Martin Balluch

Martin Balluch
Balluch bei einem Vortrag in Heidelberg, 2008

Martin Balluch (* 12. Oktober 1964) ist ein österreichischer Tierethiker und Tierrechtsaktivist mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, der sich als Obmann des Vereins gegen Tierfabriken für Tierschutz und Tierrechte einsetzt.

In einem Strafverfahren des Verbrechens nach § 278a StGB (Beteiligung an einer kriminellen Organisation) ist er am 2. Mai 2011 nicht rechtskräftig freigesprochen worden. [1]

Inhaltsverzeichnis

Wissenschaftliche Laufbahn

Balluch studierte Mathematik, Physik und Astronomie an der Universität Wien. Anschließend promovierte er an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1989 zum Doktor der Physik. In den Jahren 1990 bis 1997 arbeitete er als Universitätsassistent neben Stephen Hawking im Department of Applied Mathematics and Theoretical Physics (DAMTP) an der Universität Cambridge. Die zweite Promotion im Fach Philosophie erfolgte im Jahr 2005 im Bereich Tierethik.

In den Jahren von 1986 bis 1997 veröffentlichte Balluch 14 Arbeiten in den Bereichen Physik und Astronomie.[2]

Tierschutzengagement

Sein Tierrechtsengagement startete Martin Balluch 1985 in Cambridge und seit 1989 lebt er vegan. 1997 kehrte er nach Wien zurück, um die Kampagnen des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) zu koordinieren. 1999 war er einer der Mitbegründer der Veganen Gesellschaft Österreichs. Seit 2002 ist der der Obmann des VGT. Balluch wurde als Sachverständiger in Tierschutzfragen vom österreichischen Nationalrat konsultiert und betätigt sich als Tierschutzlehrer an weiterführenden Schulen. Er hält international Vorträge zu den Themen Tierethik und Aktivismus, nimmt an Podiumsdiskussionen teil und wurde von den Grünen im Rahmen der Nationalratswahlen 2008 als unabhängiger Kandidat aufgestellt. Er schreibt neben Gastbeiträgen in anderen Medien regelmäßig als Chefredakteur im Vereinsmagazin des VGT Tierschutz konsequent und moderiert wöchentlich das Tierrechtsradio bei Radio Orange.

2007 machte Balluch mit ungewöhnlichen Gerichtsverfahren auf sich aufmerksam: Durch einen Antrag auf Sachwalterschaft für den Schimpansen "Hiasl", wollte er einen Affen zur Rechtsperson und quasi zum Menschen erklären lassen. Im Falle des Erfolges hätten Tiere - je nach Grad der Verwandtschaft zum Menschen - gewisse Menschenrechte und politische Rechte wie z. B. Sozialhilfe, Krankenversicherung, Verfahrenshilfe, Erb- und Eigentumsrechte uvm. beanspruchen können. Da die Klagen die besondere Rechtssituation des Menschen und das Sachenrecht für Tiere prinzipiell in Frage stellten, war das internationale Medienecho enorm. Das Bezirksgericht erster Instanz lehnte noch die Klage ab, weil für den Schimpansen die nötigen Voraussetzungen auf Sachwalterschaft formal fehlten: Geburtsurkunde, gültige Aufenthaltstitel, Personaldokumente. Balluchs Berufung vor dem Landesgericht wies darauf hin, dass es keinen unbedingten Dokumentenzwang gäbe wie etwa bei staatenlosen Flüchtlingen. Dem konnte das Landesgericht inhaltlich nicht nähertreten und wies die Klage äußerst kurios mit der Begründung ab, dass der Schimpanse "Hiasl" nicht behindert sei und die sachliche Voraussetzung einer Sachwalterschaft fehle. Wie bei tatsächlich behinderten Tieren zu verfahren sei, ließ das Urteil völlig offen. Der Oberste Gerichtshof wollte sich mit der Revision nicht befassen und sprach schließlich Balluch die Parteienstellung ab, weshalb er zu solchen Rechtsmitteln nicht berechtigt sei. Der Fall liegt nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. [3] Aufgrund der "richterlichen Zurückhaltung" ist es eigentlich nicht vorgesehen, dass ein Gericht gegen die Intention des Gesetzgebers Rechte ausweitet.

Der Philosoph Peter Singer sieht in Balluch „einen der führenden Sprecher der weltweiten Tierrechtsbewegung für einen gewaltfreien, demokratischen Weg der Reformen.“ ([4]) Am 21. Mai 2008 wurde Martin Balluch im Zuge der sogenannten „Tierschutzcausa“ wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Organisation unter dem Pseudonym Animal Liberation Front als einer von zehn Aktivisten verschiedener Organisationen für über drei Monate in Untersuchungshaft genommen. Die Festnahme führte international zu massiven Protesten. Gemeinsam mit 12 anderen Tierschützern steht er von 2. März 2010 bis 2. Mai 2011 am Landesgericht Wiener Neustadt vor Gericht. Die Besonderheit des Verfahrens war, dass Martin Balluch und einigen anderen Angeklagten dabei keine konkreten Straftaten, sondern bloß die indirekte Förderung und Unterstützung von unbekannten Straftätern durch legale Tierschutzarbeit vorgeworfen wurde. Eine verdeckte Ermittlerin, die bis zum Nachweis ihrer Existenz durch die Verteidigung von den Behörden geleugnet wurde, gab im Dezember 2010 vor Gericht an, in ihrer 16 Monate langen Aktivität im VGT keine Spur krimineller Aktivitäten gefunden zu haben. Mit dem Urteil vom 2. Mai 2011 wurden alle 13 Angeklagten von sämtlichen Vorwürfen in allen Punkten freigesprochen. Martin Balluch hat über seine Erfahrungen in Zusammenhang mit diesem Strafprozess das Buch: Tierschützer. Staatsfeind - In den Fängen von Polizei und Justiz. geschrieben.

Siehe auch: Wiener Neustädter Tierschützerprozess.

Positionen

Spanische Demonstranten protestieren gegen die Inhaftierung Martin Balluchs und der anderen Aktivisten

Balluch vertritt einen naturwissenschaftlich–deontologischen Ansatz für Tierrechte. Er argumentiert ausgehend von den ethischen Paradigmen der Universalität, Freiheit von Dogmen, Kontextuellen Relevanz der Begründung von Forderungen und Konsistenz. Wenn wegen bestimmten Eigenschaften Grundrechte für ein Individuum gefordert werden, dann müssen dieselben Rechte für alle Individuen mit denselben Voraussetzungen gefordert werden. Voraussetzung für Grundrechte (Leben, Freiheit und Unversehrtheit) sieht er im Bewusstsein gegeben, da dies die Fähigkeit zu persönlichen Interessen voraussetze. Weil Grundrechte notwendig zum Realisieren von Interessen allgemein seien, sei es zumindest implizites Interesse aller bewussten Wesen, Grundrechte zu haben. Dass einige Tiere Interessen haben sieht er durch moderne Verhaltensforschung bestätigt. Dass Bewusstsein künstlich nicht etwa durch leistungsfähige Rechner simuliert werden könnte, führt er auf die gödelsche Unvollständigkeit zurück. Ein ähnliches Argument wurde in den 60ern von Lucas für Menschenrechte angeführt und kritisiert.[5]

Präferenz-Utilitaristische Ansätze kritisiert Balluch in Bezug auf ihre Anwendung zum Begründen von Grundrechten. Präferenzen seien immer subjektiv, weil sie nur in Bezug auf ein System von Präferenzen festzustellen wären. Ein objektives Ermitteln einer Bewertung einer Handlung sei mangels eines objektiven Präferenzensystems nicht möglich. [6]

Methodik

In Hinsicht auf die in Tierrechtskreisen stark diskutierte Frage, inwiefern an vorgeblich speziezistische Grundhaltungen in der Gesellschaft pragmatische Zugeständnisse gemacht werden sollten, strebt Balluch pragmatische Ansätze für graduelle Verbesserungen an. Wissenschaftliche und philosophische Argumente seien zwar notwendig für die Bewegung, aber andererseits oft zu schwer nachvollziehbar für Personen außerhalb der Tierrechtsbewegung. Interne Fachdiskurse und Stellungnahmen nach außen sollten unterschieden werden. Öffentlichkeitstaugliche Kommunikation solle tierisches Leid als Problem darstellen und wirksame Handlungsalterativen aufzeigen, die realistisch erreichbar scheinen. Ethische Argumente, die noch abseits des gesellschaftlichen Konsens liegen, würden in der Kommunikation mit Personen jenseits der Tierrechtsbewegung lediglich Befremdung hervorrufen. Dies würde zu einer Voreingenommenheit gegenüber für Tierethik eintretende Personen führen und so jede Weiterentwicklung im Sinne der Tiere behindern.

Er argumentiert, dass Verbesserungen im Tierschutz nicht nur wesentlich leichter erreichbar wären als ein Verständnis für die Argumentation von Tierrechtlern, sondern dass das öffentliche Problembewusstsein gemeinsam mit Tierschutzbestimmungen wachse. Eine Gesellschaft, in der Tierprodukte nicht bequemste Norm, sondern kaum verfügbare Güter wären, sei Voraussetzung, um Diskurse über vegane Grundhaltungen sinnvoll zu führen. [7]

Kritik

Tierrechts-Abolitionisten wie Lee Hall oder Gary L. Francione kritisieren hingegen, dass Tierschutz im Widerspruch zu Tierrechten stehe. Tierschutzforderungen würden die Nutztierhaltung bestätigen, weil sie bloß schlechte Bedingungen kritisieren, aber die Nutzung an sich als gegeben hinnehmen würden. Schutzbestimmungen für tagesaktuelle Probleme könnten keine nachhaltige Verbesserung ethischer Grundsätze bewirken. Weiter argumentieren Abolitionisten, dass Tierschutzgesetze die Tiernutzung sogar fördern würden. Minimale Zugeständnisse der Verantwortlichen gegenüber den Bedürfnissen der betroffenen Tiere würden einen ernsthaften Einsatz für Tierrechte und Veganismus ersetzen, da mit der Beseitigung der abschreckendsten Zustände in der Intensivtierhaltung kein grundsätzlicher Änderungsbedarf mehr offensichtlich wäre. [8]

Publikationen

  • Tierschützer. Staatsfeind - In den Fängen von Polizei und Justiz. Promedia, Wien 2011. ISBN 978-3-85371-331-0
  • Widerstand in der Demokratie - Ziviler Ungehorsam und konfrontative Kampagnen. Promedia, Wien 2009. ISBN 978-3-85371-304-4.
  • Die Kontinuität von Bewusstsein. Das naturwissenschaftliche Argument für Tierrechte. Guthmann-Peterson, Wien 2005. ISBN 3-900782-48-2. (Eingereicht als Doktorarbeit in Philosophie.)
  • Quantification of lower stratospheric mixing processes using aircraft data. Balluch, M., and Haynes, P.H.: Journal of Geophysical Research - Atmospheres, accepted, 1997.
  • Refraction and Atmospheric Photochemistry. Balluch, M., and Lary, D.J.: Journal of Geophysical Research - Atmospheres, accepted, 1997.
  • A new numerical model to compute photolysis rates and solar heating with anisotropic scattering in spherical geometry. Annales Geophysicae, 14, 80-97, 1996.
  • Adaptive Numerical Advection. The co-ordinate transformation method. In Comp. Phys. Comm., Thematical Issue on Numerical Methods in Astrophysical Hydrodynamics, ed. W.J. Duschl and W.M. Tscharnuter, 89, No. 1-3, 91-117, 1995.
  • Reply to the comments on ‚solar heating rates: the importance of spherical geometry‘. Balluch, M., and Lary, D.J.: J. Atmos. Sci., 52, 3-15, 1994.
  • Solar heating rates: the importance of spherical geometry. Lary, D.J., and Balluch: M., J. Atmos. Sci., 50, 3983-3993, 1993.
  • Stabilität protostellarer Akkretionsstroemungen. Doktorarbeit in Physik, Universität Heidelberg, 1989.
  • Solar heating after a volcanic eruption: the importance of SO2 absorption. Lary, D.J., Balluch, M., and Bekki, S.: Q. J. Roy. Meteorol. Soc. , 120, 1683-1688, 1994.
  • Protostellar Evolution. I. The Behaviour of the Eddington factor and the accretion shock. Astronomie und Astrophysik, 200, 58-74, 1988.
  • Energietransport durch Strahlung in protostellaren Huellen. Diplomarbeit in Astronomie, Universität Wien, Österreich, 1987.
  • Numerische Loesung einer Differentialgleichung 1. Ordnung mit der Methode der Charakteristiken am Beispiel der Strahlungstransportgleichung. Diplomarbeit in Mathematik, Universität Wien, Österreich, 1986.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der Standard: Tierschützer nicht rechtskräftig freigesprochen, abgerufen am 2. Mai 2011
  2. Balluch, Martin. Publizierte Arbeiten, Curriculum vitae, Cambridge 1997.
  3. http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/355552/Kein-Sachwalter-fuer-Schimpanse-Hiasl Die Presse vom 15. Januar 2008
  4. Singer, Peter. Of great apes and men, The Guardian, 18. Juli 2008.
  5. Lucas: Minds, Machines and Gödel Philosophy, XXXVI, 1961
    Hier wird eine Literaturliste zur Kritik des Arguments geführt.
  6. Balluch, Martin: Recht auf Autonomie statt Pflicht zur Leidensminimierung - Kritik an Konsequentialismus und Pathozentrismus Essay, 15. März 2007
  7. Balluch, Martin. Abolitionism versus Reformism VGT März 2008
  8. Hall, Lee. More industry reform... or the vegan paradigm?, abolitionist-online, Mai 2008.
    Francione, Gary L. A “Very New Approach” or Just More New Welfarism?, The Abolutionist Approach (Blog), 9. April 2008.

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