Kanzleistil

Kanzleistil

Als Kanzleistil bezeichnet man einen sprachlich aufwendig formulierten Schriftverkehr, zumal im Umgang mit Behörden, Anwälten und Gerichten.

Geschichte

Der Ursprung des Begriffs lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen; dort umfasste der canzley-styl formelle, in Handbüchern definierte Schreibregeln für gerichtliche Schriftstücke und Amtstexte unter Einbezug lateinischer Fachbegriffe. Die Einführung einer eigenen, nur für Gebildete verständlichen Schreibart und Wortwahl in der Schriftsprache spiegelt gleichzeitig die Unterscheidung zwischen „Gelehrten“ und dem „gemeinen Volk“ im damaligen Gesellschaftsverständnis wider.

Gegenwart

In der heutigen Alltagssprache hat der Begriff oftmals eine negative Bedeutung (vgl. Juristenlatein). Man verwendet ihn vor allem dann, wenn ein Text wegen seiner Umständlichkeit und Häufung verschachtelter Satzkonstruktionen und Fremdwörter kritisiert wird. Beispiel für diesen Kanzleistil ist die Definition der Eisenbahn durch das Reichsgericht (Urteil vom 17. März 1879; RGZ 1, 247, 252):

„Eine Eisenbahn ist ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtsmassen beziehungsweise die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Elektrizität, tierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon durch die eigene Schwere der Transportgefäße und deren Ladung usf.) bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßige gewaltige (je nach den Umständen nur bezweckterweise nützliche oder auch Menschenleben vernichtende und menschliche Gesundheit verletzende) Wirkung zu erzeugen fähig ist.“

die Ludwig Reiners in seiner Stilfibel (ISBN 3423300051) zu der Definition inspiriert:

„Ein Reichsgericht ist eine Einrichtung, welche eine dem allgemeinen Verständnis entgegenkommen sollende, aber bisweilen durch sich nicht ganz vermeiden lassende, nicht ganz unbedeutende bzw. verhältnismäßig gewaltige Fehler im Satzbau auf der schiefen Ebene des durch verschnörkelte und ineinandergeschachtelte Perioden ungenießbar gemachten Kanzleistils herabrollende Definition, welche eine das menschliche Sprachgefühl verletzende Wirkung zu erzeugen fähig ist, liefert.“

Siehe auch


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