Koma-Saufen

Koma-Saufen

Rauschtrinken bezeichnet Alkoholkonsumverhalten, das zu einem Rausch führt. Ein Problem mit der Interpretation des Begriffes ist, dass „Alkoholrausch im weiteren Sinn“ verschiedene Bedeutungen umfasst: von einer kaum merkbaren Beeinträchtigung (leichter Schwips) über eine deutlich merkbare Berauschung über den starken Rausch (Vollrausch) bis zur komatösen Bewusstlosigkeit („Komatrinken“). Dagegen ist „Alkoholrausch im engeren Sinn“ mit „sehr starker Berauschung“ gleichzusetzen.

Wer im öffentlichen Diskurs ohne Präzisierung den Begriff Rauschtrinken verwendet, versteht Rausch in der Regel im engeren Sinn. Rauschtrinken im engeren Sinne bezeichnet ausschließlich extreme Trinkformen, die zu Vollrausch oder Koma führen. In letzter Zeit wird im deutschen Sprachraum für diese Interpretation von „Rauschtrinken“ – vor allem in Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen – oft der Ausdruck „Komasaufen“ verwendet.

Bei epidemiologischen Fragebogenuntersuchungen werden die Befragten in der Regel unspezifisch gefragt, wie oft sie in einem bestimmten Zeitraum einen Alkoholrausch erlebt haben. Ohne Präzisierung von „Rausch“ beinhaltet das auch geringfügige Beeinträchtigungen: „Rausch“ wird damit im „weiteren Sinn“ definiert und „Rauschtrinken im weiteren Sinn“ erfasst. Die große europäische Studie „European School Survey Project on Alcohol and other Drugs (ESPAD)“[1][2] fragte 2003 unmittelbar nach der Erhebung der Häufigkeit von „Räuschen“ sogar explizit danach, wie stark die Räusche waren – auf einer Skala von „nur etwas beschwipst“ bis „so schwer berauscht, dass ich nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen konnte“.

Da die beiden Konzepte, die hinsichtlich Verbreitung und Bedeutung sehr unterschiedlich sind, im öffentlichen Diskurs kaum je getrennt werden, ist bei der Interpretation von Aussagen zum Rauschtrinken, die sich auf empirische Grundlagen berufen, immer sehr große Vorsicht geboten. Das Ausmaß der Unterschiede bei derartig unspezifischen Fragen nach Räuschen konnte z. B. bei der „österreichischen Repräsentativerhebung 1993/94“ anschaulich aufgezeigt werden. Dabei zeigte sich z. B., dass nach eigenen Angaben im Jahre 1994 38 % der Österreicher während der letzten drei Monate einen Schwips oder eine stärkere Alkoholbeeinträchtigung gehabt hatten, dass aber im gleichen Zeitintervall nur 8 % einen Vollrausch durchlebt hatten.[3]

Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in Deutschland immer mehr Kinder und Jugendliche aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär im Krankenhaus behandelt. 9.500 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 10 bis unter 20 Jahren wurden im Jahr 2000 mit der Diagnose „akute Alkoholintoxikation“ stationär im Krankenhaus behandelt. Die Zahl stieg innerhalb von fünf Jahren auf mehr als das Doppelte an: 2005 waren es bereits 19.400 stationäre Behandlungen.[4] Im Drogen- und Suchtbericht 2008 warnte die Drogenbeauftrage der Bundesregierung Sabine Bätzing vor einer weiteren Zunahme des Alkoholmissbrauchs unter Jugendlichen in Deutschland[5]. Die Bundesdrogenbeauftragte geht für das Jahr 2007 von 19.500 Fällen aus, in denen junge Leute wegen eines Alkoholrausches ins Krankenhaus kamen.[6]

Trinkgelage und „Komasaufen“

In Zusammenhang mit exzessivem Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen wurde der Ausdruck „Komasaufen“ (engl. binge drinking) populär, wobei allerdings die Bedeutung des Begriffes weder im englischen noch im deutschen Sprachraum klar definiert ist.[7]

  • Wörtlich übersetzt bedeutet der englische Ausdruck binge drinking Alkoholkonsum im Rahmen eines Trinkgelages. Diese Bedeutung ist heute allerdings stark in den Hintergrund gerückt.
  • Im öffentlichen Diskurs und in den Medien wird „Komasaufen“ heute meist mit „exzessivem Alkoholkonsum“, oft auch „mit dem erklärten Ziel, betrunken zu werden“, gleichgesetzt,[8] also mit „bewusstem Rauschtrinken“, „Wetttrinken“ oder „Kampftrinken“.
  • In der klinischen Alkoholforschung wird immer wieder die Definition vertreten, dass binge drinking als „über mehrere Tage hinweg anhaltenden Alkoholkonsum bis zur Berauschung, wobei übliche Aktivitäten und Verpflichtungen vernachlässigt werden.“ zu interpretieren sei (sogenanntes „Quartalssaufen“). Das „Journal of Studies on Alcohol“ legte z. B. fest, dass grundsätzlich nur Artikel zur Publikation akzeptiert werden, die sich an dieser Definition orientieren.[9] Derzeit wird im englischen Sprachraum unter “binging” vor allem „exzessiver Konsum in kurzen Zeiträumen“ verstanden, was in Zusammenhang mit Alkohol “binge drinking” zum „Rauschtrinken“ bzw. in extremerer Ausprägung „Komatrinken“ macht[10] [11] (vgl. dazu auch Binge Eating).
  • Eine völlig andere Definition von binge drinking verwenden die meisten Alkoholepidemiologen, die die Verbreitung des Phänomens in der Bevölkerung untersuchen. Dort wird der Begriff mit dem Konsum einer bestimmten Anzahl von hinsichtlich des Alkoholgehalts identischen Einheiten über einen beliebig langen zusammenhängenden Zeitraum (Trinkgelegenheit) definiert. Diese Definition geht auf Wechsler et al.[12] zurück, die „Binge Drinking“ als „Konsum von mindestens 5 Glas Alkohol pro Trinkgelegenheit“ definierten, wobei eine Glaseinheit mit 0,12 Liter Wein, 0,36 Liter Bier oder 0,04 Liter Spirituosen quantifiziert wurde, was dem Konsum von mindestens 0,6 Liter Wein, 1,8 Liter Bier oder 0,2 Liter Spirituosen über einen beliebig langen Zeitraum entspricht. Diese Definition liegt auch der großen europäischen Studie „European School Survey Project on Alcohol and other Drugs (ESPAD)“ zugrunde [1] [2] und wurde bis 2004 auch vom renommierten US-amerikanische National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (NIAAA) vertreten.
  • Seit 2004 gibt es in der Alkoholepidemiologie eine weitere Definition von binge drinking im Sinne von „Konsum jener Menge Alkohol die eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8 Promille bewirkt“. Diese Definition wurde damit begründet, dass beim Konsum der im Sinne der obigen Definition als binge drinking bezeichneten Glaseinheiten ohne zeitliche Begrenzung unter Umständen nicht einmal eine leichte Berauschung auftritt.[13]

Einzelnachweise

  1. a b [1]Homepage von ESPAD international
  2. a b [2] Uhl, A.; Bohrn, K.; Fenk, R; Grimm G.; Kobrna, U.; Springer, Afg.; Lantschik, E.(2005): ESPAgD Austria 2003: Europäische Schüler- und SchülerInnenstudie zu Alkohol und anderen Drogen Band 1: Forschungsbericht. Bundesministerium für Gesundheit und Frauen
  3. Uhl, A.; Springer, A. (1996): Studie über den Konsum von Alkohol und psychoaktiven Stoffen in Österreich unter Berücksichtigung problematischer Gebrauchsmuster – Repräsentativerhebung 1993/94 Textband. Originalarbeiten, Studien, Forschungsberichte des Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz, Wien
  4. destatis
  5. Focus: Komasaufen statt Hausaufgaben vom 5. Mai 2008.
  6. Koma-Säufer kosten die Kassen viel Geld, Ärztezeitung, 15. September 2008, S. 8
  7. [3] Alkoholkoordinations- und Informationsstelle (AKIS) des Anton Proksch Institut
  8. [4] Artikel im Spiegel Online vom 10. März 2007
  9. [5] Schuckit, M.A. (ed.) (2006): Guidance for authors on the policy of the Journal of Studies on Alcohol regarding the appropriate use of the term ‚binge‘. Center of Alcohol Studies RUTGERS, San Diego
  10. [6] British Medical Association
  11. Messinger, H. (1994): Langenscheids Handwörterbuch Englisch. Langenscheidt, Berlin
  12. Wechsler, H; Davenport, A.; Dowdall, G; Moeykens, B.; Castillo, S.(1994): Health and Behavioral Consequences of Binge Drinking in College. A National Survey of Students at 140 Campuses. JAMA, 272, 21, 1672–1677
  13. [7] NIAAA (2004): NIAAA Council Approves Definition of Binge Drinking. NIAAA Newsletter, WINTER 2004, 3, 3

Weblinks

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