Leberschau

Leberschau
Babylonische Tonleber, 2.000 v. Chr.
Bronzeleber von Piacenza

Die Leberschau (griech. Hepatoskopie) war eine der zentralen und meist verbreiteten Praktiken des antiken Orakelwesens und der Omenkunde und spielt auch heute noch zum Beispiel in der malayischen Kultur eine Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung

Bei den Babyloniern galt die Leber als Hauptstück der Eingeweide und neben dem Herz als Zentralorgan des Lebens, als Mikrokosmos, in dem der Wille Gottes sich wie im Makrokosmos kundtut. Zur Erkundung dieses Willens wurde ein besonderes Opfertier (Schaf) für die Opferschau geschlachtet und dann wurde von regelrecht ausgebildeten Opferschauern das Aussehen der Leber gedeutet.

Deutung

Die rechte Seite der Leber wurde vom Opferschauer auf die Verhältnisse des Klienten, die linke Seite auf die fremden Verhältnisse bezogen. Die Leber wurde in verschiedene Regionen aufgeteilt, die mit Berg, Fluss, Straße, Palast, Ohr, Bein, Finger, Zahn, Vulva und Hoden der Leber bezeichnet wurden. Ungewöhnliche Löcher in der Leber galten als Omen, das zur Vorsicht riet.

Überlieferungen

Die ältesten überlieferten Zeugnisse über die Leberschau stammen aus der Zeit Sargons I. und Naram-Sins. In Omenform wurden Geschichtsereignisse gedeutet, z.B.:

  • wenn die Oberfläche der Leber [wie] ein Löwe ist, so ist es ein Omen des Sargon, der unter diesem Omen [in dem Äon der Ištar] empor kam und keinen Widerpart noch Gegner hatte. Seinen Glanz über [die Länder goss er aus]. Das Meer des Westens überschritt er; drei Jahre im Westen [alle Länder] eroberte seine Hand....
  • wenn die Oberfläche der Leber wie ... und Gallenblase und Pyramidalfortsatz nicht vorhanden sind, der Gallenblasengang lang ist und die Leberfläche umschließt, [so ist das ein Omen] des Sargon, der seinen Palast auf fünf Meilen an Umfang erweiterte...
  • wenn die Leberoberfläche ihrem Umfange nach die Gallenblase umschließt und die untere Spitze über sie fällt und die Blase hinter die Oberfläche fällt und dort festsitzt, so ist das ein Omen des Sargon, der nach dem Lande ... zog und das Land ... unterjochte und dessen Hand damit die vier Weltteile eroberte.

Andere Völker

Omentexte und Praktiken der babylonischen Leberschau wurden von Nachbarkulturen (Hurritern, Elamitern, Hethitern) adaptiert und wurden prägend auch für die indische, ägyptische, griechische und etruskische Tradition. Auch den Azteken war die Opferschau bekannt und der Leber wurde hierbei, ähnlich wie bei den Babyloniern, eine zentrale Rolle als Sitz des Lebens zuerkannt (siehe Götterbild des Mictlantecuhtli).

Literatur

  • Rosmarie Leiderer: Anatomie der Schafsleber im babylonischen Leberorakel: Eine makroskopisch-analytische Studie. Zuckschwerdt, München [u.a.] 1990, ISBN 3-88603-348-1
  • Jan-Waalke Meyer: Untersuchungen zu den Tonlebermodellen aus dem Alten Orient. Butzon und Bercker, Kevelaer / Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1987 (= Alter Orient und Altes Testament, 39), ISBN 3-7666-9554-1, ISBN 3-7887-1271-6
  • Hans Lorenz Stoltenberg: Die wichtigsten etruskischen Inschriften: Text, Übersetzung und Erläuterung. Gottschalksche Verlagsbuchhandlung, Leverkusen 1956
  • Ulla Koch-Westenholz: Babylonian Liver Omens: The Chapters Manzāzu, Padānu Pān Tākalti of the Babylonian Extispicy Series mainly from Aššurbanipal's Library. The Carsten Niebuhr Instinstitue of Near Eastern Studies, Kopenhagen 2000 (= CNI Publications, 25), ISBN 87-7289-620-5

Weblinks

Siehe auch


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