Kynismus

Kynismus

Der Kynismus [kyˈnɪsmʊs] (griech. κυνισμός, kynismós, wörtlich „Hundigkeit“ im Sinne von „Bissigkeit“, von κύων, kyon, „der Hund“) ist eine philosophische Richtung der griechischen Antike, die von Antisthenes und seinem Schüler Diogenes von Sinope im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung begründet wurde.

Ausgangspunkt der kynischen Lehre ist ein ethischer Skeptizismus. Da für die Kyniker weder die verschiedenen Traditionen noch die wechselnden Bedürfnisse ethische Normen begründen können, strebten sie nach Bedürfnislosigkeit und Natürlichkeit. Damit verbunden war eine Zurückweisung von kulturell begründeter Scham (z. B. Nacktheit) und Besitz, die sie als bloße Konventionen betrachteten. Oft lebten Kyniker nach der Art von Bettelmönchen von Almosen. Eine ihrer Hauptaufgaben sahen die Kyniker in der Steigerung des ethischen Bewusstseins ihrer Mitbürger, aber nicht durch Belehrung, sondern durch Satire und Provokation.

Die Weltanschauung der Kyniker ging Verbindungen mit anderen zeitgenössischen Schulen der Philosophie ein, wie der älteren Stoá, zu der persönliche Verbindungen bestanden. Auch zur Philosophie des Epikureismus bestehen inhaltliche Bezüge (über historische kann nur spekuliert werden). Außerhalb des philosophischen Schulbetriebs traten die Kyniker nur wenig als Autoren und vor allem als Wanderprediger in Erscheinung. Neben der Ablehnung und dem Skeptizismus, den sie Besitz und Bräuchen entgegengebrachten, findet sich später ein mythologisches Element in Form der Verehrung des Halbgottes Herakles, der wegen seiner Unabhängigkeit und Stärke als Vorbild gegolten haben soll, und alternativen Mysterienkulten, (siehe auch Totenkult in der griechischen Antike), mit der sie die Rituale der Stadtreligionen zurückwiesen. [1]

Der Begriff Zynismus wurde ursprünglich ebenfalls für die Lehre der Kyniker benutzt, hat aber im heutigen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung bekommen.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft des Schulnamens

Der Schulname wurde zum Teil auf das „Kynosarges“ zurückgeführt, den Ort, an dem Anthistenes in Athen lehrte. Eine andere und etwas bekanntere Erklärung ist die, dass sich der Name von der griechischen Bezeichnung κύων (kyon), also „Hund“, ableitet, dem Schimpfnamen, der angeblich Diogenes in Korinth verliehen wurde. Die Anhänger dieser Schule wurden „wegen ihrer Bedürfnislosigkeit und ihrer gewollten Armut, dann wegen ihrer Art, die Leute rücksichtslos anzufallen, um ihnen ihre Lehre zu predigen“, mit den Hunden verglichen. Beide Erklärungen über den Namen existieren schon seit der Antike.

Allerdings gibt es in modernen Forschung vermehrt Bedenken über diese Theorien, denn rein sprachlich ist die Ableitung „Kynosarges“ unwahrscheinlich. Außerdem existiert keine Überlieferung, nach der spätere Kyniker – d.h. nach Antisthenes – irgendwie in Verbindung mit diesem Gymnasium stehen. Vielmehr könnte dahinter das Interesse stehen, den Kynismus im Nachhinein zu einer Schule in der Tradition von Sokrates aufzuwerten und ihn gleichrangig neben die Platonische Akademie und dem Lykeion zu stellen, auch wenn es sich vielleicht eher um eine Bewegung unabhängiger Wanderprediger gehandelt habe. Auch die einleuchtende Erklärung, dass die Kyniker nach dem Wort „kyon“ benannt wurden, ist laut Niehues-Pröbsting[2] nicht ganz schlüssig.

Überlieferung

Da von den Kyniker keinerlei Schriften hinterlassen wurden, ist ihr historisches Bild vor allem aus Berichten und Legenden, insbesondere um den Schulgründer Diogenes geprägt. Dabei ist zu beachten, dass die Gestalt des Diogenes, aber auch die gesamte Lehre des Kynismus, bereits in der Antike sehr stark polarisierten. Die Berichte sind also zum einen von einer Idealisierung des Diogenes zum unfehlbaren ethischen Vorbild zum anderen vom Tadel an seinen Ansichten und seinem Lebenswandel als unmoralisch geprägt. Die oft nur anekdotenhaften Überlieferungen wurden dabei kaum hinterfragt und auch ihre Lücken machten erstaunlich wenig Bedenken. So ist z. B. lange unkritisch hingenommen worden, dass fast das gesamte antike Material über den Kynismus drei- bis fünfhundert Jahre jünger ist als die ersten Kyniker und dass eine relativ geringe Zahl von Vertretern der „kynische Schule“ bekannt war.

Ein Zugang zum historischen Kynismus ist daher nur schwer zu gewinnen. Der Großteil der Quellen über den Kynismus stammt aus dritter Hand, von Marcus Tullius Cicero und Diogenes Laertius (Leben und Meinungen berühmter Philosophen; Buch 6). Dass vom Kynismus nur wenig Material erhalten ist, hat mehrere Gründe. Zum einen liegt es daran, dass man dem Kynismus bereits im Altertum den Charakter einer echten Philosophenschule abgesprochen hat, da es sich eher um eine Lebensform handle. Tatsächlich gibt es aber einige wenige Kyniker, die sich sehr ausführlich mit der Literatur beschäftigten. Zu ihnen gehören Monimos und Krates, die – ganz im Gegensatz zu Diogenes – vor allem durch ihre schriftstellerische Tätigkeit als Satiriker und Moralisten bekannt wurden. Krates schrieb parodistische Tragödien, Hymnen, Elegien und Briefe, die allesamt verloren gegangen sind. Aber auch Antisthenes soll ein zehnbändiges Werk verfasst haben, von dem allerdings nur mehr Fragmente erhalten sind) hat über die Lehren des Kynismus geschrieben. Der Großteil ist im Laufe der Zeit verloren gegangen und nur wenige Werke sind teilweise erhalten geblieben (siehe auch: Bücherverluste in der Spätantike).

Lehren und Inhalte des Kynismus

Wegen der schlechten Überlieferungslage werden die Lehren der Kyniker aus den Anekdoten oft unter Rückgriff auf die verwandte Lehre der Stoá rekonstruiert-aufzuhelfen. Zwar hat der Kynismus starken Einfluss auf die Stoá ausgeübt, doch philosophiehistorisch führt die Vermischung leicht zur Chimäre eines „kynisierenden Stoizismus“[3].

Höchstes Ziel ist für die Kyniker, wie für die meisten anderen nachsokratischen Schulen, das Erreichen des Glücks des Einzelnen. Der Weg dahin, den die Kyniker beschreiten wollen, ist dem der Stoiker sehr ähnlich: Nach der kynischen Lehre beruht Glück auf innerer Unabhängigkeit und Autarkie. Diese innere Freiheit wiederum könne man durch Tugend erreichen, die somit für sich selbst ausreichend zum Glück sei. Sie sei der einzig wahre Wert; alle anderen vermeintlichen Güter seien in Wirklichkeit Übel oder zumindest unwichtig für ein glückseliges Leben. Abweichend von den Stoikern weisen sie eine Verstrickung in das Streben nach anderen Gütern aktiv zurück, während die Stoiker passive Zurückhaltung empfehlen.

Worin die eigentliche Tugend besteht, scheinen die Kyniker nicht näher definiert zu haben. Am ehesten finden wir eine Antwort in den Anekdoten, die über die Kyniker verfasst worden sind: Primär ist die kynische Tugend als Vermeidung des Übels und Bedürfnislosigkeit zu verstehen. Letztere sichert die innere Freiheit und führt zu einem weiteren Grundsatz des Kynismus: der Orientierung an der Natur. Was natürlich ist, könne weder schlecht sein, noch ein Grund, sich dafür zu schämen. Somit ist für die Kyniker beispielsweise das öffentliche Leben des Diogenes oder die offene Tür von Kratos und Hipparchia nicht skandalös, sondern natürlich und normal. Eine Art Vorbild stellten die Tiere dar, da sie einerseits Ansätze zur Kritik an der menschlichen Gesellschaft bieten, andererseits aber auch – so waren die Kyniker überzeugt – eine positive Anleitung zu einem glücklichen und richtigen, naturgemäßen Leben brachten.

Doch auch wenn die Bedürfnislosigkeit die Autarkie sichert, so führt sie zur Negation der althergebrachten Sitten, Normen und Gesetzen, der Kultur, Kunst und Familie, bis hin zur Erregung des öffentlichen Ärgernisses. Dieses muss in Kauf genommen, ja sogar erwartet werden: Durch die Bedürfnislosigkeit wird dem Schicksal aber möglichst wenig Angriffsfläche geboten: wer nichts besitzt, kann auch nicht enttäuscht werden, weil er nichts verlieren kann. Deswegen sind die größten Hindernisse auf dem Weg zum Glück Begierde, Angst (z.B. vor Schicksalsschlägen) und Unwissenheit. Denn nur durch Wissen sei Tugend erlernbar, wenn man auch bereit ist, das Erlernte umzusetzen. Der Kynismus ist in seinen Lehren und seiner Umsetzung also sehr radikal: alle äußerlichen, weltlichen Dinge sollen abgelegt werden, weil sie unglücklich machen und wider die Natur sind.

Die Mittel, mit denen die Kyniker „zubeißen“, um die bestehende Ordnung durch ein „natürlicheres“ zu ersetzen, sind das Vorleben der Armut, Provokation und Satire und Spott in Form von heftigen Bußpredigten, die durch einen aggressiven Stil des Vortrags, auffällige, extreme Bildersprache und derbe Anschaulichkeit gekennzeichnet sind, die sogenannte Diatribe (διατριβή). Diese verwenden auch Stoiker, besonders Seneca, und transformieren sie in eine lockere, im volkstümlichen Ton gehaltene moralphilosophische Rede. Diese wendete sich an ein breites Laienpublikum, um es durch unterhaltsame Belehrung zu erziehen und beeinflusste im Stil auch die frühchristliche Predigt sehr stark. Häufig waren die Kyniker auch darauf aus, durch Skandale Aufmerksamkeit zu erregen, um ihrem Protest gegen die bestehenden Verhältnisse Nachdruck zu verleihen.

Während der hellenistische Kynismus also sehr individualistisch ausgerichtet war, so änderte sich dies im Laufe der Jahrhunderte. Der Kynismus der römischen Kaiserzeit – ganz im Gegenteil zum Kynismus des Diogenes – trug fast schon religiöse Züge. Das Gemeinschaftswesen spielte nun eine große Rolle. Das Einzige, das sich nicht veränderte, waren die kompromisslosen Einstellungen in Bezug auf Askese und Bedürfnislosigkeit. So ist es auch kaum verwunderlich, dass der Kynismus mit dem Ende der Antike als eigenständige Philosophierichtung verschwand. Nur im Stoizismus lebten einige Grundgedanken weiter.

Kynismus und Stoa

Die Stoá folgt denselben ethischen Maximen wie im Kynismus. Während aber für die Kyniker das naturgemäße Leben, das mit Bedürfnislosigkeit einhergeht, ein Weg ist, um dem Schicksal, der Ananke, so weit es geht zu entfliehen, bedeutet für die Stoiker „secundum naturam vivere“ (Zenon), dass das Leben von Vernunft bestimmt ist, da sie uns erkennen lässt, dass Reichtum oder Ansehen nur vermeintliches Glück sind. Nicht die Vermeidung des Schicksals durch eine Trennung von natürliche und unnatürlichen Bedürfnissen, sondern eine apathische Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen ist das Ziel, nicht die Vermeidung des Schicksals, sondern die Hinnahme der Pflichten und Aufgaben, die sich aus den Zufällen von Geburt und Eignung ergeben.

Der Versuch der Kyniker, der öffentlichen Welt zu entrinnen, wird von der Stoá dafür kritisiert, dass so das eigene Ego, das noch immer mit Problemen, Sorgen und Ängsten kämpft, dem Glück im Weg steht.

„Effugisti vitia animi; non est tibi frons ficta, nec in alienam voluntatem sermo compositus, nec cor involutum, nec avaritia, quae, quicquid omnibus abstulit, sibi ipsi neget, nec luxuria pecuniam turpiter perdens, quam turpius reparet, nec ambitio, quae te ad dignitatem nisi per indigna non ducet: nihil adhuc consecutus es; multa effugisti, te nondum.“

„Du bist den Fehltritten des Geistes entflohen: deine Miene ist nicht verstellt, deine Rede ist nicht nach fremdem Willen geheuchelt und das Herz ist nicht von Dunkel verhüllt durch Habgier, welche, was auch immer sie allen weggenommen hat, sich selbst missgönnt, noch voll Verschwendungssucht, die das Vermögen sehr schändlich vergeudet, um es noch schändlicher wieder hereinzubringen, du hast keinen Ehrgeiz, der dich nicht zu Ansehen bringt, außer durch Unwürdiges (Verhalten): du hast noch immer nichts erreicht, hast vieles gemieden, dich selbst noch nicht.“

Seneca: Naturales quaestiones, Liber primus, Preafatio, §6[4]

Gründerfiguren

Antisthenes

Antisthenes war zunächst Schüler des Sophisten Gorgias, dann aber von Sokrates. Nach dem Tod des Sokrates lehrte er selbst am Gymnasion Kynosarges. Nach dem Peloponnesischen Krieg erlitt die Polis eine schwere Krise, die sich vor allem im Elend der Bevölkerung äußerte. Aus dem Überdruss an dieser „verkommenen Gesellschaft“ rät Antisthenes zum völligen Rückzug aus dem politischen Leben und den alten Werten zugunsten eines naturgemäßen Lebens, das weniger Enttäuschungen mit sich bringt.

Der bedeutendste Schüler des Antisthenes und war Diogenes von Sinope, der bekannteste Kyniker und eigentliche Begründer des Kynismus als Lebensform und philosophische Schule. Schüler des Diogenes waren Monimos und Krates von Theben, der wiederum der Lehrer von Zenon von Kition, dem Begründer der Stoá, war. Damit lassen sich Kynismus und Stoá gleichermaßen auf Anthistenes und damit auf Sokrates zurückführen. Die in der Antike aufgestellten Stammbäume der Philosophenschulen, die alle nachsokratischen Schulen auf Sokrates zurückführen sollten jedoch historischen mit Zurückhaltung betrachtet werden.

Im Gegensatz zu Anthistenes ziehen sich Diogenes und die anderen Kyniker nicht völlig aus der Öffentlichkeit der Polis zurück, sondern provozieren und gehen in Opposition zu der bestehenden Ordnung, von der sie ahnen, dass sie dem Untergang geweiht ist.

Diogenes

Hauptartikel: Diogenes von Sinope

Auch in der Überlieferung zu Diogenes erfahren wir nichts, das nicht in Zweifel gezogen werden könnte. Nicht einmal seine historische Existenz ist direkt oder absolut sicher nachweisbar, da er mit Ausnahme des Theophrastos von Eresos bei keinem zeitgenössischen Autor Erwähnung findet. Auch in der neuen Griechischen Komödie, die sonst eine der wichtigsten Informationsquellen über die öffentliche Wirkung griechische Philosophen darstellt, treten von den Kynikern nur Monimos und Krates als Figuren auf. Alle unter seinem Namen verzeichneten Schriften wurden schon in der Antike für unecht erklärt.

Diogenes wurde der Legende nach am Todestag von Sokrates 399 v. Chr. in Sinope am Schwarzen Meer (Kleinasien) als Sohn des Geldwechslers Hikesias geboren. Von Sinope wurde Vater und Sohn angeblich wegen Münzfälscherei verbannt und flüchtete nach Athen. Über die Umstände dieser Tat gibt es verschiedene, in den Details sich widersprechende Berichte, die Diogenes Laertius kommentarlos aneinandergereiht aufgeschrieben hat:

„Diogenes, des Wechslers Hikesias Sohn, stammte aus Sinope. Diokles erzählt, sein Vater habe ein öffentliches Wechslergeschäft gehabt und sei wegen Falschmünzerei flüchtig geworden (1). Eubulides aber berichtet in seinem Buch über Diogenes, dieser sei selbst der Täter gewesen und sei mit seinem Vater in die Fremde gegangen (2). Ja, er selbst sagt von sich in seinem Pordalos, er habe die Münze verfälscht (3). Einige behaupten, er sei zum Aufseher gemacht worden und habe sich von den Werkleuten bereden lassen, nach Delphi oder nach Delos, der Heimat des Apollon, zum delischen Tempel sich zu begeben, um dort anzufragen, ob er das vornehmen dürfe, wozu man ihn auffordere. Als der Gott es erlaubte, nämlich eine Änderung der staatlichen Ordnung überhaupt, fasste er es anders auf, fälschte die Münze, ward gefasst und musste, wie einige vermelden, in die Verbannung gehen (4a), während er nach anderen freiwillig aus der Stadt entwich, aus Furcht (4b); noch andere behaupten, er sei vom Vater zur Münzfälschung veranlasst worden und dieser sei im Gefängnis gestorben, er aber sei flüchtig geworden und nach Delphi gegangen und habe da angefragt, nicht ob er das Geld fälschen dürfe, sondern was ihm dazu verhelfen würde, alle an Ruhm zu übertreffen, und habe darauf jene Antwort erhalten (5).“

Diogenes Laertios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch 6.[5]

Der Orakelspruch, den Laertius nicht mitteilt, soll „paracharattein to nomisma“ („die Münze umprägen“) gelautet haben. Dabei liegt die für einen Orakelspruch typische Doppeldeutigkeit in den Worten „nomisma“ und „paracharattein“. „Nomisma“ meint ursprünglich „das, was Geltung hat“ und ist eine Bezeichnung für „Sitte“ oder „Brauch“. Allmählich – etwa um das 5. Jahrhundert v. Chr. – wurde es aber auch zu einer Bezeichnung für „Münze“ oder „Geld“. Auch das Verb „paracharattein“ hat zwei Bedeutungen: zum einen die negative des Fälschens, zum anderen aber auch eine neutrale, die so viel wie „umprägen“ oder „verändern“ bezeichnet. Somit kann man den Orakelspruch auf zwei Arten interpretieren: mit „das Geld fälschen“ oder mit „die Sitte verändern“. Es könnte also sein, dass die Anekdote in metaphorischem Sinne verstanden werden soll, wie Laertius an einer anderen Stelle erklärt: „Solches lehrte er [Diogenes] und handelte auch danach, indem er die Münze wirklich umprägte dadurch, dass er weniger Gewicht legte auf die Vorschriften des Gesetzes als auf die der Natur.“ Ob das Münzverbrechen oder das Orakel beide oder zum Teil geschichtliche Fakten sind, ist unklar.

In Athen soll Diogenes den geistigen Vater der kynischen Philosophie, Antisthenes, gehört haben, der dort die Wertlosigkeit des Besitzes für die Glückseligkeit lehrte. Diogenes soll diese Lehre in ein praktisches Ideal umgesetzt haben, Ideal in vollkommener Weise zu verwirklichen, indem er seinen Lebensaufwand auf ein Minimum reduzierte. So soll er nur einziges Kleidungsstück getragen und nur einen Becher besessen haben, mit der er sich seinen Lebensunterhalt erbettelte. Ebenso wird überlieft, dass er in einer Tonne lebte (einem Vorratsgefäß vom Typ eines Pithos), die er mitten in Korinth aufgestellt hatte. Eine Anekdote besagt, dass Diogenes, als er einen kleinen Jungen aus der hohlen Hand trinken sah, sogar seinen Holzbecher wegwarf, weil das Kind gezeigt hatte, dass es möglich war, noch einfacher zu leben.

Diogenes führte, um die Konventionen zu provozieren, ein Leben in aller Öffentlichkeit, der er drastisch demonstrierte, wie er sich die direkte Befriedigung von Bedürfnissen vorstellte. So schreibt Diogenes Laertius:

„Er pflegte alles in voller Öffentlichkeit zu tun, sowohl was die Demeter betrifft, wie auch die Aphrodite. Darauf bezieht sich folgende Schlussfolgerung. Wenn es nichts Absonderliches ist zu frühstücken, so ist es auch auf dem Markte nicht absonderlich; nun ist aber das Frühstücken nichts Absonderliches; folglich ist es auch nicht absonderlich auf dem Markte. Und da er häufig öffentlich Onanie trieb, sagte er "Könnte man doch so durch Reiben des Bauches sich auch den Hunger vertreiben".“

Diogenes Laertios: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch 6.[6]

Diese Lebensweise und der spöttische Stil seiner kolportierten Kommentare zur Entrüstung der Mitbürger wurden später zu einem unentbehrlichen Bestandteil des Kynismus. Die Legende besagt, dass er daher von den Leuten den abfälligen Beinamen „kyon“ („Hund“) erhielt. Er selbst betrachtete diesen aber als Ehrentitel und benahm sich nun diesem Schimpfwort gemäß. Auf die Frage, wie er die Bezeichnung Hund verstehe, soll er geantwortet haben: „Die mir geben, umwedle ich; die mir nichts geben, belle ich an; die Bösen beiße ich.“ Als ihm bei einer Einladung einige Leute wie einem Hund Knochen hinwarfen, soll er das Gewand gehoben und diese Menschen wie ein Hund anuriniert haben. Als er einmal gefragt wurde, was für ein Hund er sei, meinte er: „Wenn ich Hunger habe, ein Malteser, wenn ich aber satt bin, ein Molosser. Diese loben ja viele Leute, wagen es aber nicht, sie auf die Jagd mitzunehmen, weil das Mühe macht. So könnt ihr mit mir nicht zusammenleben, weil ihr Angst habt vor Widerwärtigkeiten.“ Diogenes vertrat, dass seine Nachahmung eines wilden Hundes die Menschen zu Vernunft und Erkenntnis brachte: „Die anderen Hunde beißen ihre Feinde, ich aber meine Freunde, um sie zu retten.“

Eine der bekanntesten Anekdoten über Diogenes, ja eine der populärsten Anekdoten aus der Antike überhaupt, ist die Begegnung mit Alexander dem Großen. Alexander soll Diogenes aufgesucht und ihm einen Wunsch gewährt haben, worauf dieser respektlos geantwortet habe: „Geh mir aus der Sonne!“

„Diogenes ita erat in paupertate positus, quod dolium habuit pro domo, cuius ostium ad solem semper dirigebat. Ad quem in sole existente cum rex Alexander accessisset, dixit ei, quod peteret ab eo, quidquid ei placeret. At ille: "Vellem prae ceteris, ut non stares inter me et solem." Et sic Alexander, qui omnes nationes vicit, ab illo paupere victus est.“


„Diogenes befand sich derart in Armut, dass er ein Fass als Haus bewohnte, dessen Öffnung immer zur Sonne ausgerichtet war. Als König Alexander zu diesem, der in der Sonne zum Vorschein kam, herantrat, sagte er ihm, dass er von ihm verlangen könne, was auch immer ihm gefiele. Aber jener entgegnete: „Ich will vor allem anderen, dass du nicht zwischen mir und der Sonne stehst.“ Und so wurde Alexander, der alle Völker besiegte, von jenem Armen besiegt.“

Gesta Romanorum, No 183[7]

Diese Erzählung ist – wie die meisten anderen zu Diogenes – sicher historisch falsch. Wenn überhaupt, so hat sich die Anekdote zwischen Diogenes und Philipp von Makedonien abgespielt, nach dem dieser Hegemon von Griechenland geworden war. Vermutlich wurde sie in diesem Kontext aber auch nur erfunden und erst später auf Philipps Sohn Alexander übertragen. Sie ist jedoch ein immer wieder in Kunst und Literatur thematisiertes und variiertes Motiv. Vor allem im Barock, einem Zeitalter der extremen Gegensätze (weltlicher Machtentfaltung und Prunk, die in Schlössern wie Versailles zum Ausdruck kamen, standen tiefste Armut der einfachen Bevölkerung und rigorose Abwendung vom Diesseits gegenüber) wurde das Motiv zu einem Symbol der Antithese von Weisheit und Macht: während Alexander Unabhängigkeit und Glück durch Reichtum und Macht erstrebt, versucht Diogenes dies ganz im Gegenteil durch Reduktion seiner Bedürfnisse.

Krates und Monimos

Hauptartikel: Krates von Theben
Hauptartikel: Monimos

Erst in der dritten Generation wird die Schule der Kyniker historisch fassbar, von der zwei Vertreter namentlich genannt werden: Monimos und Krates.

Von Krates ist überliefert, dass er reich geboren sei, aber sein Vermögen und das seiner Frau Hipparchia zugunsten eines kynischen Bettlerlebens an seine Mitbürger verschenkt bzw. einen Teil für seine Kinder auf die Seite gelegt habe, für den Fall dass diese nicht Philosophen würden (als Philosophen hätten sie den Reichtum nicht nötig). Auch soll er der menschenfreundlichste der Kyniker gewesen sein und dadurch den Beinamen „Türenöffner“ erhalten haben, weil er wegen seiner Freundlichkeit und seiner guten Ratschläge zu jedem Haus Zutritt hatte. Das hatte allerdings zur Folge, das auch für Krates die von Diogenes berichtete Aufhebung der Trennung von Öffentlichem und Privaten galt. Er und seine Frau sollen in aller Öffentlichkeit mit einander geschlafen haben.

Ebenso symbolträchtig ist die Handlung, mit der Monimos den Anfang seines kynischen Lebens setzte: Er war bei einem Geldwechsler angestellt. Als er über einen Geschäftsfreund seines Herrn von Diogenes hörte, war er so begeistert, dass er sich wahnsinnig stellte und so lange das Kleingeld sowie sämtliche Silbermünzen durcheinander warf, bis er entlassen wurde.

Hauptmerkmale ihrer schriftlichen Werke, die aus zweiter Hand überliefert sind, ist ein satirischer Ton, das „spoudogeloion“, der ernsthafte moralische Probleme mit Lächerlichem verbindet.

Weitere bedeutende Kyniker

Quellen

  • Diogenes Laertios: Leben und Lehre der Philosophen. Reclam, Stuttgart 2004.
  • Niehues-Pröbsting, Heinrich. (1988). Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. (1. Auflage).
  • Hossenfelder, Malte. (1996). Antike Glückslehren – Kynismus und Kyrenaismus, Stoa, Epikureismus und Skepsis; Quellen in deutscher Übersetzung mit Einführungen. Stuttgart: Kröner.
  • Luck, Georg. (1996). Die Weisheit der Hunde. Texte der antiken Kyniker in deutscher Uebersetzung und Erläuterungen.Alfred Kröner Verlag, Stuttgart. ISBN 3-520-48401-3
  • Kirk, Irmgard. (17. März 2006). Diogenes, der Hundsphilosoph. WWW-Dokument, Zugriff (28. Mai 2006).

Einzelnachweise

  1. vgl. A. Müller, Eintrag Kynismus in Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 4, S. 1465-60
  2. Heinrich Nihues-Pröbsting, Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus
  3. So der Vorwurf von Heinrich Nihues-Pröbsting, Der Kynismus des Diogenes und der Begriff des Zynismus
  4. vgl. Volltext auf The Latin Library
  5. Aus dem Griechischen übersetzt von Otto Apelt. Hamburg: Meiner, 1921
  6. Aus dem Griechischen übersetzt von Otto Apelt. Hamburg: Meiner, 1921
  7. vgl. Online-Exzerpt und [1]

Weblinks


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