Anna Anderson

Anna Anderson
Anna Anderson (1920)

Anastasia Manahan (* 22. Dezember 1896 in Borreck Abbau, Kreis Karthaus, Westpreußen; † 12. Februar 1984 in Charlottesville, Virginia), besser bekannt unter dem Namen Anna Anderson, wurde berühmt durch die bis zu ihrem Lebensende aufrechterhaltene Behauptung, Anastasia Romanowa (1901–1918) zu sein, die Tochter des letzten russischen Zaren Nikolaus II. Sie gab an, am 17. Juli 1918 als einzige die Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiki im Zuge der Russischen Revolution überlebt zu haben. Weitere Namen, unter denen sie bekannt wurde, waren Anna Tschaikowsky (so nannte sie sich zunächst selbst) und Franziska Schanzkowska (transkribiert auch Schanzkowsky bzw. Tschanskowsky), ihr mutmaßlich wirklicher Name.[1]

Ihr Leben wurde mehrfach verfilmt: Am bekanntesten ist die Hollywood-Verfilmung Anastasia von 1956 mit Ingrid Bergman in der Titelrolle.[2]

Inhaltsverzeichnis

Der Fall Anna Anderson

Die am 22. Dezember 1896 in Borreck Abbau (Borrowilaß), Kreis Karthaus, Westpreußen geborene Francisca Anna Czenstkowska, Tochter des Pächters Anton Czenstkowski und seiner Ehefrau Marianne geb. Witzke,[3] und seit dem 9. März 1920 in Berlin polizeilich als vermisst gemeldete Bauerntochter Franziska Schanzkowsky war zunächst Fabrikarbeiterin.

Durch eine vermutlich inszenierte Verwechslung schlüpfte Schanzkowsky Anfang der 1920er Jahre in die Rolle der russischen Zarentochter Anastasia Nikolajewna Romanowa, die in der Nacht vom 16./17. Juli 1918 zuvor mit ihrer Familie unter staatlicher Geheimhaltung im Ipatjew-Haus in Jekaterinburg ermordet und in einem unzugänglichen Waldgebiet verscharrt worden war. In der Weltöffentlichkeit herrschte damals weitgehende Unkenntnis zum tatsächlichen Geschehen um das Verschwinden der russischen Zarenfamilie. Die Boulevardpresse interpretierte daher das Schicksal der jungen unbekannten Frau, die nach einem Selbstmordversuch am 17. Februar 1920 aus dem Berliner Landwehrkanal gezogen worden war, als das Auftauchen der dem blutigen Massaker vermutlich entronnenen Großfürstin.

In der historischen Aufarbeitung konnte nie zweifelsfrei geklärt werden, ob Franziska Schanzkowsky die Öffentlichkeit bewusst täuschte oder sie durch ein Nervenleiden tatsächlich glaubte, die überlebende Zarentochter zu sein. Spätere Untersuchungen ergaben, dass Schanzkowsky von den behandelnden Ärzten geradezu gedrängt wurde, in die Rolle der Anastasia zu schlüpfen. Sie legte sich das Pseudonym Anna Anderson zu und spielte Zeit ihres Lebens die Rolle der verkannten Großfürstin. Erst zehn Jahre nach ihrem Tod klärte eine DNA-Untersuchung zweifelsfrei, dass sie nicht mit dem russischen Zarengeschlecht Romanow verwandt gewesen sein konnte,[4] da 1994 diese damals völlig neue Methode so weit fortgeschritten war, dass ein DNA-Test an beliebigem menschlichem Material durchgeführt werden konnte.

Leben

Seit 1922 behauptete sie, Großfürstin Anastasia und somit die vierte und jüngste Tochter von Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Fjodorowna, vormals Alix von Hessen-Darmstadt, zu sein. In den 1930er Jahren fand sie Aufnahme bei Spes Stahlberg, geb. Kleist-Schmenzin, in Berlin.[5] Ab 1929 ließ sie sich von dem amerikanischen Anwalt Edward Huntington Fallows (1865–1940) vertreten.[6] Dieser betraute 1938 die Rechtsanwälte Paul Leverkuehn und Kurt Vermehren damit, ihre Ansprüche auf Vermögenswerte der Zarenfamilie in Deutschland vor deutschen Gerichten zu vertreten. Ab 1938 bis 1970 führten sie daher an deutschen Gerichten zivilrechtliche Prozesse, die zur Anerkennung als Zarentochter führen sollten. Am 17. Februar 1970 entschied der Bundesgerichtshof in der Anastasia-Entscheidung letztinstanzlich, dass das vorangegangene Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, nach welchem sie nicht bewiesen habe, mit der Großfürstin Anastasia Nikolajewna von Russland identisch zu sein, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sei.[7]

Seit Juli 1968 war sie bereits nach Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia gesiedelt, wo sie am 23. Dezember 1968 den Historiker Professor Dr. John Eacott Manahan († 1990) heiratete und bis zu ihrem Tode zurückgezogen lebte. Am 12. Februar 1984 verstarb sie nach langer, schwerer Krankheit und wurde noch am gleichen Tag eingeäschert. Ihre Urne wurde am 18. Juni 1984 auf dem orthodoxen Teil des Friedhofs der Kirche St. Walburg in Seeon in Bayern beigesetzt, wo ihre Gönner, die Familie der Herzöge von Leuchtenberg, welche zwischen 1852 und 1934 im Besitz der ehemaligen Klostergebäude Seeon waren, begraben sind.

In der Zeit vom 11. bis zum 13. Juli 1991 wurden die sterblichen Überreste der mutmaßlichen Zarenfamilie in Russland geborgen. Am 28. Juli 1992 wurde bekannt gegeben, dass die sterblichen Überreste des Zarewitschs Alexej und einer der Töchter, entweder der Großfürstin Maria oder der Großfürstin Anastasia, fehlten.

Für einen DNA-Vergleich mit Knochen- und Blutproben von den geborgenen sterblichen Überresten und von lebenden Verwandten der Zarin Alexandra Feodorowna wurde am 21. Juni 1994 DNA-Material von Anna Anderson-Manahan aus einer konservierten Gewebeprobe entnommen, das von einer Operation am 20. August 1979 im Martha-Jefferson-Hospital in Charlottesville stammte. Am 5. Oktober 1994 wurde bekanntgegeben, dass aufgrund des DNA-Tests eindeutig festgestellt werden konnte, dass Anna Anderson-Manahan kein Nachkomme der Zarin sein kann. Vielmehr wurde festgestellt, dass die DNA-Profile Anna Anderson-Manahans und ihres Großneffen die für eine Verwandtschaft nötigen Übereinstimmungen zeigen.

Am 2. April 1996 wurde das abschließende Ergebnis über die 1991 in Jekaterinburg geborgenen sterblichen Überreste veröffentlicht. Es wurde mitgeteilt, dass es sich um das Zarenpaar und die Großfürstinnen Olga und Tatjana handelt.[8]

Literatur

  • Hugh Brewster: Anastasias Album. Die jüngste Tochter des letzten Zaren erzählt ihre Geschichte. Langen-Müller, München 1996, ISBN 3-7844-2596-8
  • Peter Kurth: Anastasia, die letzte Zarentochter. Das Geheimnis der Anna Anderson. Lübbe, Bergisch Gladbach 1989, ISBN 3-404-11511-2
  • Robert K. Massie: Die Romanows – Das letzte Kapitel. Berlin Verlag, 1995, ISBN 3-8270-0070-X
  • Kurt Vermehren: Des Herzogs rätselvolle Reise. In: Die Zeit, Nr. 50/1960
  • Robert Widl: Zarenthron und Kremlmauer – von Anastasia bis Jelzin. Stieglitz, Mühlacker 1995, ISBN 3-7987-0330-2

Weblinks

 Commons: Anna Anderson – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. ZDF-Sendung, 9. September 2004: Die Akte Romanow
  2. IMDB-Eintrag zum Film 1956
  3. Standesamt Sullenschin, Kreis Karthaus, Westpreußen Geburten 1896 Nr. 196 24. Dezember 1896
  4. Rüdiger Schmitt (Universität Regensburg, Lehrstuhl für Genetik, 2003): Gene und Geheimtext im menschlichen Genom (PDF)
  5. Alexander Stahlberg: Die verdammte Pflicht – Erinnerungen 1932 bis 1945. Ullstein, Berlin 1987 (zuletzt 13. Auflage der erw. Neuausgabe 1994, Ullstein, Berlin 1999, ISBN 3-548-33129-7), S. 65.
  6. Siehe Edward Huntington Fallows "Anastasia" papers: Guide. in der Harvard University Library
  7. BGHZ 53, 245ff.
  8. P.M. HISTORY (Ausgabe 12/2009)

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