Kleinbürgerlich

Kleinbürgerlich

Kleinbürger hießen ursprünglich jene Angehörigen des Bürgertums, die dessen unterster Schicht angehörten, wie Handwerker, kleine Kaufleute, Volksschullehrer u.ä.

Der Kleinbürger lebte aufgrund seiner materiell eingeschränkten Möglichkeiten "kleinbürgerlich", wobei der Begriff Kleinbürger zugleich sprachlicher Reflex auf den Begriff Großbürger ist. Während dem oft international tätigen Großkaufmann und Großbürger schon aufgrund seiner grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen eine weltläufige Denk- und Lebensweise beigemessen wurde, steht der Begriff "kleinbürgerlich" heute zugleich für eine beschränkte, nur auf die eigene kleine Welt bezogene Weltsicht.

Das Kleinbürgertum bildete eine bürgerliche Mittelschicht, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland durch Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage ständig vom Absinken ins Proletariat bedroht war, während sie sich in ihrem Verhalten am wohlhabenderen Bürgertum orientierte. Dadurch ergab sich ein Lebensstil, der oft unecht wirkte ("aufgesetzt" war), weil die materiellen Mittel für den Anspruch nicht reichten. Für die Lebens- und Erziehungsorientierung waren Normen wie Ordnung, Pünktlichkeit, Sauberkeit und Untertanenhaltung gegenüber Höhergestellten maßgeblich. Als große politisch unentschlossene Gruppe war das Kleinbürgertum in Deutschland immer eine problematische "Zwischenklasse", was sich auch in der Reichstagswahl von 1932 ausdrückte, in der die Kleinbürger die größte Wählerschaft der NSDAP ausmachten. Eigentlich sollten die breiten Mittelschichten die Demokratie tragen.

Kleinbürger als Begriff im Marxismus

In der marxistisch-leninistischen Terminologie wurden „Kleinbürger" Nicht-Proletarier genannt, die sich ohne festen Klassenstandpunkt der gerade herrschenden Klasse anpassten. Adjektivisch wurde ideologisches Abweichen (auch von Proletariern) als kleinbürgerlich bezeichnet.

Kleinbürger stehen, ökonomisch und vom Marxismus her gesehen, zwischen dem Lohnarbeiter und dem Kapitalisten. Mit dem Lohnarbeiter haben sie gemeinsam, dass sie von eigener Arbeit leben müssen, mit dem Kapitalisten, dass sie ihre eigene(n) Produktionsmittel benutzen und ihr Arbeitsprodukt als ihnen gehörende Ware verkaufen. In ihrer Mehrheit sind es Einzelarbeiter. Dadurch entstehen allerdings Abgrenzungsprobleme zum Bauern, namentlich - in leninistischer Terminologie - zum „Mittelbauern".

Literatur

  • Berthold Franke: Die Kleinbürger. Begriff, Ideologie, Politik, Frankfurt/Main 1988. ISBN 3-593-33908-0
  • Heinz-Gerhard Haupt/Geoffrey Crossick: Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, München 1998. ISBN 3-406-43258-1
  • Joska Pintschovius: Die Diktatur der Kleinbürger. Der lange Weg in die Mitte, Berlin 2008. ISBN 3-940731-04-8
  • Heinz Schilling: Kleinbürger. Mentalität und Lebensstil, Frankfurt/Main 2003. ISBN 3-593-37250-9

Siehe auch


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