Maqam (Musik)

Maqam (Musik)

Maqam (arabisch ‏مقام‎, DMG maqām ‚Standort‘, Plural ‏مقامات‎ / maqāmāt; türk. makam, Plural makamlar ist aus dem Arabischen entlehnt) ist die in der arabischen und türkischen Kunstmusik benutzte Bezeichnung für den Modus eines Musikstückes, der vor allem durch die ihm zugrunde liegende heptatonische Tonleiter bzw. Tonart charakterisiert ist, jedoch gibt es je nach Maqam eine Reihe weiterer Charakteristiken, darunter die Dominante, die Tonika, der Bewegungsverlauf der Melodie, Zäsuren, typische Eröffnungen und die Finalbildung. Die einzelnen Maqamat/Makamlar bringen verschiedene Affekte zum Ausdruck. Innerhalb der Musikstücke und Improvisationen können für den jeweiligen Maqam charakteristische Modulationsfolgen durch verwandte Maqamat erfolgen. Dadurch können sich in einem Melodieverlauf auch verschiedene Dominanttöne ergeben. Am Ende eines Stückes oder einer Improvisation (Taksim) wird wieder in den ursprünglichen Maqam zurückmoduliert. Musikstücke beginnen nicht immer mit dem Grundton ihres Maqams, jedoch enden sie immer auf diesem.

Die Gesamtzahl der Maqamat/Makamlar geht in die Hunderte, diese sind bzw. waren aber nicht alle überall und gleichermaßen gebräuchlich. Außerdem unterscheiden sich arabische Maqamat und türkische Makamlar mehr oder weniger in ihrem Aufbau, obwohl die Bezeichnungen im Prinzip gleich sind. Diese sind persisch-arabischer Herkunft. Es gibt einfache und auch zusammengesetzte Maqamlar. Wichtige Komponisten haben neue Maqamlar erfunden.

Inhaltsverzeichnis

Arabische Maqamat

Die Grundbausteine für die arabischen Maqamat sind die ʾaǧnās (Singular: ǧins), d. h. eine Gruppe von Trichorden, Tetrachorden und Pentachorden, aus denen die einzelnen Maqamat zusammengesetzt sind; dabei sind jeweils zwei ʾaǧnās miteinander kombiniert.

In der arabischen Musik gibt es außer Ganz- und Halbtönen auch Vierteltöne, die in der Notenschrift durch ein durchgestrichenes b gekennzeichnet werden, d. h., die betreffende Note wird um ein Viertel erniedrigt, somit handelt es sich theoretisch um "Dreivierteltöne". Als Beispiele für arabische Maqamat seien angeführt:

Maqam 1 2 3 4 5 6 7 8
Rāst c d ¾ e f g a ¾ h c'
Nahāwand c d es f g as h c'
Ḥiǧāz d es fis g a b c' d'
Sikah ¾ e f g as h c' d' ¾ e'

Die Festlegung von Vierteltönen für die arabische Musikwelt war ein Kompromiss, da faktisch in verschiedenen Regionen und auch in Abhängigkeit vom entsprechenden Maqam unterschiedlich starke tonale Akzentuierungen verwendet werden. Beispielsweise wird im Maqam Ḥiǧāz Gharib (alter Ḥiǧāz) der zweite Ton etwas erhöht (es+) und der dritte Ton etwas erniedrigt (fis-). Dies klang für arabische Ohren reizvoller.

Türkische Makamlar

In der türkischen Kunstmusik gibt es 13 grundlegende Makame (basit makamlar), aus denen alle anderen (insgesamt 517) ableitbar sind.

Häufig vorkommende Makame sind z. B. Rast, Nihavent, Uşşak, Hüseyni, Hicaz und Hüzzam.

Um die Intervalle innerhalb eines Makams genau wiederzugeben, kann man diese mit Hilfe der Einheit Cent angeben. Ein Cent sind 1/100 des temperierten Halbtons. Eine Oktave besteht aus 1200 Cents. Mit dieser Einheit können die pythagoräischen Intervalle innerhalb der Oktave genau beschrieben werden. Es seien hier zur Veranschaulichung einige der Skalen (in gerundeten Cents) mit den jeweiligen Abständen von Ton zu Ton aufgeschlüsselt:

  • Rast: Grundton g, 204 - 180 - 114 - 204 - 204 - 180 - 114
  • Nihavent: Grundton g, 204 - 90 - 204 - 204 - 90 - 204 - 204
  • Uşşak: Grundton a, 180 - 114 - 204 - 204 - 90 - 204 - 204
  • Hüseyni: Grundton a, 180 - 114 - 204 - 204 - 180 - 114 - 204
  • Hicaz: Grundton a, 90 - 294 - 114 - 204 - 180 - 114 - 204
  • Hüzzam (Sikah): Grundton b, 114 - 204 - 114 - 270 - 114 - 204 - 180

Hierbei erkennt man, dass es „übermäßige“ Intervalle gibt (270 bzw. 294 Cent). Skalen mit solchen Intervallen haben einen für den Orient besonders charakteristischen Klang.

Praktischer Weise wird jedoch nicht mit den für das menschliche Ohr zu feinen Cents hantiert, sondern die Ganztonintervalle werden in 9 Teile (Comma) zerlegt. Damit wird eine ausreichende Annäherung an die von Pythagoras berechneten tonalen Verhältnisse von kleinerem "Lemma" und größerem "Apotome" innerhalb des Ganztons ermöglicht. Innerhalb der seit J. S. Bach in Mode gekommenen Wohltemperierung ist der physikalisch korrekte kleine Unterschied zwischen Lemma und Apotome für das europäisch sozialisierte Ohr verloren gegangen. Folgende Einteilungen des Ganztons wurden - anders als im bekannten Notensystem - festgelegt:

  • Lemma: 90,225 Cent – 4 Comma ("kleiner Halbton" - im Notenbild meist als normales "b"-Vorzeichen vor dem nächsthöheren Ganzton dargestellt)
  • Apotome: 113,685 Cent – 5 Comma ("großer Halbton" - im Notenbild meist als durchgestrichenes b dargestellt)
  • 180 Cent – 8 Comma ("kleiner Ganzton" - im Notenbild meist als spiegelverkehrtes "b" dargestellt)
  • Ganzton: 203,910 Cent – 9 Comma
  • Übermäßiges Intervall 270 Cent – 12/9
  • Übermäßiges Intervall 294 Cent – 13/9
  • Comma 23,46 Cent - 1/9

In der türkischen Notenschrift wird die Erniedrigung einer Note um 1/9 durch ein spiegelverkehrtes b gekennzeichnet, eine Erniedrigung um 4/9 durch ein durchgestrichenes b (s. Vorzeichen (Musik)). So erklären sich die oben angegebenen Intervalle innerhalb der Maqamlar. Diese Adaptionen des europäischen Notensystems waren notwendig, um sich in der schriftlichen Konservierung und Weitergabe, der tatsächlichen Musik anzunäheren.

Im Beschreibungssystem mittels Comma ergeben sich folgende Tonabstände (für zwei beispielhafte Pentachords):

Pentachord Tonintervall Abstand in Comma
Rast von g zu a 9 Comma
von a zu h(mit spiegelverkehrtem b) 8 Comma
von h(mit spiegelverkehrtem b) zu c 5 Comma
von c zu d 9 Comma
Pentachord Tonintervall Abstand in Comma
Hicaz von a zu b 4 Comma
von b zu cis 13 Comma
von cis zu d 5 Comma
von d zu e 9 Comma

Ein "kleiner Ganzton" kann je nach Melodieverlauf auch als 1/8, 1/7 oder 1/6 gespielt werden. Bei Abwärtsbewegungen der Melodie geht die Tendenz eher in Richtung schwächerer "b"s, bei Aufwärtsbewegungen eher in Richtung schärferer. Die für die orientalische Musik typischen minimalistische Tonmodulierungen werden vom Notationssystem nicht erfasst und können aus diesem nicht weitergegeben werden. Hier zeigt sich ein Beispiel dafür, dass das der genuin mündlichen orientalischen Musiktradition fremde, nachträglich installierte europäische Beschreibungssystem vom orientalischen Musiker flexibel ausgelegt werden muss, um seine Musik zu spielen.

Maqamat in der Musiktherapie

Seit dem 9. Jahrhundert gibt es Berichte arabischer Gelehrter über die Wirkung der Musik auf den Menschen und die Möglichkeiten der Heilung durch Musik. Ein Arzt am Hof des abbasidischen Kalifen Al-Maʾmūn erwähnte um 800 die therapeutischen Anwendung von Musik auf Geisteskranke. Der arabische Arzt Haly Abbas (ʿAli ibn al-ʿAbbās, † 944) behandelte Schmerzen von Kleinkindern mit Musik und brachte sie so zum Einschlafen. Gegen Fieber aus Traurigkeit und gegen Melancholie empfahl er lieblichen Gesang und die Kastenleiern Kithara und Lyra. In dem von Sultan Qalawun gestifteten und 1284 fertiggestellten Krankenhaus in Kairo waren Musiker angestellt, um die Kranken in schlaflosen Nächten zu trösten.[1] Die Makame wurden in der Blütezeit des Osmanischen Reiches weiterhin als Heilmethode genutzt. Es sind insgesamt für zwölf Makame die genaue Indikation und Anwendung beschrieben. Wichtige historische Quellen dafür sind Evliya Çelebi im 17. Jahrhundert und weitere osmanische Handschriften.[2]

Tadschikischer und usbekischer Shashmaqam

Shashmaqam ist ein zentralasiatisches Musikgenre (typisch für Tadschikistan und Usbekistan), welches sich wahrscheinlich in den Städten Samarkand und Buchara entwickelt hat.

Aserbaidschanischer Mugham

Der Mugham (Muğam) ist eine Kompositionsform der aserbaidschanischen Kunstmusik, zu dem die getragenen Balladen des Tasnif gehören und der sich von den Aşık-Liedern der Volksmusik unterscheidet. Die Bezeichnung ist vom Maqam entlehnt.

Siehe auch

Literatur

  • Kurt u. Ursula Reinhard: Musik der Türkei. Bd. 1: Die Kunstmusik. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1984.
  • Cameron Powers: Arabic Musical Scales - Basic Maqam Notation. GL Boulders, CO USA, ISBN 0-9745882-4-5
  • Issam El-Mallah: Arabische Musik und Notenschrift. Hans Schneider Verlag, Tutzing 1996, ISBN 3-7952-0850-5

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hans Engel: Die Stellung des Musikers im arabisch-islamischen Raum. Verlag für systematische Musikwissenschaft, Bonn 1987, S. 36–38
  2. Multikulturelle Verständigung. Alternativmedizinische Behandlungsmethoden – deutsche Homöopathie versus türkische Musiktherapie: nur Theorien?

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