Konstruierbare Polygone

Konstruierbare Polygone

In der Mathematik ist ein konstruierbares Polygon ein regelmäßiges Polygon, das mit Zirkel und (unmarkiertem) Lineal konstruiert werden kann. Zum Beispiel ist das regelmäßige Pentagon konstruierbar, das regelmäßige Heptagon hingegen nicht.

Inhaltsverzeichnis

Konstruierbarkeit

Um den Begriff „mit Zirkel und Lineal konstruierbar“ mathematisch präzise zu erfassen, muss definiert werden, was mit diesen Werkzeugen möglich ist. Wir gehen davon aus, dass am Anfang einer jeden Konstruktion zwei Punkte gegeben sind. Mit dem Lineal kann man dann eine Gerade durch zwei Punkte konstruieren, mit dem Zirkel einen Kreis durch einen Punkt um einen anderen Punkt als Mittelpunkt. Außerdem seien die Schnittpunkte von Geraden und Kreisen konstruierbar.

Aus diesen Grundkonstruktionen lassen sich eine Reihe weiterer Konstruktionen ableiten, wie die Konstruktion einer Mittelsenkrechte oder das Fällen eines Lotes. Man nennt dann eine Zahl konstruierbar, wenn man zwei Punkte konstruieren kann, sodass der euklidische Abstand zwischen ihnen gleich dem Betrag dieser Zahl ist (wobei der Abstand zweier vorgegebener Punkte als 1 definiert wird). Ist beispielsweise die Zahl a > 0 konstruierbar, so kann man mit Hilfe des Höhensatzes zwei Punkte mit Abstand \sqrt{a} konstruieren. Sind zwei Zahlen a und b konstruierbar, so mit Hilfe des Strahlensatzes auch deren Produkt ab und der Kehrwert \frac{1}{a}, sowie durch Abgreifen eines Abstandes deren Summe a + b und Differenz a - b. Ein Winkel α heiße konstruierbar, wenn die Zahl cos(α) konstruierbar ist; der Sinn dieser Definition erschließt sich schnell durch Betrachten des Einheitskreises.

Um nun ein regelmäßiges n-Eck zu konstruieren, genügt es, den Zentriwinkel \frac{2\pi}{n} zu konstruieren, denn wenn man den Mittelpunkt des n-Ecks und eine Ecke gegeben hat, lässt sich ausgehend von der Verbindungsgeraden durch Mittelpunkt und Eckpunkt der nächste Eckpunkt konstruieren. Ist umgekehrt ein regelmäßiges n-Eck gegeben, so kann man den Zentriwinkel abgreifen. Zur Beantwortung der Frage, ob das n-Eck konstruierbar ist, ist man also auf den Fall zurückgeführt, zu entscheiden, ob der Zentriwinkel konstruierbar ist.

Konstruierbarkeit von Zahlen

Eine Zahl heißt genau dann mit Zirkel und Lineal konstruierbar, wenn sie die Länge einer Strecke ist, die wie hier beschrieben konstruiert werden kann.

In der synthetischen Geometrie werden auch Punkte und Zahlen untersucht, die etwas allgemeiner aus einer (fast) beliebigen Vorgabemenge von Streckenlängen konstruiert werden können. Dazu werden Körpererweiterungen der rationalen Zahlen betrachtet, die euklidische Körper und damit Koordinatenkörper einer euklidischen Ebene (im Sinne der synthetischen Geometrie) sind. Die Konstruierbarkeit mit Zirkel und Lineal einer Zahl bedeutet dann, dass sie eine Koordinate eines aus den Vorgaben konstruierbaren Punktes in der Ebene ist. → Siehe zu diesen Begriffsbildungen auch den Artikel euklidischer Körper!

Kriterium für Konstruierbarkeit

Carl Friedrich Gauß zeigte 1796, dass das regelmäßige Siebzehneck konstruierbar ist, indem er die Zahl \cos\frac{2\pi}{17} explizit als Ausdruck, in dem neben den Körperverknüpfungen und rationalen Konstanten nur Quadratwurzeln enthalten sind, angab. Durch die in seinen Disquisitiones Arithmeticae entwickelte Theorie gelang es Gauß fünf Jahre später, eine hinreichende Bedingung für die Konstruktion regelmäßiger Polygone anzugeben:

Wenn n das Produkt einer Potenz von 2 mit paarweise voneinander verschiedenen Fermatschen Primzahlen ist, dann ist das regelmäßige n-Eck konstruierbar.

Gauß wusste zwar, dass die Bedingung auch notwendig ist, hat allerdings seinen Beweis hierfür nicht veröffentlicht. Pierre-Laurent Wantzel holte dies 1837 nach.

Man kann zeigen, dass eine Zahl n\geq 2 genau dann das Produkt einer Potenz von 2 mit verschiedenen Fermatschen Primzahlen ist, wenn φ(n) eine Potenz von 2 ist. Hierbei bezeichnet φ die Eulersche φ-Funktion.

Zusammenfassend: Für eine Zahl n\geq 3 sind die folgenden Aussagen äquivalent:

  • Das regelmäßige n-Eck ist mit Zirkel und Lineal konstruierbar.
  • n = 2^kp_1\cdots p_m mit k\in\N und paarweise verschiedenen Fermatschen Primzahlen p_1,\dots,p_m.
  • φ(n) = 2r für ein r\in\N.

Sind insbesondere m und n teilerfremd und sowohl das m-Eck als auch das n-Eck konstruierbar, so ist wegen φ(mn) = φ(m)φ(n) auch das mn-Eck konstruierbar. Für diese Tatsache lässt sich auch direkt die geometrische Konstruktion angeben, denn wenn m und n teilerfremd sind, so gibt es nach dem Lemma von Bézout zwei ganze Zahlen a und b mit 1 = am + bn. Indem man nun a-mal den Zentriwinkel des n-Ecks und b-mal den Zentriwinkel des m-Ecks anlegt, hat man den Winkel a\frac{2\pi}{n}+b\frac{2\pi}{m} = \frac{2\pi}{mn} - und damit auch das mn-Eck - konstruiert.


In folgender Tabelle sind die konstruierbaren regelmäßigen n-Ecke für n\leq 34 aufgeführt, markiert durch Fettdruck in der ersten Zeile:

n 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34
φ(n) 2 2 4 2 6 4 6 4 10 4 12 6 8 8 16 6 18 8 12 10 22 8 20 12 18 12 28 8 30 16 20 16

Die Eckenzahlen der konstruierbaren Polygone findet man in der Folge A003401 in OEIS, die der nicht konstruierbaren in der Folge A004169 in OEIS.


Insbesondere sieht man, dass die allgemeine Dreiteilung des Winkels nicht möglich ist, denn das regelmäßige Dreieck ist konstruierbar, während das regelmäßige Neuneck nicht konstruierbar ist. Mit anderen Worten: Der Winkel von 120° kann nicht mit Zirkel und Lineal dreigeteilt werden.

Galoistheorie

Durch Entwicklung der Galoistheorie gelangte man zu einer tieferen Einsicht in das Problem. Die Menge der konstruierbaren Zahlen bildet nämlich einen Körper, in dem zusätzlich auch aus positiven Zahlen die Quadratwurzel gezogen werden kann. Insbesondere entspricht das Schneiden von Geraden dem Lösen einer linearen Gleichung und das Schneiden einer Geraden mit einem Kreis oder das Schneiden zweier Kreise dem Lösen einer quadratischen Gleichung. In der Sprache der Körpererweiterungen ist das folgende Tatsache:

Ist a eine konstruierbare Zahl, so gibt es einen Körperturm \mathbb{Q}\subsetneq M_0 \subsetneq M_1 \subsetneq \dots \subsetneq M_m, so dass a\in M_m und M_{i+1}=M_i[\sqrt{\gamma_i}] für ein \gamma_i\in M_i.

Umgekehrt ist natürlich auch jede Zahl aus Mm konstruierbar. Ist also a konstruierbar, so ist a algebraisch und es ist [\mathbb{Q}[a]:\mathbb{Q}]=2^m eine Potenz von 2.


Zur Klärung der Konstruktion von regelmäßigen n-Ecken mit n\geq 3 betrachtet man Kreisteilungskörper \mathbb{Q}[\zeta_n] als Körpererweiterung über \mathbb{Q}, wobei \zeta_n := \exp\frac{2\pi\mathrm{i}}{n} die n-te Einheitswurzel bezeichnet. Die n-ten Einheitswurzeln sind die auf dem Einheitskreis liegenden Ecken eines regelmäßigen n-Ecks. Es genügt die reelle Zahl \alpha_n := \zeta_n + \zeta_n^{-1}\in\R zu konstruieren.

Sind zum Beispiel m und n teilerfremd, so ist \mathbb{Q}[\zeta_{mn}]=\mathbb{Q}[\zeta_m,\zeta_n]. Sind dann das m- und das n-Eck konstruierbar, so ist auch das mn-Eck konstruierbar.

Um nun obige Argumente anwenden zu können, müssen einige Körpererweiterungsgrade bestimmt werden. Da die Kreisteilungspolynome irreduzibel sind, ist [\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q}] = \varphi(n). Wegen \zeta_n\not\in\R ist [\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q}[\alpha_n]]>1, also ist \operatorname{MinPol}_{\mathbb{Q}[\alpha_n]}(\zeta_n) = X^2-\alpha_nX+1, und damit [\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q}[\alpha_n]]=2.


Im regelmäßigen n-Eck beträgt der Zentriwinkel \beta := \frac{2\pi}{n}. Ist somit das regelmäßige n-Eck konstruierbar, so auch eine Strecke der Länge |\cos\beta| = \cos\frac{2\pi}{n}. Wegen \alpha_n = 2\cos\frac{2\pi}{n} ist dann auch diese Zahl konstruierbar, also muss [\mathbb{Q}[\alpha_n] : \mathbb{Q}] = 2^m eine Potenz von 2 sein. Damit ist dann \varphi(n) = [\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q}] = [\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q}[\alpha_n]]\cdot[\mathbb{Q}[\alpha_n]:\mathbb{Q}] = 2^{m+1}.


Ist umgekehrt φ(n) = 2m, so ist \operatorname{Gal}(\mathbb{Q}[\zeta_n]:\mathbb{Q})\cong\left(\Z/n\Z\right)^\times eine endliche abelsche Gruppe der Ordnung 2m. Nach dem Hauptsatz über endlich erzeugte abelsche Gruppen existiert dann eine Kette \left(\Z/n\Z\right)^\times=H_0\triangleright H_1\triangleright\dots\triangleright H_m=\{1\} von sukzessiven Normalteilern Hi mit | Hi | = 2mi. Mit dem Hauptsatz der Galoistheorie erhält man daraus dann als Fixkörper von \mathbb{Q}[\zeta_n] einen Körperturm \mathbb{Q}=M_0\subseteq M_1\subseteq\dots\subseteq M_m=\mathbb{Q}[\zeta_n] mit [Mi + 1:Mi] = | Hi / Hi + 1 | = 2, mithin ist M_{i+1}=M_i[\sqrt{\gamma_i}] für \gamma_i\in M_i, und somit ist ζn und damit auch das regelmäßige n-Eck konstruierbar.


Sei beispielsweise n = 5. Dann ist φ(n) = 22 eine Potenz von 2 und \operatorname{Gal}(\mathbb{Q}[\zeta_5]:\mathbb{Q})\cong\left(\Z/5\Z\right)^\times = \langle2\rangle, da 2 eine Primitivwurzel modulo 5 ist. Eine mögliche Kette von Normalteilern ist H_0:=\langle2\rangle \triangleright H_1:=\langle4\rangle \triangleright H_2:=\langle1\rangle. Der dazugehörige Körperturm ist M_0:=\mathbb{Q} \subseteq M_1:=\mathbb{Q}[\zeta_5+\zeta_5^{-1}] \subseteq M_2:=\mathbb{Q}[\zeta_5]. Es ist \operatorname{MinPol}_{\mathbb{Q}}(\alpha_5) = X^2+X-1, da es normiert ist und α5 annulliert und mit Reduktion modulo 2 irreduzibel ist. Nach Lösen der Gleichung x2 + x − 1 = 0 ergibt sich \alpha_5=-\frac{1}{2}+\frac{1}{2}\sqrt{5}. Nun könnte man bereits die erste Ecke konstruieren, indem man den Punkt mit Abstand α5 vom Mittelpunkt auf einer Achse aus konstruiert und dann das Lot durch diesen Punkt fällt. Durch Lösen von x2 − α5x + 1 = 0 ergibt sich \zeta_5=-\frac{1}{4}\left(-1+\sqrt{5}+\mathrm{i}\sqrt{10+2\sqrt{5}}\right). Durch diesen algebraischen Ausdruck lässt sich alternativ die erste Ecke konstruieren, indem man eine reelle und eine imaginäre Achse einzeichnet und mit deren Hilfe den Punkt ζ5 konstruiert.

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