KZ Neckarelz

KZ Neckarelz

Das Konzentrationslager Neckarelz bei Mosbach war von März 1944 bis März 1945 eine so genannte Außenstelle des KZ Natzweiler-Struthof im badischen Ort Neckarelz und betrieb im Rahmen der Luftschutzmaßnahmen kriegswichtiger Industrie (Untertage-Verlagerung durch den Jägerstab um Speer) vor allem mehrere Stollen im Berg unter dem Schloss Neuburg bei Obrigheim, in denen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von mehreren Tausend Zwangsarbeitern und Häftlingen Flugzeugmotoren gefertigt wurden.

Als Konzentrationslager ist es wesentlicher Teil der Neckarlager gewesen. Heute erinnern ein Museumsraum in der ehemals zum Häftlingslager gehörenden Schule von Neckarelz und der Geschichtslehrpfad Goldfischpfad bei Obrigheim mit den Stollen mit den Decknamen "Goldfisch" und "Brasse" an das Lager und die Untertage-Fabrik. Oberirdisch erinnert kaum noch etwas an das KZ und die Fabrikationslanlagen; markant sind Reste der Betonfundamente des Kesselhauses zur Erwärmung der Stollen am Hang des Neckars bei Obrigheim (am Mosbacher Kreuz). Eher unauffällig sind inzwischen umgebaute ehemalige Häftlingsbaracken an verschiedenen Plätzen der näheren Umgebung.

Über Jahrzehnte wurde fast nichts über diesen umfangreichen Konzentrationslagerkomplex in Baden-Württemberg berichtet. Staatliche Stellen haben über Jahrzehnte nicht zur Erinnerung beigetragen. Das hauptsächlich beteiligte Industrieunternehmen begann in den 1990er Jahren mit der historischen Aufarbeitung seiner Firmengeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Planung

Die Daimler-Benz Motoren GmbH fertigte seit 1941 in ihrem Flugzeugmotorenwerk in Genshagen die 1500 PS starken Zwölfzylinder-Flugzeugmotoren „DB 603“ und „DB 605“. Anfang 1944, als die Luftangriffe auf Genshagen häufiger wurden, beschloss der Jägerstab (genannt nach dem Militärflugzeugtyp) – eine Koordinationsstelle aus SS, Luftwaffe und Rüstungsministerium und Rüstungsbetrieben – die Produktion in unterirdische Stollen zu verlegen. Die Gipsgruben „Friede“ und „Ernst“ im badischen Obrigheim boten sich nach einer Erkundung im Februar 1944 hierfür an, da sie in Süddeutschland vermeintlich sicher vor gegnerischen Bomben wären, in einem Seitental des Neckaruferhanges, der Luttenbachschlucht bzw. im Karlsberg, versteckt im Wald lagen, aber dennoch über die – heute nicht mehr bestehende – Neckarbrücke der Bahnstrecke Meckesheim–Neckarelz zwischen Neckarelz und Obrigheim bereits gut an den Verkehr angebunden waren (von Mannheim an die Neckartalbahn bzw. die Strecke WürzburgStuttgart).

Bahnnetz damals - heute (zwi. 1862 u. 1945 bzw. 2006, Straßen heute)

Die vorhandenen Stollen der Gipsgruben erhielten die Tarnnamen Goldfisch (Friede) und Brasse (Ernst). Am 7. März ging an den Stuttgarter Architekten Kiemle von Daimler-Benz und der SS der Planungsauftrag für eine 50.000 m² große unterirdische Produktionsfläche im Goldfisch, die binnen sieben Wochen errichtet werden sollte. Etwas später wurde im benachbarten Stollen Brasse zusätzlich eine 9.000 m² große Produktionsstätte geplant, die jedoch nach schweren Luftangriffen im Februar und März 1945 nicht fertiggestellt werden konnte. In das Handelsregister von Mosbach wurde eine Goldfisch GmbH eingetragen, die in kürzester Zeit zum größten „Arbeitgeber“ der Region wurde.

Errichtung

Lagerhalle des Verladebahnhofs am Stollen Goldfisch in Obrigheim, Aufn. v. Juli 2006
Eingang zum Stollen Brasse, Obrigheim, Sommer 2004

Am 15. März 1944 wurden 500 Häftlinge des KZ Dachau in der Schule von Neckarelz einquartiert. Das dortige Schulgebäude wurde zur Außenstelle Neckarelz I des KZ Natzweiler. Dort wurden fünf Klassenzimmer zu Schlafräumen für die etwa 800 Häftlinge umfunktioniert. Durch den Schichtbetrieb in der Fabrikanlage waren immer nur die Hälfte der Häftlinge in den Räumen. Der Schulhof war nun Appellplatz. Darum wurden Stacheldrahtverhau und Wachtürme errichtet. Noch 1944 wurden zusätzlich in dem Bereich Baracken gebaut und eine Duschanlage für das ebenfalls vergrößerte Wachpersonal. Hinter diesen Baracken gab es für den Lagerkommandanten einen Garten.

Den Weg von Neckarelz zu den Stollen in Obrigheim mussten die Häftlinge täglich zu Fuß über die damals bestehende Eisenbahnbrücke zurücklegen. Die Aufgabe der ersten Häftlinge war es, die Zufahrtswege zu den Stollen auszubauen und den weiträumigen Tunnelboden zu befestigen und zu ebnen, Stromleitungen zu verlegen, um dort schnellstmöglich Maschinen betreiben zu können. Das benötigte Baumaterial (die Firma Hochtief, die die Arbeiten organisierte, rechnete mit circa 750 Tonnen Eisen und 3200 Tonnen Zement) musste auf dem Rücken über 40 Höhenmeter eine schmale Treppe hinauf transportiert werden. Außerdem mussten die Häftlinge in der Umgebung mehrere Barackenlager zur Unterbringung von weiteren Zwangsarbeitern errichten. Im Mai 1944 wurden 500 bis 700 Häftlinge aus dem KZ Oranienburg nach Neckarelz gebracht.

In den darauffolgenden Monaten wurden zusätzlich vier kleinere Nebenlager des Konzentrationslagers in Oberschefflenz, Bad Rappenau und Neckarbischofsheim eingerichtet.
Im Sommer 1944 kam es zu Typhus- und Ruhr-Epidemien. Darauf wurde im Herbst 1944 der KZ-Teil in Neckargerach als "Krankenlager" eingerichtet. Ein Krankenlager bedeutete im SS-Jargon nicht eine ärztliche Heilbehandlung sondern verminderte Essensrationen - denn die SS hielt einen Arbeitseinsatz dieser Häftlinge nicht mehr für möglich; andere Bezeichnungen waren Sterbe- und Seuchenlager (vergleiche KZ-Außenlager Vaihingen (auch … Wiesengrund) und Krankenlager Großsachsenheim).

Unter unmenschlichen Bedingungen und strengem Termindruck wurden die Stollen ausgebaut, wobei weitere Verbindungs- und Belüftungsstollen zu graben waren. Außerhalb der Stollen entstand der Heizbunker Kesselhaus, ein starker Bunker-Vorbau am Stollen Goldfisch mit Flak-Geschütz, diverse Küchen- und Unterkunftsbaracken am Eingang zur Brasse. Für die Versorgung der Stollen wurde parallel zur Bahnstrecke am Hang entlang der nicht-öffentliche Haltepunkt „Finkenhof“ und ein Ladegleis erbaut, das sich teilweise geschützt im zweigleisig ausgelegten, aber bisher nur eingleisig genutzten 147 m langen Kalksbergtunnel[1] befand. Der Gleisabschnitt zwischen Neckarelz und Obrigheim und einiges umgebendes Gelände wurde zum Sperrgebiet erklärt, so dass in den durchfahrenden Zügen das Öffnen der Fenster nicht gestattet war.[2] Ein- und Ausfahrt auf den umliegenden Straßen wurden durch Wachen kontrolliert.

Zwangsarbeiter- und weitere Lager

Zusätzliche Lager in Mosbach (das Hammerlager in Mosbach für SS-Strafgefangene) und Neckarelz (Neckarelz II, alter Bahnhof) wurden im Zusammenhang mit der Industrieanlage Goldfisch in Betrieb genommen. Für Zwangsarbeiter/-innen wurden errichtet: das Lager Hohl in Neckarelz für 1.100 Ostarbeiter/-innen, ein Lager in Obrigheim für „Westeuropäische Fremdarbeiter“, das Lager in der Turnhalle in Mosbach für italienische Militärinternierte (IMI) und für weitere Gefangene die kleineren Lager Bahnhof Hassbachtal und Bahnhof Asbach (Baden). Bis Juni 1944 kamen 2.000 Bauhäftlinge in den Lagern Neckargerach und Neckarelz – Alter Bahnhof (Neckarelz II) unter.

In unmittelbarer Umgebung befanden sich noch weitere unterirdisch ausgelagerte Rüstungs-Produktionsanlagen, in denen KZ-Häftlinge und andere nebeneinander Zwangsarbeit verrichteten, so z.B. im 690 m langen Mörtelsteiner Tunnel der Bahnlinie zwischen den heutigen Obrigheimer Ortsteilen Asbach und Mörtelstein (Tarnname Kormoran), in einer Grube in Haßmersheim-Hochhausen (Tarnname Rotzunge) sowie im Gipsstollen in Neckarzimmern (Tarnname Baubetrieb Neustadt). Ein Arbeitskommando war auch in der Gurkenfabrik in Diedesheim eingesetzt. Ein im September 1944 von Neckarelzer Häftlingen in Neckarbischofsheim errichtetes Auffanglager für etwa 150 Häftlinge des bereits von den Alliierten erreichten KZ Natzweiler wurde dem Lager in Neckarelz als Unterkommando angegliedert, ebenso Kommandos in Asbach/Bd., Neckargerach, Bad Rappenau und in der Heeresmunitionsanstalt in Siegelsbach.

Betrieb

Westliches Portal des Tunnels Kormoran, Juli 2006
Einfahrt zum Gipsstollen Neckarzimmern, 2007

Bereits am 26. Juni 1944 wurden die ersten 21 Maschinen aus Genshagen antransportiert. Im Juli 1944 befanden sich circa 1.400 Häftlinge und 400 Mann Arbeiter beziehungsweise Wachpersonal in Neckarelz und Obrigheim. Da der Ausbau der Stollen schwieriger war als geplant, konnte die Produktion nur schleppend anlaufen, so dass erst im Oktober 1944 die ersten Flugzeugmotoren ausgeliefert wurden. Die Planungen sahen monatlich 500 Motor-Neubauten und 350 -Instandsetzungen vor, diese Zahlen wurden allerdings nie erreicht.

Mit einer Belegschaft von 2.500 Personen war das Lager in Neckarelz zum größten der Außenkommandos von Natzweiler geworden, die Häftlinge waren in insgesamt sieben so genannten Neckarlagern untergebracht. Die offizielle Lagerstärke betrug dreitausend Plätze. Die genaue Zahl konnte nach dem Krieg aber nicht rekonstruiert werden. Es gab ständig Wechsel zwischen den Lagerteilen und Zu- und Abgänge. Das Schicksal der meisten Häftlinge blieb unbekannt. Nur wenige werden von Anfang bis Ende des Lagers vor Ort gewesen sein. Insgesamt waren etwa 10.000 Gefangene in einem der zum Neckarelzer Lager gehörigen Kommandos, wenn auch nicht alle zur selben Zeit, da die Häftlinge je nach Bedarf zwischen den Kommandos verschoben und nicht mehr arbeitsfähige Menschen „selektiert“ wurden.

Schloss in Binau

Aufgrund der harten Arbeits- und Lebensbedingungen waren während des Betriebs der Anlagen zahlreiche Tote zu beklagen, unter anderem beim teilweisen Einsturz eines der Stollen im September 1944 mit über 20 Toten und bei einer Typhus-Epidemie im Herbst 1944. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge wurden nach Natzweiler, Dachau oder Vaihingen deportiert. Allein bis Oktober 1944 waren dies bei drei Transporten mindestens 750 Personen.

Das Rathaus in Guttenbach und das Schloss in Binau, wenige Kilometer flussabwärts, waren Sitz der SS-Kommandantur der gesamten Außenlager des KZ Natzweiler in der Region. In Guttenbach (vis a vis über dem Neckar von Neckargerach aus) wurde versucht, die Verwaltung des aufgelösten KZ Natzweiler wieder aufzubauen. Anfang März 1945 zog diese Gesamtkommandantur von Natzweiler weiter nach Stuttgart und schließlich nach Dürmentingen.[3]

Ein benachbarter, aber separater Produktionsstollen und Lager mit ähnlicher Funktion war das KZ Kochendorf in Bad Friedrichshall. Ebenfalls separat gab es eine zusätzliche Munitionsfabrik in Neckarzimmern.

Luftangriffe

Im Unterschied zu anderen Konzentrationslagern kam es 1944/45 zu verschiedenen Luftangriffen auf die Neckarlager. Deren Systematik und Erfolge sind anscheinend bisher nicht erforscht worden. Dies gilt insbesondere auch für den Angriff auf Neckargerach am 22. März 1945 mit über 200 Toten.[4]

Todesmarsch

Am 28. März wurden wegen des Vorrückens amerikanischer Truppen in den Neckarraum die zu diesem Zeitpunkt dort befindlichen 4.000 gehfähigen Häftlinge der Außenlager Heppenheim, Bensheim und Neckarelz über Neuenstadt und Kupferzell zum Bahnhof in Waldenburg in Marsch gesetzt. Der Marsch sollte als „Todesmarsch“ traurige Bekanntheit erlangen, da circa 600 Häftlinge die Strapazen nicht überlebten. Von Waldenburg aus erfolgte gruppenweise der Bahntransport nach Dachau, eine Gruppe von 400 Häftlingen musste den gesamten Weg bis Dachau bei München zu Fuß bewältigen. Knapp 900 nicht mehr gehfähige Häftlinge aus Neckarelz sollten per Zug nach Dachau verbracht werden, blieben aber wegen zerstörter Bahngleise mit dem Zug bereits im 30 km entfernten Osterburken liegen, wo bis zum Eintreffen der amerikanischen Truppen über 40 weitere Tote zu beklagen waren. Die Bevölkerung der Region hat die unbewachten Gefangenen nicht mit Lebensmitteln oder medizinisch versorgt. Eine Gruppe weiblicher Gefangener, die ab Neckargerach dem Bahntransport angehörten, sind allem Anschein nach durch Verbrennen der Waggons getötet worden. Über 800 Gefangene konnten am 3. April von amerikanischen Truppen aus dem Zug befreit werden.

Befreiung und Demontage

Am 30. März 1945 sprengten die nach Osten abrückenden deutschen Truppen die Neckarelzer Eisenbahnbrücke, um den Alliierten ein Überschreiten des Neckars an dieser Stelle unmöglich zu machen. Drei Tage danach, am 2. April 1945, wurden die Stollen von amerikanischen Truppen besetzt und noch einige wenige zurückgebliebene Häftlinge befreit. Die in den Stollen befindlichen ungefähr 2.000 Maschinen wurden in der weiteren Nachkriegszeit teilweise ins benachbarte Diedesheim (heute ein Ortsteil von Mosbach) verbracht, wo der eingesetzte Treuhänder mit Genehmigung der Besatzungsbehörde mit etlichen ehemaligen Goldfisch-Mitarbeitern die Maschinenfabrik Diedesheim gründete. Teilweise gingen die Maschinen aber auch als Reparationsleistung in die UdSSR.

Tätergruppen

Täter vor Ort

Lagerkommandanten waren vom 15. März bis zum 15. Mai 1944 Franz Hößler (ehemaliger Auschwitzer Schutzhaftlagerführer; danach Leitung des Häftlingslagers Dora und stellvertretender Kommandant im KZ Bergen-Belsen), danach Franz Hofmann bis zum 15. Oktober 1944 (auch aus Auschwitz). Und dann bis März 1945 der Luftwaffenhauptmann Wilhelm Streit, der im September der SS beigetreten war.

Die Gedenkstätte verfolgte bei ihrer Forschungsarbeit auch das Schicksal verschiedener anderer Täter oder Tatbeteiligter.

  1. Die SS-Führungsgruppe: Sie bestand zumindest aus dem jeweiligen Lagerkommandant; Michel, Verantwortlicher für Arbeitseinsätze; Gestapo-Schmidt, für Überwachung und Bestrafungen zuständig.
  2. Mitglieder der SS-Wachmannschaften: Streit, Gerlach, Lutz.
  3. Die Architekten: Kiemle, Architekt der damaligen Fa. Daimler-Benz; Haag, Bauleiter bei Daimler-Benz; Glaser, zuständig beim Führungsstab der SS
  4. Mitarbeiter von Baufirmen
  5. Funktionshäftlinge, »SS-loyal«: Über sie ist durch Gerichtsverfahren einiges in Erfahrung gebracht worden.
  6. Funktionshäftlinge, die sich »Opfer-loyal« verhielten. Sie trugen aber dennoch etwas zum Funktionieren des Lagersystems bei.
  7. Andere Kontaktpersonen wie der Obrigheimer Ortspolizist, Lebensmittellieferanten, Meister bei der Produktion in den Stollen: Sie hatten Ortskenntnisse und konnten das Lagersystem fördern und damit daran auch verdienen oder sich nicht beteiligen.

Die ansässige Bevölkerung, die über das Geschehen sehr gut informiert war, wurde noch nicht in Bezug auf ihr Wissen und ihre Handlungsmöglichkeiten hin untersucht. Auffällig ist, dass in den 12 Monaten nur 1 Häftling fliehen konnte: Vinzenz Rose (1908–1996).

Kommandantur und SS-Wachen des hierher verlegten KZ Natzweiler

Das Rathaus im Dorf Guttenbach und das Schloss im benachbarten Binau wurden Sitz der SS-Kommandantur der gesamten Außenlager des (früheren) KZ Natzweiler in der Region. Die dazu gehörige Fahrbereitschaft der SS mit Werkstatt und 12 Mann befand sich im nahe gelegenen Dorf Neunkirchen. In Guttenbach wurde versucht, die Verwaltung des im November aufgelösten KZ Natzweiler aufrecht zu halten bzw. wieder aufzubauen.

Lagerkommandant Obersturmbannführer Hartjenstein (seit 12. Mai 1944) wurde am 23. Januar 1945 nach einer Beschwerde wegen »Unfähigkeit« zu einer Kampfeinheit an die Front versetzt; Nachfolger war SS-Hauptsturmführer H. Schwarz, der nach der "Evakuierung" vom KZ Auschwitz I von dort nach Guttenbach kam und ab 18. Februar als letzter Kommandant des KZ Natzweiler fungierte, ohne den entsprechenden geografischen Ort je gesehen zu haben. Er führte vor allem die Organisation der Evakuierungen der Außenlager und der Todesmärsche im März 1945. Schwarz wurde von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und als Kriegsverbrecher hingerichtet.[5] SS-Hauptscharführer Wolfgang Seuß (1907-?), der in Natzweiler-Struthof Schutzhaftlagerführer gewesen war, fungierte nunmehr als Rapportführer.  Seuß wurde im Februar durch F. J. Hofmann ersetzt, den früheren Kommandanten des Außenlager-Komplexes »Wüste« bei Tübingen, der strafweise aus dem KZ Bisingen nach Guttenbach versetzt wurde. Der Kommandanturstab bestand aus 15 bis 20 Mann.

Bei Heranrücken der Front zog diese Gesamtkommandantur Natzweiler von Guttenbach aus Anfang März 1945 weiter nach Stuttgart und schließlich nach Dürmentingen (bei Ulm).[6]

Heutige Verwendung

Zu Wohnzwecken umgebaute Baracke des Unterkommandos Neckarbischofsheim (Juli 2006)

Nach 1948 wurde der Gipsbau in der Grube Goldfisch/Friede wieder aufgenommen. Brasse wurde stillgelegt. Küchenbaracke und Verladebahnhof wurden nach dem Krieg von verschiedenen Unternehmen zu verschiedensten Produktions- und Lagerzwecken genutzt. Die Neckarbrücke der Eisenbahn wurde nicht wieder errichtet, und die Nebenbahnstrecke von Meckesheim der ehemaligen Badischen Odenwaldbahn endete seitdem in Obrigheim.

Die Stollen und Tunnels bestehen bis heute. Im Goldfisch wird weiterhin Gips abgebaut, Brasse und der Bahntunnel bei Obrigheim sind aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich. Kormoran erfüllte bis zur Stilllegung des Streckenabschnitts Aglasterhausen-Obrigheim im Jahr 1971 wieder seine ursprüngliche Funktion als Eisenbahntunnel und verwilderte danach; Mitte der 2000er Jahre wurden seine Portale vermauert. Die Küchenbaracke wurde im Jahr 2000 wegen hochgiftiger Pflanzenschutzmittelreste der Nutzung der Nachkriegszeit abgerissen, ihre Fundamente sind noch sichtbar. Der Verladebahnhof fungiert als Lagerhalle. Die markantesten Überreste des gesamten Komplexes sind die massiven, treppenförmigen Fundamente des Kesselhauses, die an exponierter Stelle nahe dem Schnittpunkt der Bundesstraßen 27, 37 und 292 am Mosbacher Kreuz auffällig aus der sonstigen Busch- und Waldvegetation des Neckaruferhanges bei Obrigheim ragen.

Aus den Baracken des Unterkommandos in Neckarbischofsheim, die nach dem Krieg eine Sägerei beherbergten und zu Wohnzwecken umgenutzt wurden, entstand die heutige Schwarzbachsiedlung.

Erinnerung

Infotafeln erklären den Geschichtslehrpfad

Forschungsstand

Regionale Forscher und die Daimler-Benz AG haben seit den späten 1980er Jahren begonnen, die Geschichte der Stollen und der Zwangsarbeit in Neckarelz, Obrigheim und Umgebung zu recherchieren und zu publizieren. 1993 wurde der Verein „KZ-Gedenkstätte Neckarelz“ gegründet, der 1998 die Gedenkstätte in der Clemens-Brentano-Grundschule von Neckarelz, die einst Hauptgebäude des Lagers Neckarelz I war, eröffnete. Museal und pädagogisch aufbereitet sind dort Modelle der Anlage, Fundstücke von Häftlingen und Einrichtung sowie Zeitdokumente zu sehen. Auf dem Gelände der Schule ist auch noch eine Typhus-Baracke erhalten. Dieses kleine Museum zog wegen größeren Umbauarbeiten im Juli 2007 in die Comenius-Schule, am selben Ort, um.

1999 wurde mit Unterstützung durch die Europäische Kommission, das Land Baden-Württemberg, die Gemeinde Obrigheim, die Firmen Heidelberger Zement und DaimlerChrysler sowie durch zahlreiche weitere Firmen in Obrigheim und Mosbach der „Goldfischpfad“ angelegt, der die erhaltenen oberirdischen Fragmente der Stollenanlage Goldfisch und Brasse verbindet und erklärt. Rund ein Dutzend Tafeln mit Informationen und Bildern der Anlage befinden sich an den Stationen des Pfades.

Dort kann über 40 Häftlinge persönlich berichtet werden – sei es durch Archivalien, eigene Lebensaufzeichnungen oder Interviews.

Die statistisch erfassten Todesfälle nach Orten: Sterberegister Neckarelz 97, Sterberegister Neckargerach 135, Sterberegister Obrigheim 40, Krematorium Heidelberg 76 und Friedhof Mosbach etwa 40 – ergibt eine Summe von circa 350 Toten. Weitere Tote wurden anonym verscharrt oder wie beschrieben zur Tötung deportiert. Die KZ-Gedenkstätte versucht auch jene einzubeziehen, die später infolge der Lagerzeit starben – jedoch gibt es bisher keine Forschung und keine Nachweise dazu.

In Binau befindet sich auf dem örtlichen jüdischen Friedhof noch eine Grabstätte von ehemaligen Zwangsarbeitern des Lagers (viele der dort beerdigten wurden später in ihre Heimat umgebettet), in Neckargerach erinnert ein Gedenkstein an das dortige Außenkommando, und nahe der aus dem Unterkommando Neckarbischofsheim entstandenen Schwarzbachsiedlung wurde ein Mahnmal errichtet.

Der „Goldfischpfad“

Der zwei Kilometer lange Rundweg Goldfischpfad beginnt am ehemaligen Bahntunnel und Bahnhof Finkenhof am südöstlichen Ortsrand. In der Nähe liegt ein kleines Industriegebiet und das Straßenverkehrskreuz Mosbach. Seine mit kurzen Texten beschrifteten Stationen sind

  1. Tunnel/Bahnhof
  2. Kesselhaus – Seine Hauptaufgabe war die Warmlufbereitung zur Verhütung von Rostschäden an den Motoren in den weitläufigen und feuchtkühlen Stollen
  3. Alte gebogene Eisenbahnbrücke über den Neckar (am alten Bahnwärterhaus)
  4. Umschlaghalle
  5. Treppenweg (1999 wieder freigelegt)
  6. Talblick
  7. Stolleneingang »Goldfisch«
  8. Küchenbaracke
  9. Stolleneingang »Brasse«
  10. Wasserversorgung

KZ-Gedenkstätte Neckarelz

2011 wurde eine neue KZ-Gedenkstätte auf dem Hof des Schulgebäudes eingeweiht, das den Kern des KZ bildete. Begonnen hatten die Vorarbeiten dazu 1985, als der Mosbacher Gemeinderat beschloss, die Jahre der Naziherrschaft aufarbeiten zu lassen. Hierzu wurde ein Arbeitskreis an der Volkshochschule eingerichtet, aus dem 1993 der Verein für die KZ-Gedenkstätte hervorging. 1998 konnte eine erste Gedenkstätte im Anbau der Schul-Turnhalle eröffnet werden. Trotz der dortigen räumlichen Enge wurde sie als vorbildliches Heimatmuseum ausgezeichnet. Die erste Gedenkstätte musste aus baulichen Gründen aufgegeben werden. Die 2007 begonnenen Planungen führten letztlich zu dem zweigeschossig angelegten Neubau der Gedenkstätte. Zu den neuen Ausstellungsstücken gehören auch ein Flugzeugmotor von der Art, wie sie von den Häftlingen in den Stollen montiert werden sollten und ein Nachbau eines beim Stollenausbau verwendeten Lorentyps.

Die neue KZ-Gedenkstätte soll künftig jeden Sonntag oder nach Vereinbarung mit dem tragenden Verein geöffnet werden. Diese zweite Gedenkstätte soll in Zusammenarbeit mit anderen Bildungseinrichtungen als ein Lernort betrieben werden, an dem es auch um Menschenrechts-Bildung und Demokratie-Erziehung gehe.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Georg Fischer, Christina Herr: KZ-Komplex Neckarlager. CD-ROM, 2. Auflage, 2006. Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V.
  • Neil Gregor: Stern und Hakenkreuz. Daimler-Benz im Dritten Reich. Propyläen, Berlin 1997, ISBN 3-549-05604-4
  • Tobias Markowitsch, Katrin Rautnig: ’’Goldfisch und Zebra. Das Konzentrationsaußenlager Neckarelz.’’ Mosbach, KZ-Gedenkstätte Neckarelz e.V. Selbstverlag, 2005, 241 Seiten, ISBN 3-88260-072-1
  • Arno Plock: Damals … in jenen dunklen Jahren. Als KZ-Häftling Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie. 1994 (DB AG) - 2. überarb. Fassung 2007 (kz-denk-neckarelz.de selbstverlag, Mosbach). 95 S. (ohne ISBN)
  • Hans-Werner Scheuing: „ … als Menschenleben gegen Sachwerte gewogen wurden.“ Die Anstalt Mosbach im Dritten Reich. Universitätsverlag Winter, Heidelberg. 1997 und 2. Auflage 2004. 543 Seiten, ISBN 3825316076 (enthält Hinweise auf Nutzung und den Zukauf von Gebäuden bei den Johannes-Anstalten Mosbach in Schwarzach)
  • Michael Schmid: Goldfisch, Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Eine Lokalhistorie zum Umgang mit Menschen. In: Das Daimler-Benz-Buch. Ein Rüstungskonzern im "Tausendjährigen Reich“. Greno, Nördlingen 1987. 829 S., ISBN 3891909500 (Hrsg: Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3), S. 482ff.
  • Eckart Teichert: Mosbach im dritten Reich. Zeitzeugen erzählen aus der Nazizeit. Mosbach 1992. (Aus den subjektiven Aussagen von zwölf Zeitzeugen zusammengesetztes Porträt der Stadt Mosbach 1933-45.)
  • Maurice Voutey: Gefangener des Unwahrscheinlichen. Vier Jahreszeiten in Dachau und in den Neckarlagern. Übersetzt von Dorothee Roos. Dallau, 2002. (Erinnerungsbuch des französischen Résistance-Mitglieds (FNDIRP), Historikers und Schriftstellers, in Frankreich 1995 erschienen.)

Einzelnachweise

  1. offiziell von der Bahn vergebener, aber eigentlich fehlerhafter Name des Tunnels, da der unterquerte Berg der Karlsberg ist
  2. Hans-Wolfgang Scharf: Eisenbahnen zwischen Neckar, Tauber und Main. Bd. 2: Ausgestaltung, Betrieb und Maschinendienst. EK-Verlag, Freiburg 2001, ISBN 3-8825-5768-0
  3. Zitiert nach Markowitsch, Rautnig, 2005, S. 185
  4. Die Bomben kamen wie aus heiterem Himmel. In: Fränkische Nachrichten, Tauberbischofsheim, vom 22. März 2005
  5. Bei den Rastatter Prozessen (1946/1947)
  6. Zit. nach Markowitsch, Rautnig, 2005, S. 185

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