorganisation.

1987 wurde die Marimba durch Kampfhubschrauber in der Operation „Fulminante“ beendet. Die Marihuanaproduktion wurde in Kolumbien unbedeutend, nachdem in den USA die Anbaufläche stark vergrößert wurde. Koka hingegen wächst nur auf Andenhängen und lässt sich nördlich von Panamá nicht kultivieren.

Zitat Carlos Lehder: „Unser Ziel ist antiimperialistisch und antioligarchisch. Dank dem Koka wäre die lateinamerikanische Revolution möglich, denn ich glaube, dass Koka die Atombombe Lateinamerikas ist.“

Die Yankees nehmen unsere Reichtümer weg. Gold, Smaragde, Erdöl, Kaffee, Bananen. Wir holen uns nur die Dollars zurück, die uns Kolumbianern gehören. Und es ist unsere Sache, was wir damit machen.“

Carlos Lehder 1988 bei seiner Gerichtsverhandlung in Jacksonville: „Ich bin Ausländer und fühle mich wie ein Indianer vor dem Gericht des Weißen Mannes. Kolumbien hat 35 Jahre Bürgerkrieg hinter sich und die Auslieferung hat diesen Krieg wieder neu aufflammen lassen.“

Produktion und Vertrieb

Koka ist relativ widerstandsfähig gegen Entlaubungsmittel und Herbizide. In Perú und Bolivien wurden in jahrtausendlanger Züchtungsarbeit hochertragreiche und gehaltvolle Sorten entwickelt.

Aus den Kokablättern wird die pasta básica gewonnen, dieses Vorprodukt wird mit Aceton versetzt und industriell zu hochreinem Produkt (roca) verarbeitet. Bedeutende Koka-Anbauregionen in Kolumbien, welche vollständig vom Medellin-Kartell kontrolliert wurden, waren v. a. Caquetá, Guaviare, Putumayo und Meta.

Produktionsregionen und Laboratorien wurden von der schwer bewaffneten Privatarmee teils mit Flugabwehrraketen des Kartells vor Überfällen anderer Syndikate und der DEA geschützt.

Außerdem wurde Kokapaste aus Perú und Bolivien aufgekauft und in kolumbianischen Laboratorien aufbereitet. Von Kolumbien wurde Kokain dann mit Sportflugzeugen über Zwischenlandung auf den Bahamas oder den Bermuda-Inseln nach Miami/Florida transportiert. Miami wurde zur wichtigsten Drehscheibe für Kokainimporte aus Südamerika.

Neben dem Medellin- und Cali-Kartell begann auch eine Reihe von Kleinunternehmen im Rahmen der enormen Gewinnspannen zu expandieren, der Absatz stieg von Gramm auf Kilogramm auf Zentner/Tonne, wobei die großen Mengen nur von den größeren Organisationen bereit gestellt werden konnte.

1965 liefen die Kokaingeschäfte in Miami noch zu 100 % über die kubanische Mafia ab, 1978 löste das Medellin-Kartell in einer Reihe von Massakern die Kubaner ab und eliminierte innerhalb kürzester Zeit sämtliche Konkurrenz. Zwischen 1979 und 1981 wurden 250 Personen nur in Miami Opfer des Drogenkrieges. Gekämpft wurde vornehmlich um Erweiterung von Territorien und Marktanteilen.

Gewalt diente vornehmlich der Machtdemonstration, es galt das Motto des Medellin-Kartells: „No dejársela montar“, sich von niemanden drangsalieren lassen. Mord diente dazu, um Wettbewerber oder zahlungsunwillige Schuldner abzuschrecken. Ein „Enforcer“ von Griselda Blanco prägte den Satz aus der Zeit der Kokainkriege in Miami von 1978 bis 1982: „Entweder man zahlt oder es kommt der mit der Motorsäge“.

Miami war Vertriebsgebiet des Medellin-Kartells, während New York als weltgrößter Kokainmarkt, Louisiana, Houston und Los Angeles vom Cali-Kartell beliefert wurde.

Der Vertrieb von Kokain wurde durch die große Anzahl von kolumbianischen Immigranten in New York und Miami erleichtert, ein Umstand, der den Markteinstieg erleichterte.

In den 80er Jahren kostete 1 Gramm 99-prozentiges pharmazeutisches Kokain in der Herstellung 3,- USD, im Straßenverkauf jedoch 90,- bis 120,- USD. 1986 hatte 1 kg Kokain in Kolumbien einen Marktwert von USD 6.000,- bis 9.000,-, in den USA einen Großhandelspreis von ca. USD 30.000,-

Das Medellin-Kartell kontrollierte die gesamte Supply Chain des Kokains vom Anbau bis zur Abgabe an den Verbraucher.

Struktur des Medellin-Kartells

Zu den Führungspersönlichkeiten des Kartells gehörten Pablo Escobar, George Jung, José Gonzalo Rodríguez Gacha, Carlos Lehder, Jorge Luis Ochoa Vázquez, Fabio Ochoa Vázquez, José Abello Silva (aus Santa Marta, Chef der Atlantikküste), Gilberto Molina (Smaragdkönig), Dandeny Muñoz Mosquera „La Quica“ (Kommandant der Auftragsmörder), José Duarte Acero (Auftragsmörder), Gustavo Gaviria Ribera (Escobars Cousin) und Gerado Moncada (Geldwäsche).

Außerdem waren Max Mermelstein, Jon Roberts und Mickey Munday in den Geschäften des Medellin-Kartells in Miami involviert. Neben Fabio Ochoa stellte Rafael "Rafa" Cardona Salazar das höchstrangigste Mitglied des Kartells in den USA dar.

Gegen Ende der 80er Jahre arbeiteten weit über 2.000 Männer nur für den paramilitärischen Apparat der Organisation in Medellin. Bekannte “Soldaten” waren: “Popeye”, “HH”, “El Angelito”, “El Chopo”, Roberto Escobar “El Osito”, “El Tato”, “Tyson”, “El Palomo”, “Enchufe”, “Leo”, “Pinina”, “Leon”, “Temblor”, “Conavi”, “Turquía”, “El Japonés”, “La Cuca”, “Tavo”, “El Duro”, “Jhoncito”, “Abraham” und “Piniña”.

“Piniña”, „Mugre“ und „Tyson“ befehligten damals das Netzwerk jugendlicher Sicarios aus den Elendsvierteln von Medellín.

Carlos Lehder

Carlos Lehder wurde 1949 in Armenia/Provinz Quindío geboren und wanderte später mit seiner Familie in die USA aus. Schon in seiner Jugend entwickelte er große Hassgefühle gegen die USA, die Immigranten aus Lateinamerika meist schlecht behandelte. Früh machte er Geschäfte mit Robert Vesco und baute den Kokainschmuggel zu einer sehr erfolgreichen multinationalen Unternehmung aus. 1977 wurde er nach Verbüßen von Gefängnisstrafen nach Kolumbien abgeschoben. Er kaufte sich die Insel Norman`s Cay und baute sie zu seiner Privatfestung und Zwischenlandeplatz für seine Transportflugzeuge aus. Später erwarb er große Haciendas in den Llanos und seiner Heimatprovinz Quindio. In Armenia gründete er auch legale Unternehmen wie dem Tourismuszentrum „La Posada Alemana“, eine Autoimportgesellschaft und die Rinderzüchtervereinigung „Cebu Quindio“.

Ochoa-Brüder

Jorge, Juan David, Fabio Junior und Angela Maria Ochoa spezialisierten sich früh auf den Kokainhandel. Jorge Ochoa betrieb die Geschäfte über seine Import-Export Gesellschaft Sea-8 Trading. Jorge leitete die Exportabteilung aus Medellin und Fabio war Vertriebsleiter in Florida. Die Ochoa-Familie war eine alteingesessene, konservative und reiche Familie aus Medellin unter dem Patriarchat von Don Fabio Ochoa, der eine sehr erfolgreiche Pferdezucht betrieb. Familienkonferenzen wurden im eigenen Restaurant Las Margaritas abgehalten.

Pablo Escobar Gaviria

Escobar betrieb offiziell eine Fahrradwerkstatt in Medellin, vertrieb Autoteile als Hehlerware und kaufte Koka-Basispaste aus Perú ein, die in einfachen Hinterhoflaboratorien zu einem marktfähigen Produkt verarbeitet wurde. Don Cipriano importierte Aceton und Ether für Escobars Drogenlabors in Medellin. 1978 kaufte Escobar sein erstes Sportflugzeug für die Transporte nach Florida.

Gonzalo Rodriguez Gacha

Der gefürchtete und grausame Gacha, auch „El Méjicano“ genannt, befehligte die straff organisierten und disziplinierten Privatarmeen des Medellin-Kartells, ca. 15.000 Mann unter Waffen. Gacha eroberte mit seinen paramilitärischen Truppen das Medio Magdalena Gebiet in der Provinz Antioquia. Das fruchtbare Mittlere Magdalenatal mit der Hauptstadt Puerto Boyacá wurde Schauplatz mehrjähriger blutiger Konflikte, die mit der völligen Vernichtung des linken Widerstandes der Guerilla endeten. Tausende von Bauern wurden bei den Massakern ermordet. Neben Gacha war auch Oberst Faruk Yanine Diaz, Kommandeur der 14. Armeebrigade an den Liquidierungen beteiligt. Die Viehzüchter organisierten sich in der militanten Acdegam, bevor sie durch die paramilitärischen Truppen und „bäuerlichen Selbstverteidigungstrupps“ abgelöst wurden.

Gachas Milizen„säuberte“ im Auftrag der Großgrundbesitzer später weitere Gebiete wie Teile der Llanos, die Provinzen Córdoba und Urabá. Barrancabermeja litt besonders stark an den bewaffneten Auseinandersetzungen und gehört noch heute zu den gewalttätigsten Orten der Welt. In Puerto Berrio wurde nachts die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet und morgens fand man dann die zahlreichen Leichen auf der Straße. Die Milizionäre der Paramilitärs wurden hauptsächlich aus den Elendsvierteln Medellins rekrutiert.

Evaristo Porras

Evaristo Porras war der Drogenbaron aus der Schmugglerstadt Leticia an der Grenze zu Perú und Brasilien. Leticia, auch die „Coca-Wallstreet“ genannt, war Marktplatz für die Pasteverkäufer aus Perú und Ecuador und den kolumbianischen Käufern, wichtigster Geschäftspartner war der Großhändler Escobar. Porras war für die Beschaffung des Rohstoffs zuständig, Escobar für die Verarbeitung und Lehder für den Transport in die USA. Escobar und die Ochoa-Familie bildeten den Kern des Kartells und hatten die typischen Werte der Paisas aus der Provinz Antioquia: katholisch, konservativ, kinderreich, kühn, wagemutig, extrem geschäftstüchtig und mit einer überproportionalen Geldgier ausgestattet. Sie beteiligten auch Industrielle aus der Textil- und Keramikbranche mit dem sogenannten „apuntame“, d. h. Geschäftsleute beteiligten sich anteilsmäßig an den Lieferungen. Es entstand das „Antioquia-Syndikat“ als loser Zusammenschluss von ca. 150 Unternehmen, welche den Einkauf der Kokapaste und den Vertrieb des Kokains steuerten. Durch Zufuhr von Finanzkapital zur Rentabilisierung der Arbeit der Produktivkräfte entstand die Kokaindustrie. 1979 legte die DEA eine besorgniserregende Untersuchung vor, nachdem in einigen Gegenden Kolumbiens die Drogenhändler eine wesentlich größere Macht als die Zentralregierung in Bogotá besäße.

Tranquilandia und Vila Coca

Tranquilandia und Vila Coca waren Industriekomplexe des Kartells im kolumbianischen Regenwald, wo über 1.000 Arbeiter beschäftigt waren. Die Produktionsstätten waren mit Verpackungsmaschinen, Stromerzeugungsaggregaten, Gasreinigern, Gabelstaplern, Tausenden von Fässern mit Ether und Aceton, Schlafsälen für hunderte von Arbeitern und einem eleganten Kasino ausgestattet. Tranquilandia hatte eine jährliche Produktionskapazität von über 300 Tonnen. Die DEA entdeckte die Produktionsstätten auf Satellitenbildern und zerschlug sie 1984 in einer groß angelegten Operation.

Terroristische Akte des Medellin-Kartells

  • 30. Mai 1989: Anschlagsversuch auf Miguel Maza Marquez, Direktor des Departamento Administrativo de Seguridad (DAS) in Bogotá mittels Autobombe; 4 Tote, 37 Verletzte
  • 2. September 1989: Autobombe gegen den Zeitungsverlag El Espectador in Bogotá, 84 Verletzte, dessen Verleger Guillermo Cano Isaza wurde zuvor bereits am 17. Dezember 1986 auf Befehl Escobars getötet
  • 16. Oktober 1989: Autobombe gegen die Zeitung Vanguardia Liberal in Bucaramanga, 4 Tote
  • 27. November 1989: Bombe gegen den Avianca-Flug 203 über Bogotá, um César Gaviria Trujillo zu töten, der sich allerdings nicht in der Maschine befand, 110 Menschen kommen dabei ums Leben
  • 6. Dezember 1989: 1.100 Pfd.-Bombe gegen das DAS-Hauptquartier in Bogotá während des Morgenverkehrs, 50 Tote, über 600 Verletzte, über 300 kommerzielle Einrichtungen werden dabei zerstört
  • 13. Mai 1990: 2 Bomben detonieren unabhängig voneinander in den Einkaufszentren Quiriga und Niza während des Muttertages in Bogotá, 14 Tote und über 100 Verletzte
  • 16. Februar 1991: Das Medellin-Kartell lässt eine 440 Pfd. Bombe in der Stierkampfarena La Macarena explodieren, 22 Tote
  • 30. Januar 1993: Autobombe in der Innenstadt von Bogotá tötet 20 Menschen
  • 15. April 1993: Autobombe tötet 15 Personen und über 100 Verletzte in einem Einkaufszentrum im nördlichen Bogotá

Bekannte Opfer des Medellin-Kartells

  • 1976: Escobar lässt die DAS-Agenten Luis Vasco und Gilberto Hernandez töten. Sie waren die ersten Staatsbeamten, die dem Kartell zum Opfer fielen
  • 30. April 1984: Ermordung von Justizminister Rodrigo Lara Bonilla auf einer Autobahn durch zwei Motorrad-Mörder
  • Juli 1985: Tulio Manuel Castro Gil, oberster Richter stirbt durch Maschinenpistolenfeuer von Motorrad-Mördern
  • 31. Juli 1986: Hernando Baquero Borda, Richter des Oberlandesgerichtes wird in Bogotá getötet
  • November 1986 Jaime Ramirez, Polizeioberst einer Antidrogeneinheit wird in Medellin getötet, seine Frau und sein Sohn schwer verletzt
  • Dezember 1986: Motorrad-Mörder bringen Guillermo Cano Isaza, den Verleger des El Espectador um
  • Oktober 1987: Jaime Pardo Leal, Präsidentschaftskandidat und Chef der Patriotischen Union wird getötet
  • Januar 1988: in Medellin wird der Generalstaatsanwalt Carlos Mauro Hoyos erschossen
  • Juli 1989: Antonio Roldan Betancur, Gouverneur von Antioquia wird durch eine Autobombe getötet
  • August 1989: Valdemar Franklin Quintero, Kommandeur der Polizei von Antioquia wird in Medellín ermordet
  • August 1989: Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galán wird ermordet
  • August 1989: Oberster Richter Carlos Ernesto Valencia wird von Auftragsmördern erschossen, nachdem er Escobar wegen der Ermordung von Guillermo Cano anklagen wollte
  • November 1989: Jorge Enrique Pulido, Journalist und Director von JEP Television wird in Bogotá erschossen
  • Januar 1991: Diana Turbay, Journalistin und Herausgeberin des Magazins Hoy por Hoy wird getötet
  • Mai 1991: Enrique Low Murtra, Justizminister wird in der Innenstadt von Bogotá ermordet
  • September 1992: Myriam Rocio Velez, Oberste Richterin wird von Auftragsmördern erschossen, als sie Escobar wegen des Mordes an Galán anklagen will

Entwicklung

Als der Kokain-Schmuggler Carlos Lehder 1978 die Bahamas-Insel Norman's Cay kaufte, um von dort den Drogenschmuggel in die USA zu organisieren, formierten Escobar, die Ochoa-Brüder Jorge und Juan, Gonzalo Rodriguez Gacha (auch bekannt als „der Mexikaner“) und Lehder selbst in und um Medellín ein Netzwerk, das als Infrastruktur für die gewinnträchtige Herstellung und den Handel mit Kokain diente. Medien prägten für dieses Netzwerk den Namen „Medellín-Kartell“.

Die Mitglieder des Kartells organisierten den Kauf und Transport der Coca-Paste aus Bolivien und Peru, errichteten Labors zur Kokain-Veredelung und Landebahnen im Dschungel, die häufig über Tarnvorrichtungen und Technik zum Aufspüren von Radar-Flugzeugen der Anti-Drogenbehörden verfügten. Vor allem Escobar erkaufte sich die Loyalität brutaler Banden und Paramilitärs, auf denen der gewalttätige Charakter des Medellín-Kartells beruhte. In den 80ern sollen über 30 Journalisten, 50 kolumbianische Richter und Staatsanwälte sowie mehr als 3.000 Soldaten und Polizisten im Auftrag des Kartells bzw. Escobars ermordet worden sein. Die Mordrate stieg in Medellín sprunghaft an, 1985 wurden 1.698 Morde registriert, 1986 waren es schon über 3.500.

Auch kriminelle Gruppen außerhalb des Kartells nutzten dessen Infrastruktur und entrichteten dafür eine Art Steuer, so dass sich Escobar und andere führende Köpfe wohl zunehmend aus dem aktiven Kokain-Geschäft zurückzogen.

Die Einnahmen des Kartells wurden Ende der 80er Jahre auf 25 bis 35 Milliarden Dollar jährlich geschätzt, die Gewinne wurden zum Großteil wieder in Kolumbien investiert. Dies führte in Kolumbien zu einem in Lateinamerika seltenen Aufschwung, die Kokainbosse genossen deshalb teilweise auch großes Ansehen in der Zivilbevölkerung. Da sie daneben auch viele Politiker bestochen hatten, konnte das Kartell über Jahre hinweg relativ unbehelligt im Land agieren. Die USA verstärkten jedoch stetig den Druck auf die kolumbianische Regierung um gegen Escobar und das Netzwerk vorzugehen. Nachdem mit Hilfe der amerikanischen Anti-Drogenbehörden 1984 einige Großlaboratorien wie Vila Coca und Tranquilandia im kolumbianischen Regenwald, 160 Meilen südlich von San José del Guaviare, zerstört wurden, versuchte Escobar mit terroristischen Mitteln, dem Gefängnis, dem Einzug seines Vermögens und einer Auslieferung in die USA zu entgehen. Nachdem am 18. August 1989 der kolumbianische Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galan vom Medellín-Kartell ermordet wurde, kam es zum offenen Krieg zwischen dem Kartell auf der einen Seite und der Regierung von Kolumbien und der USA auf der anderen Seite. Erstmals gingen die kolumbianischen Behörden gezielt gegen die Kokain-Bosse vor, innerhalb von wenigen Tagen wurden 12.000 Kartell-Mitglieder verhaftet und es wurde umfangreicher Besitz des Kartells beschlagnahmt, darunter Villen, exotische Tiere, gepanzerte Autos, Flugzeuge sowie Bargeld in Millionenhöhe. Es war die Phase des „Narcoterrorismo“.

In der Folgezeit wurden führende Köpfe des Kartells getötet – wie z. B. die Nr. 2 der Rauschgift-Mafia Gonzalo Rodriguez Gacha 1989 – oder verhaftet und an die USA ausgeliefert. Der Krieg endete, als die Nr. 1 der Organisation, Pablo Escobar, und die Ochoas 1991 mit dem Staat ihre Aufgabe aushandelten. Escobar kam in ein nur für ihn und seine Leibwächter gebautes luxuriöses Sondergefängnis, das El Catedral (spanisch: die Kathedrale) genannt wurde. Er führte von dort aus seine Geschäfte weiter und genoss sehr viele Freiheiten wie z. B. den Besuch von Edelprostituierten und materiellen Luxus; „bewacht“ wurde er weitestgehend von seinen eigenen Leuten. Die Situation eskalierte, als er die Brüder Moncada und Galeano, Führer zweier Drogenhändlerfamilien des Medellín-Kartells, wegen Geldstreitigkeiten ins Gefängnis kommen und sie dort töten ließ. Diese Tat führte zum Auseinanderbrechen des Medellín-Kartells. In der Folge musste er aus dem Gefängnis fliehen.

Daraufhin gründeten ehemalige Mitglieder des Kartells (besonders die Familien Moncada und Galeano, angeführt von Galeanos Sicherheitschef Diego Murillo Bejarano) und Paramilitärs (Fidel und Carlos Castano) die Los Pepes. Diese führten einen gnadenlosen Krieg gegen die Organisation Escobars. Auch die Regierung und Anti-Drogenbehörden intensivierten die Suche, mit der Einrichtung einer Spezialeinheit, des Bloque de Busqueda (Suchblock). Dieser fand und tötete Pablo Escobar schließlich am 2. Dezember 1993. Dies war das endgültige Ende des Medellín-Kartells. Es dauerte jedoch nicht sehr lange, bis erst das Cali-Kartell, später auch andere Organisationen, an seine Stelle traten. Während traditionell das Medellín-Kartell Miami und Florida mit Waffengewalt als Absatzmarkt erobert hatte (Griselda Blanco), konzentrierte sich das Cali-Kartell auf den umsatzstarken Großraum New York.

Das Heer operierte zusammen mit dem Medellín-Kartell und die kolumbianische Polizei wurde vom Cali-Kartell gesteuert.

Ende des Kartells

Nach dem Tod Escobars 1993 und anderer Führungspersonen löste sich das Medellin-Kartell infolge des verschärften Drucks von Staat und Polizei auf. Einige der Überlebenden bildeten Splittergruppen oder wie z. B. Fidel Castano, Salvatore Mancuso oder Diego Fernando Murillo Bejerano „Don Berna“ übernahmen Leitungsfunktionen bei den Paramilitärs. Unmittelbare „Kriegsgewinner“ waren die Wettbewerber vom Cali-Kartell.

Nachwirkungen

Nach Zerschlagung des Medellin-Kartells blieb die Stadt noch über viele Jahre der Ort mit der welthöchsten Mordrate. Die arbeitslosen Sicarios (Auftragskiller) von Escobar und Gacha aus den Barrios Populares im Nordosten Medellins (Comuna Noriental), wie die berüchtigte Comuna 13 und Santo Domingo, schlossen sich der paramilitärischen AUC an und bekämpften in langjährigen und äußerst verlustreichen Kriegen die kommunistische Stadtguerilla.

Motorradfahrende Auftragskiller waren schon in der Escobar-Ära in Medellin wie in keiner anderen Stadt der Welt schon für USD 10,- zu haben. An einigen Straßenecken standen die Sicarios Schlange und wurden von 45 Vermittlungsbüros Medellins für Aufträge vermittelt. Es entstand eine regelrechte Tötungsindustrie. „Töte, Gott vergibt dir“, „Geld, Knarre, Motorrad. Und danach das Leben.“, „Töten als Sport“, „Einen abknallen, um zu sehen, wie er umkippt“ und „Gut leben, solange man lebt.“ wurden zu geflügelten Worten dieser Zeit und kaum ein Sicario wurde älter als 20 Jahre.

Quellen

  • Myléne Sauloc, Yves Le Boniec, Tropenschnee, Rowohlt, 1994
  • Ciro Krauthausen, Moderne Gewalt in Kolumbien und Italien, Campus, 1994

Siehe auch

Weblinks


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