Letztes Jahr in Marienbad

Letztes Jahr in Marienbad
Filmdaten
Deutscher Titel Letztes Jahr in Marienbad
Originaltitel L’année dernière à Marienbad
Produktionsland Frankreich
Italien
Originalsprache Französisch
Erscheinungsjahr 1961
Länge 94 Minuten
Altersfreigabe FSK ab 16
Stab
Regie Alain Resnais
Drehbuch Alain Robbe-Grillet
Produktion Pierre Courau
Raymond Froment
Musik Francis Seyrig
Kamera Sacha Vierny
Schnitt Jasmine Chasney
Henri Colpi
Besetzung

Letztes Jahr in Marienbad (franz. L'année dernière à Marienbad) ist ein französischer Spielfilm von Alain Resnais aus dem Jahr 1961 nach einem Drehbuch von Alain Robbe-Grillet. Er stellt nach Hiroshima mon amour seinen zweiten und noch konsequenteren Versuch dar, die Struktur des Nouveau Roman in den Film zu übertragen.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

In einem luxuriösen Grand Hotel versucht ein Mann eine Frau davon zu überzeugen, dass sie sich im Jahr zuvor am selben Ort schon einmal getroffen und sich für dieses neuerliche Treffen verabredet haben. Die Frau kann sich an nichts erinnern (oder gibt vor, sich an nichts erinnern zu können). Die männlichen Gäste machen Schießübungen auf Mannscheiben. Ein Spieler, der ein Spiel spielt, das er immer gewinnt, entpuppt sich als der Ehemann der Frau. Zum Schluss verlassen der Mann und die Frau gemeinsam das Grand Hotel.

Hintergrund

Die Premiere des Films in Frankreich war am 25. Juni 1961. Er wurde von den Produzenten zunächst zurückgehalten, weil sie an seinen Erfolg nicht glaubten. Das änderte sich erst durch die Auszeichnung bei den Filmfestspielen von Venedig, wo er den Goldenen Löwen gewann.

Der Film hatte in den 1960er Jahren Kultstatus. Das von Sacha Pitoëff gespielte Spiel (eine Variante der Nim-Spiele) wurde unter dem Namen Marienbad (siehe Marienbad-Spiel) populär.

Deutung

Der Film ist auf Vieldeutigkeit angelegt. Er kann als Allegorese auf die Inhaltsleere der eleganten Upperclass ebenso gelesen werden wie als nostalgische Verklärung feudaler Bäderherrlichkeit, als Gleichnis auf die Kommunikationslosigkeit der Liebe ebenso wie als Musterbeispiel einer Amnesie.

Das klassische Sujet Der Tod und das Mädchen und die Filmkritik von Almut Steinlein vom 12. Januar 2010[1] legen freilich folgende Deutung[2] nahe:

Die Frau (im Drehbuch „A“) begibt sich in ein Kurbad. Dort begegnet ihr der Tod in Gestalt eines Mannes (im Drehbuch „X“) zum ersten Mal. Er bedrängt sie; sie ringt mit ihm und erbittet sich noch ein Jahr Aufschub. Im Jahr darauf begegnet er ihr wieder und versucht, sie an die erste Begegnung zu erinnern. Sie erinnert sich nicht (oder: will sich nicht erinnern) und versucht, sich der „Verführung[3] des Todes zu entziehen. Interessant ist, dass der Tod ihre Freiheit und ihr eigenes Leben will, während sie von Lebenden umgeben ist, die eigentlich wie tot sind.

Ihr Mann (im Drehbuch „M“) ist ein Spieler, der gern ein Spiel spielt, bei dem er immer gewinnt. Der Tod fordert auch ihn ein paar Mal heraus, verliert aber vorläufig noch das Spiel, obwohl er durchschaut hat: Wer anfängt, hat schon verloren. Aber er macht noch Fehler im schnellen Zugriff, so dass „M“ sich entziehen kann.[4]

Der Tod dringt in das Schlafzimmer der Frau. Als ihr Mann das entdeckt, erschießt er (aus Mitleid oder Eifersucht?) in einer fiktiven Sequenz seine Frau. Der Tod will sie aber so nicht zu sich holen, sondern möchte sie „lebendig und frei“. Sie willigt seinem Drängen am Ende ein und überschreitet die Schwelle.

Dieser Schritt wird durch das „Spiel im Spiel“ präfiguriert, das den Titel „Rosmer“[5] trägt. Die unvermeidliche Hingabe an „X“ kommt für „A“ im Traum allerdings einer Vergewaltigung gleich, während sie für „X“ eine unabdingbare Notwendigkeit und ein Ausdruck von Liebe ist.[6]

Einen wichtigen Hinweis bietet die Figurengruppe im Park: Es könnten griechische Götter- oder Heldengestalten sein, ein Mann und eine Frau, mit einem herbeigelaufenen Hund[7]; es könnten aber auch der Tod und das Mädchen sein. Er scheint sie schützen zu wollen, sie nach etwas zu verlangen.

Kritik

  • So virtuos und souverän dieser Film auch mit den Trugbildern der Erscheinungen und den Trugschlüssen der Erzählung jongliert, er reiht sich als philosophisches Gleichnis ein in die zeitgenössischen Diagnosen einer zersplitterten, in Ritualen erstarrten und scheintoten Welt der 'Anderen'. Thomas Koebner im 2. Band, S. 450, der von ihm herausgegebenen Sammlung Filmklassiker, Stuttgart, Reclam, 1995 ISBN 3-15009416-X
  • Resnais verwebt Zeit- und Wirklichkeitsebenen zu einem komplizierten System geheimnisvoller Rückbezüge, Parallelen, Hypothesen und Kontraste. Der von der modernen französischen Literatur inspirierte Film liefert zur verwickelten Struktur des Inhalts eine faszinierende visuelle Entsprechung: Labyrinthisch sind auch die Bilder, Montagen und Schauplätze, obwohl sie zugleich einem strengen, fast abstrakten Konzept untergeordnet sind. Eine anspruchsvolle filmische Reflexion über die Schwierigkeit, Wirklichkeitseindrücke zu objektivieren. Lexikon des internationalen Films

Drehort

Der Film wurde nicht in Marienbad, sondern größtenteils in Deutschland gedreht. Kulisse bildeten die bayerischen Schlösser Schleißheim, Nymphenburg und Amalienburg in München, außerdem ein Hotel in Courbevoie bei Paris.

Sonstiges

Delphine Seyrigs Kostüme waren von Coco Chanel. Als Zweiter Regieassistent fungierte Volker Schlöndorff.

Auszeichnungen

Literatur

  • Alain Robbe-Grillet: Letztes Jahr in Marienbad. Drehbuch (Aus dem Französischen übersetzt von Helmut Scheffel; Übersetzung der Dialoge: Leonore Germann), München: Carl Hanser 1961.
  • David Bordwell/ Kristin Thompson: Film Art. An Introduction, McGraw-Hill 4. Auflage 1992, S. 391-396 (online auf davidbordwell.net).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Almut Steinlein: "Eine Allegorie auf den Tod, der in Gestalt von X die Frau mitnehmen will …" in: http://www.critic.de/filme/detail/film/letztes-jahr-in-marienbad-2001.html
  2. Peter Godzik: Versuch einer Deutung des Films "Letztes Jahr in Marienbad", Schleswig 2010 (online auf pkgodzik.de)
  3. Alain Robbe-Grillet sagt: „Der ganze Film ist die Geschichte einer Überredung: es handelt sich um eine Wirklichkeit, die der Held durch seine eigene Vision, durch sein eigenes Wort schafft“ (Drehbuch S. 9).
  4. Das Spiel mit den Streichhölzern (oder Karten oder Dominosteinen) in der Reihenfolge 1 – 3 – 5 – 7 ist, ähnlich wie der Film, nicht so leicht zu entschlüsseln. Die Regeln lauten: Wer anfängt, hat sowieso schon verloren (vorausgesetzt, der Gegenspieler beherrscht das Spiel). Ohne Gefahr kann auch vom Zweiten immer nur ein Hölzchen aus jeder Reihe genommen werden. Der auf Gewinn bedachte Spieler muss dem künftigen Verlierer folgende Konstellationen zuspielen: a) bei vier Reihen: 1 – gleich (2, 3, 4, 5) – gleich (2, 3, 4, 5) – 1 b) bei drei Reihen: 1 – 4 – 5; 1 – 2 – 3; 1 – 1 – 1 c) bei zwei Reihen: 5 – 5; 4 – 4; 3 – 3; 2 – 2 Wenn man die Regeln beherrscht, verliert immer der, der anfängt. Der Anfänger kann nur dann gewinnen, wenn der Gegenspieler die zu beachtenden Gewinnkonstellationen nicht kennt. Zum Üben: http://www.messie.ch/marienbad/mbad.htm
  5. Der Theaterzettel spielt auf die französische Schriftstellerin Jean Rosmer (1876-1951) an, wie Alain Resnais 1977 in einem Interview mit Jacques Saulnier der französischen Zeitschrift „Positif“ (no 329-30, p. 22) mitteilte. Vgl. dagegen die verbreitete Deutung auf Ibsens Rosmersholm, z.B. von Lorenz Engell, Vorlesung 3 (24.10.2007: Letztes Jahr in Marienbad (L’année dernière à Marienbad, Alain Resnais, F 1961), in: http://www.uni-weimar.de/medien/philosophie/lehre/ws0708/vorlesung_3.pdf. Die Gestalt des Pfarrers Johannes Rosmer in Ibsens Rosmersholm inspirierte vielmehr Elsa Bernstein (1866-1949) zu ihrem Pseudonym Ernst Rosmer.
  6. Janine Chasseguet-Smirgel trug im Juli 1962 auf der Tagung „Kunst und Psychoanalyse“ in Cerisy-la-Salle eine psychoanalytische Deutung vor. Für sie geht es in der „Triade Kastration – Schändung – Mord“ um eine ausnehmend sadistische Thematik, „weil Erotik und Aggression in schmerzhafter Disharmonie aufeinanderstoßen“ (Revue française de Psychanalyse, Bd. XXXIII, 1969; deutsche Übersetzung in: Alexander Mitscherlich, Psycho-Pathographien I. Schriftsteller und Psychoanalyse, Frankfurt: Suhrkamp 1972, S. 200).
  7. Stimme von X: „… Sie haben ihnen Namen gegeben, etwas willkürlich, glaube ich … Pyrrhus und Andromache, Helena und Agamemnon … Aber ich habe gesagt, daß genausogut Sie und ich das sein könnten … (Pause) oder wer auch immer. … M: Verzeihen Sie, mein Herr. Ich glaube ich kann Ihnen genauere Auskunft geben: diese Statue stellt Karl III. und seine Frau dar, aber sie stammt natürlich nicht aus jener Epoche. Die Szene zeigt den Schwur vor dem Reichstag, und zwar den Moment des Verrats. Die antiken Kostüme sind reine Konvention …“ (Drehbuch S. 55 und S. 58). „… Et la célèbre statue des jardins de Marienbad est en papier mâché“; in: http://www.cineclubdecaen.com/realisat/resnais/anneederniere.htm

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