Masurische Sprache

Masurische Sprache
Polen in den Grenzen vor 1660 (Ostpreußen grün)
Masuren violett eingezeichnet

Masurisch gilt allgemein als eine polnische Mundart, die in der südostpreußischen Landschaft Masuren, das heißt in den prußischen Stammesgebieten Pogesanien, Barten, Galinden und Sudauen verbreitet war. Jedoch gibt es auch die gegenläufige Ansicht, dass es sich um eine eigenständige slawische Sprache handelt. Die ostpreußischen Masuren definierten ihren Eigennamen schlicht als „Einwohner“, was wohl dem polnischen „mąż“ (Mann) entspricht.

Zur Herkunft der Masowier wurden teilweis kühne Theorien aufgestellt. Roman Sołtyk suchte ihn im frühen 19. Jahrhundert im antiken Reitervolk der Massageten.[1] Auch der pannonisch-dalmatinische Volksstamm der Mazei wurde erwogen, wegen der Ähnlichkeit vieler Toponyme. Danach ginge die Namenbedeutung auf „maz“ (groß) (Bergname Massarus) zurück.[2] Allerdings tauchen ähnliche slawische Stammesbezeichnungen und ähnliche slawische Toponyme in teilweise weit voneinander entfernten Gegenden auf, ohne notwendigerweise auf mehr als allgemein slawische Gemeinsamkeiten hinzuweisen (vgl. Serben und Sorben, Slowenen und Slowinzen, Belgrad und Belgard).

Die Ursprache der Masowier dürfte ein protopolnischer Dialekt gewesen sein. Der masurische Dialekt im südlichen Ostpreußen ging auf polnische Wurzeln zurück und war je nach Region stark mit anderen Sprachen vermengt: Im nordöstlichen Teil gab es ein Gemisch aus Litauisch und Polnisch, im westlichen Teil dagegen eine starke Vermischung mit Deutsch. Im Innern Masurens kamen sehr unterschiedliche Mundarten vor. Relativ schwer verständlich waren für die übrigen Ostpreußen die Mundarten der Gegenden um Angerburg und Lötzen. Das reinste Polnisch traf man in der Gegend um Soldau an. Zwischen der gewöhnlichen Umgangssprache und dem kirchlichen Polnisch gab es erhebliche Unterschiede.[3]

Die Masowier wanderten etwa im 7. Jahrhundert vom Süden her in ihr späteres Gebiet nach Norden, wo sie zunächst vom mächtigen Volk der Galinder, deren Gebiet damals noch bis an die Narew reichte, am Eindringen in prußische Stammesgebiete gehindert wurden. Jedoch sickerten bereits ab dieser Zeit einzelne friedliche Siedlersippen in prußisches Territorium ein, wo sie sich mit der ansässigen Bevölkerung vermischten.[4] Das Prußische hat zum Masurischen viele Wörter beigesteuert, die oft mit polnischer Endung versehen wurden.

Der masurische Dialekt entwickelte sich bereits zu Ordenszeiten: „Weder die slawischen Masovier (Masuren) noch die dem baltischen Sprachstamm angehörigen Litauer haben vor Auftreten des Deutschen Ritterordens in Ostpreußen gesiedelt. Erst letzterer, und zwar verhältnismäßig spät, hat Angehörige dieser Völker hauptsächlich zur Besiedelung der Wildnis ins Land hineingezögen.“[5] Außer diesen Ansiedlern gab es noch leibeigene polnische Flüchtlinge, die vor der Willkür ihrer Gutsherren in das mildere Recht des Ritterordens (und später Preußens) geflohen waren und trotz starker Proteste ihrer „Eigentümer“ und diplomatischer Verhandlungen nur selten wieder ausgeliefert wurden. Der Zustrom verstärkte sich während der Zeit der polnisch-litauischen Personalunion. Zusätzlich wurden polnische Siedler seit dem 15. Jahrhundert aus Masowien (polnisch Mazur = Masowier) in die durch Kriegsereignisse entvölkerte Region angeworben. Nach 1525 flüchteten reformierte Polen in das bereits säkularisierte Ostpreußen. Die Lutherische Reformation des Ordenslandes trug zu einer weiteren Abkopplung von der sprachlichen Entwicklung im katholischen Königreich Polen bei. Doch blieb Masurisch eine „Dorfsprache“, da die Amts- und Schriftsprache stets Deutsch war.

Nach der Volkszählung von 1900 wurde masurisch von dem folgenden Bevölkerungsanteil in den angegebenen ostpreußischen Landkreisen gesprochen:

49,4 % Masurisch (und 20,8 % Polnisch) im Landkreis Johannisburg,
43,4 % (und 31,1 %) im Landkreis Ortelsburg,
35,1 % (und 18,1 %) im Landkreis Lyck,
31,7 % (und 37,6 %) im Landkreis Neidenburg,
30,3 % (und 20,2 %) im Landkreis Sensburg,
19,0 % (und 14,5 %) im Landkreis Oletzko (später Treuburg),
10,9 % (und 33,0 %) im Landkreis Osterode in Ostpreußen.

Nach 1900 ging der Anteil der Sprecher des Masurischen Dialektes an der Gesamtbevölkerung langsam zurück. Die meisten Einwohner gehörten der evangelisch-lutherischen Kirche an. Nach dem Ersten Weltkrieg solidarisierten sich die Masuren mit Deutschland, so dass bei der Volksabstimmung am 11. Juli 1920 insgesamt 99,32 % der Abstimmenden in den masurischen Kreisen für den Verbleib bei Deutschland votierten, bei einer Wahlbeteiligung von 87,31 %.[6]

Nach 1933 wurde die Benutzung des masurischen Dialektes von den nationalsozialistischen deutschen Behörden weitgehend verboten. Vor allem 1938 wurden viele masurischsprachige Orts- und Personennamen geändert. Ab 1939 war es verboten, Gottesdienste in masurisch zu halten.

1945 flohen viele Masuren vor der herannahenden Roten Armee oder wurden vertrieben. In Masuren wurden andere Menschen angesiedelt, die zumeist aus den für Polen verlorengegangenen Gebieten im Osten und aus der Ukraine stammten. Von der ursprünglichen Bevölkerung erhielten etwa 160.000 Personen, darunter viele, die Masurisch sprachen, ein Bleiberecht unter der Bedingung, dass sie die polnische Staatsbürgerschaft annahmen. Der Gebrauch der deutschen Sprache wurde ihnen verboten. Die meisten von ihnen siedelten jedoch in den 1950er, 1970er und 1980er Jahren als Aussiedler nach Westdeutschland über. Heute ist die masurische Sprache weitestgehend ausgestorben. Die heutigen Ortsnamen Masurens knüpfen bis auf wenige Ausnahmen und in leicht polonisierter Form wieder an die alten prußischen Namen an.

Literatur

  • Kossert, Andreas: Masuren, Ostpreußens vergessener Süden. Siedler, Berlin 2001
  • Lenz, Siegfried: Heimatmuseum. Hoffmann und Campe, 1978 (Geschichtliche Zusammenfassung in Romanform)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Roman Sołtyk: Polen, geographisch & historisch geschildert. Stuttgart 1834, S. 53
  2. Heinrich Kunstmann: Die Slaven, Ihr Name, ihre Wanderung nach Europa und die Anfänge der russischen Geschichte in historisch-onomastischer Sicht. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1996, S. 148
  3. August Ambrassat: Die Provinz Ostpreußen, ein Handbuch der Heimatkunde. 1912, Nachdruck Weidlich, Frankfurt a.M. 1978, S. 241 f
  4. Wilhelm Gaerte: Urgeschichte Ostpreußens. Gräfe und Unzer, Königsberg 1929, S. 319
  5. Wilhelm Gaerte: Urgeschichte Ostpreußens. Gräfe und Unzer, Königsberg 1929, S. 356
  6. Andreas Kossert: „Grenzlandpolitik“ und Ostforschung an der Peripherie des Reiches. S. 124

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