Looking Backward

Looking Backward
Reclam-Ausgabe von 1919

Das Buch Looking Backward or Life in the Year 2000 (deutsch Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887), das Edward Bellamy 1887 veröffentlichte, handelt von Julian West, einem jungen Amerikaner, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts während einer Behandlung mit animalischem Magnetismus, einer Art Hypnose, in einen tiefen Schlaf fällt, der über hundert Jahre lang anhält. Als er aufwacht, findet er sich zwar noch an derselben Stelle, aber die Welt um ihn herum hat sich verändert.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Er erwacht in einem Haus in Boston, das einer Familie Leete gehört. Es ist das Jahr 2000, und während der vergangenen hundert Jahre sind die USA zu einem Paradies geworden.

Es gibt in dem Roman wenig Handlung, es wird im Wesentlichen nur gezeigt, wie der Hausherr Dr. Leete und seine attraktive Tochter Edith den Protagonisten in die neue Welt einführen und ihm die Lebensverhältnisse erklären.

Was Julian West als erstes auffällt, ist, dass die Luft in Boston sauber und nicht von den Abgasen der Schornsteine verschmutzt ist, so wie er es zu seiner Zeit, im 19. Jahrhundert, gewohnt war. Aber auch das gesellschaftliche Zusammenleben hat sich geändert. Die Menschen sind tatsächlich gleichberechtigt, jeder muss gleichermaßen eine Zeit seines Lebens für die Gemeinschaft arbeiten – Dr. Leete vergleicht diesen Industrial Service (Industriedienst) mit dem Wehrdienst in der alten Zeit.

Es gibt kein Geld, sondern Kreditkarten, von deren Wert bei jedem Kauf die entsprechende Summe abgezogen wird (das ist ein Vorgriff des Autors, denn die ersten tatsächlichen Kreditkarten wurden erst 1924 von der Western Union angeboten).

An dem Industriedienst werden alle Mitglieder der Gesellschaft beteiligt, ein jeder nach seinen Kräften. Und jeder bekommt im Gegenzug einen gleichen Anteil an den gemeinsam erarbeiteten Werten. Die Devise ist, dass man nicht seinen Lohn dafür bekommt, dass man mehr oder weniger zu leisten in der Lage ist, sondern dass man ein Mensch ist.

Auch das Unterhaltungsbedürfnis wird berücksichtigt. Entsprechend den technischen Möglichkeiten seiner Zeit denkt der Autor sich die Unterhaltungsmedien der fernen Zukunft aus. Auf Grundlage des damals gerade neuen Telefons entwickelt er ein System der Massenunterhaltung, indem an mehreren Stellen der Stadt Orchester 24 Stunden lang verschiedene Arten von Musik spielen, die über Telefonleitungen in die Wohnungen übertragen wird. Dort kann sich der Musikinteressierte ein Programm aussuchen und über Lautsprecher in seinem Wohnzimmer wiedergeben (vgl. auch Theatrophon). Die Gebühren dafür werden von seiner Kreditkarte abgezogen.

Auch über die Erziehung hat man sich Gedanken gemacht, und das grundlegende Prinzip der Gesellschaft des Jahres 2000 lautet, dass derjenige die Bildung am meisten benötigt, der die geringsten natürlichen Gaben hat. Intelligente, interessierte Menschen suchen von sich aus danach, nur die weniger Intelligenten brauchen Förderung. Und es liegt im Interesse aller, dass die Mitmenschen gebildet sind.

Bewertung

Der Reiz des Romans liegt weniger in einer spannenden Handlung, oder in einem originellen Stil, die Darstellung ist häufig eher trocken und belehrend, an anderen Stellen übertrieben rührselig. Der Reiz des Buches liegt aber in der Möglichkeit des heutigen Lesers zu vergleichen, inwieweit Bellamys Gedanken der modernen Wirklichkeit nahe kommen.

Manches hat Bellamy sicherlich falsch vorausgesehen, wie zum Beispiel die Luft in den Großstädten (man vergleiche seine Idee der kristallklaren Luft mit den Autoabgasen oder den Gefahren des Treibhauseffekts), auch die Arbeitswelt stellt er viel zu optimistisch dar. Andererseits hat er das Bedürfnis nach Massenunterhaltung gut erkannt und mit den Möglichkeiten seiner Zeit verwirklicht.

Indes darf man die Utopie Bellamys nicht daran messen, was davon tatsächlich eingetroffen ist, denn sein Ziel war ja keine realistische Voraussage, sondern ein utopischer Entwurf als Modell und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Wirkung

Herausgeber Wolfgang Biesterfeld spricht von „der erfolgreichsten Utopie des 19. Jahrhunderts und der vielleicht meistgelesenen Utopie überhaupt“ (1983, S. 296). Die Fortsetzung unter dem Titel Equality blieb aber ähnlich erfolglos wie die sonstigen Schriften des Autors.

Herausgeber Georg von Gizycki schreibt im Vorwort (1890, S.3):

„Mir schien, daß dieses Werk sich den berühmten Utopien der Vergangenheit, wie Thomas MorusUtopia‘ [...] BaconsNeu Atlantis‘ und CampanellasSonnenstaat‘ wohl zur Seite stellen lasse. Noch keine derartige Schrift hat einen so erstaunlichen Erfolg gehabt, wie diese: sie ist vor ungefähr zwei Jahren veröffentlicht worden, und bereits liegt das 301. Tausend des amerikanischen Originals und die 21. Auflage des englischen Nachdrucks vor. Da wir bisher nur eine verstümmelte und eine unlesbare deutsche Übersetzung dieses Buches besaßen, erschien es mir wünschenswert, dem deutschen Publikum eine brauchbare zu verschaffen, und ich hoffe, daß die vorliegende eine ist. Von socialistischer sowie von entgegengesetzter Seite sind gegen das Werk viele Einwendungen erhoben worden, und sicherlich unterliegt es nicht wenigen; aber ich glaube, es enthält tiefe ethische Wahrheiten.“

Zeitgenossen kritisierten das Eintreten für die Emanzipation der Frau und warfen Bellamy ein Eintreten für Atheismus und Materialismus vor.

Ernst Bloch kritisierte, dass die geschilderten Zustände sich von denen der kapitalistischen Welt nicht grundsätzlich unterscheiden. Es werden zwar einige schädliche Auswirkungen beseitigt, doch der allgemeine Zuschnitt der kapitalistischen Welt bleibe bestehen:

„Die Welt wird ein gigantisches Boston oder eher noch Chicago mit etwas Landwirtschaft dazwischen; das Gebiet der letzteren nannte man früher Natur.“ (Ernst Bloch: Prinzip Hoffnung, 1959, S.715f; zitiert im Nachwort von W. Biesterfeld 1983, S.313)

Vor allem die Utopie Kunde von Nirgendwo (News from Nowhere) von William Morris schließt sich an Looking Backward an.

„Besonders reizvoll liest sich die Aufnahme von Looking Backward im Deutschland der Wilhelminischen Ära. Alsbald von verschiedenen Autoren ins Deutsche übersetzt (zuerst in einer entstellenden Fassung von G. Malkowski unter dem Titel Alles verstaatlicht. Sozialpolitischer Roman, 1889), sorgte der Text in dem Lande, dem soeben der ‚eiserne Kanzler‘ die Sozialistengesetze beschert hat, für lebhafte Kontroversen. Eine Reihe von Umformungen und Parodien entsteht. Während Eduard Loewenthal (Der Staat Bellamy's und seine Nachfolge, 1891) Looking Backward nur als Vehikel für die Verbreitung der von ihm erfundenen und heute vergessenen Weltanschauung ‚Cogitantismus‘ nutzt, versuchen andere Autoren, in ihrem Sinne die mögliche Weiterentwicklung des Bellamyschen Staates auf die Probe zu stellen. Ernst Müller (Ein Rückblick aus dem Jahr 2037 auf das Jahr 2000, 1891) müht sich um einen versöhnenden Ausgleich zwischen den verschiedenen politischen Positionen im gar nicht idealen Zukunftstaat, indem er den Reichen mehr Nächstenliebe und den Armen mehr Zufriedenheit empfiehlt; Philipp Wasserburg (Etwas später! Fortsetzung von Bellamy's Rückblick aus dem Jahr 2000, 1891) möchte am Beispiel Kuba beweisen, daß Bellamys Konstruktion nicht auf alle Länder und Klimate anwendbar ist; Conrad Wilbrandt (Des Herrn Friedrich Ost Erlebnisse in der Welt Bellamy's, 1891) verlegt die Handlung nach Deutschland und zeigt das Scheitern des Modells an der Nivellierung der menschlichen Bedürfnisse und an Fehlern im Außenhandel; der Deutschamerikaner Richard Michaelis (Looking Forward, 1890, dt. Ein Blick in die Zukunft. Eine Antwort auf: Ein Rückblick von Edward Bellamy. 1890) läßt die Erlebnisse Julian Wests in einem mit allen Mitteln trivialen Stils geschilderten Blutbad enden, das der von Dr. Leete und seinen Gesinnungsfreunden jahrelang hinters Licht geführte Pöbel anrichtet.“ (W. Biesterfeld, Nachwort, 1983, S.301f.)

Ausgaben

Insgesamt 14 Ausgaben in versch. Auflagen, zuletzt 1998

  • Übersetzer: Georg von Gizycki. Hg. Wolfgang Biesterfeld. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1983 ISBN 3-15-002660-1 (Universal-Bibliothek 2660 [4]) [mit Nachwort des Herausgebers]
  • Übersetzer: Alexander Fleischmann. Übers. nach dem 301. Tausend der amerikanischen Originalausgabe. Hg. Georg von Gizycki. Philipp Reclam jun. Leipzig o.J. [1890]. Die Fassung erlebte bis 1891 sieben Auflagen.

Weblinks

  • [1] Alle 14 dt. Ausgaben laut Dt. Nationalbibliothek
  • [2] Rez. von Dieter Thomä in NZZ 6. August 2007

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