Apostelkonzil

Apostelkonzil

Das Apostelkonzil (auch Apostelkonvent genannt) in Jerusalem (zwischen 44 und 49) war eine Zusammenkunft der Apostel der Jerusalemer Urgemeinde mit Paulus von Tarsus und seinen Begleitern. Dort wurde die für das Urchristentum zentrale Entscheidung über die so genannte Heidenmission getroffen. Es wurde verbindlich anerkannt, dass die Taufe zur Aufnahme in die Heilsgemeinschaft genügt und Heiden sich nicht erst beschneiden lassen müssen, um Christen werden zu können.

Inhaltsverzeichnis

Quellen

Berichte über das Konzil finden sich zum einen im Galaterbrief des Paulus, entstanden kurz nach dem Ereignis (Gal 2,1–10 EU), zum anderen in der Apostelgeschichte des Lukas, entstanden um 90 (Apg 15 EU). Sie liegen nicht nur zeitlich über 40 Jahre auseinander, sondern sind auch verschieden veranlasst und adressiert: Paulus verteidigt sich im Galaterbrief gegen aktuelle theologische Gegner innerhalb einer von ihm gegründeten Gemeinde, Lukas beschreibt die ersten Jahrzehnte der christlichen Missionsgeschichte im Rückblick.

Die beiden Autoren stellen auch das Ergebnis des Aposteltreffens verschieden dar: Nach Paulus wurde nichtjüdischen Christen die Einhaltung der jüdischen Tora ganz erlassen, nach Lukas wurde ihnen weiterhin die Einhaltung einiger Ritualgesetze empfohlen. Darüber gab es auch nach der Zusammenkunft Konflikte.

Datierung

Nach Gal 2,1 EU besuchte Paulus Jerusalem „nach 14 Jahren“ zum zweiten Mal, diesmal zum Apostelkonzil. Dabei ist unklar, ob er die Frist von seiner Bekehrung vor Damaskus (32 oder 33) oder seinem ersten Jerusalembesuch an (35 oder 36) meinte. Da das Anfangsjahr mitgezählt wurde, fiel das Apostelkonzil im ersten Fall auf das Jahr 45 oder 46, im zweiten auf 48 oder 49.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen NT-Historiker von den Angaben der Apostelgeschichte aus: Laut Apg 12,23f EU ging dem Konzil der Tod des Herodes Agrippa I. voraus, der laut Flavius Josephus im Jahr 44 eintrat. Danach folgte die zweite Missionsreise des Paulus nach Griechenland, bei der er sich ab 50 in Korinth aufhielt (Apg 18,2 EU). Die weitaus meisten Theologen und Historiker setzen den Termin des Treffens daher zwischen 44 und 49 an.

Einige Exegeten vertreten eine Datierung vor 44. Dabei gehen sie davon aus, dass Paulus im Galaterbrief nur zwei Jerusalembesuche erwähnt. Die Apostelgeschichte berichtet jedoch auch von einer Kollektensammlung vor dem Tod des Herodes Agrippa, die von Paulus und anderen anlässlich einer Getreideteuerung organisiert worden und noch vor dem Tod des Agrippa nach Jerusalem überbracht worden sei (Apg 11,27–30 EU). Diesen Besuch setzt man mit der von Paulus beschriebenen Reise zum Konzil gleich.

Andere Exegeten setzen den Konvent erst in die frühen 50er Jahre an, weil Paulus in Jerusalem eine Position vertreten habe, die er nur im Verlauf seiner Griechenland-Mission erarbeitet haben könne. Diese Exegeten lehnen die Apostelgeschichte als historische Quelle vollständig ab.

Einzelne Exegeten führen die Unstimmigkeiten zwischen beiden Texten auf zwei verschiedene Treffen zurück: Der Galaterbrief könnte ein früheres, Apg 15 ein späteres Zusammentreffen des Paulus mit den Vertretern der Urgemeinde darstellen. Damit ließe sich auch der in Gal 2,11–14 EU beschriebene erneute Konflikt nach dem (nun „ersten“) Treffen mit den Ereignissen, die Apg 15,1–6 EU als Auslöser des (nun „zweiten“) Konzils darstellt, gleichsetzen. Diese These vermag jedoch nicht zu erklären, weshalb Lukas die von Paulus als einschneidend beschriebene Entscheidung für die Heidenmission erwähnt, Paulus den Kompromiss verschwiegen haben sollte.

Der Neutestamentler Hans Conzelmann lehnt deshalb sowohl die Frühdatierung wie die Hypothese vom „doppelten“ Konzil ab. Er verweist darauf, dass andere Quellen für die Jahre vor dem Tod des Agrippa keine „Teuerung“ berichten, wohl aber eine lokale Versorgungskrise für 46 und 48 unter dem Statthalter Tiberius. Lukas habe möglicherweise die Reihenfolge der Ereignisse vertauscht: Denn in Apg 12,24 EU ist von einer „Rückkehr“ des Paulus und Barnabas von Jerusalem nach Antiochia die Rede, die aber nach Gal 2,11 EU wohl erst nach dem Konzil stattfand (vgl. Apg 15,30–35 EU). Demnach nimmt Conzelmann das Jahr 48 für das Konzil an.

Vorgeschichte

Die Jerusalemer Urgemeinde bestand nach Apg 2 EU von Anfang an aus Juden, Proselyten und Hellenisten, die in Jesus Christus den Messias Israels erkannten. Ihre unterschiedlichen religiösen Hintergründe äußerten sich in sehr verschiedenen Haltungen zum Tempelkult und zur jüdischen Tora, die bald zu Konflikten führten.

Zuvor gab es Konflikte um die Witwenversorgung der Hellenisten, die mit der Wahl von sieben Diakonen gelöst wurden. Doch wegen seiner Tempelkritik wurde ihr mutmaßlicher Anführer Stephanus von den sadduzäischen Tempelpriestern angeklagt und gesteinigt. Danach wurden seine Anhänger verfolgt und flohen aus Jerusalem. An ihrer Verfolgung war nach Apg 8,1 EU auch der Pharisäer Paulus von Tarsus beteiligt.

Eine Folge ihrer Vertreibung war die Mission in umliegenden Gebieten, wo nun auch Nichtjuden – sogenannte Heiden – zum Glauben an Jesus Christus gewonnen wurden. So entstanden christliche Gemeinden in Samaria, Syrien, Zypern und Kleinasien. Eine weitere Konsequenz war die räumliche Trennung der „Judaisten“ von den „Hellenisten“ innerhalb der Jerusalemer Urgemeinde. Aus dem Miteinander wurde ein Nebeneinander, verbunden mit verschiedenen theologischen Positionen besonders zum jüdischen Ritualgesetz.

Die Gemeinde in Jerusalem verstand Christsein als Zugehörigkeit zum „wahren“ bzw. „erneuerten“ Gottesvolk der Endzeit, abgebildet durch die Zwölfzahl der Apostel als Symbol für die Zwölf Stämme Israels. Insofern wollte sie ein Teil des Judentums bleiben und achtete dessen Gebräuche einschließlich Beschneidung, Reinheits- und Speisegeboten und Opfern im Jerusalemer Tempel, dem Versammlungsort der ersten Christen. Für das palästinische Urchristentum war Jesus von Nazaret keineswegs gekommen, um die Tora aufzuheben, sondern zu erfüllen und so für seine Nachfolger erfüllbar zu machen (Mt 5,17–20 EU).

Daraus folgerten einige Judenchristen, dass ein Christ, der an Jesus als den Messias Israels glaubt, sich beschneiden lassen müsse, um an der Erwählung des Gottesvolks und seinen Verheißungen Anteil zu erhalten. Damit war traditionell die Verpflichtung zum Einhalten aller Toragebote verbunden. Diese Auffassung wird auch als Judaismus bezeichnet und wurde wohl vor allem von Christen aus der näheren Umgebung Jesu, die den Pharisäern nahestanden, vertreten.

Neben dieser Gruppe, die Paulus wie sich selbst vor seiner Bekehrung als „Eiferer für das Gesetz“ sah, gab es vermittelnde Positionen, die von Simon Petrus und vor allem von Jesu ältestem Bruder Jakobus dem Gerechten vertreten wurden. Dieser wurde nach Jesu Tod Apostel und gewann danach eine Führungsrolle in der Urgemeinde. Er genoss hohes Ansehen wegen seiner Toratreue und galt als unbestrittene moralische Autorität, wie der ihm zugeschriebene Jakobusbrief zeigt.

Auf der anderen Seite scheinen die hellenistischen Gemeinden das jüdische Gesetz nur noch als moralischen Maßstab anerkannt zu haben und befolgten offenbar weder Beschneidung noch Tempelkult oder Speisegesetze. Das war wohl der Anlass für weitere Christenverfolgungen durch Herodes Agrippa, der sich damit beim sadduzäisch dominierten Sanhedrin beliebt machen wollte (Apg 12,3 EU). Das brachte die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem in ein Dilemma. Denn wenn sie zu ihren christlichen Brüdern stehen würden, setzten sie sich ebenfalls der Verfolgung aus und galten als Verräter des Judentums, zu dem sie doch gehörten und das sie als ihre Heimat ansahen.

Die Reisen der verschiedenen Apostel zu den neuen Gemeinden brachten dort immer wieder Konflikte um die Torabefolgung auf die Tagesordnung. Der Kristallisationspunkt, mit dem die christliche Gemeinschaft mit den griechischen Christen stand oder fiel, war das gemeinsame Essen. Hier waren besonders die Speisegebote eine große Hürde.

Paulus spitzte den Konflikt zusätzlich zu: Denn seit seiner Bekehrung vertrat er das genaue Gegenteil seiner früheren pharisäischen Positionen. Als Hauptvertreter der hellenistischen Theologie lehrte er eine Reinheit der Heiden durch Glauben und Heiligen Geist; die Abrahamskindschaft blieb auch für ihn heilsnotwendig, bedeutete aber nicht notwendig jüdische Herkunft oder Praxis. Paulus definierte damit mittels pharisäischer Methodik und hellenistischer Rhetorik entscheidende theologische Alternativen zu pharisäischen Positionen. So wurde aus dem praktischen Problem ein theologischer Konflikt. Durch seine umtriebige Missionstätigkeit vergrößerte er zudem die Zahl der heidenchristlichen Gemeinden beträchtlich und veränderte damit die Mehrheitsverhältnisse, so dass eine Lösung des Problems unausweichlich wurde.

Nach Apg 15,1 EU war der unmittelbare Anlass des Konzils ein Zusammenstoß von Paulus und Barnabas mit Männern „aus Judäa“, die von der Gemeinde in Antiochia die Beschneidung verlangten mit der Begründung:

„Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach der Weise des Mose, dann könnt ihr nicht selig werden.“

Man nimmt an, das sie mit denen „aus den Juden“ identisch waren, die schon Simon Petrus wegen seiner ersten Taufen und Tischgemeinschaft mit Heiden zur Rede gestellt hatten (Apg 11,2f EU) und offenbar die Position des Jakobus vertraten (Gal 2,12 EU). Daraufhin habe die Gemeinde Paulus und Barnabas nach Jerusalem gesandt, um den Rat und die Entscheidung der Jerusalemer Apostel einzuholen (Apg 15,2–6 EU).

Verlauf und Entscheidung

Darstellung im Galaterbrief

Paulus verstand das Treffen nicht nur als Lösung des praktischen Problems, die Mahlgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen wiederherzustellen, sondern als Entscheidung über die Wahrheit des Evangeliums. Denn obwohl er den Auftrag zur Heidenmission direkt auf seine individuelle Begegnung mit Jesus Christus zurückführte und nach eigenem Bekunden schon lange unabhängig von den übrigen Aposteln gewirkt hatte, ging es nun für ihn darum, dafür ihre Bestätigung zu erhalten, „damit ich nicht etwa vergeblich liefe oder gelaufen wäre“ (Gal 2,3 EU).

Er stellt sich im Folgenden (Gal 2,4–10 EU) selbst als Wortführer der Verhandlung dar, ohne einen Auftrag als Abgesandter Antiochiens zu erwähnen. So sei es seinen „falschen Brüdern“, die sich „hineingedrängt“ und „eingeschlichen“ hätten, um seine christliche Freiheit „auszuspionieren“, nicht gelungen, ihn auch nur eine Stunde lang in die Defensive zu drängen. Vielmehr hätten ihm alle, die zwar nicht vor Gott, aber innerhalb der Urgemeinde das „Ansehen“ und Sagen hatten – Paulus nennt nur die drei „Säulen“ Jakobus, Petrus (Kephas) und Johannes – nichts auferlegt; nicht einmal sein Begleiter Titus, ein gebürtiger Grieche, sei zur Beschneidung gezwungen worden. Sie hätten vielmehr erkannt, dass seine Missionserfolge denen des Petrus ebenbürtig seien und ihm daraufhin per Handschlag versichert, dass er und Barnabas das Recht hätten, das Evangelium unter den Heiden zu verkünden – offenbar ganz so, wie er es verstand. Nur der „Armen“ sollten sie gedenken.

Damit ist jene auch in Apg 21,14–26 EU erwähnte Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde gemeint (s.o.), zu der Paulus in seinen Gemeindebriefen öfter aufrief (Röm 15,26 EU; 1 Kor 16,1 EU). Ansonsten zitiert Paulus keinen offiziellen oder gar schriftlich niedergelegten Beschluss des Konzils, dem er sich zu fügen gehabt hätte. Daneben sei eine „Arbeitsteilung“ vereinbart worden, nach der Petrus hauptsächlich unter den Juden, Paulus und Barnabas unter den Heiden missionieren solle.

Darstellung in der Apostelgeschichte

In Apg 15,2–10 EU stellt Lukas heraus, dass Paulus nur einer von mehreren Heidenmissionaren gewesen sei, die von ihren Gemeinden zum Konzil gesandt wurden. Bereits ihre Anreise erscheint als Triumphzug, da sie unterwegs in Phönizien und Samarien vorbehaltlosen Zuspruch erhalten. Deshalb seien sie bei ihrer Ankunft von sämtlichen Mitgliedern, Aposteln und Ältesten der Urgemeinde empfangen worden. Zuerst hätten sie auf ihre Missionserfolge verwiesen; dann seien einige von der „Partei/Sekte“ der Pharisäer aufgetreten, die Christen geworden waren, und hätten die Position der Gegner des Paulus in Antiochia bekräftigt:

„Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, zu halten das Gesetz des Mose.“

Danach hätten sich Apostel und Älteste – offenbar ohne die übrige Gemeinde – darüber beraten. Nach längerem Hin und Her sei Petrus aufgestanden und habe an seine eigene Heidenmission erinnert. Gott habe ihnen genauso wie den Juden den Heiligen Geist gegeben, „nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben“. Das Einhalten der Tora sei ein Joch, „das weder unsre Väter noch wir haben tragen können.“

Im gleichen Sinne soll dann auch Jakobus sein Plädoyer für die Heidenmission gehalten haben. Er erinnerte laut Lukas an die alttestamentliche Verheißung des Tempelneubaus – ein Indiz für die Entstehung dieses Textes nach der Tempelzerstörung 70 – und forderte, dass Heiden nur Götzenopferfleisch, Unzucht und Blutgenuss zu meiden hätten, um eine minimale Übereinstimmung mit den traditionellen Reinheitsgesetzen des Judentums zu wahren (siehe Jakobusklauseln).

Es ist umstritten, ob er dabei mehr die noachidischen Gebote (1 Mos 9,4–7 EU) vor Augen hatte oder das Gesetz für Fremdlinge im Land Israel (z.B. 3 Mos 17,10 EU; 3 Mos 18,26 EU). In jedem Fall sollte das gemeinsame Mahl offenbar auch ohne Beilegung des theologischen Grundkonflikts möglich sein: Die Heidenchristen sollten sich an jene rituellen Gebote halten, die es den pharisäischen Judenchristen ermöglichten, sie wenigstens als „Gäste“ am Tisch zu tolerieren.

Im Anschluss an diese Reden habe die gesamte Gemeinde den Beschluss schriftlich niedergelegt, die Heidenmission im Sinne des Jakobus zu gestatten. Sie habe Paulus und Barnabas zusammen mit Vertretern der Urgemeinde mit diesem Auftrag zurück nach Antiochia gesandt (Apg 15,22–29 EU).

Historische Würdigung

Die Schilderung des Paulus gilt als authentisch, weil er Augenzeuge des Geschehens war und zeitnah davon berichtete. Als am Konflikt Beteiligter könnte er Verlauf und Ergebnisse des Treffens für seine Gemeinden jedoch einseitig dargestellt haben.

Der Bericht des Lukas dagegen gilt als eine spätere und idealisierende Rekonstruktion, die nicht an heutigen historischen Maßstäben zu messen ist. Lukas gab die Reden des Petrus und Jakobus auf dem Treffen kaum wörtlich wieder, sondern formulierte sie selbst. Ihm lag dazu schon die griechische Übersetzung des Tanach vor, die Septuaginta, die die galiläischen Anhänger Jesu kaum gekannt haben dürften. Die Rede des Jakobus zitiert daraus und ist rhetorisch und literarisch in hellenistischem Stil gestaltet. Dennoch können diese Reden sehr wohl die damals vertretenen Positionen zutreffend wiedergeben.

Die beiden Versionen spiegeln die verschiedene Deutung des gefundenen Kompromisses (ob auf Papier oder per Handschlag) durch die Beteiligten: Für Paulus war die grundsätzliche Anerkennung der Heidenchristen durch die Jerusalemer zentral, die Einschränkungen fasste er nur als „Rücksicht auf die Schwachen im Glauben“ ohne wesentliche theologische Bedeutung auf. Lukas dagegen hob den Kompromiss hervor, dass die Minimalgebote für die Heiden aufrechterhalten wurden, um mit der Fortgeltung der Ritualgesetze für die Christen die Kontinuität zum Judentum zu bewahren. Damit war zwar vordergründig die Tischgemeinschaft wiederhergestellt, das grundsätzliche theologische Problem aber nicht wirklich behoben, und weitere Konflikte waren vorbestimmt.

Die Theorie, dass Paulus und Lukas von unterschiedlichen Zusammenkünften berichteten, vertreten wenige Exegeten, die von der Zuverlässigkeit der Details beider Berichte ausgehen. Ihre Erklärung setzte sich in der wissenschaftlichen Forschung nicht durch, da es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede in den Berichten gibt und die Frage, warum Lukas oder Paulus dann das andere Treffen nicht berichten, offen bleibt.

Folgen

Den weiterhin ungelösten Konflikt zeigt Paulus bereits unmittelbar im Anschluss an seine Darstellung des Konzils (Gal 2,11–14 EU): Nach dem Eintreffen der Delegation der Urgemeinde in Antiochia – „die von Jakobus“ – habe Petrus, der zuvor die Tischgemeinschaft mit Heiden pflegte, aus Angst vor seinen strengen Brüdern von dieser Abstand genommen. Auch die anderen Judenchristen, sogar Barnabas, hätten sich davon anstecken lassen und „geheuchelt“. Hier führte der Kompromiss, der doch gerade die Gemeinschaft zwischen Juden und Heiden innerhalb christlicher Gemeinden ermöglichen sollte, offenbar zur Distanz zwischen beiden Gruppen.

Paulus betont, dass er dies nicht hingenommen, sondern Petrus öffentlich zur Rede gestellt habe:

„Wenn Du als Jude heidnisch lebst und nicht jüdisch“ [bezogen auf die vorherige Tischgemeinschaft mit Heiden], „was zwingst Du dann die Heiden, jüdisch zu leben?“ (bezogen auf die Auflage der Speisegesetze).

Entweder gab es also diese Auflage aus seiner Sicht gar nicht, oder aber er lehnte sie ab, sobald er die spaltende Wirkung vor Augen hatte.

Im 1. Korintherbrief (1 Kor 8,7f EU und 1 Kor 10,19–29 EU) widerspricht Paulus ausdrücklich den Speisevorschriften des Konzils. Im späteren Römerbrief (Röm 14 EU) aber empfiehlt er den Heidenchristen – hier den „Starken“ im Glauben, die die Untauglichkeit der religiösen Vorschriften für das Heil kennen –, dennoch um der Liebe zu und Einheit mit den „schwachen“ Judenchristen ihre Speisegesetze zu achten (V. 21): „Zerstöre nicht um der Speise willen Gottes Werk!“

Das zeigt zum einen, dass die Heidenmission keineswegs die Judenmission ersetzte, sondern gemischte Gemeinden entstanden, so dass die Tischgemeinschaft zwischen Judenchristen und Heidenchristen ein Problem blieb. Zum anderen waren einige Judenchristen auch weit von Jerusalem entfernt nicht bereit, ihre mosaische Tradition aufzugeben und als Christen „heidnisch“ zu leben. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass es auch Heidenchristen gab, die „judenchristliche“ Theologie vertraten, weil sie sich ganz und gar für das jüdische Christentum entscheiden wollten.

Zudem besaß Paulus selbst in den von ihm gegründeten Gemeinden keineswegs die alleinige theologische Autorität, sondern musste sich diese immer neu erkämpfen. Die Aufgabenteilung in der Missionsarbeit bedeutete also nicht, dass außerhalb Palästinas nur noch seine Position galt. Judenchristliche Traditionen hielten sich noch bis ins 4. Jahrhundert hinein nicht nur in Syrien und Ägypten oder Kleinasien, sondern auch im Westen, nicht zuletzt auch im Kampf mit dem Arianismus.

Im Ganzen setzte sich aber die paulinische Sicht in der Kirche durch. Die nach Lukas beschlossenen Regeln des Apostelkonzils gelten heute nur noch in eher randständigen Gruppen des Christentums wie den Zeugen Jehovas oder Gemeinden des messianischen Judentums.

Theologische Bedeutung

Das Aposteltreffen der Urchristen hatte für die weitere Kirchengeschichte in mehrfacher Hinsicht eine bahnbrechende theologische Bedeutung:

  • ekklesiologisch: Die Gemeinden des Urchristentums verstanden sich spätestens von diesem Zeitpunkt an als eine „herausgerufene“ Gemeinschaft (ecclesia) aus Juden und Heiden. Das Verbindende war nicht mehr die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk oder das Befolgen der jüdischen Ritualgesetze – die damals die Funktion von Identitätsmerkmalen hatten –, sondern der Glaube an Jesus Christus, die Taufe und die Teilhabe am Heiligen Geist. Das Christentum war nun faktisch eine eigene Religion neben dem Judentum, auch wenn der Trennungsprozess zwischen beiden nicht auf diesen einen Punkt reduziert werden kann.
  • kirchengeschichtlich: Auch wenn die heutige Exegese eher von einem Konvent spricht, kann man diesen als erste Erprobung des Prinzip eines „Konzils“ sehen: Eine für alle bedeutsame innerkirchliche Streitfrage wurde von den Gemeinden im Dialog geklärt und nicht von einer Zentralinstanz entschieden. Dieses Konzilsprinzip blieb auch nach Ausbildung von Zentralinstanzen wie dem Papsttum in allen christlichen Kirchen gültig und wird bis heute angewandt.
  • hermeneutisch: Mit dem Apostelkonzil wurde die Tora als Heilige Schrift des Judentums, Jesu und der Urgemeinde relativiert. Sie war die einzige Bibel, auf die man sich damals berufen konnte. Obwohl man an ihr festhielt, wurde sie dem Wirken des Heiligen Geistes untergeordnet. Was dieser für rein erklärt, das soll die Gemeinde auch mit Berufung auf die Heilige Schrift nicht für unrein erklären (Apg 10 EU). Dieser Streit um das Schriftprinzip beschäftigt die Kirche bis heute und markiert einen entscheidenden Unterschied zu den anderen Buchreligionen Islam und Judentum, in denen die Schrift selber heilig ist und nicht Mittel zum (heiligenden) Glauben.
  • dogmatisch: Nicht zuletzt war der Kirche mit dem gefundenen Kompromiss die Aufgabe gestellt, nun genau zu klären, was eigentlich den Menschen gerecht, heilig und rein macht. Das Verhältnis von Glauben und Werken, das den Streit in der Reformationszeit prägte, war hier schon als Problemstellung – wenn auch unter ganz anderem Vorzeichen – erkennbar.

Literatur

  • Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums, Grundrisse zum Neuen Testament 5, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 61989, ISBN 3-525-51354-2
  • Jürgen Wehnert: Die Reinheit des „christlichen Gottesvolkes“ aus Juden und Heiden. Studien zum historischen und theologischen Hintergrund des sogenannten Aposteldekrets. Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 173. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, ISBN 3-525-53856-1
  • Holger Zeigan: Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1–10 und den möglichen lukanischen Parallelen. Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 18. Leipzig 2005, ISBN 3-374-02315-0

Weblinks

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Dieser Artikel wurde am 10. Dezember 2005 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.

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