Klassisches Drama

Klassisches Drama

Das Regeldrama, auch bekannt unter dem Ausdruck Doctrine classique (klassische Lehrmeinung), ist eine Theater-Norm für den Aufbau von Dramen, die zur Zeit der französischen Klassik im 17. Jahrhundert entstand und bis ins 19. Jahrhundert nachwirkte.

Inhaltsverzeichnis

Aristoteles und Horaz

In der Poetik des Philosophen Aristoteles werden als sechs wesentliche Elemente des Dramas genannt: mythos (Handlung), ethos (Charaktere), lexis (Rede), diánoia (Gedanke, Absicht), opsis (Schau, Szenerie) und melopoiía (Gesang, Musik). Ferner empfiehlt er einen Verzicht auf Nebenhandlungen und die zeitliche Beschränkung auf „einen Sonnenlauf“.

Der römische Dichter und Kritiker Horaz hat in seiner Epistola ad Pisones zudem eine Gliederung des Dramas in fünf Akte gefordert (V. 189). Der Chor war für ihn ein notwendiger Bestandteil des Dramas. Auch diese Regeln wurden in der Neuzeit oft übernommen. Doch seine Ausführungen sind als Polemik gegen die römische Literatur seiner Zeit gemeint, in der das Drama keinen hohen Stellenwert mehr hatte. Auf viele der klassischen attischen Tragödien treffen seine Feststellungen nicht zu.

Französische Klassik

In der Zeit der Renaissance und der französischen Klassik wurde Horaz allerdings zum antiken Lehrmeister gemacht, etwa von Martin Opitz (Von der Deutschen Poeterey, 1624) und Nicolas Boileau (L'art poétique, 1674). Im „klassizistischen“ Regeldrama galt Folgendes als Gesetz:

  • Einheiten von Handlung, Ort und Zeit („Drei Aristotelische Einheiten“)
  • Personenverteilung: Dreipersonenregel, Gesetz der Personenkette, Verbot neuer Personen nach dem 1. Akt
  • Ständeklausel, Einheitlichkeit des Redestils
  • Symmetrische oder geometrische Komposition

Ein großer Bruch dieses Dramen-Modells gegenüber dem aristotelischen Drama war der außerhalb der Oper meist ganz aufgegebene Chor.

Gottsched

Anknüpfend an diese klassizistische Regel- und Normenpoetik der französischen Sprache entwarf Johann Christoph Gottsched (1700–1766) in seinem Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Teutschen (1730) das Programm einer „vernünftigen“ Literatur. Wichtig waren ihm die Klarheit des Stils, Geschmack und Witz und der moralische Nutzen. Gottscheds Regeln hatten den Charakter einer Gebrauchsanweisung zur Gestaltung von Tragödien.

Sturm und Drang

Nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Regeldramatik im 18. Jahrhundert durch Gotthold Ephraim Lessings Hamburgische Dramaturgie und nach den Dramen des „Sturm und Drang“ schrieb Johann Wolfgang Goethe in bewußter Abweichung vom Regeldrama sein Stück Götz von Berlichingen (Uraufführung 1774) in volkstümlicher Prosa und löste alle Bindungen an die Einheiten von Handlung, Zeit und Ort auf. – Seit der Darstellung von Volker Klotz (Geschlossene und offene Form im Drama, 1960) wird ein solches Theaterstück häufig als „offenes“ Drama bezeichnet gegenüber dem „geschlossenen“ Regeldrama.

Goethe tat damit, was er bereits 1771 in seiner Rede Zum Shakespeares-Tag ausgeführt hatte, in der er dem klassizistischen Theater „entsagt“ hatte, von dessen Regelwerk er sich in seinem Schaffen eingeengt fühlte. Nur durch Befreiung von diesen willkürlich geschaffenen „Reglements“ könne sich seiner Meinung nach das Genie in seiner ganzen Kraft und Größe entfalten. Goethe kritisierte scharf die französischen Dichter, welche die Regeln der griechischen Dramatik übernommen hätten.

Die französischen Trauerspiele bezeichnet Goethe despektierlich als „Parodien ihrer selbst“, als „einander ähnlich wie Schuhe“, „langweilig“. Shakespeare als rühmendes Beispiel voranstellend, propagierte er seine Idealvorstellung von einer Dichtung, die frei aus sich selbst heraus beschrieben sei, frei von jeglichen Regeln.

Goethe konnte damit sowohl die Bürger gewinnen, denen die adligen Hofregeln fremd waren, als auch manche deutsche Adlige, die einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber ihren französischen Vorbildern hatten. Im deutschen Nationalismus des 19. Jahrhunderts wurden solche Äußerungen oft als antifranzösische Polemik ausgelegt. Das Regeldrama wurde zur gleichen Zeit jedoch auch in Frankreich angegriffen (siehe Denis Diderots De la poésie dramatique, 1856).

19. Jahrhundert

Die Idee des Regeldramas gewann im 19. Jahrhundert wieder einige Anziehung. Durch Gustav Freytags Technik des Dramas (1863) wurde das „Schema der fünf Akte“ noch weiter vereinfacht.

Die Anziehungskraft solcher Vereinfachungen stand im Zusammenhang mit der kommerziellen Dramenproduktion im 18. und 19. Jahrhundert. Die fünfaktige Gliederung war die renommierteste, im Schauspiel ebenso wie in der Oper, und es erschien attraktiv, solche Dramen gleichsam nach Kochrezept anfertigen zu können.

Akteinteilung

Die „klassischen“ erzählerischen Funktionen der fünf Akte, wie sie zwischen Opitz und Freytag behauptet werden, sind wie folgt:

Akteinteilung des Dramas nach Gustav Freytag
  1. Exposition (Einleitung/Protase)
    Die handelnden Personen werden eingeführt, der dramatische Konflikt kündigt sich an.
  2. Komplikation (Steigerung/Epitase)
    Steigende Handlung – mit erregendem Moment (Katastase)
    Die Situation verschärft sich.
  3. Peripetie (Umkehr der Glücksumstände des Helden)
    Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt (Klimax).
  4. Retardation (Verlangsamung)
    Fallende Handlung – mit retardierenden (aufschiebenden, hinhaltenden, verlangsamenden) Momenten
    Die Handlung verlangsamt sich, um in einer Phase der höchsten Spannung auf die bevorstehende Katastrophe hinzuarbeiten.
  5. Katastrophe oder Lysis/Dénouement
    a) Es kommt zur Katastrophe
    z. B. Hamlet → sein Tod, Massensterben
    b) Alle Konflikte werden gelöst
    z. B. Nathan der Weise → alle sind verwandt und glücklich, Massenumarmung

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