Andrées Polarexpedition von 1897

Andrées Polarexpedition von 1897

Salomon August Andrées Expedition mit einem Gasballon zum Nordpol startete am 11. Juli 1897 und endete im Oktober desselben Jahres mit dem Tod der drei Teilnehmer: Salomon August Andrée, dem Ingenieur Knut Frænkel und dem Fotografen Nils Strindberg.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wird oft als die heroische Zeit der Polarfahrten bezeichnet. Die unwirtlichen Zonen um Nord- und Südpol stellten eine Herausforderung für Mut und technische Errungenschaften dar. Andrées Pläne für eine Ballonreise zum Nordpol passen deshalb zum Geist seiner Zeit. Er wollte mit seinem Ballon von Svalbard aus starten und dann über das Nordpolarmeer zur Beringstraße reisen, um dort entweder in Alaska, Kanada oder Russland zu landen. Dabei wollte er den Nordpol überqueren oder so dicht wie möglich an ihm vorbei fahren.

Inhaltsverzeichnis

Planung

Der Wasserstoffballon Svea im Jahre 1894

1893 kaufte Andrée einen Wasserstoffballon, taufte diesen Svea und unternahm neun Reisen über Schweden mit Start in Göteborg oder Stockholm, wobei er insgesamt 1.500 Kilometer zurücklegte. Die längste Reise ging von Göteborg über das schwedische Festland und die Ostsee bis zur Insel Gotland. Bei einigen der Fahrten testete er die selbst erfundenen Schleppleinen, mit denen er den Ballon in Zukunft steuern wollte. Solange ein Ballon dieselbe Geschwindigkeit wie der Wind hat, ist es nicht möglich ihn mit Segeln zu steuern. Die Aufgabe der Schleppleinen war, die Geschwindigkeit des Ballons zu drosseln, um ihn manövrierfähig zu machen. Nach seinen Testfahrten behauptete Andrée, dass die Svea mit Schleppleinen und Segeln ein zu steuerndes Luftschiff geworden war, eine Aussage, die von heutigen Ballonfahrern als unmöglich angesehen wird. Viele seiner Kritiker glauben, dass Andrées Überzeugung ein Resultat seines Wunschdenkens war. Außerdem reiste er große Strecken durch Wolken und hatte nur geringe Möglichkeiten zu bestimmen, wo er war und wohin er sich bewegte. Des Weiteren gab es schon in dieser Phase Probleme mit den Schleppleinen, die entweder rissen, sich untereinander verknoteten oder an Objekten am Boden festhakten. Die Sicherungsanordnung, welche letzteres Problem beseitigen sollte, sorgte beim Beginn der eigentlichen Expedition dafür, dass viele Leinen beim Start einfach abfielen.

Werbung und Geldbeschaffung

Vision eines französischen Künstlers über die Abreise Andrées von Svalbard
Ein schwedisches Gesellschaftsspiel von 1896 mit Eisbären, die den Leinen des Ballons nachjagen

Im Gegensatz zu Norwegen, das vor allem durch die Leistungen Fridtjof Nansens große Fortschritte im Wettbewerb um das Erreichen des Nordpols erzielt hatte, hatte Schweden keine ähnlich gearteten Erfolge aufzuweisen. Die schwedische politische und wissenschaftliche Elite war deshalb interessiert daran, dass ihr Land den Anschluss zum westlichen Nachbarn erzielte. Andrée war ein überzeugender Redner und hatte wenig Mühe, Unterstützung für seine Pläne zu finden. Er hielt Vorlesungen bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften und bei der schwedischen Gesellschaft für Anthropologie und Geologie und erhielt breite Zustimmung. Bei diesen Vorlesungen erklärte Andrée, dass für eine Nordpolarfahrt ein Ballon mit folgenden vier Eigenschaften benötigt werde. Erstens müsse er genügend Auftrieb besitzen, um drei Personen und die wissenschaftliche Ausrüstung, deren Gewicht er auf drei Tonnen berechnete, über die geplante Strecke zu tragen. Zweitens müsse die Hülle des Ballons ausreichend fest und dicht sein, um eine dreißigtägige Reise zu überstehen. Drittens sollte er am Startplatz mit Wasserstoff gefüllt werden können und schließlich sollte er zu steuern sein. Zur benötigten Ausrüstung rechnete Andrée moderne Kameras für Luftbildaufnahmen, Proviant für vier Monate und Ballast. Er zeigte sich sehr optimistisch, dass die vier Forderungen leicht erfüllt werden könnten. Andrée gab an, dass der Ballon, der größer und fester war als notwendig, bereits in Frankreich hergestellt werde. Außerdem sollten schon einige französische Ballons ihre Wasserstofffüllung länger als ein Jahr behalten haben, ohne merkbar an Auftrieb zu verlieren. Für die Auffüllung des Ballons am Startplatz wollte Andrée mobile Wasserstofferzeuger besorgen. Im Bezug auf die Steuerung verwies er auf seine Versuche mit der Svea und merkte an, dass so eine Richtung erlangt werden könne, die bis zu 27 Grad von der Windrichtung abwiche.

Andrée versicherte seinem Publikum, dass der arktische Sommer hervorragende Voraussetzungen für eine Ballonfahrt böte. Aufgrund der Mitternachtssonne brauche man nachts nicht zu landen und auch die Observationen könnten rund um die Uhr stattfinden. Ein Flug ohne Halt würde auch die Reisezeit erheblich verkürzen. Die Schleppleinen könnten sich auch nicht so leicht am Boden verhaken, da keine Vegetation vorhanden sei. Die geringe Niederschlagsmenge würde das Risiko des Einschneiens minimieren, was den Ballon schwerer machen würde. Aber selbst wenn es schneien werde, sei das Problem als gering einzuschätzen. Andrée erklärte, dass der Schnee bei Temperaturen über Null taue und bei Temperaturen unter Null weggeblasen werde, da der Ballon mit Schleppleinen langsamer als der Wind vorankomme. Das Publikum und wahrscheinlich auch Andrée kannten die häufigen Unwetter des arktischen Sommers ebenso wenig wie die hohe Luftfeuchtigkeit der Gegend mit viel Nebel, was die Gefahr der Eisbildung erhöht. Die Akademie stellte sich hinter Andrées Vorhaben und auch seine Kostenberechnung, die sich auf 130.800 Kronen belief. Davon waren allein 36.000 Kronen für den Kauf des Ballons gedacht. Daraufhin erhielt Andrée finanzielle Unterstützung von Vereinen und Privatpersonen, unter denen sich auch König Oskar II. und Alfred Nobel befanden.

Die Ballonwerkstatt von Henri Lachambre

Auch in anderen Ländern wurde dem Projekt großes Interesse entgegengebracht. Sowohl europäische als auch amerikanische Zeitungen schrieben über die Expeditionspläne, und für die neugierigen Leser wurde das Projekt ganz im populärwissenschaftlichen Geiste Jules Vernes ausgemalt. Die Vermutungen über den Verlauf der Expedition reichten von der Voraussage eines sicheren Todes bis zu der Versicherung, dass die Reise problemlos ablaufen würde, da ja Experten aus Paris und schwedische Wissenschaftler beteiligt seien.

Im Gefolge dieser Diskussionen kam auch die erste gut begründete Kritik in Schweden an. Da Andrée der erste schwedische Ballonfahrer war, gab es im Land niemanden, der genügend Wissen hatte, um Andrées Aussagen zu Schleppleinen und Auftriebskraft überprüfen zu können. In Frankreich und Deutschland gab es dagegen schon länger eine Ballonfahrertradition und so kamen aus diesen Ländern die ersten skeptischen Äußerungen zu Andrées Methoden und Erfindungen. Doch auch diese konnten den Optimismus des Expeditionsleiters nicht dämpfen. Er leitete Verhandlungen mit dem bekannten Wasserstoffballonproduzenten Henri Lachambre aus Paris ein und bestellte einen Ballon aus dreilagiger chinesischer Seide, der einen Durchmesser von 20,5 Metern haben sollte. Ursprünglich erhielt der Ballon den Namen Le Pôle Nord (französisch für Nordpol) aber kurz vor dem Start wurde er in Örnen (schwedisch für Adler) umgetauft.

Eines der wissenschaftlichen Ziele der Reise war die kartografische Auswertung des überflogenen Gebietes mit Hilfe von Luftbildern und so entwickelte Andrée, der auch ein erfahrener Amateurfotograf war, verschiedene neue Kameras.

Erster Versuch von 1896

Die Teilnehmer des ersten Versuchs. Von links: N.G. Ekholm, N. Strindberg, S.A. Andrée
Eine Zeichnung aus der Zeitung Aftonbladet zeigt die Abfahrt der Teilnehmer des ersten Versuches vom Bahnhof Stockholm

Für die Expedition hatten sich viele Freiwillige gemeldet. Andrées Wahl fiel auf den Meteorologen Nils Gustaf Ekholm, der bei der geophysikalischen Expedition von 1882 Andrées Vorgesetzter gewesen war und so schon guten Einblick in die Gegebenheiten der Arktis hatte. Als dritter Mann wurde der Student Nils Strindberg ausgewählt, der sich mit Physik und Chemie beschäftigte und ein Neffe August Strindbergs war. Die Teilnehmer waren nicht aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften zusammengestellt worden und wurden auch nicht auf das Überleben unter extremen Verhältnissen trainiert: Alle drei arbeiteten vor der Reise für gewöhnlich in Gebäuden und nur Strindberg war noch relativ jung.

Als die Drei 1896 den ersten Versuch starten wollten, blies der Wind kontinuierlich von Nord und nachdem sich die Situation über längere Zeit nicht änderte, gab man das Unternehmen vorerst auf und ließ den Wasserstoff wieder ab. Heute ist bekannt, dass nördliche Winde auf der Däneninsel (norwegisch Danskøya) von Svalbard vorherrschen, doch zu jener Zeit waren Aussagen über Windrichtungen und Niederschlagsmengen in der Arktis rein hypothetisch. Selbst Ekholm, der schon seit gewisser Zeit das polare Klima erforschte, ließ sich deshalb von Andrée überzeugen. Solange der Ballon noch gefüllt war, machte Ekholm Messungen über dessen Vermögen, den Wasserstoff zu halten, da er in dieser Beziehung skeptisch war. Nach diesen Messungen war Ekholm überzeugt davon, dass der Ballon zu viele Lecks hatte, die eine sichere Reise zum Nordpol unmöglich machten, von einem Weiterflug nach Russland oder Kanada ganz zu schweigen. Der größte Gasverlust entstand an den Nähten des Ballons mit den unzähligen winzigen Einstichlöchern und weder Klebestreifen noch spezieller Kitt konnten ihrer Herr werden. Täglich verlor der Ballon Auftrieb, der etwa 68 Kilogramm entsprach. Unter Berücksichtigung der schweren Expeditionslast berechnete Ekholm, dass der Ballon maximal 17 Tage in der Luft bleiben würde. Als sich die Expedition für dieses Mal auf den Heimweg machte, teilte er Andrée mit, dass er nicht am Versuch des nächsten Jahres teilnehme, solange nicht ein stärkerer und dichterer Ballon angeschafft werden würde. Andrée ignorierte die Kritik seines Kollegen.

Knut Frænkel (1870–1897)

Bei der Rückreise erfuhr Ekholm vom Chefingenieur für die Wasserstoffherstellung, dass einige merkwürdige Abweichungen in seinen Messreihen darauf beruhten, dass Andrée ab und zu heimliche Nachfüllungen angeordnet hatte. Die Gründe für dieses selbstzerstörerische Verhalten sind heute nicht bekannt. Manche modernen Kommentatoren der Expedition, wie der Autor des halbdokumentarischen Buches Ingenijör Andrées luftfärd (Ingenieur Andrées Luftfahrt), Per Olof Sundman, vermuteten, dass Andrée ein Opfer seiner erfolgreichen Propaganda- und Finanzierkampagne geworden war. Die Sponsoren und Medien verfolgten jede Verzögerung und jeden Rückschlag und verlangten Resultate. Die Expeditionsteilnehmer waren von jubelnden Volksmassen verabschiedet worden und nun kehrten sie heim mit nicht mehr als einer langen Wartezeit im Gepäck. Etwa zur gleichen Zeit kam auch Nansen von seiner Fahrt mit der Fram zurück und der Kontrast hätte nicht größer sein können. Sundman stellte in seinem Roman die Theorie auf, dass es Andrée in dieser Situation nicht schaffte, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass die Windverhältnisse in der Arktis anders lagen, als er gehofft hatte und dass er seinen Ballon falsch eingeschätzt hatte und somit einen neuen benötigte.

Als nun klar war, dass der ursprünglich geplante Aufstieg nicht stattgefunden hatte, war der Enthusiasmus in der Bevölkerung nicht mehr so groß, doch es gab noch genügend freiwillige Kandidaten. Andrée wählte den 27-jährigen Ingenieur Knut Frænkel als Ersatz für Nils Ekholm aus. Frænkel kam aus Jämtland und war ein geübter Sportler und Gebirgswanderer, der sich stark für die Stelle des Meteorologen empfahl, jedoch nicht über vergleichbare Kenntnisse wie Ekholm verfügte. Aufgrund seines meteorologischen Tagebuches konnte man später die Strecke der Expedition und ihre letzten Monate recht genau nachvollziehen.

Die Expedition von 1897

Aufstieg, Fahrt und Landung

Die Örnen mit Sandsäcken, die den gefüllten Ballon am Boden halten.
Die Besatzung des Ballons und das Bodenpersonal kurz vor dem Start zur Expedition von 1897
Die Örnen segelt nordwärts, vom Dampfer Virgo aus gesehen

Als die Expedition im Sommer 1897 zur Däneninsel zurückkehrte, fand sie den Hangar, der schon im letzten Jahr den Ballon beherbergt hatte, in gutem Zustand. Die Winde schienen eine günstigere Richtung eingeschlagen zu haben und Andrée fand sich in der Position des Expeditionsleiters bestärkt, da der kritische Ekholm ersetzt worden war. Am 11. Juli kam ein stetiger Wind aus Südwest und so beschloss man, abzuheben. Das Dach des Hangars wurde abgenommen und die drei Entdeckungsreisenden stiegen in den Korb. Die Helfer der Expedition am Boden kappten die letzten Seile und der Ballon stieg langsam auf. Das Abheben des Ballons wurde von dem deutschen Journalisten und Polarforscher Theodor Lerner fotografisch dokumentiert. Als sich der Ballon über Wasser befand, wurde er durch die Reibung der Schleppseile nach unten gezogen, so dass der Korb zeitweilig ins Meer eintauchte. Durch die Reibung kam es auch zu einer Verdrehung der Seile, was dazu führte, dass sie aus ihren Verschraubungen fielen. Dies beruhte auf einer Sicherungsanordnung, zu der sich Andrée nur recht widerwillig bereiterklärt hatte. In den ersten Minuten der Expedition gingen fast alle Schleppleinen verloren, was einem Gewicht von 530 Kilo entsprach. Gleichzeitig warfen die Expeditionsteilnehmer 210 Kilo Sand ab, um aus dem Wasser zu kommen. Kurz darauf stieg der Ballon auf eine Höhe von 700 Metern, was man nie geplant hatte. Eine Steuerung des Fahrzeugs war nun nicht mehr möglich und gleichzeitig verlor der Ballon in dieser Höhe mehr Wasserstoff als gewünscht.

Um mit der Umwelt in Kontakt zu bleiben, hatte die Expedition Bojen und Brieftauben an Bord. Die Bojen bestanden aus Stahlzylindern, die in Kork eingeschlossen waren und sollten nach dem Abwurf über Wasser oder Meereis mit Hilfe der Meeresströmungen zur Zivilisation zurückkehren. Zwei dieser Bojen wurden wiedergefunden und stammten von einem Zeitpunkt nur wenige Stunden nach dem Abflug. Die Brieftauben kamen aus dem nördlichen Norwegen, wo sie von der Zeitung Aftonbladet für die Expedition gekauft worden waren. Man hoffte darauf, dass sie in ihre Heimat zurückfinden würden und gab ihnen deshalb einen Vordruck auf Norwegisch mit, der darum bat, den Brief nach Stockholm weiterzuleiten. Andrée ließ mindestens vier dieser Tauben frei, von denen keine das Festland erreichte. Eine jedoch landete auf einem norwegischen Dampfer und wurde geschossen. Die mitgeführte Nachricht stammte vom 14. Juli und hatte außer den Angaben über Position und Fahrtrichtung den Text „Alles gut an Bord“. In keiner der gefundenen Mitteilungen wurde über das Unglück beim Start berichtet oder die sorgenvolle Lage an Bord erwähnt, so wie es Andrée in seinem Tagebuch vermerkte:

„Die Luftreise war sehr unausgeglichen und so segelte der Ballon zeitweilig viel zu hoch und verlor den Wasserstoff schneller als es Nils Ekholm befürchtet hatte, oder er befand sich zu wiederholten Male nahe dem Eis und drohte aufzuschlagen.“

Später wurde die Örnen durch Regen feucht und schwer, und der ganze Sand sowie ein Teil der Ausrüstung wurden über Bord geworfen, um sie in der Luft zu halten. Der Ballon war ohne Kontakt zum Boden 10 Stunden und 29 Minuten unterwegs. Danach folgte eine 41-stündige, holprige Reise mit vielen Bodenberührungen, bis der Ballon ganz zum Stehen kam. Der Ballon war am 11. 7. um 13:50 Uhr GMT gestartet und landete am 14. 7. um 7:30 Uhr GMT, das sind 65:40 Stunden, in denen laut Andrées Tagebuchaufzeichnungen keiner der Reisenden zum Schlafen kam. Die endgültige Landung konnte noch als relativ weich bezeichnet werden. Alle an Bord waren unverletzt geblieben, sogar die Tauben in ihren Weidenkörben. Die Ausrüstung, inklusive der empfindlichen optischen Instrumente Strindbergs, hatte keinen Schaden davongetragen. Insgesamt waren die Polarforscher bis auf 82°56' nördliche Breite gekommen, was etwa einem Drittel der Strecke zum Nordpol entsprach.

Andrée und Frænkel mit dem gestürzten Ballon auf dem Packeis. Der Film für dieses Foto und einige weitere wurden erst 1930 aufgefunden.


Zu Fuß auf dem Eis

Karte über die Strecke der Expedition. Von der Däneninsel (Danskøya) nach Norden mit dem Ballon und danach zu Fuß nach Süden bis zur Weißen Insel (Kvitøya).

Bevor die drei Männer ihren Fußmarsch begannen, verbrachten sie eine Woche in einem Zelt beim unbenutzbaren Ballon und besprachen, wohin die weitere Reise gehen sollte. Der noch etwa 800 Kilometer entfernte Nordpol wurde dabei nie als mögliches Ziel ins Auge gefasst. Zur Diskussion standen zwei Vorratslager mit Essen und Munition, die als Absicherung für die Expedition angeordnet worden waren. Das erste befand sich bei Cape Flora auf Franz-Joseph-Land und das zweite auf einer zu Svalbard gehörenden kleinen Inselgruppe (Seven Islands, siehe Karte). Da die Karten über das Gebiet zu dieser Zeit noch sehr mangelhaft waren, glaubten die Reisenden, dass sie von den Depots etwa gleich weit entfernt waren. So entschlossen sie sich für Cape Flora, wo mehr Vorräte lagerten.

Vor dem Aufbruch debattierten die Expeditionsteilnehmer darüber, was und wie viel sie mitnehmen würden. In einem Verschlag oberhalb des Ballonkorbs war eine Menge Hilfsausrüstung für Notfälle verstaut worden. Dazu zählten Gewehre, ein Zelt, Schneeschuhe, Ski, Schlitten und ein zusammenmontierbares Bootgerüst, das mit der Seide des Ballons bespannt werden konnte. Diese Gegenstände waren nicht besonders sorgfältig ausgewählt worden und man hatte auch nicht ausreichend studiert, was die einheimische Bevölkerung bei diesen extremen Verhältnissen benutzte. Darin unterschied sich Andrée nicht nur von den späteren, sondern auch von vielen früheren Entdeckungsreisenden. Sven Lundström weist in seinem Buch „Vår position är ej synnerligen god…“ (Unsere Position ist nicht besonders gut…) darauf hin, dass die von Andrée entworfenen Schlitten außerordentlich unpraktisch für das schwierige Gelände mit seinen Rinnen und unzähligen Eisschollen waren, die zu Barrikaden aufgetürmt, oder von überfrorenen Wassertümpeln gesäumt waren. Da man nicht an die leichten Schlitten der Inuit gedacht hatte, wurde die Fahrt erheblich schwieriger als notwendig. Auch die Kleidung bestand nicht aus Pelzen, sondern aus Wollmänteln und Hosen mit Regenschutz. Trotz dieses Schutzes war die Kleidung aufgrund der vielen Wassertümpel und der typisch neblig-feuchten arktischen Sommerluft immer nass oder feucht. Das Trocknen der Sachen war ebenso ein problematisches Unterfangen und die beste Methode war noch, sie am Körper zu tragen.

Frænkel und Strindberg mit dem ersten erlegten Eisbären der Expedition
Strindberg auf Skiern mit einem schwer beladenen Schlitten

In der ersten Woche fotografierte Strindberg mehr als auf der übrigen Reise. Unter anderem machte er zwölf Bilder, die zu einem geschlossenen Panorama rund um den Landeplatz zusammengefügt werden konnten. Aber auch später hielt Strindberg das tägliche Leben der kleinen Gesellschaft mit den ständigen latenten Gefahren und dem mühsamen Vorwärtskommen fest. In den folgenden drei Monaten auf dem Eis schoss er etwa 200 Fotos mit seiner sieben Kilogramm schweren Kamera. Andrée und Frænkel dokumentierten sorgfältig die Erlebnisse der Expedition und die geografischen Positionen, Andrée in seinem Tagebuch und Frænkel in seinem meteorologischen Bericht. Strindberg führte ein mehr persönliches Tagebuch im stenografischen Stil, wo er seine Reflexionen über die Reise und unzählige Mitteilungen an seine Verlobte Anna Charlier festhielt.

Es gab einen größeren Essensvorrat an Bord der Örnen, doch dieser war eher für eine Ballonfahrt als für einen Fußmarsch geeignet. Andrée hatte überlegt, einen Teil des Sand-Ballastes durch Nahrung zu ersetzten, die man auch über Bord werfen könnte, wenn der Ballon leichter werden sollte. Andernfalls würde bei einer Überwinterung Nahrung gebraucht. So befanden sich zusammen 767 Kilogramm Nahrungsmittel an Bord, wobei allein 200 Kilogramm auf Trinkwasser, einige Kisten Sekt, Portwein, Bier und ähnliche Getränke entfielen, die von Sponsoren und den Herstellern mitgegeben worden waren. Es gab auch Zitronensaft zum Schutz gegen Skorbut, wenn auch in geringerer Menge, als andere Polarforscher für notwendig ansahen. Große Teile der Nahrung waren Konserven, wie Pemmikan und andere Fleischprodukte oder Käse und Kondensmilch.

Ein Teil der Nahrung war schon abgeworfen worden. Von dem was übrig war, nahmen die Männer große Mengen mit, als sie die Landungsstelle am 22. Juli verließen. Zurück ließen sie ein Zelt, einige Gewehre, Munition und Küchenausrüstung. Jeder Schlitten war mit etwa 200 Kilogramm Last beladen. Dieses Gewicht war zu groß, da die Schlitten unter dem Gewicht zu zerbrechen drohten und die Männer, die sie zogen, zu sehr erschöpft wurden. Nach einer Woche ließen die Expeditionsmitglieder einen Haufen mit Nahrung und anderen Dingen, die nicht für notwendig angesehen wurden, zurück, so dass die Schlitten nur noch 130 Kilogramm wogen. Nun wurde es auch notwendig, dass die Reisenden jagten, um sich mit Essen zu versorgen. Im weiteren Verlauf des Marsches schossen sie hauptsächlich Eisbären, aber auch Walrosse und andere Robben.

Querung einer Wasserrinne mit dem mitgeführten Boot

Man merkte schnell, dass der Kampf gegen die zwei Meter hohen Eiswälle die Gruppe nicht entscheidend in Richtung Ziel brachte, denn das Eis trieb in die entgegengesetzte Richtung. So entschlossen sie sich am 4. August nach einer langen Diskussion für eine Richtungsänderung, hin zu den südwestlich gelegenen Seven Islands. Mit der Strömung hofften sie, nach etwa 6 bis 7 Wochen Wanderung am Ziel zu sein. Der Untergrund war in diese Richtung zeitweilig besonders schwer und sie mussten manchmal auf allen Vieren kriechen. Andererseits gab es auch Erleichterungen mit größeren flachen Schollen oder Gebieten offenen Wassers, wo die Gruppe ihr Boot als sicheres Fortbewegungsmittel benutzen konnte. „Das Paradies“ schrieb Andrée. „Große glatte Eisschollen mit Süßwasserpfützen voll mit Saft und Wasser und hier und da ein junger Eisbär mit erfrischendem Fleisch.“ Nun kamen sie nennenswert vorwärts, doch schon kurz darauf drehte der Wind und sie trieben wieder zurück. In den folgenden Wochen hatte der Wind eine südwestliche oder nordwestliche Richtung, was sie dadurch zu kompensieren versuchten, dass sie immer mehr direkt westwärts wanderten. Langsam wurde es offensichtlich, dass Seven Island nicht erreicht werden konnte.

Strindbergs Planungsskizze für ein Winterhaus auf dem Meereis, welches nur wenige Tage benutzt werden konnte. Es war eingeteilt in einen Schlafraum mit Schlafsäcken (auch Schnittdarstellung), einen Raum mit Tisch und eine Vorratskammer.

Am 12. September bestimmten die Teilnehmer, dass eine Überwinterung auf dem Eis notwendig sei. Sie errichteten ein Lager auf einer großen Eisscholle und ließen sich mit der Strömung treiben, ohne auf den Kurs Einfluss zu nehmen. Sie trieben südwärts in Richtung Weiße Insel (Kvitøya) und bauten gegen die Kälte ein von Strindberg entworfenes Winterhaus aus Schnee, dessen Wände mit vereistem Wasser gehärtet waren. Als Andrée sah, wie schnell sie nach Süden trieben, schrieb er seine Hoffnung nieder, dass sie ausreichend weit kommen würden, um sich ausschließlich vom Meer ernähren zu können. Am 2. Oktober begann die Eisscholle, welche gegen die Weiße Insel gepresst wurde, direkt unter der Hütte zu zerbrechen. Die Expeditionsteilnehmer zogen mit ihrem Vorrat direkt auf die Insel, was einige Tage in Anspruch nahm. Danach schrieb Andrée eine Bemerkung in sein Tagebuch, die als letzter Teil der zusammenhängenden Notizen in diesem Heft betrachtet werden kann. „Niemand hat den Mut verloren. Mit solchen Kameraden kann man sich erheben aus allen möglichen Umständen.“ Wenn man jedoch die letzten unzusammenhängenden und schwer beschädigten Seiten des Tagebuches betrachtet, kann man vermuten, dass die drei schon wenige Tage nach ihrem Umzug auf die Insel starben.

Mögliche Todesursachen

Die genaue Todesursache hätte am besten geklärt werden können, wenn die Leichen untersucht worden wären, doch die Körper wurden nach dem Auffinden 33 Jahre später direkt nach Stockholm gebracht und ohne Untersuchung kremiert. Die Asche wurde in einem gemeinsamen Grab auf dem Norra begravningsplatsen in Stockholm bestattet. Die Frage über die Todesursache weckte ein großes Interesse bei Amateurhistorikern und Fachleuten wie Medizinern. So wurden die Tagebücher der Teilnehmer gründlich gelesen, um Hinweise in der Beschreibung der Nahrung oder in den Symptomen, die die Reisenden an sich feststellten zu finden. Auch die Schilderungen des Sterbeortes wurden untersucht. Daraus wurde die Erkenntnis gewonnen, dass Andrée, Frænkel und Strindberg meist nur geringe Portionen von den Konserven und den getrockneten Waren zu sich nahmen, die sie im Ballon mitgeführt hatten. Sie ernährten sich überwiegend von halbrohem Eisbär- oder Robbenfleisch. Sie hatten oft schmerzende Füße und Durchfall und waren immer müde, durchnässt und froren. Bei ihrem letzten Lager auf der Weißen Insel ließen sie einen großen Teil ihrer wertvollen Ausrüstung vor dem Zelt und teilweise nahe am Ufer, was darauf hindeutet, dass sie zu erschöpft, zu krank oder zu ergeben waren, um diese Gegenstände besser in Schutz zu bringen. Strindberg starb wahrscheinlich zuerst, denn er wurde in einer Felsspalte beigesetzt und mit Steinen bedeckt aufgefunden. Seine beiden Kameraden lagen einfach auf dem Boden.

Die bekannteste und am meisten verbreitete Hypothese ist die des Arztes Ernst Tryde, die er 1952 in seinem Buch De döda från Vitön (Die Toten der Weißen Insel) aufstellte, nachdem die Fleischüberreste der Expedition untersucht worden waren. Er ging davon aus, dass die Männer wahrscheinlich von Fadenwürmern befallen wurden, nachdem sie mit Trichinen infiziertes Eisbärfleisch gegessen hatten. In Eisbärkadavern beim Lagerplatz fand man Larven der Art Trichinella spiralis und mehrere Kommentatoren glauben an diese Erklärung. Kritiker dieser These attestieren wiederum, dass das Symptom des Durchfalls, auf dessen Vorhandensein sich Trydes Theorie am meisten beruft, einfach eine Reaktion auf schlechtes Essen und auf einen schlechten körperlichen Zustand sein kann, wogegen andere spezifische Symptome für einen Fadenwurmbefall fehlen. Außerdem haben sich Fridtjof Nansen und sein Begleiter Hjalmar Johansen 15 Monate in der gleichen Gegend von Eisbärfleisch ernährt ohne auf gleichwertige Probleme zu treffen. Eine andere Erklärung war die Vergiftung mit Vitamin A aus Eisbärleber, doch Andrées Tagebücher zeigen, dass die Expedition über diese Gefahr informiert war und deshalb die Leber liegen ließ. Die Theorie über eine Kohlenmonoxidvergiftung hat wenige Anhänger, da der Primuskocher der Gruppe ausgeschaltet vorgefunden wurde. Andere Erklärungen reichen von Bleivergiftung durch Konservendosen über Skorbut, Botulismus, Selbstmord mit Hilfe des Opiums, das sie bei sich trugen, Erfrieren, Überfall von Eisbären, bis zu Flüssigkeitsmangel in Kombination mit allgemeiner Ermattung und Apathie. Rolf Kjellström glaubt in seinem Buch Andrée-expeditionen och dess undergång: tolkning nu och då (Die Andrée-Expedition und ihr Untergang: Deutungen heute und früher) mehr an die letztgenannte Variante und weist darauf hin, in welchem Zustand die Gruppe gewesen sein muss, als sie gezwungen war ihr Winterquartier auf der Eisscholle zu räumen um auf die vergletscherte Insel zu ziehen. Kjellström gab an, dass es weniger verwunderlich ist, dass sie starben, sondern vielmehr, dass sie so lange aushielten.

Spekulationen in der Öffentlichkeit und Auffindung

Schulkinder betrachten in einem Ausstellungsgebäude (Liljevalchs Konsthall) in Stockholm die Funde von Kvitøya

In den 33 Jahren nach dem Verschwinden der Expedition gehörte diese in Schweden und anderen Ländern zur kulturellen Mythenwelt. Einige Jahre wurde aktiv nach ihr gesucht, doch auch nachdem diese Aktivitäten sich langsam einstellten, gab es ständig Gerüchte und Vermutungen mit regelmäßigen Berichten in internationalen Zeitungen über mögliche Spuren von den Vermissten. Eine größere Sammlung von US-amerikanischen Zeitungsausschnitten der Jahre 1896 bis 1899, die unter dem Titel Mystery of Andree („Das Andrée-Mysterium“) veröffentlicht wurden, zeigt, dass das Medieninteresse nach dem Verschwinden der Expedition größer war als vor der Abreise. Die Menge der vermuteten Schicksale war groß und gründete sich auf Berichte über Funde eines Gebildes, das ein Ballonkorb gewesen sein kann oder aufgetauchte Ballonseide. Es gab Geschichten über Menschen, die vom Himmel fielen und Wahrsager, die den strahlenden Ballon weitab von der Stelle, an der er sich befand, gesehen haben wollten. Lundström schreibt, dass ein Teil der Berichte modernen Sagen glichen und den fehlenden Respekt vor den Ureinwohnern der Arktis widerspiegelten. Diese wurden oft als Wilde geschildert, welche die drei Männer ermordet haben sollen oder ihrem Schicksal gleichgültig gegenüberstanden. 1930 hatten alle Spekulationen ein Ende, als die Besatzung des norwegischen Robbenfängers Bratvaag das letzte Lager der Verschollenen entdeckte.

Die Bratvaag kam von Ålesund und war am 5. August 1930 in der Nähe von Kvitøya auf Jagd. Das Schiff hatte auch eine wissenschaftliche Expedition unter Leitung von Gunnar Horn an Bord, welche die Gletscher und Seen des Schärengartens von Svalbard erkunden sollte. Die Robben- und Walfangschiffe dieser Zeit erreichten normalerweise nicht die Weiße Insel, da diese meist von einem breiten Band Meereis umgeben war und auch oft im Nebel versteckt lag. Der Sommer 1930 war jedoch ungewöhnlich warm und das umliegende Meer war so gut wie eisfrei. Kvitøya war bekannt als gutes Jagdrevier auf Walrosse und da der Nebel erstaunlich dünn war, nutzte ein Teil der Besatzung der Bratvaag die Gelegenheit, um auf der so genannten „unerreichbaren Insel“ an Land zu gehen. Zwei der Robbenfänger, Olav Salen und Karl Tusvik, die auf der Suche nach Trinkwasser waren, stießen bei einem Bach auf Andrées Boot. Dieses war unter einem Schneeberg eingefroren und war voll mit Ausrüstung, darunter ein Bootshaken mit der Inschrift „Andrées polarexpedition, 1896“. Als dem Kapitän des Schiffes, Peder Eliassen, dieser Haken gezeigt wurde, ordnete dieser an, dass die Besatzung und die Wissenschaftler an Bord den Platz durchsuchen sollten. Man fand unter anderem ein Tagebuch und zwei Skelette, die anhand von Monogrammen auf der Kleidung als die von Andrée und Strindberg identifiziert wurden. Das Schiff verließ die Insel, um die Jagd und die Erforschung des Eises fortzusetzen. Sie wollten später noch einmal zurückkommen, da sie hofften, dass das Eis weiter schmelzen und weitere Fundstücke zu Tage kommen würden. Außerdem wurden Mitteilungen über die Entdeckungen auf Kvitøya an die Presse und die norwegischen Behörden gemeldet. Als sie am 26. August zur Insel zurückkehrten, war die See jedoch für einen Landgang zu rau.

Weitere Funde wurden vom norwegischen Robbenfängerschiff M/K Isbjørn gemacht, das aus Tromsø kam und von Journalisten gemietet worden war, die die Bratvaag einholen wollten. Nachdem es ihnen nicht geglückt war, das erste Interview mit der Besatzung der Bratvaag zu führen, entschlossen sie sich dazu, einen Landgang auf Kvitøya zu versuchen. Sie erreichten die Insel am 5. September und stellten fest, dass das Eis weiter abgenommen hatte und weitere Funde möglich waren. Unter diesen Funden befand sich Frænkels so gut wie vollständig erhaltener Oberkörper und Reste des Unterleibes sowie eine Bleischachtel mit Strindbergs Filmen und Karten.

Beide Boote überließen ihre Funde am 2. beziehungsweise 16. September einer wissenschaftlichen Kommission, die den Regierungen Schwedens und Norwegens unterstand. Die drei Leichen wurden nach Stockholm überführt, wo sie am 5. Oktober eintrafen. Dort wurden sie eingeäschert und beerdigt.

Die Expedition in den Augen der Nachwelt

Die letzte Ruhestätte der Expedidionsmittglieder auf dem Norra begravningsplatsen.
Die drei Leichen wurden in einem einer Staatstrauer ähnlichen Leichenzug direkt vom Schiff durch das Zentrum von Stockholm geführt. (Zeitungsbild vom 5. Oktober 1930)

In der Zeit, als sich die Expedition auf den Weg machte, nährte das gewagte Projekt Andrées den nationalen Stolz Schwedens. Man träumte davon, dass das Land eine führende Position in der Erforschung der Arktis einnehmen könnte. Andrée wurde im Allgemeinen als „Ingenieur Andrée“ bezeichnet, was den hohen Stellenwert von Ingenieuren widerspiegelte, die als Repräsentanten für eine soziale Verbesserung durch wissenschaftlichen Erfolg dargestellt wurden. Die Entdeckungsreisenden wurden, als sie abfuhren, von der ganzen Nation geehrt und wiederum betrauert, als sie verschwanden. Nach der Auffindung ihrer Leichen wurden sie als selbstlose Opfer des wissenschaftlichen Fortschritts und für ihren Heldenmut beim zwei Monate langen Überlebenskampf geehrt. Der Historiker Sverker Sörlin war der Überzeugung, dass die Heimkehr der Körper einer der feierlichsten und großartigsten Ausdrücke für nationale Trauer in Schweden gewesen sein muss. Dieser ist laut Sörlin wahrscheinlich nur mit der Trauer um die Opfer der Estonia-Katastrophe von 1994 vergleichbar.

In neuerer Zeit wurden Andrées heroische Motive immer mehr in Frage gestellt. Eine erste Zusammenfassung machte Per Olof Sundman 1967 in seinem halbdokumentarischen Roman Ingenjör Andrées luftfärd, wo er Andrée als Opfer der hohen Anforderungen von den Medien und des wissenschaftlichen beziehungsweise politischen Establishments Schwedens darstellte, der mehr durch seine Angst als durch seinen Mut getrieben wurde. Sundmans Schilderung der Personen dieses Dramas als blinde Flecke in der schwedischen Nationalkultur und die Rolle der Presse, wurden später von Jan Troell in seinem gleichnamigen Film Der Flug des Adlers (1982), der auch eine Oscar-Nominierung erhielt, weitergeführt.

Im Bezug auf die Rolle Nils Strindbergs bei der Expedition hat sich die Auffassung vieler Kommentatoren verbessert. Vor allem die Tapferkeit, mit der der körperlich untrainierte Student, unter Zuständen, die aufgrund der Ermattung durch Kälte permanent dicht am Kollaps lagen, weiterfotografierte, wird anerkennend dargestellt. Auch die künstlerische Qualität der Fotos fand Beachtung. Von den 240 Negativen, die auf Kvitøya in wassergefüllten Behältern gefunden wurden, konnte John Hertzberg von der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm mit großem wissenschaftlichen Aufwand 93 restaurieren. Tyrone Martinsson beklagte 2004 in seinem Artikel, Recovering the visual history of the Andrée expedition: A case study in photographic research, dass frühere Forscher zu sehr einen traditionellen Fokus auf die schriftlichen Quellen, wie Tagebücher legten, wogegen vor allem die Fotografien wichtig seien.

Moderne Autoren beurteilen Andrée, der nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben seiner Mitstreiter geopfert habe, mit unterschiedlicher Härte. Dies hängt davon ab, ob man ihn als Mitschuldigen oder als Opfer der damaligen nationalen Hysterie betrachtet.

Anmerkungen

Ein Teil der Expeditionsausrüstung Andrées (unter anderem die Ballongondel) ist heute im Nanoq-Museum in Jakobstad, Finnland ausgestellt. Dort befinden sich auch Gegenstände anderer berühmter Polarfahrten, zum Beispiel von Fridtjof Nansen und Roald Amundsen. Andere Gegenstände befinden sich im Andrée-Museum in Gränna (Schweden).

Quellen

  • Artikel Andrées polarexpedition vom 6. Juni 2006 auf der schwedischen Wikipedia (ist größtenteils Übersetzung des entsprechenden englischen Artikels) mit folgenden Quellen:
    • Andrée, S. A., Nils Strindberg och Knut Frænkel (1930). Med Örnen mot polen: Andrées polarexpedition år 1897. Stockholm: Bonnier, 1930.
    • „Andrées färder“, Schwedische Ballonvereinigung.
    • Andrée Biografie des Museum Gränna.
    • Kjellström, Rolf (1999). „Andrée-expeditionen och dess undergång: tolkning nu och då“, i The Centennial of S.A. Andrée’s North Pole Expedition: Proceedings of a Conference on S.A. Andrée and the Agenda for Social Science research of the Polar Regions, red. Urban Wråkberg. Stockholm: Centrum för vetenskapshistoria, Schwedische Akademie der Wissenschaften. ISBN 91-7190-031-4
    • Lautz, Thomas : Mit dem Ballon zum Nordpol. Vor 100 Jahren: Start der verhängnisvollen Andrée-Expedition. In: Münzen & Papiergeld Nov. 1997, S. 7-13 (Geschichte und vollständige Auflistung der zu Ehren Andrées geprägten Medaillen).
    • Lundström, Sven (1997). „Vår position är ej synnerligen god…“ Andréexpeditionen i svart och vitt. Borås: Carlssons förlag. ISBN 91-7203-264-2
    • Martinsson, Tyrone (2004). „Recovering the visual history of the Andrée expedition: A case study in photographic research“. I Research Issues in Art Design and Media, ISSN 1474-2365, issue 6.
    • „The Mystery of Andree“, Großes Archiv mit US-amerikanischen Zeitungen 1896-99.
    • Personne, Mark (2000). „Andrée-expeditionens män dog troligen av botulism“. Ärztezeitung, Bd. 97, Ausgabe 12,1427–1432. (am 13. März 2006 gelesen).
    • Sörlin, Sverker (1999). „The burial of an era: the home-coming of Andrée as a national event“, i The Centennial of S.A. Andrée’s North Pole Expedition: Proceedings of a Conference on S.A. Andrée and the Agenda for Social Science Research of the Polar Regions, red. Urban Wråkberg. Stockholm: Centrum för vetenskapshistoria, Kungliga Vetenskapsakademien. ISBN 91-7190-031-4
    • Sundman, Per Olof (1967). Ingenjör Andrées luftfärd. Stockholm: Norstedt. [Ingenieur Andrées Luftfahrt (Aus dem Schwedischen von Udo Birckholz). Verlag Volk und Welt, Berlin, 1971]
    • Tryde, Ernst Adam (1952). De döda på Vitön: sanningen om Andrée. Stockholm: Bonnier.
    • Schwedische Nationalenzyklopädie Artikel Andrée-expeditionen gezeichnet Sverker Sörlin.

Literatur

  • Detlef Brennecke: Mit dem Ballon dem Pol entgegen 1897
  • Heinz Straub: Verschollen in der Arktis. Die schicksalhafte Ballonfahrt der Andrèe-Expedition, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-7973-0461-7
  • Theodor Lerner: Polarfahrer. Im Banne der Arktis, Erlebnisse eines deutschen Polarforschers, Oesch, Zürich 2005, ISBN 3-0350-2014-0
  • S. A. Andrée: Dem Pol entgegen, Original-Reprint des 1930 in Leipzig erschienenen Bandes, ISBN 978-3-934673-73-1

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