Kohleverflüssigung

Kohleverflüssigung

Kohleverflüssigung (auch Kohlehydrierung; engl. Coal-to-liquid- oder CtL-Verfahren) bezeichnet chemische Verfahren, die aus fester Kohle flüssige Kohlenwasserstoffe erzeugen.

Das Verfahren der direkten Hydrierung von Kohle diente zur Erzeugung von Gasen, Vergaser- und Dieselkraftstoffen. Der dazu notwendige Wasserstoff wird durch Kohlevergasung erhalten. Indirekte Verfahren wie die Fischer-Tropsch-Synthese nutzen die Produkte der Kohlevergasung zum Aufbau von Kohlenwasserstoffen. Auch durch Extraktion von Kohle mit Wasserstoff übertragenden Lösungsmitteln unter Druck werden flüssige Kohlenwasserstoffprodukte erhalten.

Die Motivation zum großtechnischen Einsatz der Kohleverflüssigung ist der Ersatz von Erdöl als Ausgangsstoff für die Petrochemie und den Energiesektor. Die Verfahren erlangen an Bedeutung, wenn Erdöl nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Friedrich Bergius

Bereits 1913 patentierte Friedrich Bergius ein Verfahren zur Herstellung von flüssigen oder löslich organischen Verbindungen aus Steinkohle und dergleichen, für das er 1931 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Das Kohleverflüssigungsverfahren von Bergius lieferte "aus 100 kg Steinkohle und 40 kg Schweröl, das aus dem Prozess stammte, unter Zusatz von 5 kg Eisenoxid und 5 kg Wasserstoff bei 120-150 at und 450 bis 480 °C etwa 30 kg Leichtöle und 50 kg Schweröle und Asphalt, neben 20 kg Gas, hauptsächlich Methan und Ethan."[1] 1925 meldeten Franz Fischer und Hans Tropsch ein Verfahren zur indirekten Verflüssigung zum Patent an. Die deutsche chemische Industrie entwickelte in den 1920er Jahren beide Verfahren zur großtechnischen Reife und nahm einige Anlagen in Betrieb, die jedoch nicht wirtschaftlich arbeiten konnten, insbesondere nicht nach einem Rückgang der Erdölpreise.

Ruine einer Anlage auf dem Gelände des ehemaligen Hydrierwerkes Pölitz, heute Police (Polen)

Erstmals größere Bedeutung erlangten Verfahren der Kohleverflüssigung in der Zeit des Nationalsozialismus zur Herstellung von synthetischem Benzin. Neben der geringen, damals aber noch nennenswerten, deutschen Ölförderung standen nur Erdölreserven in Rumänien bedingt zur Verfügung. Leit-Werk waren die Leunawerke der I.G. Farben bei Merseburg. Zwischen 1936 und 1940 wurden acht große Kohleverflüssigungsanlagen gebaut, weitere drei folgten bis 1943. Die Gesamtkapazität der Kohlehydrierungsanlagen lag bei etwa 4 Mio. Tonnen Kohlenwasserstoffe / Jahr.[2] Neben Hydrierwerken nach dem Bergius-Verfahren wurden auch Anlagen nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren gebaut. Die beiden größten Bergius-Pier-Anlagen mit jeweils 600.000 t/a befanden sich in den Leunawerken sowie in Pölitz (heute Police (Polen)); die größte Fischer-Tropsch-Anlage in Ruhland-Schwarzheide (210.000 t/a).[3] Nach der systematischen Zerstörung der Anlagen durch alliierte Luftangriffe seit Mai 1944 wurden Anlagen auch unterirdisch errichtet (Geilenberg-Programm). Teilweise fand die Produktion mit Zwangsarbeitern[4] und in KZ-Außenlagern statt.[5]

In Westdeutschland wurde nach dem Krieg die Kohleverflüssigung wegen der konkurrenzlos niedrigen Erdölpreise nicht fortgeführt. In der DDR wurde sie, obwohl ebenfalls „untragbar unwirtschaftlich“, dagegen erst Anfang der 1970er Jahre endgültig aufgegeben. Aufgrund des kurz danach einsetzenden Ölpreisanstiegs war jedoch eine Wiederaufnahme der Kraftstoffsynthese aus Braunkohle zu Exportzwecken mit verbesserten Verfahren noch bis zum Zusammenbruch der DDR Bestandteil der strategischen Planung des Ministerrats.

In der Bundesrepublik Deutschland kam es in der Folge der ersten „Ölkrise" von 1973 im von der Bundesregierung 1974 beschlossenen Programm Energieforschung zur Errichtung von sieben Pilotanlagen zur Kohleveredelung (Vergasung und Verflüssigung), die von 1977 bis 1980 in Betrieb gingen. Ab 1980 wurden 14 großtechnische Anlagen mit einem Gesamtverbrauch von 22 Mio. Tonnen Stein- und Braunkohle pro Jahr geplant. Der Rückgang der Ölpreise Mitte der 1980er Jahre machte diese Planungen jedoch hinfällig. Die Pilotanlagen gingen in der Folge sukzessive außer Betrieb. Die Kohleölanlage Bottrop wurde zunächst noch umgestellt auf die Hydrierung von chemischen bzw. Kunststoffabfällen. Die letzte noch betriebene sehr kleine Anlage in Essen mit einer Produktion von ca. 200 kg/Tag wurde 2004 demontiert und für China Shenhua Energy in China wiederaufgebaut.

Angeregt durch die Entwicklung der Hochtemperaturreaktor-Technik wurde diskutiert, die notwendige Prozesswärme durch Kernreaktoren zu erzeugen und damit höhere Wirkungsgrade zu erzielen. Unter anderem erklärt der Zusammenhang HTR/CtL, warum in China und Südafrika die HTR-Technik weiterentwickelt wird.[6][7] Die HTR-Entwicklung in Südafrika wurde Anfang 2010 offiziell eingestellt. Neuere wissenschaftliche Ergebnisse lassen Zweifel aufkommen, dass die für CtL erforderlichen Temperaturen mit Kugelhaufenreaktoren erreichbar sind.

In der Republik Südafrika, die über ausreichend Kohleressourcen verfügte und Erdöl importieren musste, wurde aus politischen Gründen 1955 die erste moderne CtL-Anlage Südafrikas in Betrieb genommen. Gebaut wurde sie durch die Suid Afrikaanse Steenkool en Olie (Sasol) unter Beteiligung der deutschen Lurgi AG. Die Pilotanlage Sasol 1 wurde für etwa 6.000 Barrel Kraftstoff pro Tag ausgelegt. Trotz niedriger Kosten für die in Mpumalanga geförderte Kohle musste der erzeugte Kraftstoff bis in die 1960er Jahre subventioniert werden. Das Verfahren wurde immer weiter verbessert und ließ sich schließlich wirtschaftlich betreiben. Ab 1980 wurden die Kapazitäten deutlich ausgeweitet, bedingt durch die politische Entwicklung Südafrikas als Apartheidsregime und internationale Embargos.

So wurden 1980 und 1982 Sasol II und Sasol III in Betrieb genommen, damit stand eine Kapazität von 104.000 barrel/Tag zur Verfügung. Mit der politischen Öffnung wurde das Programm auf Erdgas als Rohstoffquelle ausgedehnt und 1995 und 1998 wurden weitere Kapazitäten für 124.000 barrel/Tag CtL- und GtL-Kraftstoff geschaffen.

Verfahren

Man unterscheidet indirekte Verfahren, denen eine Kohlevergasung vorausgeht, von solchen, die Kohle direkt hydrieren sowie Extraktionsverfahren.

Bergius-Pier-Verfahren

Das Bergius-Pier-Verfahren ist ein großtechnisches Verfahren, bei dem durch Hydrierung von Kohle mit Wasserstoff in einer exothermen chemischen Reaktion Kohlenwasserstoffe erzeugt werden. Es ist benannt nach Friedrich Bergius und Matthias Pier. Mit einem Katalysator und unter einem Wasserstoffdruck von etwa 130–150 bar wird die Kohle bei 450 °C erhitzt.[8] Das Produktspektrum hängt von den Reaktionsbedingungen (Wasserstoffdruck, Temperatur, Verweilzeit) und der Reaktionsführung (Sumpfphasenhydrierung oder Gasphasenhydrierung) ab. Es werden vorwiegend flüssige Fraktionen erhalten, die als Kraftstoffe oder Heizöl verwendet werden.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde in Deutschland eine Reihe von Anlagen nach diesem Verfahren errichtet, in der Nachkriegszeit erfolgte zwar in den USA, Deutschland, Japan der Aufbau einiger Demonstrationsanlagen, an eine Kommerzialisierung wurde jedoch nicht gedacht. Einzig in China und der Mongolei werden derartige Anlagen gebaut.

Fischer-Tropsch-Verfahren

Beim Fischer-Tropsch-Verfahren wird die Kohle zunächst bei sehr hohen Temperaturen (über 1000 °C) in der Kohlevergasung mit Wasserdampf und Luft oder Sauerstoff zu Synthesegas umgesetzt, welches nach Abtrennung von Stickoxiden und Schwefeldioxid anschließend katalytisch zu Kohlenwasserstoffen und Wasser umgesetzt wird. Endprodukte sind Benzin (Synthetisches Benzin), Diesel und Heizöl sowie Aromaten für die chemische Industrie.

Die indirekte Kohleverflüssigung ist attraktiver als die direkte Kohleverflüssigung. Derzeit sind weltweit 25 indirekte Kohlehydrierungsanlagen in Planung. Davon 13 Anlagen in den USA und 7 Anlagen in China.[8] Wegen des hohen Energieaufwandes und der damit einhergehenden CO2-Freisetzung bereits bei der Herstellung sind die erzeugten Stoffe deutlich klimaschädlicher als entsprechende Erdölprodukte. Im Falle von Fischer-Tropsch-Kraftstoffen etwa liegt die gesamte CO2-Freisetzung etwa doppelt so hoch. Auch eine Carbon Capture- und Storage-Strategie (CCS, Abtrennung von Kohlendioxid) würde nicht zu einer deutlich besseren Kohlendioxidbilanz führen.

Kohleextraktion

Zur Kohleextraktion werden Lösungsmittel verwendet, die unter den gewählten Extraktionsbedingungen Wasserstoff an die Kohle abgeben können. Bewährt hat sich Tetralin, das während der Extraktion zu Naphthalin oxidiert wird. Naphthalin kann abgetrennt werden und durch Hydrierung wieder in Tetralin überführt werden. Das Verfahren wird unter Druck bei je nach Kohletyp spezifischen Temperaturen und Verweilzeiten von circa drei Stunden durchgeführt.

Bedeutung

Die Verfahren der Kohleverflüssigung haben aus Kostengründen derzeit keine größere wirtschaftliche Bedeutung. Bei anhaltend hohen Erdölpreisen ist allerdings mit einer Änderung dieses Zustands zu rechnen.

Kommerziell sind besonders die Kohleverflüssigungsanlagen in Südafrika, drei Fischer-Tropsch-Anlagen von der Firma Sasol betrieben, die mit einer Produktion von 160.000 Barrel/Tag ungefähr ein Drittel des südafrikanischen Kraftstoffverbrauchs decken, von Bedeutung. Die Errichtung einer vierten Anlage ist vorgesehen. Das Syntheseprodukt kann hier zu einem Preis von ca. 25 $/Barrel erzeugt werden. Entscheidend hierfür sind neben einer über Jahrzehnte ausgereiften Verfahrenstechnik insbesondere die niedrigen Kohleförderkosten in unmittelbarer Nähe des Standortes sowie die niedrigen Lohnkosten.

In der Volksrepublik China gibt es Planungen zum Bau von zwei Kohleverflüssigungsanlagen in den Provinzen Ningxia und Shaanxi. Die Anlagen sollen eine Kapazität von jeweils 80.000 Barrel/Tag haben (ca. 12.720 m3/Tag) und mit der Technologie der südafrikanischen Firma Sasol arbeiten. In Australien plant Monash Energy, eine Kooperation von Anglo American und Shell, ein langfristig angelegtes Großprojekt, das einen neu zu erschließenden Kohleabbau, Kohleverflüssigung und CO2-Sequestrierung umfasst und schließlich ungefähr ein Viertel des australischen Kraftstoffbedarfs liefern könnte.

Für Europa und Nordamerika wird damit gerechnet, dass bei einem bei 25-45 US-$[9] je Barrel liegenden Ölpreis eine Kohleverflüssigung im großtechnischen Maßstab wirtschaftlich sein könnte. Hier bestünde zwar immer ein Kostennachteil gegenüber günstigen Kohlelagerstätten, es sind allerdings auch strategische Überlegungen von Bedeutung. Die amerikanische Luftwaffe (USAF) startete im September 2006 Testflüge mit B-52 Bombern, die teilweise durch synthetischen Kraftstoff angetrieben werden. Hintergrund hierzu ist die Verringerung der Abhängigkeit der Landesverteidigung von Ölimporten. Aktuell wird an einer Anlage für 18000 Barrel Benzin pro Tag in Mingo County, West Virginia gearbeitet. Die Anlage wird nach dem PRENFLO-Verfahren (Druckversion des Koppers-Totzek-Verfahrens) arbeiten.

Einzelnachweise

  1. Robert Haul: Friedrich Bergius (1884-1949), S. 62 in 'Chemie in unserer Zeit', VCH-Verlagsgesellschaft mbH, 19. Jahrgang, April 1985, Weinheim.
  2. Robert Haul: Friedrich Bergius (1884-1949), S. 64 in 'Chemie in unserer Zeit', VCH-Verlagsgesellschaft mbH, 19. Jahrgang, April 1985, Weinheim.
  3. https://kb.osu.edu/dspace/bitstream/1811/3612/1/V47N06_259.pdf.
  4. http://www.vfkk.de/pdf/Zwangsarbeit.pdf
  5. Marlies Mrotzek, Das KZ-Aussenlager der Gelsenberg-Benzin AG.
  6. Beantwortung einer kleinen Anfrage im Bundestag zum Energieforschungsprogramm - insbesonder zur Kohleverflüssigung
  7. Mitteilungsblatt 2/2005 der Arbeitsgemeinschaft für angewandte Forschung, Wiesbaden.
  8. a b D. Valentin: Kohleverflüssigung - Chancen und Grenzen, Praxis der Naturwissenschaften, 1/58 (2009), S. 17-19.
  9. www.faz.net, 31. Juli 2008: Nachfrage treibt den Kohlepreis nach oben

Literatur

  • Daniel Vallentin: Kohleverflüssigung, Chancen und Grenzen, PdN-ChiS, Aulis-Verlag, 1/2009, S. 17 - 19
  • Traa Yvonne: „Is a renaissance of coal imminent?-challenges for catalysis“, Chem. Commun. (2010) 46, S. 2175-2187

Weblinks


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