Leopold Gratz

Leopold Gratz

Leopold Gratz (* 4. November 1929 in Wien-Ottakring; † 2. März 2006 in Wien) war ein Politiker der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Er war Bürgermeister von Wien, Unterrichtsminister, Außenminister und Nationalratspräsident.

Inhaltsverzeichnis

Politische Karriere

Bundespolitik

Leopold Gratz wurde als Sohn eines Bankangestellten geboren. Er studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften (abs.jur., später Mag.jur.) und war schon während seines Studiums bei den sozialistischen Studenten aktiv. Seine berufliche Tätigkeit begann er 1952 im Sozialministerium. 1953–1963 war er als Sekretär im Klub der Sozialistischen Abgeordneten und Bundesräte tätig.

Im Jahr 1963 wurde Leopold Gratz Mitglied des Bundesrates. 1966 wurde er erstmals als Abgeordneter zum Nationalrat gewählt. Gemeinsam mit Hannes Androsch, Heinz Fischer und Karl Blecha zählte Gratz ab 1967 zu den "Kronprinzen" um den Parteivorsitzenden Bruno Kreisky. In den Jahren 1970 und 1971 war Gratz Bundesminister für Unterricht und Kunst. Da er die parlamentarische Arbeit mehr schätzte als das Ministeramt, wechselte er wieder in den Nationalrat und war 1971-1973 Klubobmann der SPÖ im Parlament.

Wiener Bürgermeister

Nach einer nicht wunschgemäß ausgegangenen Volksbefragung über den Sternwartepark und seine geplante teilweise Verbauung und dem darauf folgenden Rücktritt von Bürgermeister Felix Slavik befand sich die Wiener SPÖ in einer Krise. Der mit 44 Jahren für einen Politiker damals ausgesprochen junge Leopold Gratz, weitaus telegener und eloquenter als die SPÖ-Bürgermeister bis dahin, sollte die Partei aus dieser Krise führen. Gratz wurde im Wahlkampf nicht mit sozialdemokratischen Symbolen, sondern mit dem Stephansdom im Hintergrund plakatiert, – ein für die SPÖ bis dahin unvorstellbarer Vorgang. Bei der Gemeinderatswahl vom Oktober 1973 errang Gratz für die SPÖ das bis heute beste Ergebnis seit 1945, bei dem er die Zweidrittelmehrheit im Rathaus nur um ein einziges Mandat verfehlte.

Die unter Felix Slavik begonnenen Projekte Entlastungsgerinne mit Donauinsel (fertiggestellt 1988) und UNO-City (eröffnet 1979) wurden weitergebaut; die ersten Teilstrecken der seit 1969 in Bau befindlichen neuen Wiener U-Bahn nahmen ab 1978 den Betrieb auf, in der Inneren Stadt wurden Fußgängerzonen, insbesondere 1974 in der Kärntner Straße und auf dem Graben, eingerichtet. 1980 wurde der Jewish Welcome Service Vienna zur Betreuung in der NS-Zeit geflüchteter jüdischer Wiener und ihrer Nachkommen gegründet. Ab 1980 entstanden Gastronomieviertel wie das Bermudadreieck. 1982 wurde der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds, heute Wirtschaftsagentur Wien genannt, geschaffen.

Überschattet war die Amtszeit von Gratz von Skandalen im Dunstkreis der SPÖ: dem Bauring-Skandal und dem AKH-Skandal, dem bis dahin größten österreichischen Bauskandal. Auch der Einsturz der Reichsbrücke im Jahre 1976 trübte Gratz' Erfolgsbilanz. 1979 holte Gratz den ehemaligen Fernsehdirektor Helmut Zilk als Kulturstadtrat in den Stadtsenat und baute damit seinen eigenen Nachfolger auf.

Rückkehr in die Bundespolitik und der Fall Lucona

Wie schon seinerzeit im Unterrichtsministerium, waren auch im Rathaus die Verwaltungsagenden nicht Gratz' Lieblingstätigkeit. 1984 wurde er nach elf Jahren im Amt als Wiener Bürgermeister durch den aus dem Fernsehen bekannten, noch populäreren Helmut Zilk abgelöst und wechselte wieder in die Bundespolitik. Er wurde erneut Abgeordneter zum Nationalrat und war bis 1986 Außenminister in der Koalition von SPÖ und FPÖ unter Bundeskanzler Fred Sinowatz. Da er sich im Frühjahr 1986 während des Wahlkampfs um das Bundespräsidentenamt stark gegen den ÖVP-Kandidaten Kurt Waldheim exponiert hatte (siehe: Waldheim-Affäre), begründete er unmittelbar nach dessen Wahl seinen Rücktritt vom Amt als Außenminister damit.

Nach den Nationalratswahlen im Herbst 1986 wurde Leopold Gratz Nationalratspräsident, entschloss sich allerdings 1989 von allen politischen Ämtern zurücktreten, da er mit Karl Blecha in den Fall Lucona verwickelt war. Sein Versuch, bei einer Befragung seinen Freund Udo Proksch, der später wegen sechsfachen Mordes verurteilt wurde, zu decken, brachte ihm eine Geldstrafe wegen falscher Zeugenaussage ein. Leopold Gratz war, damals Außenminister, als Entlastungszeuge aufgetreten und hatte mithilfe von Nicolae Ceaușescus Geheimpolizei Securitate gefälschte Dokumente als Unschuldsbeweise beschafft[1]. Nach dem Rücktritt 1989 zog er sich fast völlig aus der Öffentlichkeit zurück.

Kritik und Karikatur

Gratz, der eher intellektuell wirkte, vielen in seiner Partei geistig überlegen war und im politischen Diskurs kaum jemals laut wurde, wurde ein Hang zum Alkohol nachgesagt, was durch öffentliche Auftritte und seine Aufenthalte in Entziehungsanstalten Nahrung erhielt – und ihm den Namen Whiskey-Poldi eintrug. Manche Karikaturisten zeichneten ihn deshalb mit dem Sektglas in der Hand, eine Parallele zum gern mit einem Weinglas gezeichneten Staatsvertragsverhandler „Poldi Figl“.

Ruhestand und Tod

1995 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Wien ernannt.

2005 trat Gratz aus dem Bund Sozialdemokratischer Akademiker (BSA) aus, nachdem dieser in einem Historikerbericht die „braunen Flecken“ dieser Organisation aufgearbeitet hatte. Gratz war Zögling in einer Nationalsozialistischen Elite-Bildungsanstalt (NAPOLA) gewesen, war im Bericht aber selbst nicht belastet worden. Dennoch gab er als Austrittsgrund an, der Bericht sei einseitig gewesen.

Leopold Gratz verstarb am 2. März 2006 im Wiener Krankenhaus Rudolfstiftung an den Folgen eines Herzinfarkts. Er wurde am 16. März 2006 in einem Ehrengrab nahe der Präsidentengruft auf dem Wiener Zentralfriedhof (2. Tor, Gruppe 14C, Grab Nr. 54B) beigesetzt.

2009 wurde der der Einmündung der Reichsratsstraße nächstgelegene Teil des Wiener Schmerlingplatzes (1. Bezirk, zwischen Parlament und Justizpalast) nach Leopold Gratz benannt. An Gratz wird dadurch unmittelbar neben seiner Wirkungsstätte als Nationalratspräsident und unweit des Wiener Rathauses erinnert.

Referenzen

  1. Eintrag über Lucona-Skandal im Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Leopold Gratz — (November 4, 1929 mdash;March 2, 2006) was an Austrian politician.Born in Vienna, Gratz was a law graduate and a member of the Austrian Social Democratic Party (SPÖ). From 1963 to 1966 he was a member of the Bundesrat, from 1970 to 1971 Federal… …   Wikipedia

  • Leopold Gratz — (4 de noviembre de 1929 2 de marzo de 2006) fue un político austríaco. Nacido en Viena, Gratz se afilió a los socialistas (SPÖ). De 1963 a 1966 fue miembro del Bundesrat, de 1970 a 1971 fue el Ministro Federal de Educación y Artes. De 1966 a 1973 …   Wikipedia Español

  • Leopold Gratz — (né le 4 novembre 1929 à Vienne et décédé le 2 mars 2006 à Vienne), est un homme politique autrichien. Il fut membre du Parti social démocrate autrichien. Membre du Bundesrat de 1963 à 1966. Ministre de l Education et des Arts de 1970 à 1971. De… …   Wikipédia en Français

  • Gratz — ist der Familienname folgender Personen: Brian Gratz (* 1981), US amerikanischer Eishockeyspieler, trainer und funktionär Florian Gratz (* 1985), deutscher Naturbahnrodler Franz Gratz (1922–2005), österreichischer Unternehmer, Begründer der… …   Deutsch Wikipedia

  • Gratz — may refer to:In places: * Gratz, Kentucky, a US city * Gratz, Pennsylvania, a US boroughIn education: * Gratz College, general college of Jewish studies * Simon Gratz High School, secondary school located in Philadelphia, PennsylvaniaOther: *… …   Wikipedia

  • Gratz — Graetz Graetz ou Grätz ou Gratz est un nom de lieu, un nom de famille porté par plusieurs personnalités. En argot internet, gratz ou gz signifie toutes mes félicitations Toponyme Grodzisk Wielkopolski (en allemand Grätz), ville universitaire de… …   Wikipédia en Français

  • Grätz — Graetz Graetz ou Grätz ou Gratz est un nom de lieu, un nom de famille porté par plusieurs personnalités. En argot internet, gratz ou gz signifie toutes mes félicitations Toponyme Grodzisk Wielkopolski (en allemand Grätz), ville universitaire de… …   Wikipédia en Français

  • Leopold Hasner — von Artha (1818–1891) Leopold Hasner von Artha (* 15. März 1818 in Prag; † 5. Juni 1891 in Bad Ischl) war ein bedeutender Politiker der k. u. k. Monarchie. Leben Hasn …   Deutsch Wikipedia

  • Leopold Hasner Ritter von Artha — Leopold Hasner von Artha (1818–1891) Leopold Hasner von Artha (* 15. März 1818 in Prag; † 5. Juni 1891 in Bad Ischl) war ein bedeutender Politiker der k. u. k. Monarchie. Leben Hasn …   Deutsch Wikipedia

  • Leopold von Hasner — Leopold Hasner von Artha (1818–1891) Leopold Hasner von Artha (* 15. März 1818 in Prag; † 5. Juni 1891 in Bad Ischl) war ein bedeutender Politiker der k. u. k. Monarchie. Leben Hasn …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”