Maria zum rauhen Wind

Maria zum rauhen Wind
Gnadenbild von 1380

Bei der Marienstatue Maria zum rauhen Wind handelt es sich um eine ca. 50 cm große, aus Holz geschnitzte Figur der Maria in der Wallfahrtskirche in Kälberau; auch die Kirche selbst, die das Gnadenbild birgt, wird so genannt.

Inhaltsverzeichnis

Gnadenbild

Die Entstehung des Gnadenbildes wird auf das Jahr 1380 datiert; trotz der starken Restaurierung ist der gotische Stil insbesondere an Komposition und Faltenwurf noch deutlich zu erkennen. Es handelt sich um eine der ältesten Marienplastiken der Untermainregion.

Anfangs stand die Marienstatue in einem Barockaltar im nördlichen Seitenschiff der und wurde 1773 in eine Nische der Choraußenwand gebracht. 1774 wurde die Statue vom zuständigen Pfarrer Krick aus Angst vor Diebstahl dann wieder in das Innere der Kirche verbracht. Der ursprüngliche Altar wurde entfernt, als das nördliche Seitenschiff im Zuge eines Um- und Erweiterungsbaus der Wallfahrtskirche durch den Würzburger Dombaumeister Hans Schädel in den Jahren 1955-1957 abgerissen wurde.

Das Gnadenbild schwebt heute über einer einfachen Steinmensa inmitten einer Kerzenständeranlage in einer Mandorla. Damit ist sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen; Hans Schädel, der für die Neugestaltung des Standorts verantwortlich ist, hat dennoch eine harmonische Wirkung innerhalb des gotischen Kirchenraums angestrebt.

Wallfahrtskirche

Wallfahrtskirche Kälberau

Eine Kapelle in Kälberau wurde im Jahre 1372 erstmals erwähnt; seit 1603 die „Kirchenburg mit festem Ringgemäuer“ als Wallfahrtskirche bezeichnet. Die Wehrhaftigkeit der ursprünglichen Anlage ist am heutigen Bau, von einem kleinen ummauerten Kirchhof mit großen Kastanienbäumen umgeben, noch deutlich zu erkennen.

Mitte der 1950er Jahre war die Kapelle für den wachsenden Pilgerstrom der Kriegsheimkehrer nach dem Zweiten Weltkrieg zu klein geworden. Ein Vier-Konchen-Anbau von Hans Schädel aus Stahlbeton und Glas wurde am 6. Oktober 1957 geweiht. Er ist durch einen Verbindungsgang mit der alten Kapelle verbunden, die Schädel mit Ausnahme des nördlichen Seitenschiffs stehen ließ. Insoweit ist die ursprünglich zweischiffige Kapelle heute nur noch einschiffig.

Die Baugeschichte und ihr Ergebnis - eine Symbiose von gotischer Ursprungskapelle und Schädel-Anbau - weist Parallelen zur Wallfahrtskirche Hessenthal auf.

Die ursprüngliche Kapelle

Das zirka 10 Meter lange gotische Kirchenschiff ist flach gedeckt, während der erhöhte Chor mit 3/8 Abschluss noch die ursprünglichen Rippengewölbe mit drei figürlichen Schlusssteinen aufweist.

Mit seiner Neugestaltung des Innenraums rund um das Gnadenbild hat Hans Schädel eine geschlossene Wirkung innerhalb der gotischen Architektur angestrebt. Dazu gehören auch die farbigen Glasscheiben, eingesetzt durch Curd Lessig (Würzburg) in den spitzbogigen Lanzettfenstern mit Dreipass-Maßwerk.

Letztmals für den Anfang des 20. Jahrhunderts ist eine um 1400 geschnitzte Thronende Muttergottes mit Jesuskind im "Kunstführer des Königreichs Bayern" (1916) dokumentiert. Die damals schon stark beschädigte Skulptur ist verschollen und wurde 1995 durch eine Nachbildung ersetzt. An den Seitenwänden stehen auf Konsolen eine Reihe von Heiligenstatuen aus dem 19. Jahrhundert unterschiedlicher künstlerischer Qualität, beispielsweise Antonius von Padua, Rochus von Montpellier, Wendelinus, Josef sowie Marias Eltern Anna und Joachim.

Hans Schädels Anbau

Anbau von Hans Schädel (1955-57)

Der Innenraum ist, bedingt durch die breiten Glasbänder zwischen den Betonschalen, auffallend hell. Darüber wölbt sich die Decke wie ein Baldachin aus Spannbeton, von dem Glas-Leuchtpendel an langen Schnüren hinabhängen. Diese Lichtarchitektur - an trüben Tagen oder in der Dämmerung eine kreative Kombination von natürlichem und artifiziellem Licht ermöglichend - ist charakteristisch für Kirchenräume der 1950er Jahre, wie sich auch an Bauten von Dominikus Böhm und seines Sohnes Gottfried illustrieren lässt.

Das zentrale Ausstattungsstück - eine gotische Madonna mit der Traube (um 1450) - steht, aufgestellt auf einem trapezförmigen Steinaltar von 1966, in einem außergewöhnlichen Kontrast zu diesem Kirchenraum.

Pallotinerkloster

1955 wurde Kälberau, das kirchlich vorher zu Alzenau gehörte, eine eigene Pfarrei. Mit der Organisation der Wallfahrten, Seelsorge und Religionsunterricht wurden Pallottiner betraut, die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Reuschberg bei Kleinkahl ansässig waren. Sie wurden in dem Gutshof neben der Kirche untergebracht. Heute arbeiten nur noch zwei Patres in dieser "Klause".

Dennoch ist Kälberau auch im 21. Jahrhundert noch ein wichtiger Wallfahrtsort. Jährlich finden zwei Krankenwallfahrten zu Pfingsten und Mariä Heimsuchung sowie eine Wallfahrt zum Patronatsfest Mariä Geburt mit mehreren Tausend Teilnehmern statt. Einkehrtage und Jugendgottesdienste runden dieses Programm ab.

Wallfahrtsweg

Landschaft mit Silberweiden am Wallfahrtsweg im Kahlgrund
Bildstock "Grablegung Christi"

1710 entstand zusätzlich zur Wallfahrtskirche ein Wallfahrtsweg zwischen Alzenau und Kälberau mit sieben Bildstöcken zum Gedächtnis der sieben Schmerzen Mariens:

  • Darbringung im Tempel (Weissagung Simeons)
  • Flucht nach Ägypten
  • Der 12-jährige Jesus im Tempel
  • Passion: Jesus begegnet seiner Mutter Maria (4. Kreuzweg-Station)
  • Kreuzabnahme
  • Beweinung (Pietà)
  • Grablegung

Der 2 km lange Fahrrad- und Wanderweg ist heute Teil des Europäischen Kulturweges Alzenau 2, den die Aschaffenburger Projektgruppe Archäologisches Spessartprojekt in den Jahren 2000-2003 kartografiert und beschildert hat. Die Bildstöcke sind im 20. Jahrhundert erneuert worden.

Der Weg verläuft von der Burg Alzenau durch den unteren Kahlgrund mit großen Silberweiden inmitten einer Feld- und Wiesenlandschaft, zunächst entlang der Kahl und Kahlgrundbahnlinie, dann entlang eines einmündenden Nebenbachs zum Ortsrand von Kälberau und über wenige Straßenzüge weiter zur Wallfahrtskirche. Schulklassen aus Kälberau haben in den Jahren 2002 bis 2006 junge Bäume auf der Strecke gepflanzt (Feldahorn, Schwarzerle, Eberesche, Schwarz-Pappel).

Literatur

Wallfahrtskirche Maria zum rauhen Wind, Schnell-Kunstführer Nr. 699, 4. Aufl. 1992

Weblinks

Maria zum rauhen Wind


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