Kritizismus

Kritizismus

Mit Kritizismus (von griech. κρίνειν scheiden, sondern, sichten, unter- sowie entscheiden bis zu [ver]urteilen und richten mit κριτική τέχνη: die Kunst[fertigkeit] der Beurteilung, Unterscheidung; siehe auch Kritik, Kriterium, Krise) bezeichnete Immanuel Kant seine grundsätzliche Vorgehensweise, in der Erkenntnistheorie nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis und der Geltung von Urteilen zu fragen. So sind bei Kant die Kategorien als apriorische Denkformen die Grundvoraussetzung und Werkzeuge des Urteilens und des Wahrnehmens. Kants Kritizismus ist ein Ergebnis seiner Kritik der reinen Vernunft.

Mit dieser Frage unterschied er sich bewusst von den philosophischen Ansätzen, die die Frage, was denn Erkenntnis sei, zum Gegenstand haben. Insbesondere war ihm die Abgrenzung gegen die vorherrschenden Strömungen des Empirismus, des Rationalismus und des Skeptizismus von Bedeutung. Zugleich wandte er sich mit dieser Bezeichnung gegen den in der Metaphysik aus seiner Sicht entstandenen Dogmatismus, dem er Glaubenslehren über Aussagen jenseits der menschlichen Erfahrung vorhielt. Kant geht aber darüber hinaus und fordert, dass die Bedingungen für die Geltungskraft der Urteile geklärt werden müssen. Kant begründet die Geltungskraft mit dem Transzendentalsubjekt. Das Transzendentalsubjekt ist dabei ein reiner Reflexionsbegriff, welcher das synthetisierende Dritte darstellt, wie in späteren Philosophien Geist (Hegel), Wille, Macht, Sprache und Wert (Marx), das nicht durch die Sinne wahrnehmbar ist. Bei Adorno findet sich dieser Reflexionsbegriff in dem Begriff Negation, der sich strikt von anthropologischen Konstruktionen abgrenzt.

Seit Kant bezeichnet man mit kritischer Methode philosophische Untersuchungen, die sich mit den Vorbedingungen der reinen Vernunfterkenntnis befassen. Grundlegend ist dabei die Annahme Kants, dass das Erkenntnisvermögen auf seine zwei Quellen, die sinnliche Anschauung und die Begriffe des Verstandes - die Kategorien - angewiesen ist, wie dies nach ihm besonders Jakob Friedrich Fries herausgearbeitet hat.

Kritizismus ist auch die Bezeichnung einer Strömung des Neukantianismus, die neben Leonard Nelson insbesondere von dem Philosophen Alois Riehl vertreten wurde.

Inhaltsverzeichnis

Streit zwischen Kant und Forster

Beispielhaft für den Kritizismus Kants ist dessen Streit mit Georg Forster. In dieser Auseinandersetzung hält Forster Kant seine Überlegenheit in seinen Erkenntnissen über die "Rassen" aufgrund seiner Erfahrungen als Weltreisender vor. Kant macht Forster hierbei auf die Einsicht in die kritische Philosophie aufmerksam, die auch im Falle von Forsters Erfahrungsschatz gelte. Bei Fragen zur "Race" ("Rasse") käme der jenige nicht weiter, der ohne Begriffe durch die Welt reise, da er nicht wissen könne, was er in der Welt sucht. Somit fände der Reisende ohne Begriffe nichts. Kant formuliert das als "bloßes empirisches Herumtappen". Allein das Wort "Race" stände in keinem "System der Naturbeschreibung", es stände "vermutlich … überall nicht in der Natur." Jedoch sei "der Begriff, den dieser Ausdruck bezeichnet … in der Vernunft eines jeden Beobachters der Natur gar wohl gegründet". [1]

Gemeint ist damit: Begriffe der Natur sind Begriff des Subjekts über die Natur, die er nicht der Natur entnimmt, sondern durch seinen Verstand geformt in diese Natur hineinlegt. Die Organisation und der Zusammenhang, der Bezug der Dinge zu einander sind nicht vorgegeben, sondern davon abhängig, wie wir sie für uns erleben. Kant betont dies an verschiedenen Stellen seines Werkes. So in seiner Kritik der reinen Vernunft (KrV):

„Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.“

Immanuel Kant: AA IV, 92[2]

Siehe auch

Transzendentalphilosophie, Kantianismus

Quellen

  1. Kant: Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie In: Kant: Werke, Band VIII, Darmstadt 1968, S. 141 und 144, Manfred Riedel: Historizismus und Kritizismus. Kants Streit mit Georg Forster und Johann Gottfried Herder. Siehe Literatur
  2. Kant, Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA IV, 92.

Literatur

  • Kant: Über die Entdeckung, nach der alle Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, 1790
  • Friedrich Heinrich Jacobi: Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen, 1801
  • Alois Riehl: Der Philosophische Kritizismus. Geschichte und System, 3 Bände Leipzig 1924 - 1926
  • Bernhard Jansen: Der Kritizismus Kants, München 1925
  • Manfred Riedel: Historizismus und Kritizismus. Kants Streit mit Georg Forster und Johann Gottfried Herder. In: Kant-Studien 72, 1981

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