Lydia Welti-Escher

Lydia Welti-Escher

Lydia Welti-Escher (* 10. Juli 1858 in Enge bei Zürich; † 12. Dezember 1891 in Champel bei Genf) war eine der reichsten Frauen der Schweiz des 19. Jahrhunderts, Mäzenin und Gründerin einer Kunststiftung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Alfred Escher und Tochter Lydia

Lydia Welti-Escher, Tochter des mächtigen Zürcher Politikers und Wirtschaftsführers Alfred Escher und Augusta Escher-Uebel, geboren 1858 und aufgewachsen im Belvoir, einem herrschaftlichen Anwesen in der Gemeinde Enge bei Zürich. Schon im Alter von sechs Jahren verlor Lydia ihre Mutter und wurde fortan von Grossmüttern und Erzieherinnen aufgezogen. Alfred Escher war bemüht, trotz immensen geschäftlichen und politischen Verpflichtungen so oft als möglich bei seiner Tochter zu sein, zu der er eine herzliche Beziehung pflegte. Lydia Eschers Jugendzeit unterschied sich wesentlich von derjenigen junger Zürcherinnen aus grossbürgerlichen Kreisen. Schon früh unterstützte sie ihren Vater in Schreibarbeiten, führte den Haushalt im Belvoir und wuchs in die Rolle der Gastgeberin hinein. Ein gerngesehener Gast im Belvoir und väterlicher Freund von Lydia Escher war der Dichter Gottfried Keller.

Lydia Welti Escher

Lydia Escher war eine selbstbewusste junge Frau, die viel las, mehrere Fremdsprachen beherrschte und gerne Musik- und Theateraufführungen besuchte. In ihren Briefen an ihre Jugendfreundin, die Malerin Louise Breslau (auch: Luise Breslau), erzählte sie, dass sie Gesangs- und Klavierstunden nahm. Besonders fasziniert zeigte sich die kunstinteressierte Lydia Escher vom schöpferischen Genius.

Lydia Welti; Gemälde von Karl Stauffer-Bern
Friedrich Emil Welti

Am 4. Januar 1883 heiratete Lydia Escher Friedrich Emil Welti – den Sohn des damals mächtigsten Bundesrates Emil Welti. Dieser konnte dank seiner Heirat mit der Escher-Tochter in den Olymp der Schweizer Wirtschaft aufsteigen und nahm in zahlreichen Verwaltungsräten Einsitz.

Während Friedrich Emil Welti Karriere machte, langweilte sich Lydia Welti-Escher zusehends. Die Haushaltsführung füllte sie nicht aus und sie vermisste interessante Gäste und anregende Gespräche. Durch ihren Ehemann kam sie schliesslich in Kontakt mit Karl Stauffer-Bern. Das Ehepaar Welti-Escher wirkte als Mäzen für den Maler und ermöglichte ihm die Arbeit in Italien. Im Oktober 1889 siedelte das Ehepaar Welti-Escher nach Florenz über. Kurz darauf reiste Friedrich Emil Welti - seiner Aussage zufolge aus geschäftlichen Gründen – jedoch wieder in die Schweiz und liess seine Frau in Karl Stauffers Obhut zurück. Die beiden wurden ein Liebespaar. Lydia Welti-Escher wollte sich von ihrem Mann scheiden lassen und Karl Stauffer heiraten. Zusammen flohen sie nach Rom. Dadurch aufgeschreckt wurde Friedrich Emil Welti aktiv. Bundesrat Emil Welti liess seine Beziehungen zugunsten seines Sohnes spielen und die Schweizer Gesandtschaft in Rom leistete wichtige Handlangerdienste.

Karl Stauffer-Bern

Damit schien das Schicksal des jungen Liebespaares besiegelt: Lydia Welti-Escher wurde in ein Römer Irrenhaus interniert und Karl Stauffer inhaftiert. Man beschuldigte ihn zuerst der Entführung und des Diebstahls, später gar der Vergewaltigung einer Irrsinnigen.[1] Davon wurde Karl Stauffer im Juni 1890 aufgrund fehlenden Straftatbestandes freigesprochen. Das kürzlich erstmals integral veröffentlichte psychiatrische Gutachten über Lydia Welti-Escher vom 27. Mai 1890 hatte nämlich gezeigt, dass ihre Internierung im Römer Irrenhaus nicht gerechtfertigt und die zuerst gestellte Diagnose des "systematisierten Wahnsinns" frei erfunden waren.[2] Auch aus heutiger Sicht überzeugt die Argumentationsweise der Gutachter und ihre Schlussfolgerung, dass Lydia Welti-Escher im Besitze ihrer völligen geistigen Integrität war (Prof. D. Hell).[3]

Nach viermonatigem Aufenthalt im Irrenhaus von Rom wurde sie schliesslich von ihrem Gatten Friedrich Emil Welti in die Schweiz zurückgebracht und stimmte dessen Scheidungsbegehren und einer finanziellen Vereinbarung zu, welche sie zu einer Zahlung von 1,2 Mio. Fr. Entschädigung verpflichtete. In der Zürcher Gesellschaft nicht integriert und als Ehebrecherin geächtet, bezog Lydia Welti-Escher im Spätsommer 1890 ein Haus in Champel bei Genf. Nachdem sie ihr letztes Lebensziel - die Errichtung einer Kunststiftung - erreicht sah, beendete Lydia Welti-Escher am 12. Dezember 1891 ihr Leben, indem sie in ihrer Villa den Gashahn öffnete.

Es gibt einen bei den Biografen umstrittenen Punkt in der Darstellung des Lebens von Lydia Welti-Escher. Während gemäss Joseph Jungs Biografie Lydia Welti Escher nach ihrer Internierung in der Römer psychiatrischen Klinik und nach ihrer Rückkehr in die Schweiz erneut in der psychiatrischen Klinik Königsfelden «untersucht» worden sein soll und sich dort aufgehalten habe [4], behauptet Biograf Willi Wottreng, für einen weiteren Aufenthalt in Königsfelden gebe es keine Quellen. Dies sei wichtig, weil es zeige, dass Lydia Welti-Escher sich dem Willen ihres Ehemanns und Schwiegervater widersetzt und nach den Geschehnissen in Italien sich damit als emanzipierte Frau bewiesen habe. [5]

Werk

Mit dem ihr nach der Scheidung verbliebenen beträchtlichen Vermögen - es handelte sich um die Villa Belvoir samt Umschwung und Wertschriften im Gesamtwert von damals nominell 4 Mio. Fr. - gründete Lydia Welti-Escher eine Stiftung. Diese erhielt, nachdem die Stifterin zuerst an ihren Familiennamen gedacht hatte, als neutralere Ersatzlösung den Namen Gottfried Keller-Stiftung. Die Verwaltung lag beim Schweizerischen Bundesrat. Am 6. Juni 1890 erwuchs der Gründung Gesetzeskraft. Lydia Escher wollte damit ein patriotisches Werk vollbringen, wie der von ihrem Vater Alfred Escher initiierte Gotthardtunnel eines war.

Die Gottfried Keller-Stiftung hätte nach dem ursprünglichen Willen der Stifterin die "Selbständigmachung des weiblichen Geschlechtes - wenigstens auf dem Gebiete des Kunstgewerbes" fördern sollen.[6] Dieser Zweck wurde auf Drängen ihres (geschiedenen) Ehemannes nicht in die Gründungsurkunde übernommen und in einen Begleitbrief abgedrängt. Die Gottfried Keller-Stiftung entwickelte sich zwar zu einer bedeutenden Sammlungsinstitution für Kunst, dem feministischen Anliegen der Gründerin wurde aber nicht entsprochen.

Lydia Welti-Escher ist eine herausragende Frauengestalt der Belle Epoque in der Schweiz. Ihr Verdienst liegt zum einen darin, dass sie als Patrizierin durch ihre Liaison mit einem Künstler – zu der sie offen stand - enge gesellschaftliche und moralische Normen eines Daseins als Patrizierin sprengte; zum andern liegt ein historisches Verdienst in der Gründung einer Schweizer Kunststiftung von nationaler Bedeutung.

Aus Anlass ihres 150. Geburtstages wurde Lydia Welti-Escher als herausragende Kunstmäzenin von der Zürcher «Gesellschaft zu Fraumünster» – der Frauenzunft – geehrt: zur Erinnerung wurde eine Ehrentafel bei einem Plätzchen vor dem Zürcher Kunsthaus angebracht. Auf Vorstoss derselben Gesellschaft wurde im Dezember 2008 der Platz von der Stadt Zürich offiziell «Lydia-Welti-Escher-Hof» getauft.[7]

Literatur

  • Bernhard von Arx, Der Fall Stauffer. Chronik eines Skandals, Hallwag, Bern 1969, ISBN 3-7296-0408-2
  • Otto Brahm, Karl Stauffer-Bern. Sein Leben, seine Briefe, seine Gedichte, Stuttgart 1892
  • Joseph Jung: Das imaginäre Museum: privates Kunstengagement und staatliche Kulturpolitik in der Schweiz: die Gottfried-Keller-Stiftung 1890-1922. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1998, ISBN 3-85823-681-0.
  • Joseph Jung (Hrsg.): Lydia Welti-Escher. Ein gesellschaftspolitisches Drama. Selbstzeugnisse, Briefe und neue Erkenntnisse. NZZ Libro, Zürich 2008, ISBN 978-3-03823-459-3.
  • Willi Wottreng: Die Millionärin und der Maler: Die Tragödie Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer-Bern. Orell Füssli, Zürich 2005, zweite erweiterte Auflage Zürich 2008, ISBN 978-3-280-06049-0.

Weblink

Einzelnachweise

  1. Von Arx S. 148 und S. 168; Wottreng S. 121 und S. 122; Jung, Lydia Welti-Escher, S. 14 und S.17.
  2. Von Arx S. 269; Wottreng S. 146; Psychiatrisches Gutachten in Jung, Lydia Welti-Escher, S. 146.
  3. Daniel Hell: “Das Gutachten aus heutiger Sicht”, in: Jung, Lydia Welti-Escher, S. 359.
  4. Joseph Jung (Hrsg.): Lydia Welti-Escher, S. 163: « … in der psychiatrischen Anstalt des Kantons Aargau … wird Lydia von Doktor Edmund Schaufelbühl untersucht»; auch Bernhard von Arx, Der Fall Stauffer, S. 275: «Währenddessen sass Frau Welti-Escher in der aargauischen Heilanstalt Königsfelden …»
  5. Willi Wottreng, Königsfelden – ein Nachtrag, in: Neujahrsblatt der Gesellschaft zu Fraumünster auf das Jahr 2009, Lydia Welti-Escher, Zürich 2008, S. 28 f.
  6. Brief Lydia Welti-Escher an Emil Isler, 29. Juli 1890, Archiv der Gottfried Keller-Stiftung.
  7. 20. August 2008: Strassenbenennungskommission; Benennung von «Lydia-Welti-Escher-Hof»

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