Kurt Jooss

Kurt Jooss

Kurt Jooss (* 12. Januar 1901 in Wasseralfingen; † 22. Mai 1979 in Heilbronn) war ein deutscher Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge, der das deutsche Tanztheater maßgeblich beeinflusste. Er war Mitbegründer der Folkwangschule und Gründer des Folkwang Tanzstudios.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kurt Jooss war der Sohn eines Guts- und Brauereibesitzers, dessen Vorfahren wiederum als Schäfer und Bauern im Raum Heidenheim tätig waren. Seine Mutter stammte aus einer alteingesessenen Kaufmannsfamilie von Aalen. Er besuchte die Realschule in Aalen bis zum Abitur. Anstatt sich für die Übernahme des väterlichen Gutes zu interessieren, wählte er eine künstlerische Ausbildung und besuchte das Württembergische Konservatorium für Musik in Stuttgart von 1919 bis 1920 (Klavier und Theorie). Parallel dazu studierte er von 1919 bis 1921 bei Helga Lindberg und Rudolf Gmeiner Gesang sowie von 1920 bis 1921 Schauspiel bei Emmy Remolt Jessen.[2] Von 1920 bis 1922 nahm er Tanzunterricht bei Rudolf von Laban und assistierte ihm schließlich zwei Jahre lang in Hamburg. Danach arbeitete Jooss als Ballettmeister und Regisseur am Stadttheater in Münster. 1925 schlossen sich Jooss und Sigurd Leeder einer Künstlergruppe an und eröffneten eine neue Tanzschule Westfälische Akademie für Bewegung, Sprache und Musik. Jooss und Leeder studierten ab 1926 in Paris Klassisches Ballett bei der russischen Ballerina Lubov Egorova.

1927 verlegte Jooss die Westfälische Akademie nach Essen als Teil der neu gegründeten Folkwangschule. 1928 gründete er dort das Folkwang-Tanztheater-Experimentalstudio, das in den 1930er Jahren als „Wiege des deutschen Ausdruckstanzes“ galt und Wegbereiter des Tanztheaters war. Daraus ging später das Folkwang Tanzstudio hervor.[3]

Jooss wurde 1930 Ballettdirektor am Essener Opernhaus. Weltbekannt wurde Jooss als Choreograph von Der Grüne Tisch, einer expressionistischen, tänzerischen Darstellung von Verhandlungen über Krieg und Tod, und wurde 1932 in Paris dafür ausgezeichnet. Die wohl eindrucksvollsten fotografischen Aufnahmen des Tanz-Werkes Der Grüne Tisch machte der Fotograf Albert Renger-Patzsch bei der Generalprobe im Museum Folkwang um 1931. Kurt Jooss führte die aufgelöste Ballettkompanie des Essener Opernhauses unter dem Namen ballets Jooss fort. 1933 emigrierte er, da er sich weigerte, ohne seine jüdischen Mitarbeiter in Deutschland weiterzuarbeiten. Mit seiner Kompanie führte er von 1934 bis 1940 eine Tanzschule an der reformpädagogischen Kunstschule Dartington Hall im südenglischen Devon. Er nahm die britische Staatsbürgerschaft an.[2] Die Tanzkompanie gastierte in Europa und New York City mit großem Erfolg, trat aber nicht in Deutschland auf. 1947 löste Jooss seine Gruppe in England auf und arbeitete für ein Jahr als Gastlehrer und Choreograf des Chilenischen Staatsballetts in Santiago de Chile.[2]

Jooss lehrte ab 1949 wieder an der Folkwangschule. Im neu gegründeten Folkwang-Tanztheater gab die Kompanie ihre erste Vorstellung in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges, musste aber 1953 ihre Arbeit wegen Geldmangels wieder einstellen. Die Stadt Essen wollte nicht mehr den Tanz subventionieren.[4] 1961 ermöglichten Zuschüsse Jooss die Einrichtung von Meisterklassen, aus denen das Folkwang-Ballett hervorging. Gastchoregrafen waren Antony Tudor, Jean Cébron,[5] Lucas Hoving und Gigi Caciuleanu. Mit der Erweiterung der Folkwangschule zur Hochschule 1963 wurde Jooss zum Professor für Choreographie berufen und zum Direktor des Tanzinstituts ernannt.[2]

In der Nachkriegszeit setzte sich auf den Bühnen der Bundesrepublik ein konservativer Geschmack durch, das klassische Ballett dominierte die Tanz-Aufführungen. Jooss geriet dadurch zunehmend in ästhetische Abseits. 1968 trat Jooss vorzeitig von der Leitung der Tanzabteilung in der Folkwangschule zurück, da man ihm noch vor Ablauf des Vertrages untersagte, weitere Dispositionen zu treffen.[4] Das Folkwang-Ballett wurde von seiner ehemaligen Schülerin Pina Bausch weitergeführt. Jooss arbeitete danach wieder im Ausland, vor allem in Skandinavien.[4] Am 22. Mai 1979 starb Kurt Jooss nach einem Verkehrsunfall in einem Heilbronner Krankenhaus.[6] 1985 veranstaltete die Stadt Essen zu seinen Ehren ein Tanzfestival mit Stücken von seinen Schülern und Nachfahren aus der Folkwangschule wie Pina Bausch, Susanne Linke, Reinhild Hoffmann und Marilen Breuker.[7]

Kurt Jooss war verheiratet mit Aino, geb. Leberecht. Ihr Bühnenname war Siimola, benannt nach dem estnischen Stammhof ihrer Familie. 1971 starb seine Frau. Der Ehe entstammten zwei Töchter, Anna Maria Markard-Jooss und Christina Barbara. Anna Markard arbeitete ebenfalls als Choreografin [8] und Tanzlehrerin.[2]

Der Nachlass von Kurt Jooss wird im Deutschen Tanzarchiv Köln aufbewahrt. Ein umfangreicher Bestand an Dokumenten gelangte zu seinen Lebzeiten in das Dansmuseet in Stockholm. Ein Konvolut von Originalfotografien von Renger-Patzsch befindet sich mit begleitenden Archivalien im Albert Renger-Patzsch Archiv der Stiftung Ann und Jürgen Wilde / Pinakothek der Moderne in München.

Auszeichnungen

  • 1932: Erster Preis beim Concours international de chorégraphie en souvenir de Jean Borlin vom Archives Internationales de la Danse am 3. Juli in Paris.
  • 1977: Deutscher Kritikerpreis für Tanz

Kurt-Jooss-Preis

Die mit 6.000 Euro dotierte Auszeichnung wird von der Stiftung Anna und Hermann Markard sowie der Stadt Essen seit dem Jahr 2001 international ausgeschrieben und alle drei Jahre an Choreographen verliehen, die noch nicht etabliert sind.[1] Im Jahre 2010 wurde der Preis an den in Weißrussland geborenen, in Israel arbeitenden Tänzer Arkadi Zaides vergeben.[9]

Filme

  • Kurt Jooss - Tanz als Bekenntnis. Dokumentarfilm, Deutschland, 2001, 58:40 Min., Buch und Regie: Annette von Wangenheim, Produktion: WDR, Fernsehen Köln, Erstsendung: 14. Januar 2001.
  • Drei Ballette von Kurt Jooss. Aufzeichnung von drei Aufführungen, Deutschland, 2004, Min., Regie: Annette von Wangenheim, Produktion: WDR, Erstsendung: 29. September 2004, Inhaltsangabe vom WDR.
    Zwei aktuelle Inszenierungen von „Pavane auf den Tod einer Infantin“ zur Musik von Maurice Ravel und „Großstadt“ (2004) sowie „Ein Ball in Alt-Wien“ vom „ballets Jooss“ (1935) mit Jooss als Kameramann.

Literatur

  • Suzanne K. Walther: Dance of Death. Kurt Jooss and the Weimar Years. Harwood Academic Publishers, Chur 1994, Routledge, New York 2009 (Reprint). ISBN 978-3-7186-5532-8, ISBN 3-7186-5532-2
  • Anna und Hermann Markard: Jooss. Ballett-Bühnen-Verlag, Köln 1985. ISBN 3-922224-06-7 (Dokumentation anlässlich des Festivals „Folkwang 85“ Essen mit Ausstellung. Neben anderen Aufnahmen wurden neun Bildtafeln nach Fotografien von Albert Renger-Patzsch publiziert)
  • Patricia Stöckemann: Etwas ganz Neues muß nun entstehen. Kurt Jooss und das Tanztheater. Hrsg. vom Deutschen Tanzarchiv Köln. K. Kieser, München 2001. ISBN 3-935456-02-6 (Rezension, in: Oper & Tanz. Juni 2002)
  • Jochen Schmidt: Kurt Jooss und seine Enkel. Das Tanztheater beim Essener Festival „Folkwang '85“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. April 1985.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Kurt-Jooss-Preis, Ausschreibung 2007. In: Internet Archive.
  2. a b c d e Kurt Jooss. Ballettmeister, Tanzpädagoge und Choreograph. In: Munzinger-Archiv. 9. Juli 1979.
  3. Folkwang Tanzstudio - Geschichte
  4. a b c Jochen Schmidt: Kurt Jooss und seine Enkel. Das Tanztheater beim Essener Festival „Folkwang '85“. In: FAZ. 22. April 1985.
  5. Jean Cébron. In: pact-zollverein.de. abgerufen am 12. März 2011.
  6. Zeitmosaik. In: Die Zeit. Nr. 23, 1. Juni 1979. (Textanfang und- ende sind artikelfremd.)
  7. Norbert Servos: „Tanztheater in Essen. Folkwang '85“. In: Die Zeit. 26. April 1985.
  8. Marieluise Jeitschko: Große Gesten am "Grünen Tisch". In: WamS. 25. März 2001.
  9. „Ganz tanzfarbig. Kurt-Jooss-Preis an Arkadi Zaides.“ In: FAZ. 5. Juli 2010, S. 30.

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