Leoluca Orlando

Leoluca Orlando
Leoluca Orlando
bei der Dankesrede zur Verleihung des Humanismus-Preises des Deutschen Altphilologenverbandes im März 2008

Leoluca Orlando (* 1. August 1947 in Palermo) ist ein italienischer promovierter Jurist und Politiker. Mit kurzer Unterbrechung war er von 1985 bis 2000 Bürgermeister von Palermo sowie auch Abgeordneter des sizilianischen, italienischen und europäischen Parlamentes. Orlando wurde durch seinen Kampf gegen die Mafia international bekannt und lebt seitdem unter permanentem Personenschutz.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Leoluca Orlandos Elternhaus gehörte der sizilianischen Elite an. Sein Vater war Jurist und kam aus einer großbürgerlichen Juristenfamilie, seine Mutter entstammte altem sizilianischen Adel.[1] Er besuchte zunächst eine Jesuitenschule in Palermo. Danach studierte er Rechtswissenschaft in Palermo und Heidelberg und war dann in Palermo als Professor für Öffentliches Regionalrecht an der juristischen Fakultät der Universität Palermo und als Anwalt am Corte Suprema di Cassazione tätig. Orlando wurde ab 1978 ein Berater der Mittelmeerländer in der OSZE in Paris und zugleich auch ein juristischer Berater des Präsidenten der Region Sizilien, Piersanti Mattarella, bis dieser 1980 von der Mafia ermordet wurde.

1985 wurde Orlando auf der Liste der Democrazia Cristiana als Bürgermeister von Palermo bis 1990 gewählt. Er bildete auch mit linken Abgeordneten ein Bündnis, das radikal mit den bisherigen politischen Praktiken brechen wollte. So sollten vor allem diejenigen Firmen, die unter dem Verdacht einer Mafia-Kontrolle standen, von kommunalen Aufträgen ausgeschlossen werden. Rückblickend wird diese Zeit als „Primavera di Palermo“ („Frühling von Palermo“) bezeichnet. 1990 gewann er seine Wiederwahl trotz des Boykotts einiger Parteifreunde im nationalen Parlament.

Seine Bemühungen einer Erneuerung der Democrazia Cristiana stießen auf immer stärkeren Widerstand. Daher trat er 1991 aus der DC und gründete dann die Demokratiebewegung „La Rete“ („Das Netz“). Darüber hinaus versuchte er mit einem komplexen Projekt der zivilen Erneuerung, den Einfluss der Mafia im sizilianischen Alltag zurückzudrängen. Eine lange Reihe von Programmen - vor allem im Bereich von Kultur und Erziehung - zielten auf die Förderung einer neuen Kultur der Legalität.

Sein Kampf gegen die organisierte Kriminalität bedrohte Orlando an Leib und Leben. Er galt über viele Jahre hinweg als höchstplaziert auf einer sogenannten „Abschussliste“. Sein Festhalten an der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption konnte zuletzt das diesem Phänomenen zugrunde liegende Schweigen, die "omertà", brechen. In einem „Kampf der Frauen“ fand Orlando ungewöhnlich breite Unterstützung in der weiblichen Bevölkerung. Palermitanerinnen boten ihm ihre eigenen Kinder zur Begleitung auf jeder Autofahrt an - damit die Mafia wisse, dass ein Bombenanschlag auf seinen Wagen auch unschuldige Kinder träfe. Zwar ging er nicht auf das Angebot ein, doch wurde damit allen Beteiligten klar, dass dies das Ende der Omertà war, dem passiven und insgeheimen Einverständnis mit der Mafia. 1994 wurde er für La Rete in das Europäische Parlament gewählt und war dort bis 1999 Abgeordneter. Nachdem er 2000 aus dem Amt als Bürgermeister schied, wurde Orlando dann Präsident des Sicilian Renaissance Institute.

Orlando ist verheiratet und hat zwei Töchter. 2002 veröffentlichte er seine Autobiografie „Ich sollte der Nächste sein“ und zuletzt auch eine Sammlung von Erzählungen unter dem Titel „Der sizilianische Karren“. Sizilien symbolisiert er darin mit einem Karren, der nur mit den zwei Rädern von Demokratie und Legalität einerseits und dem Rad der Kultur wieder vorankommen kann. Im Jahr 2006 wurde er in das italienische Parlament gewählt.

In der Film-Dokumentation «Palermo flüstert»[2] (2000) des Münchner Regisseurs Wolf Gaudlitz hat Leoluca Orlando einen Auftritt, in dem er symbolträchtig die Uhr des Rathauses von Palermo repariert. Gaudlitz machte bereits 1993 Orlando dem deutschen Fernsehpublikum mit einem Dokumentarfilm bekannt.

Bei den Kommunalwahlen im Mai 2007 [3] bewarb sich Orlando erneut als Bürgermeister für Palermo [4] und verlor knapp die Wahl gegen einen Vertreter des Mitte-Rechts-Bündnisses.[5] Orlando sprach von Wahlbetrug und forderte erfolglos von Innenminister Giuliano Amato eine Annullierung der Wahl.[6] Beobachter werteten diese Niederlage weniger als einen Sieg des rechten Gegenkandidaten, denn als Triumph des „Berlusconismus“ und damit einer breiten Abwendung vom Staat und der Bevorzugung kurzfristiger egoistischer Vorteile.[5]

Politische Karriere

  • Von 1980 bis 1985 war Leoluca Orlando Stadtrat von Palermo. Dabei führte er die linksgerichteten Parteien im Stadtrat von Palermo an. Damals war er Mitglied der italienischen Partei der Christdemokraten (DC).
  • 1985 wurde Leoluca Orlando Bürgermeister von Palermo und hatte dieses Amt während 12 von 16 Jahren bis Ende 2000 inne. Seine Regierungszeit in Palermo (1985-90 und 1993-2000) stellte einen politischen Bruch mit der Vergangenheit dar und wurde als "Frühling von Palermo" bekannt.
  • 1990 brach Leoluca Orlando mit der italienischen Partei der Christdemokraten und gründete die Demokratiebewegung "La Rete" (Das Netzwerk).
  • 1991 wurde Leoluca Orlando für "La Rete" in das sizilianische Parlament gewählt.
  • 1992 wurde Leoluca Orlando für "La Rete" in das italienische Parlament gewählt.
  • 1993 wurde Leoluca Orlando in der ersten direkten Bürgermeister-Wahl Italiens mit 75% als Bürgermeister von Palermo bestätigt. In der Folge hob er sämtliche Verträge der Stadt Palermo mit Unternehmungen auf, welche unter Verdacht standen, unter der Kontrolle von Mafia-Familien zu stehen.
  • 1994 wurde Leoluca Orlando in das Europäische Parlament gewählt. Dabei gehörte er den folgenden Kommissionen an:
- Eintritt Maltas in die Europäische Union (Vizepräsident)
- «Public Liberties and Home Affairs» (Mitglied)
- Regionalpolitik (Mitglied)
- Sicherheit und Abrüstung (Stellvertretendes Mitglied)
  • 1997 wurde Leoluca Orlando mit 59% als Bürgermeister von Palermo bestätigt. Damit trat er seine vierte und damit die nach dem italienischen Wahlgesetz letztmögliche vierjährige Amtszeit als Bürgermeister an.
  • 1999 trat Leoluca Orlando der demokratischen Partei Italiens bei, welche von Romano Prodi gegründet wurde und bis heute (2007) von Romano Prodi angeführt wird.
  • Im Dezember 2000 trat Leoluca Orlando als Bürgermeister von Palermo zurück, um für das Amt des sizilianische Präsidenten zu kandidieren. Im Juni 2001 wurde Leoluca Orlando mit knapp einer Million Stimmen ins sizilianische Parlament gewählt. Er unterlag zwar deutlich mit 36,6 zu 59,1% der Stimmen dem Berlusconi nahestehenden Mitte-Rechts-Kandidaten Salvatore Cuffaro, erreichte aber einen persönlichen Erfolg, da er über 200.000 Stimmen mehr als die ihn unterstützende Koalition erhielt[7]. Damit wurde er Oppositionsführer.
  • Seit April 2006 ist Leoluca Orlando Abgeordneter im italienischen Parlament für die italienische Partei Italia dei Valori, welche vom Anti-Korruptions-Richter Antonio Di Pietro angeführt wird.
  • Seit Juli 2006 ist Leoluca Orlando Sprecher der italienischen Partei «Italia dei Valori».
  • Von Oktober 2006 bis zur Neuwahl 2008 war Leoluca Orlando Präsident der «Kommission für Regionale Angelegenheiten» des italienischen Parlaments.

Kritik

Die tatsächliche Rolle von Orlando im Kampf gegen die Mafia ist umstritten und war schon mehrmals, u.a. seitens Mafiajägern wie Giovanni Falcone, als reine Rhetorik bezeichnet worden.[8] So war Orlando in seiner Funktion als Bürgermeister von Palermo 1990 mit seinem Versuch, einen Gegenpol zum Antimafia-Pool zu bilden, für die damalige Spaltung im Kampf gegen die Mafia verantwortlich und geriet hierfür stark in die Kritik. Hierbei machte Orlando nicht immer mit dem tatsächlichen Ermittlungsstand übereinstimmende Aussagen zu noch laufenden Verfahren, die er als abgeschlossen bezeichnete, was zu teils heftigen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Wortgefechten mit dem damaligen Leiter des Antimafia-Pools Giovanni Falcone führte.[9]

Werke

  • Contributo allo studio del coordinamento amministrativo. Milano, 1974
  • Teoria organica e stato apparato. Palermo, 1979
  • Ich sollte der Nächste sein. Zivilcourage - die Chance gegen Korruption und Terror. Herder, Freiburg 2002, ISBN 3-451-27985-1
    • englisch: Fighting the Mafia and Renewing Sicilian Culture. Encounter Books, New York City 2003
  • Der sizilianische Karren. Impressionen aus einem bewegten Leben. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-250-60063-6
  • Leoluca Orlando racconta la mafia 2007, ISBN 8802077762
    • deutsch: Leoluca Orlando erzählt die Mafia 2008

Auszeichnungen

  • 1998: Gran Croce al Merito Civile - König Juan Carlos zeichnet Orlando mit dem Großen Bürgerlichen Verdienstkreuz aus
  • 1999: Goethe-Medaille - Das Goethe-Institut in Weimar verleiht ihm die Medaille u.a. für seine Bemühungen zur Errichtung einer gerechteren Gesellschaft
  • 1999: Ehrenbürgerwürde von Chengdu (Volksrepublik China), einer Partnerstadt Palermos
  • 2000: European Civic Price - (Europäischer Bürgerpreis) verliehen von den Parteiengruppierungen der Demokraten und der Liberalen im Europäischen Parlament „für seinen Einsatz gegen die organisierte Kriminalität und zugunsten der zivilen Erneuerung von Palermo“.
  • Ehrenbürgerschaft des Los Angeles County
  • 2000: Bayard Rustin Human Rights Award - überreicht vom amerikanischen Lehrerverband
  • 2000: Ehrenbürgermeister auf Lebenszeit im kolumbianischen Palermo
  • 2001: Ehrenprofessorenwürde an der Solkan-Saba Orbeliani University von Tiflis (Georgien)
  • 2001: Puschkin-Preis der Stadt Sankt Petersburg, da er „aus Palermo ein internationales Zentrum für Bühnenkunst gemacht hatte“.
  • 2002: Legion de la libertad - verliehen von dem kulturellen Institut „Ludwig von Mises“ in Mexiko-Stadt
  • 2004: Ehrendoktorwürde der Universität Trier
  • 2005: Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück
  • 2008: Humanismus-Preis des Deutschen Altphilologenverbandes
  • 2008: Konrad-Adenauer-Preis der Stadt Köln

Literatur

Film

  • Gezählte Tage - Aus dem Leben von Leoluca Orlando. TV-Dokumentarfilm, Deutschland, 1993, 70 Min., Regie: Wolf Gaudlitz, Produktion: Duo Film GmbH, Radio Bremen, Erstsendung: 21. Oktober 1993, ARD

Einzelnachweise

[10] [11]

  1. „Erst Heidelberger Student – dann Kämpfer gegen die Mafia: Prof. Orlando spricht in der Alten Aula“, Universität Heidelberg, 23. November 2004
  2. Palermo flüstert, Film-Homepage mit Bildern, Rezensionen u.a. (archiviert)
  3. „Kommunalwahlen in Italien. Mitte-Rechts triumphiert im Norden“, Konrad-Adenauer-Stiftung, 31. Mai 2007
  4. „Leoluca Orlando. Der gute Pate von Palermo“, Süddeutsche Zeitung, 12. Mai 2007
  5. a b „Wir befinden uns in einer vorrevolutionären Situation“, Tagesspiegel, 3. August 2007
  6. „Center-right wins Sicily mayorships; Berlusconi says it's the beginning of the end for Prodi“, AP / International Herald Tribune, 14. Mai 2007
  7. Offizielle Ergebnisse beim Italienischen Innenministerium
  8. siehe S. 126/127 in "Ich sollte der nächste sein", Polemik von Leonardo Sciacia und "S. 37-47 "Der sizilianische Karren" zum selben Thema
  9. Repubblica, 22 Mai 1990
  10. SiemensForum (pdf-Datei)
  11. Leoluca Orlando, schulePUNKTbremen - Der Bremer Bildungsserver (archivierte Version)

Weblinks

 Commons: Leoluca Orlando – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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