LobbyControl

LobbyControl

LobbyControl – Initiative für Transparenz und Demokratie, ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein in Köln, der sich die Aufklärung über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU zum Ziel gesetzt hat. Dabei möchte er Anregungen liefern für Transparenz in der Politik, eine demokratische Kontrolle und Schranken der Einflussnahme von Interessenverbänden auf Politik und Öffentlichkeit.

Inhaltsverzeichnis

Der Verein

Arbeitsweise

LobbyControl betreibt Recherchen zu aktuellen Themen, Hintergrundanalysen mit wissenschaftlichem Anspruch und öffentliche Kampagnen. Der Verein möchte über Denkfabriken, wirtschaftsnahe Kampagnen und verzerrte Darstellungen in den Medien sowie über Netzwerke und koordiniertes Lobbying hinter den Kulissen berichten. Das Ziel dieser Recherchen und Informationen ist es, verdeckte Einflussnahmen offen zu legen und Bürgern zu helfen, sie zu erkennen und ihren eigenen Positionen Gehör zu verschaffen. In Kampagnen möchte LobbyControl exemplarisch herausragende Zusammenhänge und Missstände aufgreifen, um sie direkt zu beenden oder neue Schutzvorkehrungen gegen einseitige Einflussnahme durchzusetzen. Hierzu zählen beispielsweise striktere Regeln für Nebeneinkünfte von Abgeordneten oder Registrierungs- und Berichtspflichten für Lobbyisten.

Entstehung

Der Verein entstand nach eigenen Angaben in der Nachfolge des Kongresses Gesteuerte Demokratie?, der 2004 in Frankfurt stattfand. Die Veranstaltung von 180 Teilnehmern befasste sich mit dem Einfluss neoliberaler und wirtschaftlicher Eliten auf Politik und Öffentlichkeit.[1] Das Internet-Blog LobbyControl.de gibt es seit Mai 2005 und den Verein LobbyControl seit Anfang 2006. In der Öffentlichkeit wird er durch einen vierköpfigen Vorstand vertreten, der aus Thomas Dürmeier (Volkswirt, Gründer des Arbeitskreis Postautistische Ökonomie, Attac-Referent), Heidi Klein (Politikwissenschaftlerin), Ulrich Müller (Politikwissenschaftler, Organisator oben genannten Kongresses) und Dieter Plehwe (Politikwissenschaftler, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Mitbegründer der Gruppe Buena Vista Neoliberal?) besteht. (Stand: Januar 2008)

Finanzierung

Der Verein finanziert sich mit Spenden, Mitgliederbeiträgen und dem Verkauf eigener Publikationen wie dem Ende 2008 herausgegebenen Stadtführer LobbyPlanet Berlin.[2] Mit insgesamt 40.000 Euro als Anschubfinanzierung erhielt er in den Jahren 2006 bis 2008 den überwiegenden Teil des Haushaltes von der Bewegungsstiftung. [3][4] Im Geschäftsjahr 2009 wurde das Volumen sowie die Unabhängigkeit der Finanzierung deutlich verbessert durch eine Vervielfachung der Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden von Privatpersonen sowie aus dem Warenverkauf.[5]

Initiativen und Projekte (Auswahl)

Christiansen-Studie

Bekannt wurde der Verein LobbyControl bundesweit mit der Christiansen-Studie[6], in der LobbyControl die thematische und personelle Besetzung der Fernsehsendung Sabine Christiansen (ARD/NDR) im Zeitraum Januar 2005 bis Juni 2006 analysierte. Die Studie liefert viele Belege, die zeigen sollen, dass die zu ihrer Zeit quotenstärkste deutsche Politik-Talkshow Vertreter von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden als Gäste bevorzuge, während Gewerkschaften oder Sozialverbände unterrepräsentiert seien und ein einseitiges Themenspektrum vorgegeben werde.[7] Der Produzent von Sabine Christiansen, Michael Heiks, hält die Methoden von LobbyControl für fragwürdig. Auf die Vorwürfe gegenüber der Sendung entgegnete er: „Eine simple Zuordnung zu Lagern und Verbänden ist grundsätzlich unsinnig. Es wird völlig ignoriert, was die Gäste unserer Diskussionssendungen tatsächlich gesagt haben. Fliegenbeine zu zählen reicht einfach nicht“[8]

„Drehtür“-Studie

In der Kurzstudie Fliegende Wechsel – die Drehtür kreist vom 15. November 2007 wurden die neuen Arbeitsverhältnisse von 63 ehemaligen Mitgliedern der rot-grünen deutschen Bundesregierung (1998 bis 2005) untersucht. Die Studie stellte auch die geltenden Regelungen zum Wechsel vom politischen Amt in die Privatwirtschaft vor und stellte Forderungen für Neuregelungen auf. (Siehe auch Drehtür-Effekt).

Für die Wiedergabe der Behauptung des Magazins Der Spiegel, Schröder sei als Berater des chinesischen Außenministeriums tätig [9][10] wurde der Verein auf Antrag des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder gerichtlich abgemahnt.

„Keine Lobbyisten in Ministerien“-Kampagne

In einer weiteren Studie wies der Verein im Juli 2007 darauf hin, dass mehr als 100 Beschäftigte von Unternehmen und Verbänden in Bundesministerien arbeiten. In der Kampagne Keine Lobbyisten in Ministerien fordert LobbyControl nun die Bundesregierung zur Offenlegung aller Informationen über die bisherige Mitarbeit von Lobbyisten in Ministerien auf. Weiter müsse der einseitige Zugang von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in die Ministerien beendet werden, da diese Praxis undemokratisch sei und die Prinzipien der pluralen Entscheidungsfindung untergrabe. [11][12] Für diese Offenlegung wurde 2009 ein Appell zur Einführung eines Lobbyregisters mit Unterschriften von 8.700 Bürgern an den Bundestag übergeben.[13]

Aufdeckung der PR-Affäre der Deutschen Bahn

Die Arbeit mit dem bisher größten Medienecho waren die Recherchen von LobbyControl zur Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Bahn.[14] Im Mai 2009 wurde aufgedeckt, dass die Deutsche Bahn-Führung über die Lobby-Agentur European Public Policy Advisers GmbH und die Berliner Denkfabrik Berlinpolis verdeckt Aufträge vergab, um positive Beiträge zur Bahnprivatisierung und gegen den Lokführerstreik in den Medien zu platzieren. Für die Kampagne wurden unter anderem Medienbeiträge vorproduziert sowie Leserbriefe, Blog-Beiträge und Umfragen gefälscht. Außerdem wurde eine vermeintliche Bürgerinitiative pro Bahnprivatisierung (Meinebahndeinebahn.de) von der PR-Agentur gegründet. Der neue Chef der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, bestätigte nach dem Lobby-Control-Bericht verdeckte PR-Maßnahmen, für die die Bahn 1,3 Millionen Euro bezahlte.[15][16]

Enthüllungen zum Thema Biokraftstoff

Im Juli 2009 wurde von LobbyControl aufgedeckt, dass der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie e.V. im Jahre 2008 über mehrere Monate hinweg eine Kampagne durchführen ließ, welche die öffentliche Meinung zum Thema Biokraftstoff verbessern sollte. Hierfür wurden durch die Agentur Berlinpolis einseitig formulierte Leserbriefe und Artikel in unterschiedlichen Medien veröffentlicht. So zum Beispiel auf den Seiten des Wirtschaftsministeriums NRW (www.kreativeoekonomie.de). Positive Meinungen wurden zudem u. a. in der jungen Welt, der FAZ, der Frankfurter Rundschau und auf Focus Online veröffentlicht. [17][18]. Auftraggeber von Berlinpolis war die EPPA GmbH.

Negative Auszeichnungen

Die negative Auszeichnung Worst EU Lobbying Award verleiht LobbyControl zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe und Spinwatch seit 2005 jährlich an Lobbyisten, Unternehmen und Interessenverbände, die manipulative, irreführende oder andere problematische Lobbytaktiken verwendet haben, um Entscheidungen der EU zu beeinflussen. Die Verleihung findet in Brüssel statt. Die Preisträger werden per öffentlicher Abstimmung im Internet ermittelt.[19]

Preisträger:

2007 wurde der Sonderpreis Worst EU Greenwash Award verliehen. Er ging an das Deutsche Atomforum.[20]

2009 wurde keine Abstimmung durchgeführt.

Nominiert für die Abstimmung zum Worst EU Lobbying Award 2010 sind[21]:

  • in der Kategorie „Finanzen“:
    • die Lobbygruppen für Hedgefonds und Private-Equity-Firmen AIMA (Alternative Investment Management Association) und EVCA (European Private Equity and Venture Capital Association)
    • die Royal Bank of Scotland
    • Goldman Sachs und die Vereinigung der Derivatehändler (ISDA)

Lobbypedia

Im Oktober 2010 startete der Verein die Webseite Lobbypedia, die als Online-Lexikon über Lobbyismus aufklären soll. In thematisch sortierten Artikel werden Fälle von Lobbyismus dokumentiert; eine Schnittstelle für Whistleblower ist geplant.[22][23]

Einzelnachweise

  1. Tagungsband: Gesteuerte Demokratie, Hamburg 2004.
  2. sueddeutsche.de: Stadtführer mit Gruseleffekt. 17. Dezember 2008, abgerufen am 15. Februar 2009.
  3. Eigene Darstellung der Finanzen
  4. Jahresbericht2006.pdf
  5. Jahresbericht 2009
  6. Christiansen-Studie von LobbyControl (Kurzfassung, pdf)
  7. Sabine Christiansen – Schaubühne der Einflussreichen und Meinungsmacher in: LobbyControl-Blog
  8. Einseitige Christiansen? in: Zeit online, 6. September 2006
  9. Schröder schickt den Anwalt, in LobbyControl, 30. November 2007
  10. Ex-Kanzler Schröder mahnt Weblog ab in Der Spiegel, 3. Dezember 2007
  11. Keine Lobbyisten in Ministerien, Studie von LobbyControl
  12. Lobbyisten-Liste enthüllt Einfluss in Ministerien, Der Spiegel, 26. Juli 2007
  13. http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2009/12/heute-ubergeben-wir-den-lobbyregister-appell-an-den-bundestag/ LobbyControl-Blog: Heute übergeben wir den Lobbyregister-Appell an den Bundestag; Pressemitteilung-firmenpresse.de: Lobbyregister-Appell an Bundestag überreicht, 17. Dezember 2009
  14. LobbyControl: Kurzstudie: Die verdeckte Einflussnahme der Deutschen Bahn für die Bahnprivatisierung und gegen den GDL-Streik: http://www.lobbycontrol.de/blog/wp-content/uploads/die-verdeckte-einflussnahme-der-deutschen-bahn.pdf
  15. Bahn zahlte Millionen für Täuschung. In: Handelsblatt, 29. Mai 2009
  16. Deutsche Bahn erneut im Zwielicht (nicht mehr online verfügbar). tagesschau.de, 29. Mai 2009
  17. http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2009/07/erneut-verdeckte-meinungsmache-heute-biosprit/
  18. http://www.heise.de/tp/blogs/2/141952
  19. Offizielle Homepage des Preises
  20. Negativ-Preis für deutsche Lobby-Arbeit (nicht mehr online verfügbar) in tagesschau.de, 4. Dezember 2007
  21. Spiegel Online: Lobby-Wächter küren Europas dreisteste Strippenzieher, abgerufen am 13. Oktober 2010
  22. Blogeintrag von LobbyControl zum Start der Plattform
  23. Lobbypedia: Lobbyismus transparent machen im Open Data Blog von Zeit Online

Publikationen von Vereinsmitgliedern

  • Ulrich Müller, Sven Giegold, Malte Arhelger (Hg.): Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen. VSA-Verlag, Hamburg 2004.

Weblinks


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