Kulturtourismus

Kulturtourismus
Touristen vor dem Angkor Wat, Kambodscha

Unter Kulturtourismus versteht man Reisen mit dem Ziel Baukunst oder kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Der individuelle Grund für Bildungs-, Studien- oder Kulturreisen ist dabei die Kultur fremder Länder kennenzulernen und die eigene Bildung anderweitig zu erweitern oder zu vertiefen.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft und Wortbedeutung

Nach Nahrstedt [1] wie auch der Erinnerung von Mitarbeitern taucht der Begriff Kulturtourismus in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wie nebenbei in der Branchensprache auf. International kommt der Ausdruck ‚Cultural Tourism‘ ebenfalls in Mode. Die TUI bringt 1991 den Prospekt „Kultur und Erleben“ heraus. In der Zeitschrift Freizeitpädagogik [2] ist dann der Begriff „Kulturtourismus“ als Tagungstitel für 1991 belegt. Seit 1991 gibt es auch die Regionalagentur für Kulturtourismus in Aurich. Im Jahre 1992 wird der Begriff bereits mehrfach zum Tagungsthema.

Wesen

Angesichts der historischen relativ neuen Verknüpfung von Kultur und Tourismus wie auch von Abgrenzungsschwierigkeiten beider Wortbestandteile ist eine Definition des Begriffs ‚Kulturtourismus‘ nicht einfach[3][4]).

“[Kulturtourismus ist] travel undertaken with the intention, wholly or partly, of increasing one’s appreciation of europe’s cultural resources. A cultural resource is any place, structure artifact or event, the experience of which increases a visitors appreciation of the origins, manners, tastes and customs of the host region.”

EU-Studie[5]

„[Der Kulturtourismus nutzt] Bauten, Relikte und Bräuche in der Landschaft, in Orten und Gebäuden, um dem Besucher die Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsentwicklung des jeweiligen Gebietes durch Pauschalangebote, Führungen, Besichtigungsmöglichkeiten und spezielles Informationsmaterial nahezubringen. Auch kulturelle Veranstaltungen dienen häufig dem Kulturtourismus.“

Becker[6]

Für diese Sichtweise des Kulturtourismus gelten vier Grundsätze.

  1. Es wird keine gesonderte Touristen-Kultur entwickelt, die Angebote sind sowohl für Einheimische als auch für Touristen konzipiert.
  2. Der Kulturtourismus vermittelt ein gebietsspezifisches, authentisches Erlebnis: „am Urlaubsort Kultur-live erleben“.
  3. Die Angebote werden vor Überlastungen bewahrt, das vorhandene kulturelle Potential wird nicht gefährdet.
  4. Die Angebote zeichnen sich durch ein hohes Maß an Sachkunde, Gründlichkeit und Phantasie aus.

Angebot

Zahlreiche Reiseveranstalter sind auf Kulturtourismus spezialisiert. Diese Angebotsform für den Tourismus wird nach und innerhalb der europäischen Länder und für Ziele außerhalb Europas zunehmend ausgebaut. Meist kleinere, spezialisierte Reiseunternehmen bieten für Interessierte professionell geplante und von ausgebildeten Reiseleitern geführte Reisen an. In kleinen Gruppen werden fremde Länder oder bislang wenig erschlossene Regionen erkundet. So gibt es für fast jedes Thema Studienreisen. Der Preis ist meist höher als bei Pauschalreisen, da der Gast stärker betreut und beraten wird. Zunehmend von Bedeutung sind Wanderreisen. Ein wesentliches Ziel dafür ist ein nachhaltiger Tourismus.

Bei der Ausarbeitung eines kulturtouristischen Angebots kommt der strategischen Planung eine besondere Bedeutung zu. So fördert eine Orientierung an der Angebotsseite oder an den authentischen, kulturellen, endogenen Ressourcen einer Destination einen sanften und nachhaltigen Kulturtourismus, der vor allem auf lange Sicht höhere Rendite erwarten lässt, während eine Orientierung an der Nachfrageseite und am inszenierten Kultur-Angebot auf eine größere Besucherschicht und somit auf kurzfristig hohe Rentabilität abzielt[7]. Lokale Volkshochschulen bieten Bildungs- und Studienreisen in Zusammenarbeit mit Reisebüros an. Deren Güte soll durch die Qualitätsrichtlinien des Dachverbandes der deutschen Volkshochschulen gesichert werden.

Die Bedeutung des Kulturtourismus in Europa [8] lässt sich aus dem Anteil von 23,5 % aller Touristenankünfte ersehen. 31 Millionen Touristenankünfte werden als ‚general cultural tourists‘ eingestuft, die restlichen 3,5 Millionen gelten als ‚spezific cultural tourists‘.

Goethe in Italien (Tischbein, 1787)

Geschichte

Der Kulturtourismus knüpft an die historisch verankerte Institution der Grand Tour als Bildungsreise an. Ursprünglich war vorrangig der „Anspruch sich zu bilden“ das Ziel des Reisens. Beispielhaft kann hier Goethes mit seinen italienischen Reise genannt werden. Das Reisen zum Erholen und Entspannen kam erst im 19. Jahrhundert auf als die Reisebedingungen einfacher wurden. Vorläufer dafür sind die Kurreisen. Mit dem Aufkommen des Massentourismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts stand die Erholung auch in entfernten Gebieten im Vordergrund. Die Entwicklung des Flugwesens war der Auslöser.

Zwar gab es immer Reisende deren Beweggründe andere Kulturen und Lebensweisen oder die Natur des Gastlandes waren. Aber der Wettbewerb in der Tourismusbranche bedingt um die Jahrtausendwende neue Spezialformen wie Sprach-, Konzert-, Opernreisen, den Literaturtourismus oder auch den Friedhofstourismus. Die klassische Form des Kulturtourismus wird mit dem Begriff „Authentizität“ charakterisiert. Als Gegenpol oder Erweiterung zu diesem authentischen Kulturtourismus entwickelt sich der „Erlebnis-“ oder „Eventtourismus“ ebenfalls weiter. Die Abgrenzung besonders im Falle von Konzertreisen ist sicher fließend.

Bildungsreisen der Bürger (18. Jahrhundert)

Aufgrund der Neuorientierung der sozialen Wertvorstellungen durch das Ideengut der Aufklärung begannen auch die Bürger zu reisen. Für sie stellte es aber kein reines Vergnügen dar. Bildung, Erkenntnis, Stärkung der Vaterlandsliebe und das Gemeinwohl standen für diese Gruppe im Vordergrund. Diese Art des Reisens ist in der Nachfolge der mittelalterlichen „peregrinatio academica“, also der Bildungsreise von Universität zu Universität zu sehen. Berichte über ihre Reisen verfassten sie selbst. Das wichtigste Ziel von nördlich der Alpen war Italien, danach kamen die als besonders gastfreundlich geltenden Städte Wien und Salzburg.[9]

Entwicklungen

Der Kulturtourismus hat in Europa eine große Entwicklungschance, aufgrund der europäischen Geschichte mit historischen Überlieferungen auf engstem Raum. Reiseziel ist zunächst die Hochkultur, mit der Zunahme der Reisenden wird die Rückbesinnung auf die Alltagskultur und regional bedeutsame Ziele entdeckt. Das Irish Tourist Board stellte bereits 1988 fest, dass in Europa mehr als 70 % der Attraktionen des Kulturtourismus erst in den letzten 20 Jahren erschlossen wurden.

Die Einkünfte aus dem Tourismus sind Anreiz für die touristische Erschließung von Orten, Regionen und Ländern unter Betonung ihrer kulturellen Eigenart und Leistung. Kulturtourismus bedingt die Regionen als Träger ihrer Kultur, von diesen aus muss die Initiative ausgehen. Obwohl in Deutschland der Tourismus insgesamt eine Sättigungsgrenze erreicht hat, wird dem Kulturtourismus in einer DTV-Studie von 2006 Wachstumspotential bestätigt[10].

Bei der Weiterentwicklung des Kulturtourismus spielen die unterschiedlichen Formen von Netzwerken eine gewichtige Rolle. Es kann grob unterschieden werden zwischen[11]:

  • Kultur-Netzwerke: die innerhalb der unterschiedlichen Kulturtourismus-Typen (Objekt-, Ensemble-, Ereignis-, Gastronomie-, Sozio-Kulturtourismus) entstehen,
  • Kultur-Tourismus-Netzwerke: die zwischen Kultureinrichtungen und Tourismus-Institutionen entstehen,
  • Kultur-Tourismus-Politik-Netzwerke: Kooperationen zwischen den unterschiedlichen Key-Stakeholdern (wie Kultur, Tourismus, Nicht-gewinnorientierte Organisationen, Medien, einheimische Bevölkerung) innerhalb einer Region.

Durch Reiseangebote über das Internet mit der Möglichkeit der online-Buchung wird die Erreichbarkeit für Interessenten des Kulturtourismus erleichtert. Sie werden gezielt auf bevorzugte Kulturorte und Ereignisse hingezogen.

„[Kulturtourismus definiert sich als die] schonende Nutzung kulturhistorischer Elemente und Relikte und die sachgerechte traditioneller regionsspezifischer Wohn- und Lebensformen zur Hebung des Tourismus in der jeweiligen Region; dies mit dem Ziel, das Verständnis für die Eigenart und den Eigenwert einer Region in dem weiten Rahmen einer europäischen Kultureinheit zu erweitern und zu vertiefen und zwar durch eine verstärkte Kommunikation zwischen den Bewohnern des europäischen Kontinents und durch eine sachlich richtige, vergleichende und diskursive Information über die Zeugnisse aus Vergangenheit und Gegenwart am Ort“

Irish Travel Board[12]

Weblinks

 Commons: Kulturtourismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. NAHRSTEDT 1996, S. 6 ff
  2. FZP 1/92, 74
  3. BECKER 1992, S. 21
  4. LUGER 1994, S19 ff
  5. nach Irish Tourist Board. 1988, S.3
  6. Becker 1992, S.21
  7. Strategisches Management alpiner Destinationen. ESV, Berlin 2010, S.267
  8. nach Irish Tourist Board
  9. Vgl. Gerhard Ammerer: Reise-Stadt Salzburg: Salzburg in der Reiseliteratur vom Humanismus bis zum beginnenden Eisenbahnzeitalter. Archiv u. Statist. Amt der Stadt Salzburg, Salzburg 2003, 9-11.
  10. Deutscher Tourismusverband: Studie Städt- und Kulturtourismus. DTV, Bonn 2006
  11. Kultur als Wettbewerbsvorteil für nachhaltigen Erfolg. ESV, Berlin 2010, S.278
  12. Irish Travel Board. 1988, S. 165/166

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