Lutizen

Lutizen

Die Liutizen (auch: Lutizen, Lutitzen, Luitizen) waren ein loser Bund einiger nordwestslawischer Stämme, welche im Mittelalter den Südosten des heutigen Mecklenburg-Vorpommern und den Norden des heutigen Brandenburg bevölkerten. Im Gegensatz zu ihren Nachbarn entwickelten sie keinen zentralistischen Feudalstaat und widersetzten sich einer Christianisierung.

Inhaltsverzeichnis

Ethnische und sprachliche Einordnung

Die Liutizen gehörten zu den auch als Wenden bezeichneten Elb- und Ostseeslawen, welche den nordwestlichen Teil der Westslawen bildeten. Zuerst erwähnt wurden sie bei Adam von Bremen im Jahre 991. Der Bund stellte wohl keine direkte Fortsetzung des Bundes der Wilzen aus dem 8. Jahrhundert dar, umfasst aber in etwa die gleichen Landes- und Bevölkerungsanteile.

Die Liutizen sprachen polabische Dialekte, die zum lechischen Zweig des Westslawischen gerechnet werden.

Teilstämme

Die vier Kernstämme der Liutizen bildeten die Zirzipanen, Redarier, Tollenser und Kessiner, die im Mittelalter im Großraum um die Flüsse Peene und Tollense sowie des Tollensesees siedelten. Mit den Liutizen assoziiert waren auch die südlich davon ansässigen Heveller im Havelraum.

Zentrum des Liutizenbundes war dessen wohl nahe dem Tollensesee gelegene Kultheiligtum Rethra (auch Riedegost)

Organisation des Bundes

Der Bund hatte eine Volksversammlung, aber keine zentrale Führung. Die Stämme behielten also weitgehend ihre Autonomie, sprachen sich aber insbesondere in militärischen Belangen untereinander ab. Dieser Umstand zeichnete den Bund gegenüber seinen Nachbarn aus, bei denen es sich um Territorialstaaten mit einer (adligen) Zentralgewalt handelte, machte ihn aber auch zum Expansionsziel derselben (insbesondere Herzogtum Sachsen und Polen).

Religion

Die liutizischen Stämme übten eine polytheistische Religion aus, die eine Variante der urslawischen Religionen vor der Christianisierung darstellt. In verschiedenen lokalen Tempeln wurden vielgesichtige Gottheiten verehrt, es gab Orakel und Opferriten. Hauptheiligtum war der Tempel in Rethra, wo Svarozic verehrt wurde (der Name des Tempels und des Gottes (Riedegost in variablen Schreibweisen) wurde teilweise synonym verwendet).

In Rethra gab es ein Orakel, in dem ein heiliges weißes Roß als Medium benutzt wurde. Analoge Orakel sind auch aus dem Svantevitheiligtum des Ranenfürstentum in Arkona und dem Triglawheiligtum der Pomoranen in Stettin bekannt. Ein weiteres Orakeltier in Rethra war ein heiliger Eber.

Es ist aus Rethra auch ein Menschenopfer belegt, nämlich der mecklenburger Bischof Johannes im Jahre 1066.

Blütezeit des Bundes (983-1050)

Die Liutizen waren führend am großen Slawenaufstand von 983 beteiligt, welcher von Rethra ausging. Bereits vorher hatten sie sich gegen die Bestrebungen Kaiser Ottos I. gewehrt, den östlichen Elberaum unter deutsche Herrschaft zu zwingen.

Kaiser Otto III. bekämpfte sie noch, etwa mit Unterstützung des polnischen Herzogs Bolesław I. in einem Feldzug von 995, doch konnte sie Ottos Nachfolger Heinrich II. 1003 in Quedlinburg als Verbündete gegen Bolesław I. und 1005 und 1017 zur Teilnahme an einem Feldzug gegen denselben gewinnen. Dies hatte jedoch mehrere polnische Einfälle in das Liutizengebiet zur Folge. Das gegen Polen gerichtete Bündnis mit den Deutschen hielt nicht lange vor, bereits 1036 und 1045 gab es deutsche Feldzüge in das Liutizengebiet, wobei das sächsische Heer in letzterem völlig besiegt wurde.

Die Liutizen wurden durch ihre Erfolge am Festhalten an ihren heidnischen Bräuchen bestärkt (wie auch die Abodriten).

Zerfall des Bundes und Untergang der Stämme

Ein Bürgerkrieg unter den Liutizen in den 50er Jahren des 11. Jahrhunderts veränderte die Sachlage. Tollenser und Redarier riefen zur Festigung ihrer Vormachtstellung die Obodriten zur Hilfe, welche die Kessiner und Circipanen ihrem Stammesverband unterwarfen. Ein sächsischer Feldzug unter dem Bischof Burchard II. von Halberstadt führte zur Zerstörung Rethras im Winter 1067/68. Der junge König Heinrich IV. (HRR) zog gegen die Lutizen im Winter 1069 und wollte wohl die Erfolge des Bischofs Burchard ausbauen. Die sächsischen Herzöge führten weitere Feldzüge in das Liutizengebiet, etwa 1100, 1114, 1121 und 1123. Auch Dänen und die nunmehr unter polnischer Hoheit stehenden Pommern führten Feldzüge gegen die Liutizen, letztere stießen bis 1128 bis weit nach Circipanien vor und verleibten den südlichen Teil des späteren Vorpommern ihrem Greifenherzogtum ein. 1147 läutete der Wendenkreuzzug das endgültige Ende der verbliebenen heidnischen Liutizen ein. Die liutizischen Lande wurden als Teile der Herzogtümer Pommern (Südvorpommern) und Mecklenburg (Ostteil) sowie der Mark Brandenburg (Nordteil) Teile des Heiligen Römischen Reiches, die bereits durch die vielen Kriegsjahre dezimierte Bevölkerung wurde im Zuge der Ostsiedlung von sächsischen Siedlern assimiliert.

Literatur

  • Helmut Beumann: Die Ottonen. 5. Aufl., Stuttgart u.a. 2000.
  • Herbert Ludat: An Elbe und Oder um das Jahr 1000. 2. Aufl., Köln/Wien 1995.
  • Christian Lübke: Das östliche Europa (Die Deutschen und das europäische Mittelalter). Siedler, München 2004.

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