André Franquin

André Franquin

André Franquin [ɑ̃nˈdʁe fʁɒŋˈkɛ̃] (* 3. Januar 1924 in Etterbeek, Brüssel; † 5. Januar 1997 in Nizza) war ein frankophoner, belgischer Zeichner und Autor. Bekannt wurde er durch Serien wie Spirou und Fantasio, Mausi und Paul, Gaston und Schwarze Gedanken und als Schöpfer des Marsupilamis. André Franquin gilt neben Hergé als der wichtigste stilprägende Comic-Zeichner Europas. Sein ausdrucksvoller Zeichenstil ist geprägt durch schwungvolle Linien und Detailreichtum. Der Humor trägt oft anarchistische Züge.

Leben

Nach einer einjährigen Ausbildung an der Ecole Saint-Luc in Saint-Gilles arbeitete Franquin als Trickfilmzeichner im Studio CBA. Bei dieser Arbeit lernte er spätere Comiczeichner-Kollegen wie Morris, Peyo, René Follet und Eddy Paape kennen. Ab 1946 arbeitete er für den Verlag Dupuis, der das Comicmagazin Spirou herausgab. Franquin gestaltete zunächst das Titelblatt des Dupuis-Magazins „Le Moustique“ und fand in Jijé (Joseph Gillain), dem damals wichtigsten Zeichner des Verlags, einen väterlichen Freund, der ihn unter die Fittiche nahm.

Schon bald übernahm Franquin die Titelserie des Journal de Spirou. Diese war 1938 von Rob-Vel (Robert Velter) geschaffen und kurzzeitig 1940 sowie ab 1943 von Jijé weitergeführt worden, der die Figur Fantasio hinzufügte. Unter Franquin entwickelte sich die Serie Spirou und Fantasio zu einem der großen Comic-Klassiker und erhielt ihr bis heute gültiges Gesicht: ähnelten seine frühen Episoden aus den Vierziger Jahren noch recht stark denen seines Lehrmeisters Jijé, wagte sich Franquin ab 1950 an das Gestalten von albenlangen Abenteuern, die die beiden Hauptfiguren in einem wesentlich geschlosseneren Universum zeigten. Dort hatten sie es fortan mit einer Vielzahl von wiederkehrenden Nebencharakteren zu tun, darunter der verschrobene Graf von Rummelsdorf, der hinterhältige Zantafio, der größenwahnsinnige Zyklotrop und die emanzipierte Steffani. Zu den beiden wichtigsten Figuren Franquins entwickelten sich das Fantasiewesen Marsupilami und der kreative Chaot Gaston Lagaffe, der nebenbei auch Bürobote war und von Anfang an auch unabhängig von Spirou agierte. Das Marsupilami hatte seinen ersten Auftritt in Spirou am 31. Januar 1952, Gaston debütierte am 28. Februar 1957.

1950 heiratete Franquin: mit seiner Frau Liliane – karikiert in vielen Spirou-Abenteuern sowie einem Gaston-Gag – hatte er eine Tochter, Isabelle, die 1957 das Licht der Welt erblickte (neun Tage vor dem Erstauftritt von Gaston). Die Ehe hielt bis zum Tode des Künstlers.

Nach einem Streit mit dem Spirou-Verleger Dupuis verpflichtete sich Franquin, eine Serie für das Konkurrenz-Magazin Tintin zu zeichnen. Von 1955 bis 1959 entstanden so die Einseiter um Mausi und Paul (Modeste et Pompon), die neben ihrer Komik heute vor allem wegen ihrer ausgefeilten Fünfziger Jahre-Ästhetik bestechen, ohne dass ihnen jemals der große Durchbruch beschieden war. Immerhin war die Serie erfolgreich genug, um von anderen Zeichnern wie Dino Attanasio fortgeführt zu werden. Franquins Streit mit Dupuis war indessen bald beigelegt und es entstand die Situation, dass er nun bei zwei Verlagen unter Vertrag war.

Ab Ende 1957 erhielt Gaston, der bisher nur in Form von Einzelillustrationen erschienen war, einen eigenen Gag-Halbseiter im Heft. Einen Gastauftritt hatte Gaston in der Spirou-Geschichte „La Foire Aux Gangster“ („Treffpunkt Rummelplatz“). Eine weitere, weniger bekannte Franquin-Kreation war Ende 1957 Der kleine Nicki (Le petit Noël), der einige kürzere Solo-Abenteuer erlebte, in Marsupilami-Gags auftrat, und auch in Bilderbuch-Form erschien. Noël und der Elaoin erlebten erst 1986 ein weiteres Abenteuer. Zusammen mit Will schuf Franquin das Kinderbuch „Pierres Frohe Ostern“, dem der Kurz-Comic „Frohe Ostern, mein kleiner Noël“ zugrunde lag.

Franquin hatte ab 1957 drei Serien zu betreuen, gestaltete das Titelblatt und illustrierte zusätzlich noch weitere Heftinhalte. Trotz der Unterstützung durch Assistenten, darunter Hintergrundzeichner Jidéhem und Texter Greg, kam es im Dezember 1961 zu einem Zusammenbruch. Franquin hatte eine schwere Depression, eine Gelbsucht kam noch hinzu. Erst 1963 konnte er die Arbeit am abgebrochenen Spirou und Fantasio-Abenteuer QRN ruft Bretzelburg fortsetzen. Es folgten noch zwei weitere Geschichten, die in ihrer Gagbezogenheit stark an Gaston erinnerten, bis Franquin die Serie 1968 schließlich ganz aufgab und mit dem 18. Album Die Goldmacher an Jean-Claude Fournier abtrat, um sich ganz seinem Büroboten widmen zu können. Zugleich trat er die Rechte für alle von ihm kreierten Figuren der Serie an den Verlag Dupuis ab. Die Rechte für die Figuren des Marsupilamis und Gaston Lagaffe behielt er jedoch. Beide Serien führte Franquin weiter. In dem Album „Die Goldmacher“ zeichnete er noch einmal das Marsupilami, das letztmals in einer Spirou-Geschichte auftrat. Dies tat er aus zwei Gründen: zum einen, um Fournier seine Nachfolge zu erleichtern, zum anderen, weil er der Meinung war, dass Fournier bei seiner Konzeption den Charakter des Marsupilamis nicht hinreichend berücksichtigt hatte.

Das Antiheldentum Gastons nahm von Anfang an großen Einfluss auf den europäischen Comic, und so wurden seine Büro-Erlebnisse 1966 zurecht auf eine ganze Seite ausgeweitet. Schon in der Phase der Halbseiter hatte Franquin, ähnlich wie bei Spirou, der Titelfigur eine Fülle köstlicher Nebenfiguren zur Seite gestellt, darunter den cholerischen Geschäftsmann Bruchmüller, den heimtückischen Verkehrspolizisten Knüsel und die innig in Gaston verliebte Sekretärin Fräulein Trudel. Die Figur Demel ersetzte 1968 Fantasio als Gastons Vorgesetzten, was die Serie zur völligen Unabhängigkeit von Spirou führte. Insgesamt gesehen ist Gaston eine der persönlichsten Serien der Comicgeschichte, wobei ihr Schöpfer rückblickend in der Titelfigur ein Selbstporträt sah.

Ab den späten Siebziger Jahren widmete sich Franquin zunehmend auch sozialkritischen Themen, auf die er seine Figuren Bezug nehmen ließ. So kritisierte er auf einer Gaston-Seite Menschenrechtsverletzungen und Folter. Weiterhin betonte er in seinen Comics die Bedeutung des Natur- und Tierschutzes, wofür sich die Figur des tiervernarrten Gaston ideal eignete. Von 1975 bis 1985 war Franquin an den Szenarios für die von Will (Willy Maltaite) gezeichnete Serie Isabella beteiligt.

Noch immer von Depressionen geplagt, zeichnete er ab 1977 die Reihe Schwarze Gedanken, die in der Magazinbeilage Trombone Illustré erschien. Die nur kurze Zeit erschienene, von Franquin mit Yvan Delporte produzierte Beilage trug wesentlich zur Entwicklung der modernen europäischen Comics für Erwachsene bei. Nach dem Ende der Trombone Illustré (Oktober 1977) erschienen die Schwarzen Gedanken bis Ende 1982 im Magazin „Fluide Glacial“. Die bitterbösen und zeitkritischen, schwarz/weiß gehaltenen Gags gerieten zu einem Hauptwerk des Künstlers. Bei den „Schwarzen Gedanken“ handelte es sich um kurze Gags, die vor makaberem Humor nur so trieften.

1978 entwickelte Franquin mit Delporte die Comic-Serie „Arnest Ringard“ („Die Zwistigkeiten von Ernest Schüreisen und Maulwurf Ottokar“). Gezeichnet wurde die Serie von (Frédéric) Jannin, die Texte stammten von Franquin.

1980 erhielt Franquin den Großen Preis der Schwedischen Akademie für Comic-Kunst. Ein Jahr später schuf er mit Jidéhem und Delporte den Erzählroman „Robinson auf Schienen“ mit Spirou, Fantasio und Gaston in den Hauptrollen. Illustriert wurde das Abenteuer mit großformatigen Bildern. 1982 erreichten Franquins Alben die 10-Millionen-Grenze.

Von 1982 bis 1985 war es Franquin aufgrund seiner schweren Depressionen nicht möglich, zu arbeiten. Im unregelmäßigen Zeichenstil der ab 1986 entstandenen letzten Gaston-Seiten spiegelt sich der wechselnde Gemütszustand Franquins wider: in einigen Gags ruhige, geradezu vorsichtig gezeichnete Linien, die die Dynamik früherer Zeiten vermissen lassen, in anderen Gags ein augenscheinlich von Depressionen und Krankheitsanfällen herrührender zittriger, „klecksiger“ Stil.

Da Franquin die Rechte an der Figur des Marsupilamis für sich beansprucht hatte – alle anderen von ihm kreierten Spirou-Nebenfiguren gehören Dupuis – setzte er ab 1987 für den Zeichner Bâtem Die Abenteuer des Marsupilami in Szene. Unter den diversen Autoren der Serie befanden sich Greg und vor allem Yann, der die besten Szenarios beisteuerte. Insgesamt durchaus unterbewertet, konnte die Serie ihr Potential durch die relative Begrenztheit der Titelfigur allerdings nie voll ausschöpfen. Ironischerweise agierte das Marsupilami in seiner eigenen Serie oft als Nebenfigur, was auf Unverständnis bei den Spirou-Fans stieß, die bis heute darauf warten, dass das sympathische Tier in dessen Serie zurückkehrt. Nachdem die Rechte und Lizenzen für das Marsupilami vorübergehend bei Disney gelegen hatten, erwarb Franquin die Rechte wieder zurück, da er darüber verärgert war, dass der Disney-Konzern das Konzept völlig verändert hatte.

Zu einem den düsteren Schwarzen Gedanken völlig konträren Spätwerk gerieten 1990 Die Tifous, drei fröhliche, fürs Fernsehen entstandene Irrwichtel, von denen auch ein Album mit Skizzen (u. a. für das Filmdrehbuch) entstand.

André Franquin starb zwei Tage nach seinem 73. Geburtstag in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1997 in Nizza an Herzversagen.

Franquins Ehefrau Liliane verstarb am 28. Januar 2007.

André Franquin wird heute in einem Atemzug mit den ganz großen Comic-Künstlern wie Carl Barks oder Hergé genannt. Er beeinflusste eine ganze Zeichner-Generationen in Frankreich und Belgien. Auf die Frage, welche Künstler und Comics ihn beeinflussen, gab Franquin Popeye, Walt Disney, Gillain und Snuffy Smith an. Für seine Arbeiten erhielt er in vielen Ländern Europas und in Amerika Auszeichnungen. 1974 war der Künstler der erste Preisträger des renommierten Grand Prix de la Ville d'Angoulême, verliehen am Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême, und belegte 2005 gar den 16. Platz bei einer wallonischen Umfrage zu den bedeutendsten Belgiern aller Zeiten.

Literatur

  • Numa Sadoul, Horst Berner, Yannick Fallek: Das große André-Franquin-Buch, Carlsen-Verlag 1989, ISBN 3-551-01594-5
  • Andre Franquin, Achim Schnurrer: Die Kunst des André Franquin, Edition Kunst der Comics/ Alpha Comics 1988, ISBN 3-923102-08-9
  • Andreas Platthaus: Der Mensch im Bürozustand. Mit Gaston feiert André Franquin den Aberwitz als Prinzip, in: Klassiker der Comic-Literatur, Band 18: Gaston, Milano 2005, S. 3–10. ISBN 3-89981-095-3

Weblinks

 Commons: André Franquin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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