Margarete Sommer

Margarete Sommer

Margarete (Grete) Sommer (* 21. Juli 1893 in Berlin; † 30. Juni 1965 ebenda) war eine katholische Sozialarbeiterin. Während des Holocausts half sie verfolgten jüdischen Bürgern, bewahrte viele vor der Deportation in Vernichtungslager. 2003 erhielt sie posthum den Ehrentitel Gerechte unter den Völkern.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Sie wurde als Tochter eines Eisenbahn-Rechnungsrats geboren. 1914 absolvierte sie das Abitur am Werner-Siemens-Realgymnasium in Berlin-Schöneberg, studierte Philosophie, Nationalökonomie, Geschichte und Rechtswissenschaft an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, promovierte 1924 mit valde laudabile über Die Strafgefangenenfürsorge, eine kriminalistisch-sozioökonomische Untersuchung.

Sie lehrte an der Wohlfahrtsschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), am Jugendheim und der Sozialen Frauenschule. 1927 wurde als hauptamtliche Dozentin am Fürsorge-Seminar des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin-Friedenau. Als sie sich im Sommer 1934 weigerte, die Zwangssterilisation behinderter Menschen zu lehren, wurde sie genötigt, ihre Kündigung einzureichen.

1935 wurde sie Geschäftsführerin des Katholischen Fürsorgevereins für Frauen, Mädchen und Kinder, 1939 Diözeseanleiterin für Frauenseelsorge. Im September 1941 übernahm sie die Geschäftsführung des 1938 gegründeten Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat Berlin (HBOB), das offiziell zum Katholizismus konvertierten Juden, tatsächlich aber auch anderen jüdischen Bürgern bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie der Emigration aus Deutschland half. Als Juden weder arbeiten, noch auswandern durften, bemühte sich das Büro Sommer für sie um Lebensmittel, Bekleidung und Geld.

Während des Holocaust half Sommer, untergetauchte Juden in der Herz-Jesu-Kirche an der Fehrbelliner Straße 98 und anderen Orten in Berlin zu verstecken. Ein zwölfjähriges Mädchen wurde unter ihrer Protektion bis 1945 in verschiedenen Kinderheimen verborgen und überlebte das Morden. Betroffene Familien ließ sie von Gemeindepriestern über geplante Deportationen vorwarnen. Ihre Informationen bezog sie aus einem weitverzweigten Netzwerk, zu denen auch Informanten bei der Gestapo gehörten.

Für die deutsche Kirchenleitung und den Papst schrieb sie detaillierte Berichte über den Holocaust: Ihr erster Bericht vom September 1941 betraf die Sternverordnung, der zweite vom Februar 1942 die Lage von „jüdischen Mischlingen“ und „Mischehen“, der dritte vom August 1942 das Schicksal deportierter Juden in den Vernichtungslagern, der vierte vom November 1942 befasste sich mit Äußerungen auf der zweiten Wannsee-Nachfolgekonferenz. Darin forderte sie immer wieder ein Einschreiten der katholischen Bischöfe für das Menschenrecht auf Leben und Freiheit. Anfang März 1943 gelang es Margarete Sommer, Kardinal Bertram als Vorsitzenden der Bischofskonferenz zu einem Einspruch gegen die Verhaftung von jüdischen Ehepartnern aus so genannten Mischehen zu bewegen. Nach Einschätzung der Historikerin Ursula Büttner trug „diese Intervention des sonst so überaus vorsichtigen Kardinals … mindestens ebenso dazu bei, dass die Machthaber zurückwichen, wie die heute viel beachteten und in ihrer Wirkung vielleicht überschätzten Demonstrationen der Angehörigen in der Rosenstraße.“[1] Vergeblich blieb Margarete Sommers Forderung, Kardinal Bertram solle öffentlich gegen die Vernichtung der Juden protestieren.

Nach 1945 arbeitete sie bei der katholischen Frauenseelsorge, zählte zu den ersten Mitgliedern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und kritisierte halbherziges Vorgehen gegen Neonazis. Im April 1960 wurde sie pensioniert.

Auszeichnungen

Der Papst zeichnete sie 1946 mit dem Verdienstorden Pro Ecclesia et Pontifice aus. 1953 bekam sie das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. Der Senat von Berlin nahm sie 1961 in die Liste der Unbesungenen Helden auf. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zeichnete sie 2003 postum mit dem Ehrentitel Gerechte unter den Völkern aus.[2] 1993 wurde im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg die vormalige Werneuchener Straße nach Margarete Sommer benannt.

Werke

  • Die Fürsorge im Strafrecht: vor der Anklage, im Verfahren, nach der Entlassung. Heymann, Berlin 1925

Literatur

  • Heinrich Herzberg: Dienst am Höheren Gesetz: Dr. Margarete Sommer und das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“. Servi, Berlin 2000, ISBN 3-933757-02-9
  • Erich Klausener: Margarete Sommer. In: Wolfgang Knauft (Hrsg.): Miterbauer des Bistums Berlin. Morus-Verlag, Berlin 1979, S. 153–180, ISBN 3-87554-176-6
  • Ursula Pruß: Margarete Sommer (1893–1965). In: Jürgen Aretz, Rudolf Morsey, Anton Rauscher (Hrsg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 8, Mainz 1997, 95-106, ISBN 3-402-06122-8
  • Antonia Leugers: Widerstand oder pastorale Fürsorge katholischer Frauen im Dritten Reich? Das Beispiel Dr. Margarete Sommer (1893–1965). In: Irmtraud Gotz von Olenhusen: Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen: Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln 1995, S. 161–188, ISBN 3-17-013906-1

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ursula Büttner: Die anderen Christen. S. 134 In: Beate Kosmala, Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Berlin 2002, ISBN 3-932482-86-7
  2. Stefan Kaufer: Wie die Kirche vielen verfolgten Juden half. Margarete Sommer setzte sich mit ihrem Berliner Hilfswerk mutig für die Verfolgten ein. Posthum erhielt sie dafür jetzt eine hohe Ehrung. In: Rheinischer Merkur Nr. 32, 7. August 2003.

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