Kudurru

Kudurru
Babylonischer Kudurru aus der II. Dynastie von Isin mit Erwähnung des Marduk-nadin-ahhe (1099–1082 v. Chr.). Gefunden in der Nähe von Bagdad von André Michaux

Kudurru ist eine ursprünglich kassitische Bezeichnung, die sowohl für Grenze als auch für ein Steindokument, das die Grenze markiert, verwendet wurde.

Inhaltsverzeichnis

Form und Inhalt

Das Wort kudurru wurde auf Steine mit königlichen Landschenkungsurkunden übertragen, die oft eine Beschreibung des überschriebenen Gebietes, und damit auch seiner Grenzen enthalten. Nicht alle Stelen nennen jedoch den König. Der zweite Teil der Inschrift enthält Fluchformeln. Im oberen Teil der Stelen sind meist Göttersymbole angebracht, manche Steine zeigen aber auch die Schenkung selber. Der akkadische Name dieser Steine ist na4narû, Stele oder Gedenkstein aus Stein. Kudurri werden traditionell als Grenzsteine gedeutet. Wie Inschriften zeigen, gab es aber auch narû, die Bestandteile von Gebäuden waren.[1] Manche dieser Steine wurden "Im Angesicht der Götter" errichtet, was auf eine Weihezeremonie schließen lässt. Slanski argumentiert überzeugend für eine Aufstellung in Tempeln.

Der symbolische Grenzstein hatte eine hohen Wert und stand deshalb nicht im Freien. Er wurde an einem sicheren Ort verwahrt. Sie können zwischen 0,1 und 1 m hoch sein, die Durchschnittshöhe eines Kudurrus betrug 50–60 cm, und trug meist auf der Oberseite eine Inschrift. Die Länge der Inschrift liegt zwischen 39 und 390 Zeilen.[2] Zusätzlich waren Götterembleme angebracht, die mit den im Text genannten Göttern identisch waren. Er hatte die Form einer oben abgerundeten Steinstele.

Der Text selbst beinhaltet eine Gebietszuweisung an eine ranghohe Persönlichkeit des Landes. Gewöhnlich waren näher benannte Siedlungen nebst Personal als Ergänzung Inhalt des Kudurru-Textes. Der Kudurru stellt eine Besitzurkunde dar. In anderen Inschriften erhält der Beschenkte das Anrecht, von einem Tempel mit Nahrungsmitteln und Kleidung versorgt zu werden. Es konnten auch Abgaben an oder Arbeitsleistungen für die Krone erlassen werden. Es wird angenommen, dass diese Schenkungen erblich waren.[3] Im Laufe der Zeit müssen die kassitischen Könige durch diese Schenkungen beträchtliche Ländereien und Steuereinnahmen eingebüßt haben.

Das nun von Abgaben befreite Land blieb jedoch Eigentum der Person, die es als Leihe dem Belehnten zur Verfügung stellte. Selten wurden Kudurrus als Prozessurkunden in Landstreitigkeiten benutzt.

Kudurri wurden in Babylonien vom Ende des 2. bis zur Mitte des 1. Jahrtausends vor Christus angefertigt. Zerbrach ein Stein, konnte ein anderer als Ersatz hergestellt werden, die eine Inschrift aus der Zeit von Nazi-Maruttaš belegt. Erste Erwähnungen von Kudurrus erfolgen unter Kurigalzu I. im 14. Jahrhundert v. Chr. Ältere Verwendungen sind möglich. Das Kudurru-System stellte zunächst Zuweisungen von Regionen und Gebieten dar. Später, zu Zeiten des Nebukadnezar I., wurden die Texte immer weiter ausgeschmückt mit Gründen der Landzuweisungen: Šitti-Marduk, der die Amurriter besiegte und den Kassiten die Beute abjagte. Einige kuddurri enthalten auch historische Informationen, die sich auf die Umstände beziehen, unter denen der Beschenkte sich diese Zuwendung verdiente.

Momentan sind ca. 160 kudurri bekannt. Etwa 20 stammen aus Babylonien, drei aus Kiš[4], fast ein Drittel aller bekannten kudurri stammt aus Susa, wohin sie Šutruk-Nahhunte II. zusammen mit anderen Schriftdokumenten, wie der Stele des Hammurabi und der Stele des Naram-Sin im 12. Jahrhundert verschleppt hatte[5]. Sie wurden vermutlich im Hof des Inšušinak-Tempels aufbewahrt (Schnitt 7 und 7α der Grabungen von 1898) aufbewahrt[6] und mussten somit große symbolische Bedeutung haben. Teilweise wurden elamitische Inschriften angebracht. Slanski nimmt an, dass diese Stelen aus babylonischen Tempeln geraubt wurden.[5] Der Rest stammt aus dem Kunsthandel und ihr Herkunftsort ist unbekannt.

Ein kudurru des Meli-Šipak[7] benennt den Gott Panigarra als den Herr des kudurru[4]

Funktion

W. J. Hinke deutete die Göttersymbole auf den kudurri als Tierkreiszeichen[8]. V. S. Tuman versuchte, Sternenkonstellationen zu identifizieren und sie so zur Datierung zu nutzen.[9]

Namensbestandteil

Der Ausdruck Kudurri war Inhalt von Herrschertiteln, hat aber inhaltlich nichts mit Grenze/Grenzstein gemeinsam. Die Bezeichnung Kudurri in Herrschertiteln ist ein Begriff der elamisch/akkadischen Sprache und bedeutet erstgeborener bzw. ältester Sohn. Aus den Grundformen Kudurru und nasaru folgt die Verwendung Kudurri und us.ur als Zusatz im Herrschertitel: Gott Nabu ältester Sohn kudurri schützen/bewahren us.ur = Gott Nabu schütze/bewahre meinen erstgeborenen/ältesten Sohn.[10]

Forschungsgeschichte

Der erste kudurru wurde 1788 von dem französischen Reinsenden Antoine Michaux südlich von Baghdad entdeckt und der französischen Nationalbibliothek übergeben. Er wurde als Caillou Michaux bekannt. Er stammt aus der Regierungszeit von Marduk-nādin-aḫḫe (1099-1082 v. Chr.).

Literatur

  • J. A. Brinkman, Stephanie Dalley: A Royal Kudurru from the reign of Aššur-nadin-šumi. In: Zeitschrift für Assyrologie und Vorderasiatische Archäologie 78, 1988, 1, ISSN 0084-5299, S. 76–98.
  • Jeremy A. Black, Tina Breckwoldt: A concise dictionary of Akkadian. 2. korrigierter Druck. Harrassowitz, Wiesbaden 2000, ISBN 3-447-04264-8, (SANTAG 5).
  • Dietz-Otto Edzard: Geschichte Mesopotamiens. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51664-5.
  • L. W. King (Hrsg.): Babylonian Boundary-Stones and Memorial-Tablets in the British Museum. Longmans, London 1912.
  • Ursula Seidl: Die babylonischen Kudurru-Reliefs. Symbole mesopotamischer Gottheiten. Universitätsverlag u. a., Freiburg 1989, ISBN 3-7278-0603-6, (Orbis biblicus et orientalis 87).
  • Kathryn E. Slanski: Classification, historiography and monumental Authority. The Babylonian entitlement Narûs (kudurrus). In: Journal of Cuneiform Studies 52, 2000, ISSN 0022-0256, S. 95–114.
  • Franz X. Steinmetzer: Die babylonischen Kudurru (Grenzsteine) als Urkundenform. Schöningh, Paderborn 1922, (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 11, 4/5, ZDB-ID 510174-8).

Weblinks

 Commons: Kudurru – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Kathryn E. Slanski: Classification, historiography and monumental Authority. S. 95.
  2. Kathryn E. Slanski: Classification, historiography and monumental Authority. S. 97.
  3. Kathryn E. Slanski: Classification, historiography and monumental Authority. S. 99.
  4. a b Geeta De Clercq, Die Göttin Ninegal/Bēlet-ekallim nach den altorientalischen Quellen des 3. und 2. Jt. v. Chr., Diss. Würzburg 2003, http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=982492596&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=982492596.pdf
  5. a b Kathryn E. Slanski: Classification, historiography and monumental Authority. S. 96.
  6. C. L. Crawford, Collecting, defacing, reinscribing. In: Norman Yoffee, Negotiating the past in the past: identity, memory, and landscape in archaeological research. Tucson, University of Arizona Press 2007
  7. BKI 103 = BBS 3
  8. W. J. Hinke: A new Boundary Stone of Nebuchadnezzar I from Nippur. The Babylonian Expedition of the University of Pennsylvania, Series D: Researches and Treatises 4. University of Pennsylvania, Philadelphia 1907, S. 71-115
  9. V. S. Tuman: Astronomical Dating of the Nebuchadnezzar Kudurru found in Nippur in February 1896. In: Nippur at the Centennial: Papers Read at the 35e Rencontre Assyriologique Internationale. The University Museum, Philadelphia 1988, S. 281-285
  10. Jeremy A. Black Dictionary of Akkadian, S. 165 und S. 244

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kudurru — was a type of stone document used as boundary stones and as records of land grants to vassals by the Kassites in ancient Mesopotamia between the 16th and 12th centuries BCE. [cite book first=Paul G. last= Bahn year=2000 title=The Atlas of World… …   Wikipedia

  • Kudurru — La piedra Michaux es un kudurru perteneciente al período de la dominación casita de Babilonia. Está escrito en lengua acadia mediante símbolos cuneiformes. Descubierta en 1782 por el bótanico fracés Michaux, fue el primer testimonio de la… …   Wikipedia Español

  • Kudurru — Le « Caillou » Michaux, kudurru babylonien de la période kassite, ramené en France en 1785 par le botaniste français André Michaux, exposé au Cabinet des médailles de la Bibliothèque nationale de France Un Kudurru est une stèle de… …   Wikipédia en Français

  • KUDURRU —    In the Kassite period the word kudurru designated a monument of a dressed stone or clay boulder that recorded land donations by the king to individuals. They were kept in temples, but sealed copies of the wording were kept in archives. Some… …   Historical Dictionary of Mesopotamia

  • Kudurru — Ku|dur|ru der; [s], s <aus babylon. kudurru »Grenzsteinkunde«> steinernes Rechtsmal vor allem der kassitischen Epoche in Altmesopotamien …   Das große Fremdwörterbuch

  • Kudurru for Ritti-Marduk — The Kudurru for Ritti Marduk is a white limestone boundary stone (Kudurru) of Nebuchadrezzar I, a king in the 4th Dynasty of Babylon, ca. the late 12th century BC. He is known to have made at least two kudurru boundary stones.Some kudurrus are… …   Wikipedia

  • Kudurru of Gula — The Kudurru of Gula is a boundary stone (Kudurru) for the Babylonian goddess Gula. Gula is the goddess of healing. It is from the 14th century 13th century BC Kassite Babylonia, and is located at the Louvre.The Kudurru of Gula shows Gula seated… …   Wikipedia

  • Kudurru of Melishihu — The Kudurru of Melishihu is a grey limestone 0.7 meter tall boundary stone (kudurru) from ancient Babylonia, which is now housed at the Louvre.The obverse is composed of five iconographic registers, with representations of gods, humans and… …   Wikipedia

  • kudurru — ▪ Mesopotamian boundary stone       (Akkadian: “frontier,” or “boundary”), type of boundary stone used by the Kassites (Kassite) of ancient Mesopotamia. A stone block or slab, it served as a record of a grant of land made by the king to a… …   Universalium

  • Kudurru — Un Kudurrru es una estela de piedra grabada, usualmente de forma rectangular o fálica y con la parte superior redondeada, usada como registro de la propiedad de un terreno, como registro de la concesión de s o como registro de la solución a una… …   Enciclopedia Universal

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”