Locus Theologicus

Locus Theologicus

Der Begriff Locus theologicus (Sg.) beziehungsweise loci theologici (Pl.), deutsch: „Ort/Orte theologischer Erkenntnis“ (frei übersetzbar mit „theologische Grundbegriffe“), wurde von Melchior Cano mit seinem Werk De locis theologicis Libri XII geprägt, in der er auf der Grundlage der Lehre Thomas von Aquins eine differenzierte Liste erkenntnistheoretisch relevanter „Bezeugungs-Orte“ vorlegte. Das Werk galt jahrhundertelang als bedeutendes Lehrbuch für die theologische Erkenntnislehre und Methodologie. Bis in das 17. Jahrhundert fand der Begriff in abgewandelter Bedeutung für die Bearbeitungen der evangelischen Dogmatik Verwendung.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Begriff locus entstammt ursprünglich der antiken Rhetorik und wird Cicero als anderer Ausdruck für sedes argumentorum zugeschrieben, „als Fundstätte für Beweise oder für die thematische Stoffsammlung“[1] beziehungsweise als „Stichworte, mit denen sich Argumente leicht assoziierenlassen“.[2]
Somit diente ein locus theologicus zur Formulierung von Sätzen und Argumenten innerhalb eines größeren Stoff- und Themenkomplexes.

Im Mittelalter veränderte sich die Bezeichnung. Im Sprachgebrauch der Rhetoriker waren loci communes Gesichtspunkte zur Auffindung und Gliederung des Stoffs. In der Theologie des 16. Jahrhunderts die Bezeichnung zurück auf Melanchthon und dessen Werk Loci communes.[3] Bei ihm waren die loci theologici nur die „zentralen Inhaltspunkte und Erkenntnisgegenstände (Themen) der Glaubenslehre“ wie Gott, Gnade, Rechtfertigung, Sakramente, Obrigkeit usw.)[4], quasi Kapitelüberschriften, die es nicht argumentativ zu rechtfertigen, sondern lediglich nachzuvollziehen galt.

In der katholischen Theologie hingegen behielt der Begriff seine ursprüngliche Bedeutung, wo die „Rechtfertigung dogmatischer Festlegungen und tradierter Lehrmeinungen“ Anliegen war und blieb.[5] und mit dem locus ein sachlich an Thomas von Aquin (S. Th. I, 1,8) orientierter Begriff „zur methodologischen Fundierung der argumentativen Theologie (d. h. des dogmatischen Beweises)“ verwendet. Der Dominikaner Melchior Cano gehörte zu den wichtigsten Vertretern dieser scholastischen Theologie.

Im heutigen Sinn bezeichnen loci theologici eher Orte, an denen sich Erkenntnis bilden kann, aber nicht muss. Sie sind in diesem Sinne und in Beziehung zueinander als ein komplexes System aufeinander verweisender Instanzen zu verstehen, die über die Glaubensgemeinschaft Kirche vermittelt sind.

Der Begriff bei Melanchthon

Philipp Melanchthon Loci wurde bis in die Zeit des Konkordienwerks unter anderem in der kursächsischen Universitätsordnung für Wittenberg und Leipzig von 1580 als Lehrbuch vorgeschrieben.[6] Der intensive Gebrauch als Lehrbuch spiegelt sich in einer Reihe von Beareibeitungen und Hilfsbüchern dieser Zeit wieder, wie Veröffentlichungen von Johannes Spangenberg 1540 oder Paul Crell 1561. Daneben gibt es eine Reihe von Darstellungen des dogmatischen Stoffs, die aus den Vorlesungen Melanchthons entstehen, unter anderem Victorin Strigels Loci theologici (1582-84) oder Martin Chemnitz' Loci Theologici (1591).

Der Begriff bei Cano

1563, drei Jahre nach Canos Tod, wurde sein Werk De locis theologicis veröffentlicht, das in der Schultheologie jahrhundertelang hohes Ansehen genoss. Bis 1890 erlebte es mehr als 30 Neuauflagen.

Literatur

  • Melchior Cano: De locis theologicis.(Locus theologicus.) Veröffentlicht 1567. Am 19. Mai 2009 von der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert, Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche
  • Haible, Eberhard, Art. Loci theologici in: Sacramentum Mundi. Theologisches Lexikon für die Praxis 3 (1969), Sp. 291ff. Vgl. auch: Primavesi, Oliver, Art. Topik; Topos, I. - Antike in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 10 (1998), Sp. 1263-1269.
  • Lang, Albert, Art. Loci theologici, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (1961)2, Sp. 1110ff.
  • Sander, Hans-Joachim, in: Hünermann, Peter - Hilberath, Bernd Jochen (Hg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 5 (2006), S. 186-200 und S. 349-356.
  • Seckler, Max, Art. Loci theologici, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (1997)3, Sp. 1014ff.
  • Körner, Bernhard, Melchior Cano: De locis theologicis. Ein Beitrag zur theologischen Erkenntnislehre, Graz 1994 (ISBN 3-7012-0023-8)
  • Hünermann, Peter, Dogmatische Prinzipienlehre, Münster 2003.
  • Seckler, Max, Die schiefen Wände des Lehrhauses. Katholizität als Herausforderung, Freiburg 1988.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der Grosse Brockhaus: Band 7 von 1955 unter Schlagwort locus: „in der älteren Logik und Rhetorik Fundstätte für Beweise oder für die Stoffsammlung. Der Ausdruck geht auf die Topik und Rhetorik des Aristoteles zurück.“
  2. Jan Schröder (Hsg.) Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert: Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium in Tübingen, 18.-20. April 1996. Franz Steiner Verlag, 1998. ISBN 3-5150-7173-3. S. 21
  3. Der Grosse Brockhaus: Band 7 von 1955 unter Schlagwort locus.
  4. Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert S. 25
  5. Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert S. 25
  6. Andreas Stegmann: Johann Friedrich König. Mohr Siebeck, 2006. ISBN 3-1614-9041-X. S. 135

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