Ludwig Gies

Ludwig Gies

Ludwig Gies (* 3. September 1887 in München; † 27. Januar 1966 in Köln) war ein deutscher Bildhauer, Medailleur und Kunstprofessor. Seine Arbeiten sind durch flache und versenkte, häufig bizarr geschnittene Reliefs und einen teils kubistisch, teils spätexpressionistisch anmutenden Stil gekennzeichnet.

Von Gies entworfener Grabstein für Hans Böckler, Köln, Friedhof Melaten

Bekannt wurde Gies vor allem durch zwei Skulpturen: den Kruzifixus im Lübecker Dom (1921), der schon bald als typisches Werk der Entarteten Kunst galt, und den Bundesadler (1953), der – im Volksmund Fette Henne genannt – in allen vom Bundestag genutzten Plenarsälen zu sehen war und ist, so auch im aktuell genutzten Plenarsaal im Berliner Reichstag.

Außerdem ist Gies durch Kleinplastiken aus Ton und Medaillen in Bronze hervorgetreten.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

1887 bis 1918

Gies wurde am 3. September 1887 in München als erster von zwei Söhnen geboren. Sein Vater Philipp Gies stammte aus der Pfalz und hatte 1882 seine Frau Johanna Grieb aus München geheiratet, ehe er im Februar 1883 selbst nach München zog. Sowohl er als auch der zweite Sohn Hans waren städtische Beamte in München. Ein drittes Kind der Familie Gies starb bereits im Kindesalter. [1] Der Vater verstarb bereits 1915 und seine Beziehung zu Ludwig Gies bleibt unklar, Gies scheint jedoch ein intensives Verhältnis zu seiner Mutter gehabt zu haben. [2]

Seine Schulausbildung ist wenig dokumentiert; es bleibt unklar, ob er tatsächlich eine Realschule besuchte oder nur die achtjährige Volksschulausbildung absolvierte. [3] Definitiv nicht erfolgt ist der Besuch eines Gymnasiums.

Auch seine folgende Ausbildung ist nicht lückenlos nachvollziehbar und stützt sich nahezu vollständig auf Sekundärquellen. Die Schule, die er parallel gemäß dem von Stadt und Staat durchgesetzten Schulsystem für das Handwerk besucht hat, existiert nicht mehr, wird urkundlich vorher nicht erwähnt, findet sich nur spärlich im Stadtarchiv München und die zu der Schule gehörigen Unterlagen sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.

Diese Schule, bei der es sich um die Städtische Gewerbeschule handelte, besuchte er laut eines Briefwechsels mit Bruno Paul von 1902 bis 1904, [4] in dieser Zeit, teils auch früher, lassen sich auch Studienblätter datieren, die auf einen Zeichen(vor)kurs schließen lassen. Neben der Schule war er bei der Firma Winhart & Co. Lehrling, wo er Ziselieren von Johann Vierthaler und außerdem im Abend- und Sonntagsunterricht Modellieren und Holzzschnitzen lernte. Im späten 19. Jahrhundert hatte der Historismus auch Auswirkungen auf die Metallverarbeitung, wurde jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Einflüssen des Jugendstils bzw. „Süddeutschen Tendenzen“[5] abgelöst. Die Firma Winhart & Co. verfolgte hier die fortschrittlichere von beiden Tendenzen, [6]was ihn früh mit Richard Riemerschmid und Bruno Paul in Kontakt brachte.

Nachdem er die Städtische Gewerbeschule nach der Hälfte seiner Ausbildungszeit bei Winhart beendet hatte, besuchte er bis Juli 1907 parallel die Königliche Kunstgewerbeschule, wo er von Fritz von Miller, Anton Pruska, Maximilian Dasio und Heinrich Waderé Zieselieren, Emaillieren, Schnitzen und ornamentales Modellieren und figürliches Modellieren lernte. Besonders prägend war dabei der Einfluss von Waderé, der ihn erstmals mit der Medaillenkunst in Berührung brachte.

Nachdem im Sommer 1906 seine Ausbildung sowohl in der Kunstgewerbeschule als auch bei Winhart beendet und er noch einige Monate in Mindelheim verbracht hatte, um spezielle Fähigkeiten bezüglich des Treibens von Kupfer zu erlernen, wurde er vom ausbildenden Betrieb Winhart als Ziseleur bis 1908 weiterbeschäftigt, ehe er sich im Mai dieses Jahres an der Akademie der Bildenden Künste München einschrieb. Wie sein Studium verlief, bleibt unklar, lediglich der schon einmal als Quelle herangezogene Briefwechsel mit Bruno Paul gibt Aufschluss darauf, dass Gies vier Semester, also bis 1910, Bildhauerei studiert haben soll. [4] Ebenso ungewiss sind die Gründe für seinen raschen Abbruch des Studiums, belegt ist, dass er schon 1909 wieder bei Winhart arbeitete und dorthin auch 1912 als freiberuflicher Zeichner zurückwechselte. In den Jahren bis 1914 begann er eine stilistische Selbstfindung und gewann einige Künstlerpreise, die vorwiegend zur Förderung der neuen Medaillenentwicklung ausgeschrieben worden waren. Eine Zusammenarbeit mit der Porzellanmanufaktur Nymphenburg erweiterte seine Fähigkeiten auch um den Umgang Keramiken wie Majolika und ließ einen keramischen Ofen entstehen, der bei der Berner Landesausstellung 1914 Beachtung fand.

Kurz nachdem er selbstständig wurde, brach der Erste Weltkrieg aus, währenddessen Gies wegen seines Gesundheitszustandes nicht als Soldat am Krieg teilnahm, aber zum Arbeitsdienst eingezogen wurde. In seinen Werken distanzierte er sich während dieser Zeit vom Patriotismus und stellte das Kriegsleid dar, was zu einer partiellen Zensur seiner Werke führte.

1918 bis 1945

Am 28. August 1917 hatte Bruno Paul, der Leiter der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin, eine Dienstreise nach München unternommen, um verschiedene Bildhauerarbeiten zu besichtigen. An der Unterrichtsanstalt war eben mit dem Ausscheiden Joseph Wackerles eine Stelle unbesetzt, die sich speziell mit der Medaillenkunst beschäftigt hatte. Während dieser Reise traf Paul auf Gies. Warum genau dieses Zusammentreffen dazu führte, dass Paul Gies im Folgenden an die Unterrichtsanstalt rief, ist nicht endgültig geklärt: Möglich ist sowohl, dass Bruno Paul bereits im Vorfeld die Empfehlung bekommen hatte, sich Gies näher anzuschauen, zumal auch die Münchner Medaillenkunst einen besonders guten Ruf hatte, als auch, dass er durch Publikationen aus diesem Gebiet auf ihn stieß. Theoretisch denkbar wäre, dass Paul Gies noch aus der Zeit in Erinnerung hatte, in der er selbst bei Winhart & Co. tätig war (um 1902), was jedoch angesichts der Kürze der Zeit und den Jahren, die zwischen den beiden Ereignissen liegen, als eher unwahrscheinlich gilt. [7]

In Berlin leitete er die Klasse für Stempelschneiden und Modellieren für Goldschmiede und Ziselleure und ab 1924 an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst (heute Universität der Künste Berlin) die Klasse für Plastik. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten geriet er wegen seiner Loyalität zu regimekritischen und jüdischen Studierenden unter Druck; 1937 wurde er aus der Preußischen Akademie der Künste gedrängt, 1938 aus dem Lehramt entlassen.[8] Allerdings hatte Gies auch für den 1935–1939 errichteten Erweiterungsbau der Reichsbank unter anderem einen Reichsadler mit Eichenkranz und Hakenkreuz aus Leichtmetall geschaffen.[9] Elf seiner Werke wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt.[8] Sein durch den Lübecker Museumsdirektor Carl Georg Heise ursprünglich für die Lübecker Marienkirche initiiertes Kruzifix im Lübecker Dom wurde bereits zum Zeitpunkt seiner Entstehung (1922 für die Deutsche Gewerbeschau München) als „überexpressionistisch“ wie auch „kultur-bolschewistisch“ verdammt und war später eines der Hassobjekte der Ausstellung Entartete Kunst 1937 in München und ostentativ im Treppenhaus zum 1. Obergeschoss zur Schau gestellt. Es wurde anschließend vermutlich zerstört.[10] Zuvor war das Kruzifix bereits im März 1922 Opfer eines Anschlags im Lübecker Dom, bei dem der Kopf des Christus und einer der Strahlen fachgerecht abgeschlagen wurden. Der Kopf wurde im nahegelegenen Mühlenteich aufgefunden und die Skulptur so rekonstruiert.[11]

1945 bis 1966

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war er in Berlin freiberuflich tätig. Von 1950 bis 1962 war er Professor für Bildhauerei an den Kölner Werkschulen und seit 1953 Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste München.

Zwischen 1959 und 1962 entwarf Gies die Fenster des Chors im Essener Münster und erhielt den „Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen“.

1957 erhielt der bekennende Katholik aus der Hand des Bundespräsidenten Theodor Heuss das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Ludwig Gies wurde auf dem Melaten-Friedhof in Köln beerdigt.

Ehrung

Die Letter Stiftung vergibt ein Stipendium für Bildhauer und Plastiker, das den Namen „Ludwig Gies-Preis für Kleinplastik“ trägt.

Literatur

  • Bernd Ernsting: Ludwig Gies. Meister des Kleinreliefs. Letter-Stiftung, Köln 1995, ISBN 3-930633-02-7.
  • Bernd Ernsting, Rolf Wedewer (Hrsg.): Ludwig Gies. Werke im Museum Morsbroich. Museum Morsbroich, Leverkusen 1989, ISBN 3-925520-22-8.
  • Bernd Ernsting (Hrsg.): Ludwig Gies 1887–1966. Leverkusen, Selbstverlag 1990, ISBN 3-925520-23-6.
  • Toni Feldkirchen: Ludwig Gies. Bongers, Recklinghausen 1960.
  • August Hoff: Plaketten und Medaillen von Ludwig Gies. Scherpe, Krefeld 1962.
  • Christine Fischer-Defoy: Kunst Macht Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin. Elefanten Press, Berlin 1988, ISBN 3-88520-271-9, S. 287ff.
  • Jenns Eric Howoldt: Der Kruzifixus von Ludwig Gies. In: Der Wagen 1988, ISBN 3-87302-048-3, S. 164-174.
  • Wolfgang Steguweit: Hilde Broër. Bildhauerin und Medailleurin – Leben und Werk, Gebr. Mann, Berlin 2004, ISBN 3-7861-2490-6, S. 15ff.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Ernsting/Wedewer 1989, S. 7 und S. 19 Anm. Nr. 8.
  2. Ernsting/Wedewer 1989, S. 7
  3. Vgl. Ernsting/Wedewer 1989, S. 8 u. S. 19 Anm. Nr. 14: Auf einen Realschulbesuch weist ein von 1932 ausgefüllter Personalbogen hin (Archiv der Akademie der Künste Berlin, Akte Gies), Bruno Paul hingegen spricht von einer achtjährigen Volksausbildung (Briefentwürfe 1917, Archiv der Hochschule der Künste, Berlin, Akte U la Vol 7).
  4. a b Vgl. Archiv der Hochschule der Künste, Berlin, Akte U la Vol 7
  5. Ernsting/Wedewer 1989, S. 8
  6. Kunst und Handwerk Nr. 56, 1905–1906; S. 340ff.; Ernsting/Wedewer 1989, S. 19, Anm. Nr. 22
  7. Vgl. Ernsting/Wedewer 1989, S. 11
  8. a b Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 183.
  9. Hans Wilderotter (Hrsg.): Das Haus am Werderschen Markt. Jovis, Berlin 2000/2002, S. 101f. ISBN 3-931321-20-7
  10. Stephanie Barron (Hrsg.): Entartete Kunst – Das Schicksal der Avantgarde im Nazi–Deutschland, Los Angeles County Museum, Hirmer, München, 1992, S. 49 ISBN 3-7774-5880-5
  11. Howoldt (1968), S. 170.

Weblinks


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