Kurzfilme von Bernardo Bertolucci

Kurzfilme von Bernardo Bertolucci

Neben seinen abendfüllenden Kinofilmen drehte der italienische Filmregisseur Bernardo Bertolucci auch einige Kurzfilme und Dokumentationen.

Im Sommer 1956 schuf er mit 15 Jahren seinen ersten zehnminütigen Kurzfilm La teleferica, auf 16 mm, ohne Ton, ohne weitere Montage. Darsteller waren sein jüngerer Bruder und zwei ebenfalls jüngere Basen. Er handelt von Kindern, die, als die Erwachsenen Siesta halten, zur Suche nach einer Seilbahn aufbrechen, die eines von ihnen vor Jahren gesehen zu haben glaubt. Ihre Suche bleibt erfolglos, denn die Bahn befindet sich jetzt unter der Erde. Bertolucci wurde später bewusst, dass die Filme John Hustons ihn zu dieser Geschichte vom vergeblichen Streben inspiriert haben. Sein Vater Attilio, ein landesweit bekannter Schriftsteller, widmete diesem filmischen Versuch seines Sohnes ein Gedicht. Der junge Bernardo hatte keine Zweifel mehr, Filmregisseur werden zu wollen.[1][2]

Einige Monate später entstand, ebenfalls stumm, La morte del maiale. Statt zur Schule aufzubrechen, versteckt sich ein Bauernkind und beobachtet im Morgengrauen die Bauern beim Schlachten eines Schweins. Mittels Anweisungen arrangierte Bertolucci das Geschehen im Raum ein wenig. Eine ähnliche Szene in seiner Großproduktion 1900 (1976) bezeichnete Bertolucci als Neuverfilmung seines Jugendwerks; den ersten Versuch fand er gelungener.[3][4]

Nach seinen ersten abendfüllenden Spielfilmen (1962 und 1964) bekundete der junge Regisseur Mühe, Geld für weitere Projekte aufzutreiben und füllte die Zeit mit Auftragsarbeiten. La via del petrolio, eine Dokumentation fürs italienische Fernsehen, mitproduziert vom Ölkonzern Eni, wurde anfangs 1967 gesendet. Sie besteht aus drei Folgen von 48, 40 und 45 Minuten und ist schwarz-weiß. Sie beschreibt die Förderung auf iranischen Ölfeldern (1. Origine), die Verschiffung des Rohstoffs nach Genua (2. Viaggio) und den Weitertransport über Rohrleitungen nach Deutschland (3. Attraverso l'Europa). Bei den Aufnahmen waren nebst dem Regisseur ein Kameramann, dessen Assistent, der auch den Ton besorgte, sowie ein Produktionsleiter dabei. Am Schnitt des gesammelten Materials saß Bertolucci vier Monate.[5] Er versuchte dabei die inszenatorischen Regeln von Dokumentarfilmen, so weit es erlaubt war, zu überwinden. [6] Begleitend entstanden die Aufnahmen von Il canale, einem 12 Minuten dauernden, in Farbe gedrehten Nebenprodukt zu La via el petrolio.

Die Episode Todeskampf (Agonia) ging in den Omnibusfilm Liebe und Zorn (1967) ein.

La salute è malata o I poveri muiono prima bedeutet: „Das Gesundheitssystem ist krank und die Armen sterben zuerst“. Der Film entstand im Vorfeld der Kommunalwahlen 1971 in Rom, als Auftragsarbeit für die Kommunistische Partei Italiens mithilfe von Vertretern der Gewerkschaft CGIL. Bertolucci schlich sich mit einem Kamerateam in ein römisches Krankenhaus. Sie zeichneten die miserablen sanitären Zustände auf, die Ansammlung von Kranken in den Gängen und sogar auf der Toilette. Nach einer halben Stunde warf man sie raus. Das Dokument (35 Minuten auf 16 mm) wurde im Wahlkampf von einem fahrendem Auto aus auf Häuserwände projiziert. Diese Vorführungen wurden von Aktivisten begleitet, die Flugblätter verteilten.[7]

Zur Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien drehten namhafte Regisseure der Nation Kurzbeiträge, die jeweils eine Austragungsstadt feierten und vor Beginn eines Spiels ausgestrahlt wurden. In diesem unter dem Titel 12 registi per 12 città zusammengefassten Projekt nahm sich Bertolucci Bologna vor und genoss bei der Herstellung des weniger als eine Minute dauernden Films das Spiel mit elektronischen Spezialeffekten.[8]

Die Episode Histoire d'eaux aus dem Omnibusfilm Ten minutes older - The Cello (2002) greift eine alte indische Sage auf, die eine Figur schon mündlich in Vor der Revolution (1964) erzählt hatte.

Einzelnachweise

  1. Kuhlbrodt, Dietrich: Bernardo Bertolucci. Reihe Film 24, Hanser Verlag, München 1982, ISBN 3-446-13164-7, S. 99. Witte, Karsten: Der späte Manierist. in ebendiesem Buch, S. 11. Ungari, Enzo: Bertolucci. Bahia Verlag, München 1984, S. 13
  2. Bernardo Bertolucci 1984 in: Dall'anonimato al successo, 23 protagonisti del cinema italiano raccontano, abgedruckt in: F. Gérard, T.J. Kline, B. Sklarew (Hrsg.): Bernardo Bertolucci: Interviews. University Press of Mississippi, Jackson 2000, ISBN 1-57806-204-7, S. 179
  3. Kuhlbrodt 1982, S. 99-100; Ungari 1984, S. 13; Tonetti, Claretta Micheletti: Bernardo Bertolucci. The cinema of ambiguity. Twayne Publishers, New York 1995, ISBN 0-8057-9313-5, S. 4
  4. Bernardo Bertolucci 1984 in: Dall'anonimato al successo, 23 protagonisti del cinema italiano raccontano, abgedruckt in: F. Gérard, T.J. Kline, B. Sklarew (Hrsg.): Bernardo Bertolucci: Interviews. University Press of Mississippi, Jackson 2000, ISBN 1-57806-204-7, S. 180
  5. Bernardo Bertolucci im Gespräch mit Film Quarterly, Jg. 20, Nr. 1, Herbst 1966, abgedruckt in: F. Gérard, T.J. Kline, B. Sklarew (Hrsg.): Bernardo Bertolucci: Interviews. University Press of Mississippi, Jackson 2000, ISBN 1-57806-204-7, S. 20
  6. Kuhlbrodt 1982, S. 115; Ungari 1984, S. 238; Tonetti 1995, S. 47
  7. Bernardo Bertolucci im Gespräch mit Positif, März 1973, S. 36-37; siehe auch Kuhlbrodt 1982, S. 158 und Ungari 1984, S. 241
  8. Tonetti 1995, S. 250

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