Lateinisches Königreich Thessalonike

Lateinisches Königreich Thessalonike

Das Königreich Thessaloniki war ein kurzlebiger Kreuzfahrerstaat, welcher nach der Eroberung von Konstantinopel im Vierten Kreuzzug 1204 gegründet wurde. Die namensgebende Hauptstadt des Königreiches war die heutige nordgriechische Großstadt und damalige byzantinische Metropole Thessaloniki. Nach 20 Jahren endete 1224 die Existenz des Königreichs Thessaloniki mit der Eroberung der Stadt Thessaloniki durch den Despoten von Epirus Theodoros I. Angelos.

Inhaltsverzeichnis

Lage und Ausdehnung

Kreuzfahrerstaaten 1204 nach der Eroberung Konstantinopels im Vierten Kreuzzug, darunter auch das Königreich Thessaloniki
Terretoriale Erweiterung des Despotats von Epirus unter anderem auf Kosten des Königreichs Thessaloniki zwischen 1204 und 1230, das es sich vollständig einverleibt

Das Königreich Thessaloniki umfasste anfänglich (1204) die Gebiete der heutigen griechischen Verwaltungsregion Zentralmakedonien, Ostmakedonien und Thrakien (Westthrakien), Thessalien sowie Teile Mittelgriechenlands. Die Südgrenze markierte der Fluss Sperchios und dessen Tal vom Westen bis hin zum malischen Golf im Osten.[1] Angrenzender Nachbar war das Herzogtum Athen, einem weiteren Kreuzfahrerstaat und Vasall des Königreichs Thessaloniki. Die Westgrenze wurde durch die Höhenzüge des Pindos-Gebirges und seiner südlichen Fortsetzungen (Agrafa-Gebirge, Tymfristos-Massiv) gebildet und trennte das Königreich Thessaloniki von seinem westlichen Nachbarn, dem Despotat Epirus, einem byzantinischen Staat. Die Nordgrenze ähnelte der heutigen griechischen Nordgrenze und trennte das Königreich Thessaloniki vom Bulgarischen Reich ab. Im Osten grenzte das Königreich Thessaloniki an das Lateinische Kaiserreich von Byzanz bzw. Konstantinopel. Im Gegensatz zur Gegenwart gehörten die Gebiete um Kastoria, Edessa, Veria und Florina nicht zum Königreich Thessaloniki, sondern stellten die südlichen Gebiete des bulgarischen Reiches dar, welche sich zwischen dem Königreich Thessaloniki im Osten und dem Despotat von Epirus im Osten befanden.

Insbesondere die Nord- und Westgrenze waren ständigen Fluktuationen durch die wiederholten Auseinandersetzungen zwischen dem Königreich Thessaloniki einerseits und dem Despotat von Epirus im Westen sowie dem bulgarischen Reich im Westen und Norden ausgesetzt.

Geschichte

Bonifatius von Montferrat, der Anführer des Kreuzzugs, wurde sowohl von den Kreuzfahrern als auch den Byzantinern nach der Eroberung Konstantinopels 1204 als neuer Kaiser angesehen. Die Venezianer hielten ihn jedoch für zu nahe verwandt mit den Byzantinern, da sein Bruder Konrad in das gestürzte Kaiserhaus eingeheiratet hatte – sie wollten einen Kaiser, den sie einfacher kontrollieren konnten, und wählten Balduin von Flandern zum Kaiser des neuen Lateinischen Kaiserreichs.

Bonifatius akzeptierte die Entscheidung widerstrebend – und machte sich daran, Thessaloniki zu erobern, die zweitgrößte Stadt des Reichs nach Konstantinopel. Den Streit darüber mit Balduin, der die Stadt ebenfalls beanspruchte, gewann er, nachdem er den Venetianern Kreta übergeben hatte. Noch im Jahr 1204 eroberte er Thessaloniki. Anfänglich betrachtete Bonifatius Thessaloniki als unabhängiges Königreich. Auf Intervention von Balduin musste Bonifatius das Königreich Thessaloniki dem lateinischen Kaiserreich unter Balduin unterordnen.[1] Der Königstitel König von Thessaloniki wurde von Bonifatius nie offiziell benutzt.

Bonifatius wandte sich nach der Eroberung von Thessaloniki nach Süden und eroberte sukzessive große Teile des griechischen Festlandes. Anfänglichen byzantinischen Widerstand, vor allem durch den byzantinischen Gouverneur von Nafplio und Argos Leo Sgouros, brach Bonifatius durch wiederholte militärische Erfolge über byzantinische Reststreitkräfte einschließlich eines Gefechtes bei den Thermopylen.[1] 1204 eroberte Bonifatius Athen und vermachte es als Lehen Herzogtum Athen an den Burgunder Odo de la Roche.[2]. 1204 bis 1205 eroberten Wilhelm von Champlitte und Geoffrey von Villardhouin die Peloponnes und wurden Lehnsherrn des Fürstentum Achaia. Somit wurden alle südlich des Flusses Sperchios gelegenen Ländereien von Bonifatius als Lehen des Königreiches Thessaloniki vergeben.[1] Nach der Niederlage des byzantinischen Restheeres ergab sich auch die Insel Euböa, welche von Bonifatius als Lehen an Cacero gegeben wurde. Nach der Eroberung von Athen marschierte Bonifatius über den Isthmus von Korinth auf die Peloponnes ein und belagerte die Städte Korinth und Argos gleichzeitig, in denen sich byzantinische Reststreitkräfte befanden. Eine aufkommende Rebellion in Thessaloniki 1205 veranlasste Bonifatius jedoch zur Rückkehr nach Thessaloniki, wo er die Rebellion niederschlug, während gleichzeitig der lateinische Kaiser Balduin I. in der Schlacht von Adrianopel am 14. April 1205 dem bulgarischen Zaren Kalojan unterlag.[1] Die ägäischen Inseln wurden Bonifatius bereits 1203 vom byzantinischen Kaiser Alexios IV. Angelos zugesprochen; bereits 1204 verkaufte Bonifatius den Anspruch auf diese Besitztümer an die Republik Venedig. Außerdem trat er Kreta sowie einen kleinen Landstrich in Makedonien (Kassandra) an die Venezianer gegen eine Zahlung von 1000 Silbermark sowie einer jährlichen Pacht von 10000 Florin ab.[3]

Bonifatius’ Herrschaft dauerte weniger als drei Jahre, als er von Zar Kalojan von Bulgarien am 4. September 1207 aus einem Hinterhalt getötet wurde. Das Königreich ging an seinen Sohn Demetrius über, einem Kind, so dass die tatsächliche Macht von verschiedenen Adligen ausgeübt wurde. Die erhoben sich sofort gegen das Lateinische Kaiserreich, wurden aber von Kaiser Heinrich 1209 vernichtend geschlagen. Heinrichs Bruder Eustach wurde als Regent für Demetrius eingesetzt. Das lateinische Kaiserreich übernahm in der Folgezeit die militärische Kontrolle über das Königreich von Thessaloniki durch das Kommando über die Festungen des Königreiches.

Aus dieser Situation versuchte Michael I. Angelos, Herrscher des Despotat Epirus, 1210 seinen Vorteil zu ziehen und griff das Königreich Thessaloniki an. Auch das bulgarische Reich versuchte die unklare Führungssituation bei seinem südlichen Nachbarn auszunutzen und mittels eines militärischen Angriffs Gebiete zu erobern. Heinrich schlug sowohl die Streitmacht des Despoten von Epirus wie auch des bulgarischen Reiches und sicherte damit den Fortbestand des Königreichs Thessaloniki.

Der Nachfolger von Michael I. Angelos als Despot von Epirus, Theodoros I. Angelos, setzte die Angriffe nach Michaels Tod 1215 fort. In den 9 Jahren zwischen 1215 und 1224 gelang ihm die sukzessive Eroberung des Gebietes des Königreiches Thessaloniki. 1217 nahm Theodor I. Angelos den lateinischen Kaiser Peter bei dessen Rückkehr auf dem Landweg nach einem erfolglosen Eroberungsversuch von Durazzo (heute Durrës), welches unter der Herrschaft des Despotats von Epirus stand, fest und beraubte damit das lateinische Kaiserreich seines im gleichen Jahr 1217 gekrönten Kaisers.[4] Die nachfolgende Regentschaft durch Conon de Béthune bis 1221 erlaubte keine militärische Intervention zu Gunsten des Königreiches Thessaloniki, welches somit nicht mehr auf die militärische Unterstützung des lateinischen Kaiserreiches von Byzanz zählen konnte und zusehends Gebiete an das Despotat Epirus verlor.

1222 spitzt sich die militärische Lage derart zu, dass die Witwe von Bonifatius von Montserrat sowie dessen Sohn und Thronerbe Demetrius von Montferrat nach Italien fliehen. Papst Honorius III. wird von beiden bedrängt, einen erneuten Kreuzzug zur Rettung der Stadt Thessaloniki und damit des Königreiches auszurufen. Dieser Aufruf findet jedoch nur wenig Zuspruch, so dass der Kreuzzug unter Führung von Wilhelm VIII. von Montferrat zu schwach gerüstet ist und spät hinsichtlich eines effektiven Entsatzes der mittlerweile durch den Despoten von Epirus belagerten Stadt Thessaloniki kommt.[5] Das endgültige Ende des Königreiches Thessaloniki besiegelte der Fall der Stadt 1224 an Theodor I. Angelos, welcher sich nach der Eroberung von Thessaloniki zum Kaiser von Thessaloniki krönen lässt. Die Kreuzfahrer unter Wilhelm VIII. von Montferrat und Demetrius von Montferrat gelingt zwar eine Landung auf dem griechischen Festland und ein Vormarsch bis zur Ortschaft Almyros in Thessalien, wo eine Durchfallepidemie 1226 das Gros der Kreuzfahrer ohne weitere kriegerische Auseinandersetzungen tötet, darunter auch Wilhelm VIII. von Montferrat am 17. September 1226. Demetrius von Montferrat flieht zurück nach Italien, wo er 1227 verstirbt.[5][1]

Der thessalonikische Titel wurde nach dem Tod von Demetrius von Montferrat 1227 bis 1316 noch von verschiedenen Personen beansprucht und eine Zeit lang innerhalb der Familie der Herzöge von Burgund vererbt.

Könige von Thessaloniki

Titularkönige von Thessaloniki

Älteres Haus Burgund

Odo IV. verkauft seine Ansprüche 1321 an Philipp I. von Tarent

Siehe auch: Montferrat

Quellen

  1. a b c d e f George Finlay. The history of Greece: From Its Conquest by the Crusaders to Its Conquest by the Turks, and of the Empire of Trebizond 1204-1461. William Blackwood and Sons, Edinburgh. 1851.
  2. Norman Housley. The later crusades, 1274-1580: From Lyons to Alcazar. Oxford University Press, Oxford. 1992. ISBN 0-19-822136-3
  3. James Emerson Tennent. The History of Modern Greece, from Its Conquest by the Romans B.C. 146, to the Present Time. Henry Colburn, London. 1845.
  4. Edward Gibbon. The history of the decline and fall of the Roman empire, with notes by Dean Milman and M. Guizot. John Murray, London. 1855
  5. a b Donald M. Nicol. Byzantium and Venice: A Study in Diplomatic and Cultural Relations. Cambridge University Press, Cambridge. 1988. ISBN 0-521-42894-7

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