Leyenda negra

Leyenda negra
Detail aus „Die Geschichte Mexikos“, von Diego Rivera, (1929-1935)

Der Begriff der leyenda negra, der „Schwarzen Legende“", wurde in Spanien geschaffen, um dem Vorwurf zu begegnen, die Spanier seien an sich ein fanatisches, brutales, rücksichtsloses, menschenverachtendes, menschenmordendes Volk. Mit der „Schwarzen Legende“ haben spanische Historiker lange Zeit operiert, um Vorwürfe besonderer spanischer Grausamkeit als antispanische Propaganda darzustellen. Diese Vorwürfe bezogen sich vor allem auf

Wurde in der frühen Neuzeit noch das Vorurteil gepflegt, dass angeblich Faulheit, Priesterherrschaft und Blutrünstigkeit unausrottbar im spanischen Nationalcharakter verwurzelt seien, wandelte sich zwar mit der Zeit die Wahrnehmung Spaniens, ohne allerdings den deutlich negativen Grundton zu verlieren. Der Historiker Gerald Brenan[1] fasst den Inhalt der „leyenda“ während des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts dahingehend zusammen, dass Spanien „als eine Art Balkan-Nation mit glorreicher Geschichte“ angesehen worden sei. Der spanische Diktator Francisco Franco bezog sich mit der Parole „Spanien ist anders“ (als das übrige Europa) auf die leyenda negra.

Der Ausdruck wurde geprägt von Julián Juderías (1877-1918) in seinem Werk La leyenda negra y la verdad histórica.

Bis heute geht dabei die Auseinandersetzung darum, ob nicht von angloamerikanisch-protestantischer Seite Spaniens Kolonisation Amerikas durch übertriebene Berichte über Gräueltaten herabgewürdigt werde.

Die "leyenda negra" wurde dabei der spanische Kampfbegriff für alle gegen besondere spanische Grausamkeit erhobenen Vorwürfe. Er ist vergleichbar dem von der USA vorgetragenen Begriff des „Antiamerikanismus" oder dem Begriff des „Antikommunismus" bzw. „Antisowjetismus" von sowjetischer Seite, wenn die imperialistische Politik der betreffenden Staaten kritisiert wurde.

In der Kontroverse um die leyenda negra werden einerseits historische Ereignisse aus ihrem Kontext losgelöst betrachtet und zur Festigung oder Verstärkung nationalistischer Vorurteile benutzt bzw. ähnliche historische Vorgänge in den eigenen Ländern völlig ausgeblendet. Andererseits werden in Spanien historische Ereignisse, die aus heutiger Sicht eine enorme Gewaltanwendung und gelegentlich ein rassistisches Verständnis offenbaren, oftmals glorifiziert, wie zum Beispiel bei der Feier zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus.

Dem gegenüber steht die „leyenda rosa", die „Rosa Legende", nach der Spanien Amerika christianisiert, den Indios Kultur und Gesetz gebracht und lediglich die „arabische Besetzung" und „Überfremdung" Spaniens beendet habe.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Seit dem 13. Jahrhundert dominierte die Krone Aragón das spanische Königreich, dessen Hauptstadt Saragossa war, das Katalonien mit Barcelona als der wichtigsten Stadt des Königreichs beherrschte. Auch Neapel, Sardinien und Sizilien wurden von Saragossa beherrscht, was in Süditalien einen großen Hass gegen die Katalanen erzeugte. Der valenzianische Papst Alexander VI. wurde zu einer mythischen Schurkengestalt, mit dessen Namen sich zahllose Legenden und Anekdoten verbanden. Kardinal Giuliano della Rovere charakterisierte Alexander VI. folgendermaßen: ein Katalane, Marrane und beschnitten. Sverker Arnoldsson folgend, beruhen die italienischen Vorurteile gegen Spanier nicht nur auf wirtschaftlichen und politischen, sondern überwiegend auf kulturellen und rassistischen Gründen: Jahrhundertelange Mischung der Spanier mit Orientalen und Afrikanern plus jüdischen und islamischen Einfluss auf die spanische Kultur bewirkte die weitverbreitete Ansicht, die Spanier seien eine minderwertige Rasse von zweifelhaftem Glauben.

Die klassischen Quellen

Die spanische Inquisition war das wichtigste und beliebteste Thema der leyenda negra im 16. Jahrhundert. Dabei existierte die Inquisition bereits in vielen europäischen Ländern, bevor sie von Ferdinand II. in Spanien eingeführt wurde, um gegen Conversos, konvertierte Juden und Muslime, vorzugehen und sie zu bestrafen, wenn die Aufrichtigkeit ihrer Konversion zum Katholizismus bezweifelt wurde.

Möglicherweise um die in Italien und anderswo verbreiteten o. g. Vorurteile zu widerlegen, sicher aber um die in Regionen, unterschiedliche Monarchien und verschiedene Religionen aufgeteilte, neu entstehende Nation in frühabsolutistischer Manier zu erzwingen, erließen die katholischen Könige Isabella I. und Ferdinand II. ein Edikt, das alle Juden vor die Wahl stellte, sich entweder taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Etwa 50.000 Juden ließen sich taufen. Als offenkundig wurde, dass viele Juden emigrieren wollten, wurden die ohnehin harten Bestimmungen des Erlasses nicht mehr eingehalten. Viele der Emigranten wurden ihrer Vermögen beraubt und mussten das Land mittellos verlassen. Etwa 20.000 Juden verloren in den Wirren der Vertreibung ihr Leben. Nicht wenige Conversos ließen sich zwar nach außen hin als Christen taufen und besuchten die Messe, hielten sich jedoch innerlich nicht an die Dogmen der Kirche, sondern an die traditionellen jüdischen Zeremonien und Speisevorschriften, heirateten untereinander, besuchten heimlich die Synagoge und erzogen ihre Kinder nicht allein im katholischen, sondern im jüdischen Glauben. Der erste Erzbischof von Granada, Hernando de Talavera, bemühte sich um religiöse Unterweisung der überwiegend moslemischen Bevölkerung, um arabische Sprachkenntnisse seines Klerus und um Übersetzungen von Katechismus und Kirchenliedern. Er lehnte die Inquisition und die Ausübung von Druck ab. 1499 setzte jedoch Kardinal Jiménez de Cisneros als Großinquisitor Zwangsmaßnahmen und Repressalien gegen Moslems durch, aber nicht nur gegen sie: Jene ca. 50.000 Juden, die sich im Zuge der Reconquista hatten taufen lassen, wurden von den cristianos viejos, den alten Christen, als cristianos nuevos oder Marranos bezeichnet und ihre rassische Diskriminierung gefordert (limpeza de sangre). Auf Betreiben Cisneros wurden schon am 18. Dezember 1499 in Toledo 4.000 Mauren öffentlich getauft und der Koran in Granada verbrannt. Eine unvollständige Namensliste aus Granada berichtet von über 9.000 Personen, die sich in panischer Furcht taufen ließen. 1502 nahm ein Edikt jetzt auch offiziell die in der Kapitulationsurkunde zehn Jahre zuvor den Moslems gewährte Religionsfreiheit. Alle conversos, also mehr als 300.000 Juden und Mauren, die zum katholischen Glauben übergetreten waren, sahen sich nun einem tödlichem Misstrauen ausgesetzt.

Einige der wichtigsten Beiträge für die Legende kamen von zwei Protestanten: Dem Engländer John Foxe, Autor des Book of Martyrs (= Buch der Märtyrer; 1554) und dem Spanier Reginaldo González de Montes, Autor von Exposición de algunas mañas de la Santa Inquisición Española (= Bericht über einige Listen der Heiligen Spanischen Inquisition; 1567).

Ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Legende resultierte aus spanischer Selbstkritik: Das spanische System der Encomienda und des Repartimiento war immer wieder Gegenstand von Kritik und Polemik vor allem durch Dominikanermönche. Bereits am 21. Dezember 1511 hielt der Dominikaner Antonio de Montesino in Santo Domingo eine aufsehenerregende Predigt gegen die grausame Behandlung der Indígenas: Mit welchem Recht und welcher Gerechtigkeit haltet ihr diese Indios in solch grausamer und schrecklicher Dienstbarkeit? Mit welcher Autorität habt ihr solche verabscheuenswürdigen Kriege gegen diese Menschen geführt, die still und friedlich in ihren Landen gelebt haben und wo ihr Unzählige von ihnen mit Tod und unerhörten Verheerungen zugrunde gerichtet habt? Wie könnt ihr sie so bedrückt und beschwert halten, ohne ihnen zu essen zu geben und ihre Krankheiten zu heilen, Folgen der übermäßigen Arbeit, zu der ihr sie zwingt und durch die sie euch wegsterben, besser gesagt, ihr tötet sie, um jeden Tag Gold zu graben und zu erwerben? Damit war die Legitimität der spanischen Kolonisierung Amerikas in Zweifel gezogen worden. Der Skandal war enorm. König und Ordensgeneral rügten Montesinos sofort öffentlich, doch der beugte sich nicht. Die Kontroverse ließ sich nicht auf die theologisch-moralische Ebene begrenzen, sondern stellte ein Politikum dar, dessen Konsequenz im Dezember 1512 die leyes de Burgos (= die Gesetze von Burgos) waren: Darin wurde festgelegt, dass die Indígenas als freie Menschen behandelt und zum katholischen Glauben bekehrt werden sollten.

1542 veröffentlichte der Dominikanermönch Bartolomé de las Casas sein Brevísima relación de la destrucción de las Indias (= Kurzgefasster Bericht über die Verwüstung der westindischen Länder) - eine polemische Streitschrift, der die Exzesse und gewohnheitsmäßig verübten Gräueltaten anprangerte, die die Kolonisierung begleiteten, in der er die Indígenas mit wehrlosen Lämmern verglich und die Spanier für den Mord an zahlreichen Arawaks auf der Insel La Española (die sich heute die Dominikanische Republik und Haiti teilen) verantwortlich machte.

Eine weitere frühe Quelle ist Girolamo Benzonis Historia del Mondo Nuovo (= Geschichte der Neuen Welt), die 1565 erstmalig in Venedig publiziert wurde.

Die Taten des Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba in den Niederlanden, der die Häresie und politische Unruhen im August 1567 auslöschen wollte, gaben in einem Teil Europas der leyenda negra Nahrung. Das Argument, der Buchdruck sei eine Quelle abweichender Meinungen, verschaffte Alba eine wirksame Kontrolle über die Buchdruckereien. In einem Jahr wurden einige Drucker verbannt und einer letztlich exekutiert. Buchhändler und –drucker wurden durchsucht, um verbotene Bücher zu finden; viele gelangten zusätzlich auf den Index librorum prohibitorum, den päpstlichen Zensurindex für verbotene Bücher. 1576 griffen spanische Truppen Antwerpen an und plünderten es drei Tage, eine Tat, die als „Spanische Raserei“ in die Geschichte einging. Die Soldaten wüteten mordend und brandschatzend in der Stadt, forderten Geld von den Bürgern und fackelten die Häuser derjenigen ab, die sich weigerten oder nicht zahlen konnten. Plantins Druckerei wurde drei Mal mit Zerstörung bedroht, konnte aber durch die Zahlung von Lösegeld jedes Mal gerettet werden. Antwerpen war wirtschaftlich ruiniert und Plantins Geschäft erlitt starke Verluste.

Ein anderer Kritiker der Spanier war Antonio Pérez, der gestürzte Sekretär des spanischen Königs Felipe II.. Pérez floh nach England, wo er einige Schmähschriften gegen die spanische Monarchie unter dem Titel Relaciones (= Berichte) 1594 veröffentlichte.

Diese Bücher wurden von den Niederländern im Kampf um ihre Unabhängigkeit von Spanien intensiv genutzt und von den Engländern aufgegriffen, um ihre Piraterie und ihre Kriege gegen die Spanier zu rechtfertigen. Das Buch von Foxe war eines der Lieblingsbücher von Francis Drake. Die beiden nördlichen Nationen England und Niederlande waren nicht nur wachsende Rivalen Spaniens im einsetzenden weltweiten Kolonialismus, sondern auch Festungen des Protestantismus, während Spanien das mächtigste katholische Land der Epoche war.

Die Gefangennahme von Don Carlos durch seinen Vater, König Philipp II. von Spanien, und der anschließende mysteriöse Tod des Prinzen trugen ebenfalls zur leyenda negra bei.

Im 17. Jahrhundert, als Barcelona, die Hauptstadt Kataloniens, nicht von der kastilisch dominierten spanischen Monarchie absorbiert werden wollte, wurden hier viele Schmähschriften produziert.

Die Aufklärung

1770 veröffentlichte Guillaume Thomas François Raynal L'Histoire philosophique et politique des établissements et du commerce des Européens dans les deux Indes (= Die philosophische und politische Geschichte der Gründung und des Handels der beiden Indien, womit Ostindien, also Asien und Westindien, also Amerika gemeint waren).

Während der Epoche der Aufklärung inspirierten die Gefangennahme und der oben erwähnte Tod Don Carlos' Friedrich Schiller 1787 zu seinem Theaterstück Don Carlos, Infant von Spanien und später Giuseppe Verdi zu der Oper Don Carlos.

Romantische Reisende

Im 19. Jahrhundert erfanden viele Schriftsteller ein mythisches Andalusien: Washington Irving, Prosper Mérimée, George Sand, Theophile Gautier, Wassili Botkin u. a. In ihren Schriften wurde Spanien zu einem Orient der westlichen Welt (Afrika beginnt in den Pyrenäen), einem exotischen Land voll von Banditen, wirtschaftlichem Niedergang, Zigeunern, Ignoranz, machismo, Matadoren, Mauren, Leiden, politischem Chaos, Armut und fanatischer Religiosität. Von dieser Literatur lebt die Figur des Latin Lover noch immer. Auch in der klassischen Musik trugen Georges Bizet mit Carmen 1875 und Nikolai Rimski-Korsakow mit Capriccio espagnol 1887 zu diesem Topos bei.

Moderne Untersuchungen

Marcel Bataillon (* 1895, † 1977) enthüllte 1937 in seinem Buch Erasme et L’Espagne (Erasmus und Spanien) den Einfluss, den der Humanist Erasmus von Rotterdam und seine Ideen in Spanien genossen, was im Gegensatz zum Stereotyp des Landes als einem Monolith des fanatischen Katholizismus stand.

Erst kürzlich durchgeführte genetische Untersuchungen widersprechen der Theorie vom totalen spanischen Völkermord in der Karibik. Eine Analyse der Mitochondrien und Y-Chromosomen zeigte, dass 62 % der Puerto Ricaner indigene Vorfahren haben und über 70 % zudem auch eine europäische Herkunft.

Leyenda negra in den Vereinigten Staaten von Amerika

In seinem Buch Tree of hate (Baum des Hasses) schrieb Philip Wayne Powell, dass die USA die leyenda negra von der britischen Kolonisierung Amerikas ererbt hätten. Die angelsächsischen Vorurteile gegen die Spanier seien im 19. Jahrhundert auf die Mexikaner übertragen worden.

Die Verbreitung der Legende durch US-Massenmedien und die US-Regierung gilt bisweilen als Rechtfertigung der Aktionen der USA gegen Spanien und die lateinamerikanischen Staaten, z. B. im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg, im Spanisch-Amerikanischen Krieg oder bei der Kolonisierung der Philippinen nach dem Philippinisch-Amerikanischen Krieg. Als Beispiele dienen Hinweise auf die Ideologie der leyenda negra in der modernen Literatur und in Filmen, z. B. in Steven Spielbergs Amistad.

Demgegenüber meint die Gegenseite, dass in den USA noch 400 Jahre nach dem Beginn der spanischen conquista in Amerika, als die schlimmsten Auswüchse spanischer Kolonialpolitik bereits durch Gesetze abgemildert worden waren, die Indianer in den USA und die Aborigines in Australien in Reservaten in den Wüsten eingepfercht und viele schottische Clans während der sogenannten "Räumungen" seit Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Hochland und von den schottischen Inseln vertrieben wurden. Eine Politik, die mit gewaltsamer Christianisierung und Erziehung (Abschaffung indigener Namen, Verbot indigener Sprache, Kleidung und Frisuren, Musik, Tanz, Bräuche, Zwangsadoptionen etc.) auf die völlige Auslöschung der indigenen Kultur und Identität abzielte, wurde in den USA noch bis in die 1920er Jahre und in Australien bis in die frühen 1960er Jahre betrieben. Das Massaker an den Sioux bei Wounded Knee fand 1890 statt, als selbst die spanische Inquisition bereits abgeschafft war.

Leyenda rosa

Im Gegensatz zur leyenda negra, zur "Schwarzen Legende" steht die leyenda rosa, die "rosa Legende". Bemerkenswert ist dabei, dass Spanien als außerordentlich wohlwollendes Land während der Eroberung Amerikas geschildert wird.

So wird z. B. in der leyenda rosa im Hinblick auf die spanische Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés betont, dass seine Truppe zu großen Teilen aus indigenen Feinden und abgefallenen Vasallen des Aztekischen Reichs bestanden; auch wird den höchst übertriebenen Schätzungen bezüglich aztekischer Menschenopfer und Kannibalismus vertraut.

Offenbar waren einige der an der spanischen Eroberung Amerikas Beteiligten mehr als nur beiläufig an der Wohlfahrt der Indígenas interessiert. Es gibt kein englisches oder französisches Gegenstück zu Bartolomé de las Casas, aber dies bedeutet nicht, das Engländer und Franzosen nicht an vergleichbaren Gräueltaten beteiligt waren: Es gibt Grund zu der Auffassung, dass unter ihnen einfach keiner Las Casas Eloquenz und abweichende Meinung besaß. Spanien hat relativ früh, 1542 dank Las Casas Engagement, königliche Erlasse ("Leyes Nuevas") herausgegeben, mit denen der Besitz, Erwerb und die Gefangennahme indianischer Sklaven verboten wurde. Die Neuen Gesetze aber werden in Amerika von den Vizekönigen und Gouverneuren mit Methode hintertrieben: "se obedece, pero no se cumple" (= man gehorcht, aber man führt [die Befehle] nicht aus). Sie konnten nie praktisch angewandt werden und mussten bereits 1545 teilweise zurückgenommen werden. Zusammen mit den Burgos-Gesetzen bildeten die Neuen Gesetze das Indianische Recht.

Ebenso neigen Vertreter der leyenda rosa dazu, die Spanische Inquisition zu relativieren, indem sie einen Bezug zu bestehenden Institutionen im restlichen Europa herstellen (z. B. die Unterdrückung der Katharer in Frankreich, Italien u. a.; die bereits bestehende Inquisition in verschiedenen Teilen Italiens, die Hexenverfolgung durch die Inquisition in Deutschland, Österreich und der Schweiz) und auf die einzigartige Situation Spaniens nach der Befreiung von der muslimisch-maurischer Herrschaft hinweisen. Oft wird dabei die Inquisition mit den französischen Religionskriegen, Oliver Cromwells Unterdrückung der Royalisten in Irland oder der Hexenverfolgung in vielen protestantischen Ländern verglichen.

Die Schätzungen über die Opfer der Inquisition divergieren sehr stark: Juan Antonio Llorente, ein ehemaliger Beamter des Heiligen Offiziums, der spanische Archivunterlagen besaß, sprach von 340.000 Verurteilten im Laufe der 364 Jahre, von denen 31.912 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden seien. Heutige Historiker sprechen gelegentlich von ca. 500 vollstreckten Todesurteilen in den rigorosesten, ersten 100 Jahren und einer sehr viel geringeren Gesamtzahl von Toten. Angesichts der schrecklichen Zahl von ca. 22.000 Toten allein in der Bartholomäusnacht 23./24. August 1572 in Frankreich überrascht die vergleichsweise geringe Zahl in Spanien.

Wegen der Ausrottung der Bevölkerung und Kultur verweisen die Verfechter der leyenda rosa darauf, dass die Demographie vieler lateinamerikanischer Länder heute Spaniens Anspruch auf Wohltat unterstütze. Selbst heute stellen die Nachkommen der Indígenas die Basis einer Bevölkerung in einigen Ländern (Peru, Bolivien, Guatemala, Mexiko) die einst zum spanischen Imperium in Amerika und den Philippinen gehörten. Immerhin überlebten in Spanisch-Amerika mehrere Millionen Indígenas die Kolonialgeschichte, während von den 10 bis 12 Mio. Native Americans und ihren 500 Nationen nach einer Volkszählung in den USA 1980 gerade einmal 230.000 Menschen die angloamerikanische Kolonialpolitik überstanden.

Einige indigene Sprachen haben den Rang einer offiziellen Co-Landessprache in Lateinamerika erhalten (Quechua in Bolivien und Peru, Aymara in Bolivien, Guaraní in Paraguay). Es ist wahrscheinlich, dass spanische Priester Quechua über seine ursprünglichen geographischen Grenzen hinaus exportierten. Diese aktive Ausweitung einer indigenen Sprache durch Europäer besitzt kein Gegenstück in den amerikanischen Ländern, die ursprünglich durch die anderen europäischen Mächte kolonisiert wurden, auch nicht in Australien oder Neuseeland (obwohl die Māori-Sprache in Neuseeland in ihrem offiziellen Co-Status ein vergleichbarer Fall zu Guaraní in Paraguay ist).

Die leyenda rosa betrachtet den Sklavenhandel als ein arabisches und afrikanisches Problem und spielt die Rolle Spaniens durch Hinweise auf England, Dänemark und Portugal herab.

Heinz Dietrich schreibt in seinem Artikel "Emanzipation und lateinamerikanische Identität: 1492 - 1992" im Band "Die Neuentdeckung Amerikas", Göttingen 1990, S. 60f: "In der Regel ist die Zerstörung der etablierten Persönlichkeit eines historischen Subjekts ein Prozeß extremer Gewalt, der mittels der massiven Anwendung von Terror durchgeführt wird...Dem spanischen Nationalcharakter eine spezifische Disposition zur Quälerei oder Brutalität zuzuschreiben oder etwa die angelsächsischen Kolonisationen als humanere darzustellen, heißt, in ideologische Verzerrungen der historischen Wirklichkeit einzutreten. Die deutsche Kolonisation in Afrika, die britische in Indien und Nordamerika, die französische in Nordafrika und Indochina, die belgische und portugiesische in Mittelafrika, die holländische in Indonesien, alle sind gekennzeichnet durch die unbamherzige Unterdrückung, Ausplünderung und, wenn nötig, den Genozid der unterworfenen Völker. Der Terror der Kolonisatoren resultiert nicht aus irgendwelchen national-psychologischen Faktoren oder Idiosynkrasien, sondern aus der Entscheidung bestimmter Machteliten, gewisse gesellschaftliche Gruppen oder ganze Nationen für die eigene Bereicherung arbeiten zu lassen. Wenn diese Entscheidung gefällt ist, finden sich in jeder Gesellschaft Henker und Folterer in ausreichender Zahl, um das gewünschte Ziel zu erreichen... ."

Bestandteile der leyenda negra

Literatur

Quellen

  1. Gerald Brenan, Die Geschichte Spaniens. Über die sozialen und politischen Hintergründe des Spanischen Bürgerkrieges (engl. Originaltitel: The Spanish Labyrinth), Karin Kramer Verlag Berlin, 1978, ISBN 3-87956-034-X

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