Linde-Verfahren

Linde-Verfahren

Das Linde-Verfahren ist eine 1895 von Carl von Linde entwickelte technische Methode, welche die Verflüssigung von atmosphärischen Gasen und Gasgemischen wie Luft, Sauerstoff, Stickstoff und Argon in großen Mengen ermöglicht und in diesem Sinne der Kälteerzeugung im Temperaturbereich von 77 bis 100 Kelvin (K) dient.

Obwohl anfangs nur für akademische Zwecke verwendet, kam es bereits 1902 zur ersten echten industrielle Anwendung als wichtiger Teil der ebenfalls von Carl von Linde entwickelten Luftzerlegungsanlage (technische Abkürzung: LZA). Auch heute noch werden Luftzerlegungsanlagen großtechnisch genutzt, um gasförmigen und flüssigen Sauerstoff (GOX und LOX), Stickstoff (GAN und LIN) und Edelgase herzustellen. Zur Kälteerzeugung wird das Linde-Verfahren in seinem ursprünglichen Aufbau hingegen nicht mehr verwendet, da inzwischen effizientere technische Umsetzungen (Hubkolbenexpander oder Entspannungsturbinen) entwickelt wurden. Deren Kälteerzeugung basiert aber wie das Linde-Verfahren auf dem Joule-Thomson-Effekt.

Inhaltsverzeichnis

Prinzip

Das Linde-Fränkl-Verfahren

Das Entspannen eines realen Gases wird von einer Änderung seiner Temperatur begleitet, das abstrakte Modell des idealen Gases zeigt diesen Effekt nicht. Ob die Temperaturänderung in Form von Abkühlung oder Erwärmung auftritt, hängt davon ab, ob die Inversionstemperatur (also die Temperatur, bei welcher der Joule-Thomson-Koeffizient des Gases einen Vorzeichenwechsel erfährt) überschritten ist. Befindet sich das System über der Inversionstemperatur, so erwärmt sich das Gas bei Expansion (genauer: isenthalper Expansion, die Enthalpie ändert sich durch die Volumenänderung nicht), geringere Temperaturen haben eine Abkühlung zur Folge; dieser Effekt wird im Linde-Verfahren genutzt.

Um die für viele Gase niedrige Siedetemperatur zu erreichen (für Sauerstoff −183 °C, für Stickstoff −196 °C), benutzt man das entspannte Gas im Gegenstromprinzip zur Vorkühlung des verdichteten Gases.

Anwendung

Vereinfachung des Linde-Verfahrens

Das Linde-Verfahren wurde früher zur Abkühlung von atmosphärischen Gasen Sauerstoff, Stickstoff sowie Argon und anderen Edelgase bis zur Verflüssigung benutzt.

Luftverflüssigung

Ein Kompressor verdichtet die Luft auf einen Druck von ca. 200 bar. Dabei erhöht sich ihre Temperatur um ca. 45 Kelvin, also beispielsweise von +20°C auf ca. +65°C. In einem ersten Wärmetauscher wird die verdichtete, erhitzte Luft dann vorgekühlt und die Temperatur wieder in den Bereich der Umgebungstemperatur zurückgeführt. Dabei wird Wärme aus dem Luftverflüssigungssystem in die Umgebung abgegeben. Die Luft wird zunächst gewaschen und über ein Molsieb von Wasserdampf, Staub, Kohlenwasserstoffen, Lachgas und Kohlendioxid befreit. Kohlenwasserstoffe und Lachgas können zu einer Verpuffung oder sogar einer Explosion in der Rektifikationssäule führen. Anschließend wird die Luft über eine Turbine entspannt, wobei die Temperatur der Luft bis kurz vor den Verflüssigungspunkt absinkt. Anschließend wird die Luft noch über ein Entspannungsventil geleitet, wobei dort die Luft dann den Verflüssigungspunkt ( ca. −170 Grad Celsius ) erreicht.

Dem oberbayerischen Ingenieur Fränkl gelang es, die Gegenstromrekuperatoren durch Regeneratoren zu ersetzen. Diese lassen sich weitaus kleiner, preiswerter und leistungsfähiger bauen als Gegenstromrohrbündeltauscher. Diese Erfindung wurde vom Unternehmen Linde AG übernommen und unter dem Namen Linde-Fränkl-Verfahren vermarktet. Das Verfahren mit Regeneratoren wurde erfolgreich bis ca. 1990 angewandt, bis eine neuere Technologie aufkam, die wieder rekuperative Gegenstrom-Plattenwärmetauscher mit vorgeschalteter adsorptiver Trocknung und Reinigung beinhaltete.

In einem offenen Gefäß unter Atmosphärendruck nimmt flüssige Luft eine Temperatur von etwa −190 °C = 83 K an. Dabei siedet sie, so dass ihre niedrige Temperatur erhalten bleibt, denn dadurch wird der flüssigen Luft Verdampfungswärme entzogen. Die Menge der absiedenden Luft regelt sich so ein, dass die durch Wärmeleitung oder Einstrahlung zugeführte Wärme gleich der verbrauchten Verdampfungswärme ist. Je nach Größe und Isolierung des Behälters kann so die flüssige Luft einige Stunden bis viele Tage erhalten bleiben. Flüssige Luft darf jedoch keinesfalls in verschlossenen Behältern ohne Sicherheitseinrichtungen und entsprechender Auslegung aufbewahrt werden, da der durch allmähliche Erwärmung steigende Innendruck diese sonst zum Bersten bringt.

Fraktionieren der verflüssigten Luft

Siedender Stickstoff in einem Metallbecher (−196 °C)

Flüssige Luft kann mittels Fraktionieren in ihre Bestandteile zerlegt werden, indem mithin die unterschiedlichen Siedepunkte der einzelnen Luftbestandteile ausgenutzt werden. Allerdings liegen die Siedepunkte von Sauerstoff und Stickstoff sehr dicht zusammen. Man benutzt daher eine Rektifikationssäule: Die flüssige Luft läuft über mehrere Rektifikationsböden im Gegenstrom zum aufsteigenden Gas nach unten. Sie nimmt den Sauerstoff aus dem Gas auf und gibt Stickstoff ab. Die Rektifikation wird bei einem Druck von ca. 5–6 bar durchgeführt. Dadurch wird die Flüssigkeit sauerstoffhaltiger, das Gas stickstoffhaltiger.

Verflüssigung von Wasserstoff und Helium

Um das Linde-Verfahren zur Wasserstoff- und Helium-Verflüssigung anwenden zu können, muss man diese Gase erst unter die Inversionstemperatur Ti vorkühlen. Dies geschieht in der Regel mit flüssiger Luft. Das schließlich erhaltene flüssige Helium siedet unter Atmosphärendruck bei 4,2 K. Dies ist der niedrigste Siedepunkt aller Elemente. Durch Abpumpen des Helium-Gases über dem siedenden Helium wird letzterem Verdampfungswärme entzogen, so dass sich seine Temperatur weiter senken lässt. Da der Dampfdruck mit der Temperatur aber sehr stark abfällt, erreicht man mit diesem Verfahren keine tiefere Temperatur als 0,84 K; zu ihr gehört der Dampfdruck 0,033 mbar.

Physikalische Grundlagen

Das Linde-Verfahren beruht auf dem Joule-Thomson-Effekt: Im idealen Gas üben die Teilchen keine Wechselwirkung aufeinander aus, weshalb die Temperatur des idealen Gases nicht vom Volumen abhängt. Bei realen Gasen hingegen gibt es Wechselwirkungen, die man mit Hilfe der Van-der-Waals-Gleichung beschreibt. Der Energiegehalt des realen Gases ändert sich auch bei adiabatischer (ohne Wärmeaustausch) Entspannung, ohne dass äußere Arbeit verrichtet wurde. Das ist durch die Temperaturänderung nachweisbar.

Verbindet man zwei Gasbehälter mit einer porösen Wand und drückt das im Raum 1 unter Druck stehende Gas mit einem Kolben langsam durch diese Membran, die zur Verhinderung von Wirbeln und Strahlbildung dient, in Raum 2, der unter einem konstanten, aber geringeren Druck als Raum 1 steht, dann stellt sich ein kleiner Temperaturunterschied zwischen den beiden Räumen ein. Er beträgt bei Kohlenstoffdioxid etwa 0,75 K pro bar Druckdifferenz, bei Luft etwa 0,25 K.

Erklärbar ist das, wenn man bedenkt, dass im Raum 1 das Volumen V1 entfernt wurde. Der Kolben hat dem Gas die Arbeit p1V1 zugeführt. Die Gasmenge taucht im Raum 2 auf und muss die Arbeit p2V2 gegen den Kolben leisten. Die Differenz der Arbeit ist als innere Energie dem Gas zugute gekommen.

p_1 \cdot V_1 - p_2 \cdot V_2 = U_2 - U_1 bzw. U_1 + p_1 \cdot V_1 = U_2 + p_2 \cdot V_2

Die Enthalpie H = U + p \cdot V bleibt konstant. Dazu kommt beim Van-der-Waals-Gas noch die kinetische Energie \frac{1}{2} f R T und die potentielle Energie -\frac{a}{V} , die sich als Arbeit gegen die Kohäsionskräfte der Teilchen ergibt. Sie steht in enger Verbindung mit dem Binnendruck a \over V^2 und ergibt sich aus einer Volumenintegration.

Damit ergibt sich unter der Berücksichtigung der Van-der-Waals-Gleichung:

H = U + p V =\frac{1}{2}fRT-\frac {a}{V} + \left( \frac{RT}{V-b}-\frac{a}{V^2}\right)\cdot V=RT\left(\frac{f}{2}+\frac{V}{V-b} \right)-\frac{2a}{V}


Weil die Enthalpie erhalten bleibt, gilt daher für das totale Differential:

dH = \frac{\partial H}{\partial V}dV + \frac{\partial H}{\partial T}dT = 0

Umgeformt nach der Änderung der Temperatur dT ergibt sich:

dT=- \frac{\dfrac{\partial H}{\partial V}dV}{\dfrac{\partial H}{\partial T}} = \frac{ \dfrac{bT}{(V-b)^2}-\dfrac{2a}{RV^2}}{\dfrac{f}{2} + \dfrac{V}{V-b}} dV \approx \frac{bRT - 2a}{\left(\dfrac{1}{2}f +1 \right)RV^2} dV

Der Zähler ist bei hoher Temperatur positiv. Er wechselt sein Vorzeichen bei der Inversionstemperatur T_i = {2a \over Rb}.

Die kritische Temperatur für ein Van-der-Waals-Gas ist T_k = {8a \over {27 R b}} also T_i = 6{,}75\,T_k.

Oberhalb von Ti erwärmt sich ein Gas bei Entspannung, unterhalb kühlt es sich ab. Für Kohlenstoffdioxid und Luft liegt Ti deutlich über der Zimmertemperatur, für Wasserstoff dagegen bei −80 °C.

Ein hoher Wert der Van-der-Waals-Konstanten a bewirkt daher, dass die Temperatur bei Entspannung des realen Gases stark absinkt. Das ist logisch, denn bei Volumenvergrößerung entfernen sich die Moleküle voneinander und müssen dabei Arbeit gegen die durch a charakterisierten Anziehungskräfte verrichten. Diese Arbeit vermindert die kinetische Energie der Moleküle und damit die Temperatur des Gases.

Literatur

  • Christian Gerthsen, Kneser, Vogel: Physik: ein Lehrbuch zum Gebrauch neben Vorlesungen. 14. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 1982. ISBN 3-540-11369-X (782 S.). Kapitel 5.6.6 und 5.6.7.
  • Georg Veranneman: Technische Gase. Herstellung, Verteilung, Anwendung. 4., neu bearb. u. erw. Aufl. Verlag Moderne Industrie, o.O., 1988. ISBN 3-478-93229-7 (broschiert, 70 Seiten).

Weblinks


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