Kettenschiff

Kettenschiff
Kettenschlepper auf der Seine mit Pénichen
Konstruktionszeichnung eines französischen Kettenschiffs 1850

Die Kettenschifffahrt ist eine Methode, Binnenschiffe auf Flüssen fortzubewegen. In der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zogen sich Dampfschiffe an im Fluss verankerten Ketten die Flüsse stromauf. Die Kette wurde von einer Dampfmaschine durch das Schiff mittels auf dem Deck angebrachten Zahntrommeln gezogen, wobei die Kette aus dem Wasser gehoben wurde, über das Deck des Dampfers lief und hinten im Strom versank. Dazu waren Bug und Heck fast bis auf die Wasseroberfläche abwärtsgeneigt. Die Kette lag durchgehend in der Mitte des Flusses. Schiffe, die sich begegneten, mussten mit einem komplizierten Manöver die Kette öffnen, aneinander vorbeifahren und die Kette wieder verschließen.

Die Kettenschifffahrt ist an der Seine in Frankreich und an der Elbe in Deutschland besonders bekannt, wurde aber auch an anderen Flüssen angewandt: Rhein, Neckar, Main, Saale, Havel, Spree, Saône, auch in Belgien, Holland und in den USA.

Eine andere Bezeichnung für die Kettenschifffahrt ist „Touage“ (Schleppschifffahrt) oder „Tauerei“, die auch Seilschifffahrt mit einschließt.

Inhaltsverzeichnis

Bedarf

Mit fortschreitender Industrialisierung nahm der Massengutverkehr auf der Elbe schnell zu. Die bis dahin verwendeten Radschleppdampfer mit Niederdruckdampfmaschine waren zu leistungsschwach. Um das Transportsystem Schleppschifffahrt zu verbessern, wurden nun neue Schleppdampfer gesucht. Die erforderliche Leistung konnte seinerzeit nur von Kettenschleppern erbracht werden. Die Kettenschifffahrt war ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem Treideln und auch dem Raddampfer, weil größere Schiffe mit größeren Lasten bewegt werden konnten und sie schneller und kostengünstiger fahren konnten.

Die Anfänge in Frankreich

Der Kettendampfer dient als Schleppschiff (Toueur), welchem die Lastschiffe angehängt werden. Die ersten Versuche mit der Kettenschifffahrt wurden 1732 auf Veranlassung des Marschalls Moritz von Sachsen angestellt; zur Ausführung im Großen kam sie aber erst 1820 in Lyon auf der Saone durch Courasse und Coutteaut. Seit diesen Versuchen wurde das Prinzip beständig ausgebildet und 1853 kam die Kettenschifffahrt auf der Seine zur Anwendung. Auch andere französische Flüsse und Kanäle wurden mit der Kette versehen, und bald folgten Belgien und Holland. Konkrete erste Schritte zur Einführung der Kettenschifffahrt in Deutschland wurden seit 1862/1863 an Rhein und Elbe unternommen.

Kettenschifffahrt auf der Elbe und Saale

An der Elbe begann man 1869 (nach Meyer 1866) mit dem Verlegen einer eisernen Kette mit Gliedern von 18 Zentimetern in der Fahrrinne. Der erste, reguläre Schleppdienst mit einem Kettendampfer der Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrtsgesellschaft wurde in Magdeburg auf der Elbe auf dem ¾ Meile langen Teilstück zwischen Magdeburg-Neustadt und Buckau realisiert. Die ersten beiden Dampfschiffe auf der Elbe waren bei 7 Meter Breite und 44 Meter Länge mit 60 PS motorisiert und zogen vier Lastkähne bis zu 250 Tonnen. 1871 lag die Kette bereits von Magdeburg bis Schandau an der böhmischen Grenze, nach anderen Angaben bis zur Ortschaft Kreinitz, zwei Jahre später von Hamburg bis Tetschen und 1874 bis Aussig. Im Jahr 1873 verfügte die KSO (Kettenschleppschifffahrt Oberelbe) über 13 Kettendampfer. Auf einer Gesamtlänge von 668 Kilometern rasselten bis zu 28 Kettenschlepper die Elbe stromaufwärts.

Auch in der Saale wurde 1873 die Strecke von der Mündung der Saale bis Calbe in Betrieb genommen und bis zum Jahr 1903 bis nach Halle 105 km Kette verlegt.

Der Magdeburger Kettendampfer

Der in Magdeburg angewandte Kettendampfer war mit Ausnahme des Verdecks vollständig aus Eisen konstruiert, 51,3 m lang, 6,7 m breit und hatte 48 cm Tiefgang. Er besaß an beiden Enden Steuerruder, welche von der Mitte des Schiffes aus gemeinsam bewegt werden konnten. Mit Hilfe dieser Steuerung sowie zweier an jedem Schiffsende angebrachter beweglicher Arme, welche die Kette zwischen Rollen aufnahmen, dagegen in horizontaler Richtung fast um 90° Grad drehbar waren, war es möglich, das Schiff auch in anderer als der Richtung der Zugkette zu steuern, ohne dass dadurch die Aufwickelung der Kette gestört wurde. Dies ist für die Anwendung des Kettenschiffes auf gekrümmten Stromstrecken von großer Bedeutung. Auf dem Hinterteil des Schiffes befanden sich zwei Trommeln von 1,1 m Durchmesser und 2,6 m gegenseitiger Achsenentfernung, von denen jede mit vier Rinnen versehen war. Die Kette, welche von dem Schiffe auf dessen Vorderseite aus dem Wasser emporgehoben wurde, lief in einer schräg aufsteigenden, mit Leitrollen versehenen Rinne zu den Trommeln und schlang sich um jede 3½ mal, indem sie von der ersten Rinne der ersten Trommel auf die erste Rinne der zweiten Trommel, dann auf die zweite Rinne der ersten Trommel überging, usw. Zuletzt wurde sie in einer schräg abfallenden Rinne an das hintere Ende des Schiffes geleitet und sank in das Wasser zurück.

Nach der Elbe hat die Kettenschifffahrt auch auf anderen deutschen Flüssen Verwendung gefunden, auf Havel und Spree seit 1882, auf dem Main und Neckar usw. Am großartigsten war der Tauereiverkehr in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Flüssen und Seen entwickelt.

Modell des Kettenschleppers Gustav Zeuner, fotografiert bei der Schifferfastnacht in Wehlen 2007

Kettendampfer Gustav Zeuner

Der letzte verbliebene Kettendampfer an der Elbe wurde 1948 außer Betrieb genommen, denn es gab nun bessere Antriebsmöglichkeiten (Dieselmotoren). Es handelt sich um den Kettendampfer Gustav Zeuner. Er wird zur Zeit in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme restauriert.

Kettenschifffahrt auf dem Main

Auch auf dem Main wurden in der Zeit von 1886 bis 1936 Kettenschifffahrt betrieben. Die Kette lag in dem ca. 390 Kilometer langen schiffbaren Flusslauf zwischen Mainz und Bamberg. Im ehemaligen Floßhafen von Aschaffenburg kann das letzte auf dem Main verbliebene Schiff besichtigt werden, die um 1900 gebaute Määkuh. Sie dient heute als Restaurant und wurde vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege 2004 in die Denkmalliste aufgenommen. Die Määkuh hat eine Länge über Deck von 50 m, eine Breite von 7,40 m und einen Tiefgang von 0,56 m. Mit einer Antriebsteistung von 130 PS konnte sie bis zu 12 Lastkähne ziehen. Eine Besonderheit waren zwei Wasserturbinen, Vorläufer des heutigen Wasserstrahlantriebs, mit dem das Schiff gelenkt werden konnte, und mit dem es ohne Kette zu Tal fuhr. Ein Modell dieses Schiffes ist zusammen mit einem Stück der Originalkette im Heimatmuseum von Elsenfeld ausgestellt. Auch das Schlossmuseum in Aschaffenburg verfügt über ein Modell. Im Schiffbau- und Schifffahrtsmuseum in Wörth am Main ist außer dem maßstabsgerechten Modell eines Königlich Bayerischen Kettenschiffes sogar eine im Maßstab 1:5 nachgebaute Doppelwinde zu besichtigen, die auf Knopfdruck die Kette aufwickelt und abspult. Die Kette wurde nach 1938 aus dem Main genommen und verwertet. Ein Stück davon liegt noch aufgehäuft vor der Määkuh im Aschaffenburger Floßhafen.

Kettenschifffahrt auf dem Neckar

Bereits 1878 ging auch auf dem Neckar mit der Heilbronner Neckar-Ketten-Schleppschifffahrt der erste Kettenschlepper mit neun Kähnen im Anhang auf Fahrt zwischen Mannheim und Heilbronn. Eine humorvolle historische Dokumentation finden wir heute bei Mark Twain, dem berühmten Neckarreisenden: „Es war ein Schlepper, und zwar einer von sehr merkwürdigem Bau und Aussehen. Ich hatte ihn oft vom Hotel aus beobachtet und mich gefragt, wie er wohl angetrieben werde, denn offenbar besaß er keine Schraube oder Schaufeln. Jetzt kam er dahergeschäumt, machte eine Menge Lärm verschiedener Art und steigerte ihn ab und zu noch dadurch, dass er ein heiseres Pfeifen ertönen ließ.“ - Als in den 1930er Jahren die Regulierung des Flusses durch Staustufen und damit der Ausbau zur großen Wasserstraße begann, bedeutete dies das Ende der bis dato noch rentablen Neckar-Kettenschleppschifffahrt und ihre Ablösung durch große Binnenschiffe.

Kettendampfer und Raddampfer

Die Betriebsdampfmaschine der ersten Elbdampfer hatte 60 PS. Die größeren Kettendampfer beförderten eine Last, die so groß war wie die von 4 bis 8 Güterzügen von 100 Achsen, konnten also nur von sehr großen Lastdampfern überboten werden. Da bei Flüssen mit geringer Wassertiefe nur Raddampfer konkurrieren konnten, hat man diesen mit der Leistungsfähigkeit der Kettendampfer verglichen und gefunden: Der Kettendampfer ist vorteilhafter bei einem Gefälle von 0,25 Promille, die Raddampfer haben Schwierigkeiten beim Gefälle von 0,4 Promille, und die Raddampfer scheiden ganz aus beim Gefälle von 0,5 Promille.

Auf der Oberelbe betrug die mittlere Fahrgeschwindigkeit der Kettendampfer zu Berg 1,4 m pro Sekunde oder 5 km in einer Stunde. Die Kettenschiffe beförderten z. B. die Lastschiffe von Magdeburg nach Dresden in 72 Stunden, während Raddampfer dazu 120 Stunden brauchten.

Der starke Wellenschlag, den die Raddampfer erzeugen, fällt beim Kettendampfer weg, und die Beförderung wird schneller und regelmäßiger, so dass bei ausreichendem Wasserstand die Lieferzeiten genauer eingehalten werden können. Die großen Dampfer der tieferen oder gut regulierten Ströme sind später mit ihren moderneren Verbundmaschinen den Kettendampfern eine gefährliche Konkurrenz geworden. Das oft vorkommende Brechen der Ketten war ein Nachteil, doch hat man durch verbesserte Einrichtungen, wie beispielsweise Anwendung der Bellingrathschen Patentkettenräder, diesem Übel abgeholfen.

Kettenschifffahrt heute in Frankreich

Eingang zum Tunnel von Riqueval, Canal de Saint-Quentin

Elektrische Kettenschifffahrt wird heute noch in Frankreich betrieben:

Seilschifffahrt

Auf manchen Flüssen oder Flussstrecken wurde statt einer Kette ein Seil verwendet Seilschifffahrt, z.B. auf der Maas und dem Rhein, von Emmerich bis Bingen. Bei Seilen verwendete man die von Fowler für seine Dampfpflüge konstruierte Klappentrommel, welche im vorderen Drittel des Schiffes an der Backbordseite angebracht war.

Kette und Seil

Das an der Maas angewandte Drahtseil hatte 25 mm Durchmesser und war aus 42 eisernen Drähten zusammengesetzt. Es wog pro Meter 2,25 kg, während die Kette bei einem Durchmesser von 26 mm 15 kg wog. Kette und Seil stehen sich nach bisheriger Erfahrung folgendermaßen gegenüber: Die Eigentümlichkeit der seitlichen Seilführung verlangt stärkere Schiffskonstruktion und vermehrte Verdrängung, bzw. größeren Tiefgang. Die Steuerung wird nach einer Seite erschwert, Brüche der Seile sind nur durch längere Arbeit (Spleißen) auszubessern, während Ketten nur umgeschäkelt zu werden brauchen. Ketten legen sich besser auf den Grund als Taue. Hingegen ist ein Seil dauerhafter, wenn auch teurer, und deshalb wurden steile Strecken, wie z.B. das Binger Loch, mit großem Erfolg mittels Seiles befahren. Die Seile im Rhein hatten einen Durchmesser von 43 Millimetern. Schließlich sind die Seile leichter als die Ketten, und das Geräusch der fahrenden Schiffe ist wesentlich geringer als das der Kettendampfer. Die absolute Gebrauchszeit eines Seiles bzw. der Kette richtet sich unter anderem auch nach der Stärke des Betriebes. Das erste Seil von Oberkassel nach Bingen hielt 4½, das zweite 5½ Jahre. Das in den 1890er Jahren ausliegende Seil sollte etwa 6½ Jahre aushalten bei einer Schleppmenge von 9½ bis 10 Mill. Zentnern (=500.000 to).

Die Seilschiffe auf dem Rhein hatten auch zwei Propeller, damit konnten sie frei zu Tal fahren. Die Tauerei auf dem Rhein ging von 1873 bis Anfang des 20.Jahrhunderts.

Die Vorteile der Tauerei sind hauptsächlich folgende: Die Frachtspesen werden geringer teils wegen des geringeren Kohlenkonsums der Kettenschiffe im Vergleich zu den gewöhnlichen Dampfschleppschiffen, teils weil die Bedienung der Fahrzeuge stark reduziert werden kann. Nach Meitzen berechnen sich die Kosten der Zugkraft bei einem Schiff von 7000 Zentnern Tragkraft unter gleichen Bedingungen pro Zentner und Meile für Pferdezug auf 0,16, Schleppdampfer auf 0,04, Tauerei auf 0,01 bis 0,02 Pfennig.

Siehe auch

Literatur

  • Sigbert Zesewitz, Helmut Düntzsch, Theodor Grötschel: Kettenschiffahrt. VEB Verlag Technik, Berlin 1987, ISBN 3-341-00282-0
  • Ewald Bellingrath: Ein Leben für die Schifffahrt. Zesewitz, Düntzsch, Grötschel, Schriften des Vereins zur Förderung des Lauenburger Elbschiffahrtsmuseums e.V. Band 4, Lauenburg 2003
  • Meyers Konversations-Lexikon, 5. Auflage, Band 16: Tauerei, 1897

Weblinks


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