Karl Maria Hettlage

Karl Maria Hettlage
Karl Maria Hettlage

Karl Maria Hettlage (* 28. November 1902 in Essen; † 3. September 1995 in Bonn) war Zentrums-Politiker, SS-Hauptsturmführer, Büroleiter und „Berater in Etatangelegenheiten“ (Finanzchef) in Albert Speers Behörde Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt mit Dienststelle im heutigen Ernst-Reuter-Haus, habilitierter Jurist, Vorstandsmitglied der Commerzbank, seit Frühjahr 1959 Staatssekretär in der Bundesregierung Konrad Adenauers unter dem damaligen Finanzminister Franz Etzel.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Hettlage ging in Eschweiler, wo sein Vater Carl Hettlage von 1911 bis 1920 Bürgermeister war, zur Schule und studierte in Köln und Münster Jura. In Münster wurde er Mitglied der katholischen Studentenverbindung V.K.D.St. Saxonia im CV, und gründete[1] 1922 die Sozialstudentische Zentrale der Dr. Sonnenschein Bewegung des katholischen Sozialreformers Carl Sonnenschein. Von 1922 bis 1925 war Hettlage auch Mitglied[1] im Westfälischen Treubund des Hubert Naendrup, welche aus der verbotenen rechtsradikalen Organisation Escherich (Orgesch) hervorging.[1] 1925 schloss sich Hettlage der Zentrumspartei an.[1] Er promovierte zum Dr. jur. 1925 begann er ein Referendariat und fand zeitweise Beschäftigung im Auswärtigen Amt mit Eintritt in den preußischen Staatsdienst. 1929 heiratete er Margarete Brenken; aus der Ehe gingen die Kinder Peter, Jan Bernt, Birgitta und Karin hervor. 1930 trat er als Regierungsassessor in den Dienst der Kölner Stadtverwaltung.

1930 erfolgte seine Habilitation an der Kölner Universität mit dem Thema Finanz- und Lastenausgleich als Verfassungsproblem, dann Privatdozent, danach war er geschäftsführend im Deutschen Gemeindetag. 1931 wurde er Beigeordneter des Deutschen Gemeindetages in der Finanzabteilung und Finanzdezernent. 1932–33 und erneut 1933 war er für das Zentrum Mitglied im Preußischen Landtag.

Nach 1933

Am 26. Juni 1933 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der nationalsozialistischen Akademie für Deutsches Recht. Von 1934 bis 1938 war er Stadtkämmerer von Berlin, nachdem er dieses Amt schon vorher kommissarisch ausgeübt hatte. 1936 erfolgte Hettlages Ernennung zum nichtbeamteten, außerordentlichen Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Mentor von Johannes Popitz. Von 1938 bis 1951 war er Vorstandsmitglied der Commerz- und Privatbank. Am 17. Mai 1941 war Eröffnung der (noch nicht ganz fertigen) italienischen Botschaft. In der Funktion des Generalbauinspektors (GBI) vertrat Hettlage Speer, der auf dem Obersalzberg weilte. Als Leiter des Amtes für Wirtschaft und Finanzen des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion gab er Anordnung zur Gründung der Konzentrationslager-Betreiberin Mittelwerk GmbH am 24. September 1943 und war 1943 Mitglied im Beirat der Mittelwerk GmbH.[2] Hettlage war bis 1945 Speers Vertreter.

Unter Hettlages Verantwortung entstand jene Kartei von Mietwohnungen in Berlin, die von Juden bewohnt waren.[2] Diese Kartei wurde vom GBI benutzt, um durch Kündigung „freie“ Mietwohnungen für Abrissmieter zu bekommen, deren Häuser und Wohnungen den Umplänen Berlins zur neuen Hauptstadt Germania weichen sollten.[2] Eine typische Karteikartennummer war z. B. III KA 437 4948. Es handelte sich um die III. (dritte) Aktion, KA steht für Kündigungsanordnung, 437 war die Referenznummer in die Akten des Generalbauinspektors für die Wohnung der Familie Bendix in der Schwäbischen Straße in Berlin-Schöneberg und 4.948 war die Personennummer eines Familienmitglieds der Familie Bendix.[2]

Die Kartei war später Grundlage für die Erstellung der Deportationslisten durch die Gestapo. Bei den späteren sogenannten Aktionen war nicht mehr die Wohnungskündigung der Vorbote der Verschleppung – mit der Möglichkeit unterzutauchen für jene, die dazu in der Lage waren –, sondern die Verhaftung, beispielsweise in der Fabrikaktion.

Hettlage war für Speer neben Personen wie Hans Kammler, Walter Dornberger (Peenemünde), Gerhard Degenkolb (Maschinenfabrik Duisburg) auch im Beirat der Kapitalgesellschaft des Konzentrationslagers Mittelwerke tätig. In der Geschäftsführung arbeiteten Kurt Kettler (Borsig), Otto Förschner (SS-Sturmbannführer im KZ Buchenwald), Otto Bersch (Wehrwirtschaftsführer aus Wien), Georg Rickhey (Demag) und Albin Sawatzki (Leiter des "Arbeitsausschusses Serie" des Sonderausschusses A4).[3] Hettlage war nicht Mitglied der NSDAP,[1] wohl aber von 1936 bis 1942 Mitglied der SS (Mitgliedsnummer 276309),[4] zuletzt im Rang eines Hauptsturmführers,[1] nach eigenen, teilweise verschwiegenen[1] Angaben in Entnazifizierungsverfahren nur ehrenhalber.[1] Innerhalb der NSDAP hatte Hettlage einflussreiche Gegner,[1] darunter Joseph Goebbels [1] und den Münchener Oberbürgermeister und Chef des Hauptamtes für Kommunalpolitik Karl Fiehler.[1]

Nach 1945

1945 wurde er zusammen mit Albert Speer und Wernher von Braun im Lager Kransberg/Taunus interniert.[4] Ab 1949 hatte Hettlage verschiedene Dozenturen für Rechts- und Finanzwissenschaften und Aufsichtsrats-Mitgliedschaften inne. Am 29. November 1951 gab er eine Antrittsvorlesung als neuernannter ordentlicher Professor für Öffentliches Recht in Mainz zum Thema Wirtschaftswirklichkeit und Verfassungsgesetz. Er war ab 1956 Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

1958 wurde er Leiter der Haushaltsabteilung des Bundesministeriums der Finanzen als Nachfolger des Ministerialdirektors Friedrich Karl Vialon (Verfechter der sogenannten Schäffer'schen Juliusturm-Politik). Vom 18. März 1959 bis 1962 war er als Nachfolger Hartmanns beamteter Staatssekretär im Finanzministerium in Vertretung des häufig erkrankten Ministers Etzel und bei Differenzen mit dem neuen FDP-Finanzminister Starke.

1962-1967 war er Mitglied der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) in Luxemburg in der Nachfolge von Heinz Potthoff. Hettlage schied bei der Zusammenlegung der Führungsgremien der EWG, der Euratom und EGKS zur neuen Superkommission aus. 1965–76 war er Präsident des ifo Institut für Wirtschaftsforschung e. V. und 1966 Mitglied im Wissenschaftsrat.

Außerdem gehörte er dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums der Finanzen an, war Vorsitzender des Verwaltungsrates der Treuhandverwaltung für das Deutsch-Niederländische Finanzabkommen, Vorstand der Wirtschaftsberatungs-AG, Beirat der Fritz-Thyssen-Stiftung, stellv. Vorstandsvorsitzender der Treuhand-Vereinigung AG und gehörte zudem der Studienstiftung des Deutschen Volkes an.

Von 1967 bis 1969 war Hettlage beamteter Staatssekretär im Finanzministerium, berufen durch den Finanzminister Franz Josef Strauß. Dort beteiligte sich Hettlage an der Finanzreform der CDU-SPD-Koalition. 1967 erhielt er auf Veranlassung[1] von Franz-Josef Strauß die Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Als Vorgesetzter von Ernst Féaux de la Croix war er auf Seiten des Bundesfinanzministeriums an den Verhandlungen zu den Globalverträgen der Wiedergutmachung zuständig. Feaux bekämpfte dabei vehement die von ihm so genannten Entschädigungsoffensiven und uferlosen Forderungen.[1] Rudolf Wolters, mit dem zusammen Hettlage im Freundeskreis Speer während Speers Gefängnisstrafe diesen unterstützt hatte, widmete Hettlage zu dessen 65. Geburtstag folgendes Gedicht:

Man sprach von Deinem Lauf des Lebens,
Von manchen großen Episoden
Und vom Erfolge Deines Strebens:
Man flocht Dir Kränze, schickte Oden

Und Deines Lebenslaufes Löcher
Versanken mild in Nebelschwaden
Denn Wiesenthal mit vollem Köcher
Hält seine Pfeile giftgeladen.

Doch ich war stolz den Mann zu kennen,
Den derart höchte Tiere ehrten:
Ich durfte Dich als Freund bekennen
Und seinerzeitigen Gefährten,

Als Du in jenem Dritten Reiche
Im Schweigemarsch leise gingst
Als es nach Pulver roch und Leiche
Als "Heil mein Führer" rief der Frings

Als unser höchstes Oberhaupt
in Kaliberge rüsten ging
(Ach wär'n die Akten doch verstaubt
verscholl'n im Salzberglabyrinth).[5]

Veröffentlichungen

  • Karl Maria Hettlage, Wilhelm Loschelder und Werner Zschintzsch: Die Gemeindefinanzverordnung vom 2. November 1932 nebst der Stellenplanverordnung vom 2. November 1932, der ersten und zweiten Verordnung über die Durchführung der Gemeindefinanzverordnung vom 17. Dezember 1932 und vom 28. Januar 1933. Kommentar, R.Müller, Eberswalde-Berlin, 1933, 452 Seiten
  • Karl Maria Hettlage, Wilhelm Loschelder, Wolfgang Spielhagen: Das preussische Gemeindefinanzgesetz vom 15. Dezember 1933 mit den Durchführungsverordnungen und Ausführungsanweisungen; Kommentar von Karl Maria Hettlage, Wilhelm Loschelder [und] Wolfgang Spielhagen, R.-Müller, Eberswalde-Berlin, 1934, 429 Seiten
  • Karl Maria Hettlage, Wilhelm Loschelder: Kommentar zu den Rechtsgrundlagen des Gemeindewirtschaftsrechts, drei Bände
  • Karl Maria Hettlage: Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung, Referat auf der Staatsrechtslehrertagung 1955 in Hamburg zusammen mit Theodor Maunz als Zweitreferenten
  • Rudolf Zorn, Hans Constantin Paulssen, Karl Maria Hettlage: Der öffentliche Dienst und die Wirtschaft. Wunsch und Wirklichkeit., bei Lutzeyer, Baden-Baden, 1960
  • Karl Maria Hettlage: Führungsauslese und Massengesellschaft, in Die Hochschule zwischen gestern und morgen. Analysen und Perspektiven., herausgegeben von Heinrich Drimmel bei Herder, Wien, 1966
  • Karl Maria Hettlage, Wolfgang Mansfeld, Klaus Heller, Wilhelm Weisser: Zwang durch leere Kassen, in Deutsches Industrieinstitut: Vortragsreihe, bei Deutsche Industrieverlags-Gesellschaft Jg. 16, 1966., Nr. 14
  • Karl Maria Hettlage: Grundfragen einer Neuordnung des deutschen Finanzrechts, in Finanzwissenschaft und Finanzpolitik, bei Mohr, Tübingen, 1964
  • Mitarbeit an einer fünfbändigen Geschichte der deutschen Verwaltung

Literatur

  • CARBONELL Mauve, "Karl-Maria Hettlage, un expert au service de l'Europe et des Allemagnes", in "Revue d'histoire de l'intégration européenne", 12(2006), no 1, p. 67-85
  • Vernehmung Hettlages in World War II Papers, SZ/BBSU/79 Speer interrogation reports Nos. 16-19, 1945, Solly Zuckerman-Archive
  • Prof. Dr. Klaus Vogel aus München: Karl Maria Hettlage zum 90. Geburtstag, in: AöR 117 (1992) S. 644 - 645. In diesem Glückwunsch wird Hettlage als Verkörperung von Sekundärtugenden gewürdigt, welche in ihrer fundamentalen Bedeutung für das Gemeinwesen aber jetzt [1992] zum Glück wiedereingesehen würden. Wörtlich: „(hoffentlich ist es dafür nicht schon zu spät): Zuverlässigkeit, Pflichtbewußtsein, Bereitschaft zum Einsatz für das Gemeinwohl. Mit dieser Haltung kann er auch heute noch Vorbild sein.“
  • Nachruf: Zum Gedenken an Karl Maria Hettlage, in: AöR 120 (1995) S. 631 - 632
  • Susanna Schrafstedter, "Verfolgung und Wiedergutmachung. Karl M. Hettlage: Mitarbeiter von Albert Speer und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium", in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2008, S. 431 ff.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m Susanna Schrafstedter: Verfolgung und Wiedergutmachung. Karl M. Hettlage: Mitarbeiter von Albert Speer und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2008, S. 431 ff.
  2. a b c d Susanne Willems, Juni 2002: Der entsiedelte Jude Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, Edition Hentrich, ISBN 3-89468-259-0 Inhaltsverzeichnis und Homepage der Autorin
  3. Leitungsgremien Mittelbau
  4. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, S. 250.
  5. BA Koblenz Nachlass Speer, N 1340/27, Karl Maria Hettlage zm 27.11.2967. Nach Vermutung von Susanna Schrafstedter1) ist mit Fring Kardinal Frings gemeint.

Weblinks


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