Max Hodann

Max Hodann
Max Hodann

Max Julius Carl Alexander Hodann (* 30. August 1894 in Neiße; † 17. Dezember 1946 in Stockholm) war ein deutscher Arzt, Eugeniker und Sexualpädagoge.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Max Hodann wurde in die Familie des schlesischen Oberstabsarztes Carl Hodann geboren. Er ging bis 1903 in Meran zur Schule und wechselte dann an das humanistische Gymnasium in Berlin-Friedenau.

Von 1913 bis 1919 studierte er – mit Unterbrechungen durch Kriegsdienst – in Berlin Medizin. Dabei lernte er 1915 den Sexualreformer Magnus Hirschfeld kennen, der seine weitere Entwicklung maßgeblich beeinflusste. Über sein Engagement in der Jugendbewegung kam Hodann auch in Kontakt mit dem sozialpolitisch engagierten Göttinger Philosophen Leonard Nelson und wurde mit seiner späteren Ehefrau Maria 1917 Mitbegründer des von Nelson unter dem Eindruck des Krieges mit Minna Specht ins Leben gerufenen Internationalen Jugendbundes. Nachdem die SPD 1926 einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen den IJK gefasst hatte, kam es zu strategischen Differenzen zwischen Nelson und Hodann. Nelson wandelte den IJK in eine Art linke Splitterpartei um, in den Internationalen Sozialistischen Kampfbund ISK, dem Hodann nicht mehr angehören wollte. Nachdem er als IJK-Mitglied von der SPD ausgeschlossen worden war, trat er später nie mehr einer politischen Partei bei. Im Juli 1926 ließ er sich von seiner Frau, der Publizistin Maria Hodann, geb. Saran (später Mary Saran, die er am 24. Dezember 1919 geheiratet hatte und von der er schon einige Jahre getrennt gelebt hatte), scheiden[1] und heiratete Traute Neumann.

Schon 1921 hatte sich Hodann in Berlin als Arzt für Geschlechtskrankheiten niedergelassen, als der er von 1922 bis 1933 auch Stadtarzt und Leiter des Gesundheitsamtes von Berlin-Reinickendorf war.

Parallel dazu übernahm er, nach seinem Bruch mit Nelson, 1926 an Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft die Stelle, die vakant wurde, als Hirschfelds engster Mitarbeiter, der (ebenfalls mit Nelson befreundete) Psychiater Arthur Kronfeld, eine eigene Praxis eröffnete. Hodann leitete in dieser Zeit, bis 1929, die Sexualberatungsstelle sowie die Eugenische Abteilung für Mutter und Kind des Instituts und veranstaltete öffentliche Frageabende zur Sexualaufklärung.

Berliner Gedenktafel am Haus Alt-Reinickendorf 45, in Berlin-Reinickendorf

Weiterhin war Hodann in einigen weiteren Organisationen aktiv, so z.B. im Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene, im Bund der Freunde der Sowjet-Union und im Verein sozialistischer Ärzte.

Neben der Sexualreform sah Hodann wie viele seiner Zeit in der Eugenik eine dringliche Aufgabe. So zitierte er 1924 zustimmend den Rassehygieniker Heinrich Poll:

Wie der Organismus schonungslos entartete Zellen opfert [… ], um das Ganze zu retten: so sollen auch die höheren organischen Einheiten, der Sippschaftsverband, der Staatsverband, sich nicht in übergroßer Ängstlichkeit vor dem Eingriff in die persönliche Freiheit scheuen, die Träger krankhaften Erbgutes daran zu verhindern, schädigende Keime durch Generationen weiterzuschleppen.

Hodann ergänzte: „Wer bemüht sich (heute) ernsthaft um die Ausschaltung von Keimschädigungen? [… ] es wird Sache der sozialistischen Gesellschaft nicht zuletzt sein, in eugenischer Hinsicht Maßnahmen zu ergreifen, um die Gesellschaft von der Belastung durch minderwertige Nachkommen zu schützen.“ In diesem Sinne sprach sich Hodann für eine „vernunftgemässe“ Regelung der Empfängnisverhütung aus, denn andernfalls sei sie „notwendig verbunden mit dem Verlust wertvollen Erbgutes, da natürlich die Geburtenbeschränkung zunächst bei den wertvollsten Familien auftritt, die ihr Leben verantwortungsvoller gestalten als andere. Ein solcher Verlust an wertvollem Erbgut ist auch im Interesse des Proletariats bedenklich.[2]

Hodanns Auffassung zur Eugenik war damals weithin akzeptiert, auch bei der politischen Linken, die den „glänzenden Redner“ häufig zu Vortragsreisen hauptsächlich für ein jugendliches Publikum einlud. Immer ging es um Fragen der praktischen Lebensführung: für sexualbejahende Erziehung, für verantwortungsbewusstes Kinderzeugen, gegen Alkoholmissbrauch, gegen das Rauschtrinken, vor allem aber gegen die herrschende repressive Sexualmoral, letzteres bezog konsequent antiklerikale Stellungnahmen mit ein. Hodann war, auch durch seine Aufklärungsschriften, in ganz Deutschland und in Österreich populär. Nach seinem Vorbild organisierten sich weitere Initiativen, so z.B. in Wien die von Wilhelm Reich und Marie Frischauf 1928 gegründete Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung. [3]

1933 wurde Hodann in Berlin verhaftet und ohne Verfahren bis zum September des Jahres festgehalten. Nach seiner Freilassung emigrierte er in die Schweiz, von wo aus er international tätig wurde, so z.B. in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg.

1937 veröffentlichte er im Internationalen Ärztlichen Bulletin, einer von 1934 bis 1939 erschienenen Zeitschrift emigrierter deutscher Ärzte einen Artikel über Die Freigabe des Abortus provocatus in Katalanien. Darin begrüßte er das 1937 von der sozialistischen Regierung dort erlassene Gesetz, das Frauen die Möglichkeit eines in einer Klinik von einem Arzt durchgeführten und unentgeltlichen Schwangerschaftsabbruchs einräumte. Er betonte, dass im antifaschistischen Spanien die Gleichberechtigung der Frau gewährleistet sei, im Gegensatz zu Deutschland und Italien, wo man – trotz gegenteiliger Beteuerungen – versuche, die Lebensbereiche von Frauen auf „Küche und Kinder“ zu beschränken.

Hodann übersiedelte danach zunächst nach England, wo er sich um die Errichtung eines Sexualforschungsinstituts bemühte, und im September 1939 nach Schweden, wo er weiter sexualaufklärerisch wirkte, Vorträge hielt und in der Zeitschrift Sexual Frågan Artikel veröffentlichte. Er war Gründungsmitglied des Freien Deutschen Kulturbundes in Schweden.

Peter Weiss hat Max Hodann in seinem Roman Ästhetik des Widerstands ein literarisches Denkmal gesetzt.[4]

Schriften

(Auswahl; für eine ausführliche Bibliographie siehe Wolff, a.a.O., S. 268–279)

  • Die sozialhygienische Bedeutung der Beratungsstellen für Geschlechtskranke, unter besonderer Berücksichtigung der Beratungsstelle der Landesversicherungsanstalt Berlin (Med.Diss.). In: Archiv für Soziale Hygiene, Band 14, Heft 1, 1920 (Sonderdruck)
  • Bub und Mädel. Gespräche unter Kameraden über die Geschlechterfrage. Leipzig: Verlag Ernst Oldenburg 1924, 114 S.
  • Geschlecht und Liebe in biologischer und gesellschaftlicher Beziehung. Rudolstadt: Greifenverlag 1927, 272 S. (zahlr. Neuaufl.; Ü.: engl., frz.) und Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, Berlin 1932.
  • Die Sexualnot der Erwachsenen. Rudolstadt: Greifenverlag 1928, 47 S.
  • Sexualelend und Sexualberatung. Briefe aus der Praxis. Rudolstadt: Greifenverlag 1928, 302 S.
  • Von der Kunst des Liebesverkehrs. Rudolstadt: Greifenverlag 1928, 16 S.
  • Sexualpädagogik. Erziehungshygiene u. Gesundheitspolitik. Gesammelte Aufsätze u. Vorträge (1916 - 1927). Rudolstadt: Greifenverlag 1928, 256 S.
  • Unzucht! Unzucht! Herr Staatsanwalt! Zur Naturgeschichte des deutschen Schamgefühls. Rudolstadt: Greifenverlag 1928, 131 S.
  • Onanie - weder Laster noch Krankheit. Berlin: Universitas 1929, 91 S.
  • Sowjetunion Gestern - Heute - Morgen. Berlin: Universitas 1930, 264 S.
  • Der slawische Gürtel um Deutschland. Polen, die Tschechoslowakei und die deutschen Ostprobleme. Berlin: Universitas 1932, 319 S.
  • History of Modern Morals. (Übersetzung Stella Brown) London: Heinemann 1937, 340 S.

Literatur

  • Wilfried Wolff: Max Hodann (1894-1946). Sozialist und Sexualreformer. Hamburg: von Bockel 1993, ISBN 3-928770-17-9.
  • Manfred Herzer: Max Hodann und Magnus Hirschfeld: Sexualpädagogik am Institut für Sexualwissenschaft. Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Heft 5, März 1985, S. 5-17 ISSN 0933-5811; repr. in: R. Dose und H.-G. Klein (Hrsg.): Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Band I: Heft 1 (1983) - Heft 9 (1986). Hamburg: von Bockel 1992, S. 159-171 ISBN 3-928770-06-3
  • Ralf Dose: No Sex Please, We're British, oder: Max Hodann in England 1935 — ein deutscher Emigrant auf der Suche nach einer Existenz. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Heft 22/23, Juni 1996, S. 99-125
  • Friedrich Koch: Sexualpädagogik und politische Erziehung. München 1975.
  • Bernhard Meyer und Hans Jürgen Mende (Hrsg.): Berliner jüdische Ärzte in der Weimarer Republik. Berlin: Luisenstädtischer Bildungsverein 1996 ISBN 3-89626-073-1 (Anm.: Hodann war kein Jude)
  • Das Strafverfahren gegen Max Hodann und Karl Dietz im Rudolstadt des Jahres 1928. In: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. Heft 117 (1990)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kulenkampff'sche Familienstiftung (Hg.), Stammtafeln der Familie Kulenkampff, Bremen: Verlag B.C. Heye & Co 1959, Linie John Daniel Meier, J.D.M., S. 47-50.
  2. Max Hodann: Was müssen unsere Genossen von der Eugenik wissen? In: Die Sozialistische Erziehung (Wien), Mai 1924; nachgedruckt in ders.: Sexualpädagogik. Erziehungshygiene und Gesundheitspolitik. Gesammelte Aufsätze und Vorträge 1916-1927. Greifenverlag, Rudolstadt 1928, S. 66-73; für Details und Kontext vgl. Wolff, a.a.O., S. 203–223
  3. Karl Fallend: Max Hodann „Hodenmaxe“. In: ders.: Wilhelm Reich in Wien. Psychoanalyse und Politik. Geyer-Edition, Salzburg 1988, S. 85–93
  4. Zuvor hatte Weiss Hodann in seinem Roman Fluchtpunkt unter dem Namen Hoderer auftreten lassen. Hodann war in Weiss' Berliner Jugendjahren dessen Lehrer gewesen; später waren sie gemeinsam in Schweden im Exil (vgl. Karen Hvidtfeldt Madsen: Widerstand als Ästhetik: Peter Weiss und "Die Ästhetik des Widerstands". Wiesbaden 2003, S. 79. Weiss hat Hodann allerdings erst 1940 in Stockholm kennengelernt; die Berliner Kontakte, die der Roman Die Ästhetik des Widerstands schildert, sind Fiktion.

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