Kurt Hahn

Kurt Hahn

Kurt Martin Hahn (* 5. Juni 1886 in Berlin; † 14. Dezember 1974 in Salem) war ein deutsch-jüdischer Pädagoge und gilt als einer der Begründer der Erlebnispädagogik.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Hahn gehörte während seines Studiums in Oxford zum Mitgliederkreis des „Hanover Club“, eines von 1911–1913 bestehenden deutsch-britischen Debattierclubs unter Führung von Albrecht Graf von Bernstorff, der das gegenseitige Verständnis fördern sollte.[1][2] Er war ein Freund und Vertrauter des Reichskanzlers Prinz Max von Baden. Hahn arbeitete von 1914 bis 1919 im Auswärtigen Amt in Berlin. Im Jahre 1920 gründete er zusammen mit Prinz Max von Baden das Internat Schloss Salem. Er galt als Reformlehrer, der versuchte Bildung und Erziehung zu vereinen. 1932 folgte die Gründung des Birklehof in Hinterzarten im Schwarzwald, einer Schwesterschule von Salem. Im Frühjahr 1933 wurde er von den Nationalsozialisten verhaftet und war vom 11. bis 16. März in „Schutzhaft“. Die Freilassung erfolgte durch die direkte Intervention des britischen Premierminister Ramsay MacDonald und des Berthold Markgraf von Baden. Hahn emigrierte nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst im Juli 1933 und ließ sich in Schottland nieder, wo er 1934 in Gordonstoun die British Salem School gründete.[3] Kurt Hahn brachte hier sein erlebnispädagogisches Konzept mit ein, und mehrwöchige Kurse in dieser Art waren Modell für viele spätere Erlebnispädagogen. In der Nachkriegszeit half er 1949 bei der Gründung der Stiftung Louisenlund.

Als Hahn 1956 eingeladen wurde, am NATO Defence College zu sprechen, erlebte er dort die Kooperation und Freundschaft von Menschen aus Ländern, die noch vor kurzem im Zweiten Weltkrieg verfeindet gewesen waren. Hahn hatte die Idee, junge Menschen auf ähnliche Art und Weise zusammenzubringen, um so beispielsweise die Feindseligkeiten des Kalten Krieges zu überwinden. Daraus entstand das Konzept des United World Colleges (UWC), einer Gruppe von internationalen Schulen, in denen junge Menschen im Alter von 16 bis 18 Jahren aus praktisch allen Ländern der Erde gemeinsam leben, lernen und an sozialen Aktivitäten teilnehmen. Die erste Schule dieser Art, das Atlantic College in Wales, wurde 1962 eröffnet und von der Zeitung The Times damals als das „aufregendste Experiment auf dem Gebiet der Bildung seit dem Zweiten Weltkrieg“ bezeichnet. An dieser Schule ist beispielsweise die Ausbildung in Seenotrettung fester Bestandteil schulischen Lebens – wie auch an der Schule Schloss Salem, die später ein DLRG-Rettungsboot nach ihm benannte. Inzwischen gibt es 13 United World Colleges. Ein weiteres ist geplant in Freiburg im Breisgau, das 2014 eröffnet werden soll. Etwa 50 weitere durch Hahns Konzepte beeinflusste Schulen haben sich im „Round Square Movement“ zusammengeschlossen.

Zusammen mit Prinz Philip von Edinburgh gründete er den „Duke of Edinburgh’s Award“, dessen Schwesterprogramme (unter anderen das Internationale Jugendprogramm in Deutschland) heute in über 80 Ländern der Welt Chancen für Jugendliche eröffnen.

Pädagogische Prinzipien

Hahn war sich sicher, dass Erziehung versagt habe, wenn nicht jeder Jugendliche seine persönliche Passion (im Sinne von Leidenschaft) fände. Dabei wollte er den jungen Menschen durch das Angebot sozialer Dienste und sonstiger "innerer" Talentsuche helfen. Die Erlebnispädagogik kam wegen ihrer Aktivitäten (Übernachten im Freien, Zeltlager usw.) schnell in die Nähe der Methoden nationalsozialistischer Erziehung, und trotz aller Bemühungen der Gegendarstellung wird ihr dies bisweilen noch heute zum Vorwurf gemacht. Hahn jedoch wollte lediglich Chancen aufzeigen, damit jeder Jugendliche eventuell bislang unentdeckte Fähigkeiten bei sich selbst fördern konnte.

Salemer Gesetze

In seinen Sieben Salemer Gesetzen formulierte Kurt Hahn sein ganzheitliches Bildungskonzept, das den Schülern der von ihm gegründeten Institutionen weit mehr als nur akademisches Wissen vermitteln soll. Noch heute bilden diese Gebote die Grundlage der Erziehung in den Internaten Schule Schloss Salem und Gordonstoun sowie in den United World Colleges (UWC).

  1. Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken.
  2. Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben.
  3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache.
  4. Sorgt für Zeiten der Stille.
  5. Übt die Phantasie.
  6. Lasst Wettkämpfe eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen.
  7. Erlöst die Söhne und Töchter reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit.

Kritik

Hahns erlebnispädagogischer Ansatz wird zuweilen kritisiert, da man die Gründung der ersten Kurt-Hahn-Schule auf eine politisch konservative, revisionistische Motivation zurückführen kann: Die Schule sollte eine neue nationale Führungselite hervorbringen, die sich durch Verantwortungsbewusstsein, Handlungsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit auszeichnet.[4] In dieser Perspektive erscheinen die individuellen und humanistischen Ziele von Hahns Pädagogik als bloße Instrumente einer politischen Zielsetzung.

Schriften

  • Erziehung zur Verantwortung. Reden und Aufsätze. Stuttgart o.J. [1958].
  • Erziehung und die Krise der Demokratie. Reden, Aufsätze, Briefe eines politischen Pädagogen. Herausgegeben von Michael Knoll. Stuttgart 1986.
  • Reform mit Augenmaß. Ausgewählte Schriften eines Politikers und Pädagogen. Herausgegeben von Michael Knoll. Stuttgart 1998.

Literatur

  • Hellmut Becker: Kurt Hahn, der Erzieher. In: Neue Sammlung. Jg. 1975, S. 109-113; wieder abgedruckt in: Hellmut Becker: Auf dem Weg zur lernenden Gesellschaft. Personen, Analysen, Vorschläge für die Zukunft. Stuttgart 1980, S. 89-94.
  • Peter Friese: Kurt Hahn. Leben und Werk eines umstrittenen Pädagogen. Dorum 2000.
  • Michael Knoll (Hrsg). Kurt Hahn: Reform mit Augenmaß. Ausgewählte Schriften eines Politikers und Pädagogen. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig. Stuttgart: Klett-Cotta 1998.
  • Michael Knoll: Schulreform durch Erlebnispädagogik. Kurt Hahn - ein wirkungsmächtiger Pädagoge. In: Pädagogisches Handeln. Wissenschaft und Praxis im Dialog 5 (2001), 2, pp. 65-76.
  • Michael Lausberg: Kinder sollen sich selbst entdecken. Die Erlebnispädagogik Kurt Hahns. Marburg 2007.
  • Elly Gräfin Reventlow (Hrsg.): Albrecht Bernstorff zum Gedächtnis. Eigenverlag, Düsseldorf 1952.
  • Hermann Röhrs (Hg): Bildung als Wagnis und Bewährung. Eine Darstellung des Lebenswerkes von Kurt Hahn. Heidelberg 1966.
  • Sandra Roscher: Erziehung durch Erlebnisse. Der Reformpädagoge Kurt Hahn im Licht von Zeitzeugen. Augsburg 2005.
  • Hildegard Thiesen: Kurt Hahn. Pädagogische Umwelten zwischen Konstruktion und Anknüpfung. Jena 2006.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Reventlow (Hrsg.), Beitrag von Harald Mandt, S.26
  2. Karsten Plöger: The Hanover Club, Oxford (1911–1913): Student Paradiplomacy and the Coming of the Great War, in: German History Volume 27, No. 2, S. 196-214.
  3. Vgl. Setzen, Sechs! - Schulgeschichten aus Deutschland (1/3). Verlorene Kindheit. Dokumentarfilm von Dora Heinze im Auftrag des SWR. Deutsche Erstausstrahlung am 8. Dezember 2005
  4. Vgl. Torsten Fischer/Jörg W. Ziegenspeck: Erlebnispädagogik. Grundlagen des Erfahrungslernens. Erfahrungslernen in der Kontinuität der historischen Erziehungsbewegung. Bad Heilbrunn 2008. S. 227ff.

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