Klinische Psychologie

Klinische Psychologie

Die Klinische Psychologie ist diejenige Teildisziplin der Psychologie, die biologische, soziale, entwicklungs- und verhaltensbezogene sowie kognitive und emotionale Grundlagen psychischer Störungen, sowie Auswirkungen dieser Störungen und anderer Erkrankungen (z. B. neurologische Störungen, Krebs, chronische Herzleiden uvm.) auf das Erleben und Verhalten wissenschaftlich untersucht. Ursprünglich handelte es sich um die psychologischen Methoden der Diagnostik und Therapie, soweit sie im Rahmen der Klinik bzw. der Krankenhausbehandlung anwendbar sind (Meyerhoff, 1959).

Inhaltsverzeichnis

Themen der Klinischen Psychologie

Immer dann, wenn interne (psychische oder somatische) oder externe (umweltbezogene, soziale usw.) Störungen auf Einzelne, Gruppen oder Systeme einwirken, kann die Klinische Psychologie mit wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge, Wirkungsbedingungen und deren Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten untersuchen. Sie beschreibt diese z. B. in Form von Diagnosen, um daraus im wissenschaftlichen Prozess Erklärungen abzuleiten, Vorhersagen (wissenschaftlich informierte Prognosen) zu treffen und verschiedene Möglichkeiten zur Beeinflussung (Interventionen) zu entwickeln. Diese Interventionen werden anwendungsorientiert eingesetzt, in der Praxis idealerweise unter Berücksichtigung anderer klinischer Diagnosen.

Gerade in der Klinischen Psychologie bilden psychologische Forschung (besonders in naturwissenschaftlicher Orientierung), Evaluation, wissenschaftlich fundiertes und evidenzbasiertes Vorgehen mit der praktischen Anwendung eine Einheit. Die Ausbildung wie auch die praktisch klinisch-psychologische berufliche Tätigkeit folgt dabei dem Scientist-Practitioner Modell. Daher ist die Klinische Psychologie keine rein praktische Psychologie, die nur oder vorwiegend zur Diagnostik und Behandlung dient. Auch in der Klinischen Psychologie nehmen kontrollierte Laborexperimente eine zentrale Stellung im Prozess des Erkenntnisgewinns ein, werden allerdings wegen ihrer Realitätsferne, d.h. mangelnder externer Validität zunehmend kritisiert (z. B. Seligman, 1995).

Vor allem in Deutschland wird die Klinische Psychologie sehr weit definiert, da z. B. ein eigenständiges Teilgebiet der Counselling Psychology nicht existiert.

Die Beschäftigung mit psychischen Störungen (eng. "Abnormal Psychology") ist ebenfalls nur ein Teilgebiet der Klinischen Psychologie. Die Klinische Psychologie umfasst theoretische Grundlagen, Methoden und Systeme für die Diagnose und Klassifikation (ICD-10, DSM-IV) psychischer Störungen, für ihre psychologische bzw. psychotherapeutische Behandlung, für Prävention und Rehabilitation. Sie überschneidet sich vielfach mit anderen angewandten Teilgebieten der Psychologie und der Psychiatrie. Sie ist in allen Bereichen der Methodendisziplinen und der Grundlagendisziplinen verwurzelt. Daher ist eine gründliche, umfassende, wissenschaftliche Ausbildung in Psychologie unabdingbare Voraussetzung für das Studium der Klinischen Psychologie.

Primär ist die Klinische Psychologie allerdings Grundlagenforschung, indem sie aus der Erforschung von „gestörtem“ Erleben und Verhalten Rückschlüsse auf „normale“ psychische Funktionsbereiche liefert. Ebenso sucht sie auch im Rahmen angewandter Forschung nach den Ursachen und Wirkungszusammenhängen von gestörten Funktionsbereichen (z. B. gestörter Informationsverarbeitung, insbes. bei Vorliegen von bestimmter Erkrankungen wie z. B. Angststörungen) und erforscht in dem Zusammenhang auch Grundlagen zur Entstehung (bio-psycho-soziales Modell: Diathese-Stress-Modell), Symptomatik und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen bzw. psychiatrischen Erkrankungen (wie z. B. der Depression). Aus den Forschungsergebnissen ergeben sich Möglichkeiten, Methoden zur Veränderung zu entwickeln, die dann wiederum Forschungsgegenstand der Klinischen Psychologie sind. Insofern kann die Klinische Psychologie neben der Psychotherapie auch in Form von Trainings (Psychoedukatives Training, etc.), Beratung und Training von Angehörigen usw. psychologische Hilfestellungen leisten. Sie überschneidet sich hier mit der psychologischen Diagnostik und Intervention bzw. wird durch diese ergänzt. Dabei gehört die allgemeine psychologische Diagnostik (insbesondere Persönlichkeits- und Leistungsdiagnostik) und natürlich im Speziellen die klinisch-psychologische Diagnostik (ICD-10, DSM-IV) einschließlich Befundung und Begutachtung ebenso zum Aufgabenfeld der Klinischen Psychologie wie die evidenzbasierte Therapieplanung, die Therapieevaluation und das Qualitätsmanagement. Ein weiteres sehr wichtiges Forschungsgebiet der Klinischen Psychologie ist die Epidemiologie.

Ein Spezialgebiet der Klinischen Psychologie ist die Klinische Neuropsychologie, die sich mit schädigungsbezogenen Zuständen und Veränderungen des Zentralnervensystems und den sich daraus ergebenden gestörten Funktionsbereichen beschäftigt.

Das Spezialgebiet der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie wie auch z. B. die klinisch-psychologische Familienberatung und -therapie unterscheiden sich stark von systemischen oder psychoanalytischen Richtungen.

Die Klinische Psychologie überschneidet sich mit der Gesundheitspsychologie, die sich mit gesellschaftlichen Fragen nach wirksamer Prävention, gesundheitsförderlichem Verhalten (auch in Bezug auf die psychische Gesundheit) und den sozialen Faktoren von Krankheit sowie Stress beschäftigt. Vielfach wird diese aber auch als Teilbereich der Klinischen Psychologie klassifiziert.

Weitere Überschneidungspunkte existieren z. B. zur Arbeits- u. Organisationspsychologie, sofern es etwa um Stressfolgeerkrankungen, Auswirkungen von Schichtarbeit, Traumata bei bestimmten Berufsgruppen (Rettungsdienst, Feuerwehr, Militär, Polizei) geht.

Während die Klinische Psychologie ein Teil der Psychologie ist, so gehört die thematisch äquivalente, sich aber in wesentlichen Punkten von der Klinischen Psychologie unterscheidende Disziplin der Psychiatrie, wie auch die Psychosomatische Medizin zur Medizin.

In Österreich ist die Ausbildung zum Klinischen Psychologen / zur Klinischen Psychologin und zum Gesundheitspsychologen / zur Gesundheitspsychologin gesetzlich geregelt. Neben 1480 Praxisstunden müssen 120 Supervisionsstunden und 160 Theoriestunden bei anerkannten Einrichtungen und Fachkräften absolviert werden.

Literatur

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  • Schwarzer, R. (Hg.) (2004): Psychologie des Gesundheitsverhaltens. Einführung in die Gesundheitspsychologie, Göttingen [u.a.]: Hogrefe (3. Auflage), ISBN 3-8017-1816-6.
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Fachzeitschriften

Weblinks


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