Lesbia

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Clodia ist die weibliche Form des römischen Namens Clodius, den insbesondere die drei Schwestern des Publius Clodius Pulcher und des Appius Claudius Pulcher (Konsul 54 v. Chr.) trugen.

Inhaltsverzeichnis

Person

Die mittlere der drei Schwestern (* um 94 v. Chr.) ist eine der umstrittensten Frauen der späten Republik und meist gemeint, wenn nur von „Clodia“ gesprochen wird. Sie war verheiratet mit Quintus Caecilius Metellus Celer und berüchtigt durch ihren ausschweifenden Lebenswandel, den Marcus Tullius Cicero in seiner Rede Pro Caelio scharf (und wohl übertreibend) angriff, als sie ihren früheren Geliebten Marcus Caelius Rufus anklagen ließ (56 v. Chr.). Außerdem wurden ihr Inzest mit ihrem Bruder Clodius und Giftmord an ihrem Gatten (der 59 v. Chr. starb) unterstellt. Man nimmt an, dass sie die „Lesbia“ genannte Geliebte des Dichters Catull war, der dieser zahlreiche Gedichte gewidmet hat (mehr zum Problem der Lesbia-Forschung siehe bei Catull). Über Clodias späteres Leben ist nichts Sicheres bekannt.

Die älteste der Schwestern war mit Quintus Marcius Rex verheiratet, die jüngste mit Lucius Licinius Lucullus. Dieser ließ sich nach etwa zehn Jahren Ehe 66 v. Chr. von ihr scheiden. Auch ihnen wurden zahlreiche Verhältnisse, unter anderem mit ihrem Bruder, nachgesagt.

Clodia Metelli stammt aus dem angesehenen Adelsgeschlecht der Clodier, das viele berühmte Persönlichkeiten der römischen Geschichte hervorbrachte. Im Stammbaum finden sich zahlreiche Konsuln und hohe Beamte (non patrem tuum videras, non patruum, non avum, non proavum, non abavum, non atavum audieras consules fuisse. Cicero, Pro Caelio, 33). Ihr Vater Appius Claudius Pulcher, der im Jahr 79 v. Chr. Konsul war, ließ die Familie nach seinem Tod verarmt zurück, weshalb eine ihrer Schwestern ohne Mitgift verheiratet werden musste. Sie selbst wurde um 94 v. Chr. geboren, wobei die Reihenfolge der Geburten bei ihren zwei Schwestern und drei Brüdern nicht ganz klar ist. Tertia, die mit dem reichen Marcius Rex (Konsulat 68 v. Chr.) verheiratet wird, scheint trotz ihres Namens die Älteste der Töchter zu sein. Demzufolge wäre „unsere“ Clodia die Zweite, aber da die Jüngste denselben Namen trägt, kommt es zu falschen Zuordnungen. Letztere geht eine Ehe mit dem militärisch erfolgreichen und betuchten Lucullus ein.

Clodias Brüder

Appius Claudius Pulcher (Konsul 54 v. Chr.) wird 54 zum Konsul gewählt, während über den zweiten, einen Priester, weniger bekannt ist. Der dritte, Publius Clodius mit dem Beinamen Pulcher, ist wenige Jahre jünger ist als Clodia, und Gerüchten zufolge pflegt er mit ihr ein inzestuöses Verhältnis. Sie verfolgt seine politische Karriere anteilsvoll und unterstützt ihn, wobei ihr politischer Einfluss mehr hinter den Kulissen wirkt. Über Clodias Kindheit, Erziehung oder den Einfluss ihrer Mutter kann nur gesagt werden, dass sie eine umfangreiche Bildung erhält und der Literatur mit Interesse begegnet.

Wie unter Patriziern nicht unüblich, wird sie ihrem Cousin, dem konservativen Quintus Caecilius Metellus Celer zur Frau gegeben. Der Befehlshaber der römischen Armee im Orient dient während Ciceros Konsulat als Prätor und hebt Truppen zur Bekämpfung der Catilinarischen Verschwörung aus. Zunächst steht er unter der Protektion Pompeius’, es kommt aber zum Zerwürfnis, als letzterer Metellus’ Schwester Mucia aus der Ehe entlässt. Als Konservativer verfügt Clodias Mann über genügend Ansehen, um den ehemaligen Schwager im Rennen um das Konsulat im Jahr 60 v. Chr. ausstechen zu können. In der Nachfolge Caesars hat er bis zu seinem unerwarteten Ableben ein Jahr darauf die Kommandantur in Gallien. Cicero nennt ihn einen „überaus angesehenen, mutigen und patriotischen Mann, der, sobald er nur den Fuß über die Schwelle seines Hauses setzte, beinahe alle seine Mitbürger an Tüchtigkeit, Ruhm und Ansehen übertraf“. Da es in dieser Ehe alles andere als harmonisch zugehen und sich Clodia fortwährend im Krieg mit ihm befinden soll (ea cum viro bellum gerit), provoziert das plötzliche Lebensende ihres Mannes 59 v. Chr. Gerüchte, denen zufolge Clodia daran nicht ganz unschuldig gewesen sei. Die Gründe für diese Differenzen müssen mangels näherer Angaben über die beiden (zum Beispiel darüber, ob ein signifikanter Altersunterschied oder eine manus-Ehe besteht) im Dunkeln bleiben. Jedenfalls begleitet sie ihn nicht in den Orient und bleibt als reiche Witwe zurück, die unter Missachtung der traditionellen Moralvorstellungen erheblich über die Stränge schlägt.

Clodia in Catulls Liebesgedichten

Es würde gut ins Bild passen, Clodia mit der Geliebten Lesbia in Catulls Gedichten gleichzusetzen, die mit ihm 61 bis 60 v. Chr. ein Verhältnis unterhalten haben soll, was ihrem Ehemann durchaus nicht entgangen sein dürfte. Es verwundert, dass Metellus, den man zu recht als Römer vom alten Schlag bezeichnen mag, nicht um sein Ansehen besorgt ist und Schritte zur Trennung in die Wege leitet, sollte er von der Untreue seiner Frau gewusst haben.

Catull kam zur Intensivierung seiner Studien nach Rom, wo er auf Clodia trifft. Catull beklagt in seine Gedichten, dass Clodia die Beziehung bei Weitem nicht so ernst nehme wie er. Da das Leben einer verheirateten Adeligen unter ständiger Überwachung steht, müssen die Liebenden sich im Haus eines Freundes des Dichters verstecken und Clodia scheint ihrem Liebsten nur wenig Zeit am Stück widmen zu können. Als verheirateter Frau droht ihr im Familiengericht die Verurteilung zum Tod, mit dem im Extremfall schwere Vergehen wie Ehebruch geahndet werden konnten. Obwohl dieser grausame Brauch langsam verschwindet, darf man sich nicht einfach über die öffentlichen Moralvorstellungen hinwegsetzen. Metellus ist sicherlich nicht der erste betrogene Ehemann in höheren Kreisen, aber mit Rücksichtnahme auf seine politische Karriere und den Einfluss der gens könnte man solches Fehlverhalten nicht dulden. In Catulls Gedichten spiegeln sich die Intensität der Liebe zur sechs Jahre Älteren und der Trennungsschmerz wieder. Selbstverständlich darf nicht vergessen werden, dass die Verse kein unverzerrtes Abbild der Wirklichkeit geben, weil sie nach poetischen Normen gestaltet sind und das lyrische Ich nicht zwingend mit dem historischen Catull identisch ist. Dennoch können einige Aufschluss über Lesbia – beziehungsweise Clodia – geben.

Lesbias Sperling (passer, deliciae meae puellae) erscheint im zweiten Gedicht als Tröster seines Frauchens bei Liebeskummer (tum gravis acquiescet ardor), den auch Catull gerne an seiner Seite hätte, weil er sich der ersehnten Nähe zu ihr noch nicht sicher ist. Das darauf folgende Gedicht beklagt den Tod des Tieres und bringt die Endlichkeit des Lebens zu Bewusstsein. Aus liebender Verbundenheit teilt Catull Lesbias Trauer, obwohl das als unmännlich galt. Die Schlussfolgerung, dass man das Leben genießen müsse, setzt sich auch im fünften Gedicht fort, wo er fordert, dass Sittenwächter (rumoresque senum severiorum omnes unius aestimemus assis) und Neider (aut nequis malus invidere possit) die unkonventionelle Beziehung nicht behindern sollen. Stattdessen erträumt er sich unendlich viele und unzählbare Küsse.

Dieses Thema wird im siebten Gedicht wieder aufgegriffen, wo sich der Dichter die „Unersättlichkeit seines Begehrens“ eingesteht. Veranschaulicht durch die libysche Wüste (quam magnus numerus Libyssae harenae) und den nächtlichen Sternenhimmel (aut quam sidera multa, cum tacet nox) wird eine Liebeswelt geschaffen, die sich außerhalb des Alltags und der gesellschaftlichen Wirklichkeit bewegt. Syndikus konstatiert sogar „die Abkehr von der in Rom gültigen Wertewelt“, die ferner die Abkehr vom bisherigen Frauenbild miteinschließt, wie später zu zeigen sein wird.

Bis jetzt bedrohten äußere Umstände das Glück der Liebenden, aber im achten Gedicht kommen verstärkt Bedenken über Lesbias Aufrichtigkeit zu Geltung. An früheren Stellen schimmern solche Sorgen nur andeutungsweise durch, wenn Catull Linderung der düsteren Sorgen seines Herzens wünscht (tristis animi levare curas, c. 2) oder die Stimmung nach dem Tod des Vogels sehr düster schildert (iter tenebricosum […] malae tenebrae Orci, c. 3).

An diesem Punkt muss Catull feststellen, dass Lesbia ihm nicht dieselben Gefühle entgegenbringt wie er ihr, denn sie will auf einmal nicht mehr (nunc iam illa non vult, c. 8). Sein Verstand rät ihm, sich von ihr abzuwenden, aber er erliegt ihrem verführerischen Reiz noch immer und schwelgt in Erinnerungen an glücklichere Zeiten. Schließlich droht er ihr damit, dass sie nicht mehr umworben werden wird (at tu dolebis, cum rogaberis nulla), und fragt sich, wie ihre Zukunft aussehen wird. Noch ist sie ihm also nicht gleichgültig und er beschimpft sie weniger, als dass er sie bemitleidet. Einen ganz anderen Ton schlägt Catull in seinem 37. Gedicht an, in dem er verbal auf Kneipengänger losgeht, mit denen Lesbia sich jetzt ungeachtet der Einzigartigkeit seiner Liebe abgibt. Laut Syndikus spielt sich die fiktive Szene vielleicht sogar in Lesbias Haus ab, so dass die Aristokratin durch den Angriff auf ihren Umgang indirekt selbst beschimpft wird. Als Steigerung dazu wird Lesbia in c. 58 als Straßendirne dargestellt, damit Catull sich selbst von der Sinnlosigkeit seiner Liebe überzeugen kann und nicht länger von ihr gefangen bleibt. Alle Beschimpfungen folgen, wie c. 92 zeigt, nur der irrationalen Logik der Leidenschaft, in der sie trotzdem Liebe bedeuten. Das schließt Catull aus seiner eigenen Erfahrung, denn er beschimpft Lesbia gemäß seinen eigenen Worten nur, weil sie ihm solchen Schmerz durch ihr Fehlverhalten zufügt.

Catulls Eifersucht ist im 51. Gedicht nach dem Vorbild Sapphos aussagekräftig beschrieben. Durch seine heftige Reaktion verrät sich der „Verlust jeglicher Selbstkontrolle“ , den er auf die Muße (otium, Catulle, tibi molestullmst: otio exultas nimiumque gestis) des Lebens der vornehmen Römer zurückführt, die sehr großen Schaden anrichtet (otium et reges prius et beatas perdidit urbes). Hier wird bereits erkennbar, dass der Verlust der Nähe zur Geliebten den Dichter in schlimme Schmerzen stürzt.

Dass Lesbia die Aufrichtigkeit in der Beziehung ganz anders einschätzt als Catull, ergibt sich daraus, dass sie dem begehrenden Liebenden (cupido […] amanti) im 70. Gedicht Versprechungen macht, die man nicht als verlässlich ansehen kann und die zu halten sie offensichtlich nie vorhatte. Im 87. Gedicht beklagt sich Catull über den Grund für das Scheitern: Seine einzigartige Liebe zu Lesbia wird nicht treu erwidert. Auch c. 72 stellt konträre Auffassungen von Liebe einander gegenüber, denn für Catull ist damit untrennbar fürsorgliche Treue verbunden. Das Reduzieren auf sinnliche Anziehung lässt Lesbia in seiner Achtung sinken (multo mi tamen es vilior et levior), obgleich er sie entgegen der Einsicht seines Verstandes liebt (amare magis), auch wenn sich ohne Herzlichkeit ein bitterer Beigeschmack (sed bene velle minus) ergibt. Letztendlich hängt seine Zuneigung zu Lesbia gar nicht mehr von ihrem Verhalten ab, denn weder durch dessen Besserung (si optuma fias, c. 75) noch durch dessen Verschlechterung (omnia si facias), kann sich der innere Zwiespalt Catulls lösen.

Ein Grund für Catulls Enttäuschung über die Geliebte ist offenbar, dass sie Lesbius lieber mag als ihn (Lesbius, […] quem Lesbia malit quam te cum tota gente, Catulle, tua, c. 79). Was die Identität dieses Namensvetters angeht, darf man ihn in Analogie zu Lesbia mit Clodius Pulcher, ihrem Bruder, gleichsetzen. Die Bezeichnung „pulcer“ spielt auf den Beinamen des Bruders an und ruft Gerüchte über seine Homosexualität in Erinnerung. Die implizite Behauptung, Lesbius würde keine drei Bekannten auftreiben, die ihn küssen wollen (si tria notorum savia reppererit), deutet darauf hin, dass er seinen „Mund in ekelerregenden Ausschweifungen“ besudelt. Somit wird wiederum Lesbia angegriffen, die diesen verschmähten Menschen dem desillusionierten Catull vorzieht.

Am eindringlichsten spiegelt c.85 Catulls innere Zerrissenheit und Ausweglosigkeit wider: Catull hasst und liebt (odi et amo) gleichzeitig. Er selbst kann diese widersprüchlichen Gefühle, derer er sich bewusst ist (sed fieri sentio), nicht erklären oder aufarbeiten, wird aber von der Situation gequält (excrucior).

Bei der abschließenden Betrachtung der Darstellung der Beziehung zwischen Lesbia und Catull fällt auf, dass die typische Rollenverteilung hier scheinbar umgekehrt wird. Lesbia wirkt deutlich mächtiger als der blind verliebte Dichter, der seine eigene Schwäche und Inkonsequenz eingesteht. Folglich verstößt sie „durch Ausleben einer zügellosen Sexualität gegen die ihr von der Gesellschaft zugewiesene Rolle als passive Partnerin in einer Liebesbeziehung“. Hinzu kommt noch, dass sich das lyrische Ich Holzberg zufolge absichtlich als unmännlich präsentiert und den „Rollentausch“ dadurch komplettiert.

Clodia in Ciceros Rede Pro Caelio

Anders als in Rom gebräuchlich geht Clodia nach ihrer Verwitwung keine zweite Ehe ein, sondern wendet sich Marcus Caelius Rufus, einem Schüler und Freund Ciceros, zu. Er kommt aus dem Ritterstand, und sein geiziger Vater verfügt über große Besitztümer in Afrika. Wie auch immer Caelius in die Catilinarische Verschwörung verwickelt gewesen sein mochte, er schaffte jedenfalls noch rechtzeitig eine Kehrtwendung. Somit hat er dank der Unterstützung durch Pompeius eine glänzende Karriere vor sich. Dann verlässt Caelius das väterliche Haus, um unter hohen Unkosten in das Haus im Wohnviertel des Palatins einzuziehen, das Clodius ihm vermietet. Cicero, ebenfalls dort ansässig, versichert, dass politische Gründe ausschlaggebend gewesen seien (Pro Caelio, 18). Andere wiederum meinen, er wollte Clodia, in die er verliebt ist, näher sein. Als Verteidiger behauptet Cicero, Clodia habe seinem Mandanten regelrecht nachgestellt (36).

Caelius ist zwölf Jahre jünger als Clodia, groß, schön (36), gewitzt und ein begnadeter Redner, was nach Ciceros Auffassung natürlicherweise zu unbegründetem Klatsch Anlass gibt (6). Im Gegensatz zu diesem Lob setzt Cicero die Schönheit Clodias herab, wenn er es für das Beste hält, blind zu sein und sie nicht sehen zu müssen (33).

Cicero beschuldigt sie nach Beendigung der ungefähr zweijährigen Beziehung aus Rache einen Prozess (Anfang April 56 v. Chr.) gegen den ehemaligen Liebhaber angestrengt zu haben, weil sie es nicht ertragen konnte, von ihm verlassen zu werden. Bei einer Verurteilung wegen „Gewaltanwendung“ (vis) drohte dem Angeklagten die Verbannung. Der offizielle Kläger Lucius Sempronius verfolgte damit seinerseits das Ziel, seinen Vater vor einer wiederholten Anklage durch Caelius zu schützen. Dank der brillanten Verteidigung durch Cicero und Crassus wurde Caelius jedoch freigesprochen. Frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ klagt Cicero an Stelle seines Mandanten Clodia an, die seiner Meinung nach die ausschlaggebende Person für den Prozess ist (in quibus una atque eadem persona versatur, 30). Mit den Verleumdungen über Clodia kann sich Cicero auch an ihrem Bruder rächen, der ihn in Ausnutzung seines Amtes als Volkstribun 59 v. Chr. in die Verbannung geschickt und für den billigen Verkauf seiner Besitztümer gesorgt hatte. Deshalb macht sich Cicero daran, die Kronzeugin zu diskreditieren, indem er ihr eine schlechte Lebensweise, den Empfang fremder Männer in ihrem Haus und mehrmaligen Ehebruch sowie Voyeurismus anlastet (38, 36). Wenn er Clodia als Dirne (,,non solum meretrix, sed etiam proterva meretrix procaxque,,, 49) darstellt, entkräftet er dadurch in gewisser Weise den Vorwurf, Caelius sei ein Ehebrecher oder Liebhaber (adultor an amator), der ja nur bei einer ehrbaren Frau erhoben werden könnte.

Wie bereits erwähnt, lag Clodia viel am Wohl ihres Bruders, aber eine so enge Beziehung bot Nährboden für üble Nachrede, die Cicero aufgriff. Die ungewöhnliche Zuneigung (qui te amat plurimum, 36) innerhalb der Familie deutete man als Blutschande, weil er sich nachts zur größeren Schwester schleiche (qui propter nescio quam, credo, timiditatem et nocturnos quosdam inanis metus tecum semper pusio cum maiore sorore cubitabat, 36). In seiner Gerichtsrede gibt Cicero absichtlich vor, den Bruder und den Ehemann Clodias nicht auseinander halten zu können (32). Als Anspielung auf ihre Schönheit und vor allem die großen Augen verwendete Cicero den Decknamen βοῶπις („Kuhäugige“) für Clodia, der auch als Attribut Heras, der Gattin und zugleich Schwester Zeus’, Verwendung findet, so dass nochmals der Inzestverdacht durchschimmert. Hier liegt allerdings eine Verwechslung mit der jüngeren Clodia vor, die von ihrem Mann tatsächlich ebendieses Vergehens beschuldigt wurde. Obwohl Cicero die Namensgleichheit im Prozess gegen Caelius zuungunsten „unserer“ Clodia ausnutzte, erzählt er selbst später die Angelegenheit mit dieser Rollenverteilung in seiner Rede für Milo. Und selbst in diesem Fall scheint der Vorwurf kaum glaubwürdig zu sein, da sich Lucullus nur allzu gern seiner Frau entledigt und die belastenden Zeugenaussagen den Sklaven unter Folter abgepresst worden sein könnten. Cicero gibt vor Gericht den Klatsch aus der Stadt wieder. Überhaupt galten Diffamierungen im Wahlkampf oder in Gerichtsreden als probates Mittel, weil sie nicht verboten und zudem schwer nachprüfbar waren, weshalb bei ihrer Deutung Vorbehalte angebracht sind. Von Zeitgenossen dürfte wohl der Verdacht des Inzestes Ciceros mit seiner Tochter Tullia, die er aufrichtig mochte, kaum ernstgenommen worden sein.

In der Folge erreichen Ciceros Schmähungen ihren Höhepunkt darin, dass er Clodia in Anspielung auf die mykenische Königin (die ihren Gatten Agamemnon nach seiner Rückkehr vom Trojanischen Krieg aus Rache für die Opferung ihrer Tochter Iphigenie mit Hilfe ihres Geliebten Ägisthus umbrachte) als „Viergroschen-Klytämnestra“ tituliert. Außerdem klagt Cicero, Clodia führe in ihrem Haus, „wo Orgien, hemmungslose Begierden und Schwelgerei, kurz alle unerhörten Laster und Schändlichkeiten eine Stätte haben“, „das Leben einer Dirne“ (meretricio more, 57). Glaubt man Cicero, fängt Clodia tagtäglich neue Liebschaften an, scheut sich nicht, mit fremden Männern in der Öffentlichkeit aufzutreten (34) und feiert mit ihnen Gastmähler (49).

Die Anklagepunkte gegen Caelius, Gold geliehen (crimen auri) und einen Giftanschlag auf Clodia vorbereitet (crimen veneni) zu haben, verdichtet Cicero zu einer Affäre zwischen den beiden. In seinem Plädoyer lässt Cicero mit Appius Claudius Caecus den Erbauer der Via Appia zu Wort kommen, um aus seinem Munde Schmähungen gegen Clodia zu richten und darauf hinzuweisen, dass sie durch ihr Verhalten dem Ruf der Familie rücksichtslos schadet. Auch die anderen Verwandten, die er auftreten lässt, setzen eine Liebschaft zwischen Clodia und Caelius voraus, was Ciceros Behauptung zu untermauern scheint. Überdies entwertet die Vorstellung von Clodia als enttäuschter Geliebten ihre Glaubwürdigkeit. Insgesamt ist sie sowohl Star als auch Opfer des Prozesses.

Caelius’ fehlende moralische Integrität wird im Hinblick auf sein jugendliches Alter und den schlechten Einfluss Clodias heruntergespielt (42). Als Verwendungszweck für die geliehene Summe gab er das Ausrichten von Spielen an, obwohl es eigentlich ohne Clodias Wissen zur Bestechung benutzt werden sollte, um Dio von Alexandria ermorden zu können. Bei umfassenderer Betrachtung muss man darauf hinweisen, dass im Grunde genommen ähnliche Vorwürfe gegen Clodias und Caelius’ Lebenswandel (libidines, amores, adulteria, Baias, actas, convivia, commissationes, cantus, symphonias, navigia, 35) vorgebracht werden, die Beurteilung sich aber hauptsächlich nach den Geschlechterrollen richtet. Unter der Voraussetzung, dass es sich um männliche Gesellschaftsmitglieder handelt, gewährt Cicero der Jugend großmütig Nachsicht, während er Clodia in schärfster Art und Weise verurteilt.

Zweifel am Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen sind dann angebracht, wenn man bedenkt, dass die Taktik der Verteidigung darauf beruhte, die Aufmerksamkeit auf Clodia als schlechten Umgang für Caelius zu lenken, so dass ihr alle Vergehen angelastet werden konnten. Es ist nur logisch, ihr neuartiges, schockierendes und als Beispiel für Nachahmerinnen gefährliches Benehmen in ein schlechtes Licht zu rücken. Ein wenig entkräftet Cicero sich selbst, als er meint, er verbanne die Erinnerung an sein eigenes Leid und vergesse ihr kränkendes Verhalten (50). Damit liefert der Anwalt selbst Genugtuung als Motiv für seine harte Vorgehensweise. Zudem ist davon auszugehen, dass Cicero dieses angeblich so verruchte Haus Clodias selbst auch nach dem Gerichtsverfahren weiterhin aufsuchte . Für das Grabmal seiner 45 v. Chr. verstorbenen Tochter zieht der Anwalt Clodias Gärten in Betracht, die er zuvor noch als Ort von Ausschweifungen brandmarkte.

Einen interessanten Ansatz wirft G. Fau mit ihrem Hinweis auf Fresken des Dionysoskultes auf, die in Clodias Villa ausgegraben wurden. Mit einer Initiation Clodias in einen Mysterienkult böte sich eine Erklärung für den Vorwurf eines zu freundlichen Umgangs mit Sklaven (57) und eines zu freizügigen Auftretens gegenüber Männern an. Denn aus dem dort verbreiteten Gedanken von der Brüderlichkeit aller Menschen aufgrund der Unsterblichkeit der Seele resultiert, dass auch Sklaven innerhalb der religiösen Hierarchie aufsteigen können und man sie im Alltag besser behandelt. Mit dem Einverständnis ihrer Familie ließ Clodia Sklaven frei, was Cicero zu der Mutmaßung veranlasste, dies sei nur aus Eigennutz und Kalkül geschehen, um Zeugen für den Prozess zu finden.

Auch eine zunehmende Gleichstellung mit den Männern könnten die Mysterienkulte – abgesehen von den hauptsächlich sozialen Hintergründen einer solchen Entwicklung – angestoßen haben. Die Bacchanalien, ausgelassene Feiern zu Ehren des Dionysos, gingen mit Tänzen und exzessiven Orgien einher, weshalb sie vom Senat zeitweise verboten wurden. In diesem Rahmen konnten auch Frauen eine gewisse sexuelle Befreiung erleben, die durchaus für Sempronias und Lesbias/Clodias Ausbrüche aus den konventionellen Lebensformen kennzeichnend ist.

Nach der Prozessniederlage verblasst die Spur der historischen Clodia. Im Jahr 52 v. Chr. treffen auf der Via Appia die bewaffneten Banden von Clodias Bruder und Milo aufeinander, der den im Kampf verwundeten Clodius umbringen lässt. Wieder heißt der Verteidiger Cicero, aber diesmal lautet das Urteil Verbannung.

Über das Todesdatum Clodias lässt sich nur spekulieren, denn ihr Erzfeind Cicero hätte dieses Ereignis sicherlich in seiner Korrespondenz mit Atticus, der sie kannte, mitgeteilt. Noch im Jahr 44 v. Chr. erwähnt er sie in einem Atemzug mit Kleopatra ([Sed] Clodia quid egerit, scribas ad me velim).

Literatur

  • G. Fau: L'émancipation féminine à Rome
  • W. J. Tatum: The Patrician Tribune. Publius Clodius Pulcher. Chapel Hill 1999
  • L. Fezzi: Il tribuno Clodio. Roma-Bari 2008

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