Kardinalzahl (Mathematik)

Kardinalzahl (Mathematik)

Kardinalzahlen (lat. cardo „Türangel“, „Dreh- und Angelpunkt“; auch Grundzahlen) sind in der Mathematik eine Verallgemeinerung der natürlichen Zahlen zur Beschreibung der Mächtigkeit („Kardinalität“) von Mengen.

Die Mächtigkeit einer endlichen Menge ist eine natürliche Zahl – die Anzahl der Elemente in der Menge. Der Mathematiker Georg Cantor beschrieb, wie man dieses Konzept innerhalb der Mengenlehre auf unendliche Mengen verallgemeinern und wie man mit unendlichen Kardinalzahlen rechnen kann.

Unendliche Mengen können unterschiedliche Mächtigkeiten haben. Diese werden mit dem Symbol (Aleph, dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets), und einem (anfangs ganzzahligen) Index bezeichnet. Die Mächtigkeit der natürlichen Zahlen \N (die „kleinste“ Unendlichkeit) ist in dieser Schreibweise 0.

Eine natürliche Zahl kann für zwei Zwecke benutzt werden: Zum einen, um die Anzahl der Elemente einer (endlichen) Menge zu beschreiben, und zum anderen, um die Position eines Elements in einer geordneten Menge anzugeben. Während diese beiden Konzepte für endliche Mengen übereinstimmen, muss man sie für unendliche Mengen unterscheiden. Die Beschreibung der Position in einer geordneten Menge führt zum Begriff der Ordinalzahl, während die Größenangabe zu Kardinalzahlen führt, die hier beschrieben sind.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Zwei Mengen X und Y heißen gleichmächtig, wenn es eine Bijektion von X nach Y gibt; man schreibt dann |X| = |Y|. Die Gleichmächtigkeit von Mengen ist eine Äquivalenzrelation auf der Klasse aller Mengen.

1. Definition: Kardinalzahlen als echte Klassen

Die Äquivalenzklasse der Menge X bezüglich der Relation der Gleichmächtigkeit nennt man die Kardinalzahl |X|.

Das Problem bei dieser Definition ist, dass die Kardinalzahlen nun selbst keine Mengen, sondern echte Klassen sind. (Mit Ausnahme von |\emptyset|).

Dieses Problem lässt sich umgehen, indem man mit |X| nicht die ganze Äquivalenzklasse bezeichnet, sondern ein Element daraus auswählt, man wählt sozusagen ein Repräsentantensystem aus. Um dies formal korrekt zu tun, bedient man sich der Theorie der Ordinalzahlen, die man bei diesem Ansatz entsprechend vorher definiert haben muss:

2. Definition: Kardinalzahlen als spezielle Ordinalzahl

Jede Menge A ist gleichmächtig zu einer wohlgeordneten Menge B (dies folgt aus dem Wohlordnungssatz). Zu B gehört eine Ordinalzahl. B kann so gewählt werden, dass diese Ordinalzahl (eine "Anfangszahl") kleinstmöglich wird. Man kann die Kardinalzahl |A| mit dieser kleinsten Ordinalzahl gleichsetzen.

Durch diesen mengentheoretischen Handgriff ist die Kardinalzahl einer Menge selbst wieder eine Menge.

Motivation

Anschaulich dienen Kardinalzahlen dazu, die „Größe“ von Mengen zu vergleichen, ohne sich auf das Aussehen ihrer Elemente beziehen zu müssen. Für endliche Mengen ist das leicht: Man zählt einfach die Anzahl der Elemente. Um unendliche Mengen zu vergleichen, benötigt man etwas mehr Arbeit, um ihre Mächtigkeit zu charakterisieren.

Im folgenden werden die Begriffe höchstens gleichmächtig und weniger mächtig benötigt:

Wenn es eine Bijektion f von A auf eine Teilmenge von B gibt, dann heißt A höchstens gleichmächtig zu B. Man schreibt dann |A| \leq |B|.
Wenn es eine Bijektion f von A auf eine Teilmenge von B gibt, aber keine Bijektion von A nach B existiert, dann heißt A weniger mächtig als B und B mächtiger als A. Man schreibt dann |A| < |B|.

Diese Begriffe werden im Artikel Mächtigkeit näher erläutert.

Zum Beispiel gilt für endliche Mengen, dass echte Teilmengen weniger mächtig sind als die gesamte Menge, dagegen wird im Artikel Hilberts Hotel an einem Beispiel veranschaulicht, dass unendliche Mengen echte Teilmengen haben, die zu ihnen gleichmächtig sind.

Bei der Untersuchung dieser „großen“ Mengen stellt sich die Frage, ob gleichmächtige geordnete Mengen notwendig „zusammenpassende“ Ordnungen haben. Es stellt sich heraus, dass das für unendliche Mengen nicht so ist, z. B. unterscheidet sich die gewöhnliche Ordnung der natürlichen Zahlen \Bbb N = \{1 < 2 < 3 < \ldots\} von der geordneten Menge A := \{1 < 2 < 3 < \ldots < 1'\}. Die Menge A ist gleichmächtig zu \Bbb N (bilde 1 auf 2, 2 auf 3, ... 1' auf 1 ab), aber in A gibt es im Gegensatz zu \Bbb N ein größtes Element. Berücksichtigt man die Ordnung von Mengen, kommt man zu Ordinalzahlen. (Die Ordinalzahl von \Bbb N heißt ω und die von A heißt ω+1.)

Eigenschaften

Im Artikel Mächtigkeit wird gezeigt, dass die Kardinalzahlen total geordnet sind.

Eine Menge M heißt endlich, wenn es eine natürliche Zahl n gibt, sodass M genau n Elemente hat. Das heißt also, dass M entweder leer ist (das ist der Fall n = 0), oder dass es eine Bijektion von M auf die Menge {1,...,n} gibt. Eine Menge M heißt unendlich, wenn es keine solche natürliche Zahl gibt.

Man kann zeigen, dass die unendlichen Mengen genau jene Mengen sind, die zu einer echten Teilmenge gleichmächtig sind (siehe Dedekind-unendlich).

Es gilt ferner, dass die Kardinalzahl \aleph_0 (lies aleph Null; siehe Hebräisches Alphabet) der Menge \Bbb N die kleinste unendliche Kardinalzahl ist. Die nächstgrößere Kardinalzahl ist \aleph_1 (unter der Annahme der Kontinuumshypothese ist \aleph_1 = |\R|; allerdings gilt auch ohne die Kontinuumshypothese gewiss \aleph_1 \le |\R|). Für jede Ordinalzahl a gibt es eine a-te unendliche Kardinalzahl \aleph_a, und jede unendliche Kardinalzahl wird so erreicht. Da die Ordinalzahlen eine echte Klasse bilden, ist auch die Klasse der Kardinalzahlen echt.

Man beachte, dass ohne das Auswahlaxiom Mengen existieren, die nicht wohlgeordnet werden können, und die im Abschnitt Definition angegebene Gleichsetzung von Kardinalzahlen mit bestimmten Ordinalzahlen nicht funktioniert. Man kann Kardinalzahlen dann trotzdem als Äquivalenzklassen gleichmächtiger Mengen definieren, diese sind dann aber nur noch halbgeordnet, da verschiedene Kardinalzahlen nicht mehr vergleichbar sein müssen (diese Forderung ist äquivalent zum Auswahlaxiom). Man kann aber auch die Mächtigkeit von Mengen untersuchen, ohne Kardinalzahlen überhaupt zu benutzen.

Rechenoperationen

Hauptartikel: Kardinalzahlarithmetik

Sind X und Y disjunkte Mengen, dann definiert man

  • |X| + |Y| := |X \cup Y|
  • |X| \cdot |Y| := |X \times Y|
  • | X | | Y | : = | XY | .

Dabei ist X \times Y ein kartesisches Produkt und XY die Menge aller Funktionen von Y nach X.

Man kann zeigen, dass diese Verknüpfungen für natürliche Zahlen mit den üblichen Rechenoperationen übereinstimmen. Darüber hinaus gilt für alle Mengen X, Y, Z:

Die Addition und Multiplikation unendlicher Kardinalzahlen ist (unter Voraussetzung des Auswahlaxioms) leicht: Ist X oder Y unendlich und beide Mengen nichtleer, dann gilt

|X| + |Y| = |X|\cdot|Y| = \max \{|X|, |Y|\}

Keine Kardinalzahl außer 0 besitzt eine Gegenzahl (ein bezüglich der Addition inverses Element), also bilden die Kardinalzahlen mit der Addition keine Gruppe, und erst recht keinen Ring.

Es ist 2|X| gleich der Mächtigkeit der Potenzmenge P(X) von X und Cantors Diagonalbeweis zeigt, dass 2|X| > |X| für jede Menge X ist. Daraus folgt, dass es keine größte Kardinalzahl gibt.

Kontinuumshypothese

Hauptartikel: Kontinuumshypothese

Die „verallgemeinerte Kontinuumshypothese“ (generalized continuum hypothesis, GCH) besagt, dass für jede unendliche Menge X zwischen den Kardinalzahlen |X| und 2|X| keine weiteren Kardinalzahlen liegen. Die Kontinuumshypothese (continuum hypothesis, CH) macht diese Behauptung für den Fall X = \N. Sie ist unabhängig von der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre zusammen mit dem Auswahlaxiom (ZFC).

Siehe auch

Große Kardinalzahl

Literatur

  • Erich Kamke: Mengenlehre 7. Aufl., Berlin, New York:de Gruyter, 1971. (Sammlung Göschen, Bd. 999/999a.) ISBN 3-11-003911-7.

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