Maiverfassung

Maiverfassung

Als Maiverfassung 1934 wird die oktroyierte Verfassung des austrofaschistischen österreichischen Ständestaats bezeichnet, die am 1. Mai 1934 in Kraft trat und durch den Anschluss an Deutschland 1938 aufgehoben wurde.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Nachdem die Dollfuß-Regierung durch die sogenannte „Selbstausschaltung des Parlaments“ den Boden der parlamentarischen Demokratie endgültig verlassen hatte, erschien dem Regime die Verfassung von 1920 in der Fassung von 1929 obsolet. Deshalb arbeitete man unter dem Vorsitz von Otto Ender eine neue Verfassung aus.

Diese wurde schließlich gleich zweimal erlassen: einerseits durch eine Verordnung der Bundesregierung nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz, was eindeutigen Verfassungsbruch darstellte und dem damit geübten autoritären System entsprach; andererseits, um die Optik gegenüber dem Ausland zu verbessern, durch einen Beschluss des Rumpf-Nationalrats am 30. April 1934. Die Mandate der sozialdemokratischen Abgeordneten waren für erloschen erklärt worden; die meisten großdeutschen Abgeordneten blieben der verfassungswidrigen Sitzung ebenfalls fern.

Ersteres geschah vor allem, um den Partner von Dollfuß' Vaterländischer Front, die Heimwehren, welche seit ihrem Bestehen auf die Beseitigung des Parlaments hingearbeitet hatten und daher einen nicht-parlamentarischen Weg zur Schaffung der neuen Verfassung forderten, zufriedenzustellen, zweiteres geschah, um den Schein der Rechtskontinuität zu bewahren. Doch erfüllte auch dieser zweite Weg, wie zwei großdeutsche Abgeordnete in der letzten Nationalratssitzung der Ersten Republik betonten, die formalen Bedingungen der bis dahin geltenden Bundesverfassung 1920/1929 nicht, da weder das Präsenzquorum erfüllt war (also beim Beschluss nicht die erforderliche Zahl von Abgeordneten anwesend war) noch die Volksabstimmung abgehalten wurde, die bei dieser Gesamtänderung der Verfassung zwingend vorgeschrieben war.[1]

Kundmachung und Gliederung

Kundgemacht wurde die Verfassung im neuen Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich Nr. 1/1934[2]. Sie gliedert sich in 13 Hauptstücke, 182 Artikel und eine Präambel, die wegen ihres programmatischen Inhalts von Bedeutung ist:

„Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung.“

Im Gegensatz zur Bundesverfassung 1920/1929, nach der das Recht der Republik vom Volk ausgegangen war, wurde die Maiverfassung 1934 „im Namen Gottes“ gegeben, während das Volk sie nur passiv „erhält“. Es handelte sich um eine oktroyierte Verfassung, obwohl dieses Faktum durch den Beschluss des Rumpf-Nationalrates verschleiert werden sollte.

Inhalt

Legislative

Die Verfassung sah für die ordentliche Gesetzgebung vier vorberatende Organe vor, namentlich den Staatsrat, den Bundeskulturrat, den Bundeswirtschaftsrat und den Länderrat. Diese waren als sachkundige Gremien gedacht, die Gesetzentwürfe begutachten und vorbereiten sollten. Ersterer stärkte das autoritäre System, da seine Mitglieder vom Bundespräsidenten unter Gegenzeichnung des Bundeskanzlers auf zehn Jahre ernannt wurden, letztere betonten das ständische Element, da ihre Mitglieder von den einzelnen Ständen entsandt wurden.

Der Bundestag bestand aus Mitgliedern der vier vorbereitenden Organe und war als beschließendes Organ vorgesehen; er konnte jedoch den Gesetzentwürfen bloß zustimmen oder sie rundweg ablehnen. Da er keinerlei Befugnis zur Gesetzesinitiative und zur Bestimmung des Gesetzesinhalts hatte und des Weiteren von den vorberatenden Gremien beschickt wurde, handelte es sich de facto um ein bloßes Akklamationsinstrument der Regierung. Die alleinige Gesetzesinitiative oblag der Bundesregierung.

Die Verfassung enthielt auch plebiszitäre Elemente: Ein regierungsinitiierter Volksentscheid hätte beispielsweise einen ablehnenden Beschluss des Bundestags aufgehoben und ersetzt. Die Möglichkeit eines von der Bevölkerung initiierten Volksbegehrens wurde hingegen abgeschafft. Des Weiteren blieb das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 in Kraft, das nach (verfassungswidriger) Interpretation gesetz- und verfassungsändernde Regierungsverordnungen erlaubte. Daneben existierte auch noch ein Notrecht der Bundesregierung und des Bundespräsidenten.

Exekutive

Die Organe der Verwaltung wurden fast identisch aus der Ersten Republik übernommen, geändert wurde jedoch ihre Kreation. So sollte der Bundespräsident nun von allen Bürgermeistern aufgrund eines Dreiervorschlags der Bundesversammlung gewählt werden, seine Amtszeit wurde auf sieben Jahre verlängert. Die Bundesregierung blieb oberstes Vollzugsorgan des Bundes, ihre Bestellung erfolgte weiterhin durch den Bundespräsidenten. Eine wesentliche Stärkung erfuhr sie, da sie nunmehr dem Parlament nicht mehr verantwortlich war und ihr die alleinige Gesetzesinitiative oblag.

Judikative

Die Justiz blieb weiterhin Bundessache; trotz des autoritären Grundgehalts der Verfassung wurde die richterliche Unabhängigkeit „garantiert“. Die Geschworenengerichte wurden, da ihre Urteile schwer vorherzusehen waren, durch Schöffensenate ersetzt, was einer Schwächung des unberechenbaren Laienelements gleichkam. Der Verfassungs- und der Verwaltungsgerichtshof wurden zum Bundesgerichtshof zusammengefasst, in den regimetreue Richter bestellt wurden.

Landesrecht

Auf Landesebene blieb das Volk weiterhin Träger der Gewalt, allerdings hatte es nur mehr auf ständischer Grundlage Zugang zur Willensbildung. Die Landtage wurden nicht mehr durch Wahlen, sondern durch Entsendung von Vertretern wirtschaftlicher und kultureller Organisationen zusammengesetzt. Die Landtage hatten kein Initiativrecht und praktisch kein Kontrollrecht. Die Gesetzesbeschlüsse der Landtage bedurften der Zustimmung des Bundeskanzlers. Die Landesregierungen setzten sich nunmehr aus einem Landeshauptmann (der vom Bundespräsidenten aufgrund eines Dreiervorschlags des Landtags ernannt wurde), einem Stellvertreter und Landesräten zusammen. Die Bezirkshauptmänner wurden vom Land mit Zustimmung des Bundeskanzlers ernannt. Diese wiederum mussten die Wahl der Bürgermeister bestätigen und ermöglichten so, dass nur dem Regime loyale Personen zur Wahl des Bundespräsidenten zugelassen waren.

Grundrechte

Des Weiteren enthielt die Verfassung auch Bestimmungen über die allgemeinen Grundrechte der Staatsbürger, welche angesichts der autoritären Grundstruktur der Verfassung liberal erscheinen. Die Rechte konnten allerdings von der Bundesregierung jederzeit durch verfassungsändernde Verordnungen beschränkt werden und waren dies auch.

Konkordat von 1933

Das genau ein Jahr vorher, am 1. Mai 1933, auf Grund einer verfassungswidrigen Regierungsverordnung ratifizierte Konkordat zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl galt im Ständestaat von Anfang an ebenfalls als Verfassungsgesetz. Es ermöglichte der römisch-katholischen Kirche größere Einflussnahme auf den Staat und auf personenrechtliche Belange als zuvor.

Wirksamkeit

Die Maiverfassung 1934 war bis zum Aufgehen Österreichs im Deutschen Reich 1938 zu keiner Zeit voll in praktischer Geltung. Es blieb weitestgehend dabei, dass die Bundesregierung mit Verordnungen diktatorisch regierte. Die 1932 begonnene zweite Amtsperiode Wilhelm Miklas' wäre nach dem Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung 1929 im Jahr 1936 zu Ende gegangen; es fand aber keine Bundespräsidentenwahl nach den Regeln der neuen Verfassung statt. Auch das Anschlussgesetz vom 13. März 1938 wurde keinem der nach der Maiverfassung vorgesehenen Legislativorgane vorgelegt, sondern als Verordnung der Bundesregierung beschlossen.

Einzelnachweise

  1. Helmut Wohnout: Politisch-juristische Kontroversen um die Verfassung 1934 im autoritären Österreich. In: Erika Weinzierl (Hrsg.): Justiz und Zeitgeschichte. Symposionsbeiträge 1976–1993. Band 2, Jugend & Volk, Wien 1995, ISBN 3-224-12999-9, S. 833ff.
  2. Faksimile des Gesetzblattes

Literatur

Weblinks


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