Jüdischer Weltkongress

Jüdischer Weltkongress
Ronald Lauder und Eduardo Elsztain

Der Jüdische Weltkongress (engl. World Jewish Congress, WJC) ist eine internationale Vereinigung von jüdischen Gemeinschaften und Organisationen. Der politische Anspruch des WJC ist die Vertretung aller Juden in der Diaspora, also jener, die außerhalb des Staates Israel leben.

Inhaltsverzeichnis

Organisation

Der Hauptsitz befindet sich in New York City. Der WJC hat zudem Büros in Brüssel, Paris, Moskau, Buenos Aires und Genf. Am 10. Juni 2007 wurde Ronald Lauder zum Nachfolger Edgar M. Bronfmans als Präsident des WJC gewählt. Vorsitzender des Aufsichtsgremiums ist Eduardo Elsztain aus Argentinien.

Dem Jüdischen Weltkongress gehören jüdische Dachverbände in 92 Ländern an, darunter der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund sowie der Bundesverband der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs.

Präsidenten

Agenda

Der Jüdische Weltkongress bemüht sich um Konsensbildung zwischen verschiedenen jüdischen Gruppen unterschiedlicher politischer und religiöser Orientierungen. Er nimmt zudem für sich in Anspruch, die politische Vertretung der Interessen der jüdischen Gemeinschaft nach außen wahrzunehmen. Daneben ist der Jüdische Weltkongress auch an interreligiösen Gesprächen mit christlichen und muslimischen Gruppen beteiligt.

Geschichte

Gründung und Ziele

Der WJC wurde am 13. August 1936 in Genf von Nahum Goldmann, der ihm später bis 1978 als Präsident vorstand, und Vertretern aus 32 Nationen gegründet. Vorbild für den WJC war der bereits 1918 gegründete American Jewish Congress, der gezielt ein breit legitimiertes und in der politischen Meinungsbildung aktives Gegengewicht zu den bestehenden großbürgerlichen jüdischen Organisationen darstellen sollte. Erster Präsident der Organisation wurde Stephen Wise.

Der WJC war seit seiner Gründung auch eine zionistische Organisation. Zwar hielt Nahum Goldmann die Schaffung eines eigenen Staates Israel nach dem Ersten Weltkrieg noch für verfrüht, jedoch engagierte er sich ab den späten 1920er Jahren zunehmend dafür.

NS-Zeit

Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bemühte sich der WJC verstärkt um Hilfe für auswanderungswillige europäische Juden. Zunächst blieben seine politischen Erfolge aber begrenzt. Zwar erreichte der WJC ein Auswanderungsrecht für Juden aus dem 1935 an das Deutsche Reich angeschlossenen Saarland, er konnte aber den Völkerbund nicht zu einem gemeinsamen Wirtschaftsboykott gegen das „Dritte Reich“ bewegen. Nicht einmal alle WJC-Mitglieder befürworteten diesen Plan.

Aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt geworden ist Ignacy Schwarzbart, der sowohl jüdisches Mitglied der polnischen Nationalversammlung – dem Parlament der Exilregierung – war, als auch Beauftragter des WJC in England, zuständig für polnisch-jüdische Angelegenheiten.

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck des Holocaust verstärkte der WJC seine politischen Interventionen, um gefährdeten Juden auf der ganzen Welt, zu jener Zeit vordringlich im Ostblock und arabischen Ländern, zu helfen und ihnen ab 1949 auch die Auswanderung nach Israel zu ermöglichen. Neben Organisationen wie der Jewish Claims Conference trat er gegenüber Deutschland stets für eine Wiedergutmachung für die Überlebenden und die Nachkommen der während der NS-Zeit verfolgten Juden ein.

Im Nahen Osten engagierte sich WJC-Präsident Nahum Goldman bis wenige Jahre vor seinem Tod für eine Politik des Ausgleichs zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarn und suchte das Gespräch mit Gamal Abdel Nasser und Yassir Arafat. Während er stets die Zuwanderung von Juden aus der Region nach Israel unterstützte, war er mitunter auch ein profunder Kritiker der offiziellen israelischen Politik.

Die „Waldheim-Affäre“

Durch die „Waldheim-Affäre“ wurde der WJC einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim kandidierte 1986 für das Amt des Bundespräsidenten Österreichs. Im Wahlkampf wurden seine Mitgliedschaften im SA-Reiterkorps, im NSDStB und seine Tätigkeit als Ordonnanzoffizier in der Heeresgruppe E bekannt, die 1942 bis 1945 an verschiedenen Kriegsverbrechen auf dem Balkan und Deportationen von griechischen Juden beteiligt gewesen war. Über diese Lebensphase hatten autobiografische Veröffentlichungen nichts enthalten.

Der WJC wurde ab Mitte März 1986 zum Hauptankläger Waldheims und legte bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten wiederholt Dokumente vor, die seine Verwicklung in NS-Verbrechen nahelegten. Der WJC beantragte auch erfolgreich, dass das US-Justizministerium Waldheim auf eine „watch list“ für mutmaßliche Kriegsverbrecher setzte, so dass ihm als Privatperson eine Einreise in die USA zeitlebens verboten blieb. Von Seiten Waldheim nahestender Personen wurde das als „Hetzkampagne“ gegen Österreich bezeichnet. In diesem Kontext wurden auch antisemitische Vorurteilsstrukturen offen sichtbar oder neu belebt. So wurde der WJC mit US-amerikanischen Medien zusammen unter die Metapher der „Ostküste“ subsumiert, einer Chiffre für „das Weltjudentum“, die in rechtsextremen Kreisen verbreitet ist. Historiker untersuchten nun genauer die Geschichte von Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus, und die großen Volksparteien Österreichs übernahmen allmählich Verantwortung für Opferentschädigungen und Restitution.

Die österreichische Bundesregierung setzte später eine internationale Historikerkommission ein, die Waldheim keine persönlich begangenen Verbrechen, aber detaillierte Kenntnisse davon in seiner damaligen Umgebung nachwies, so wie es der WJC vertreten hatte. Damit war auch erwiesen, dass Waldheim Teile seiner Biografie verschwiegen und während der Affäre falsche Angaben dazu gemacht hatte. Waldheim bestritt weiter, vor 1945 von Kriegsverbrechen seiner Heereseinheit gewusst zu haben, und blieb während seiner sechsjährigen Amtszeit als Bundespräsident (bis 1992) außenpolitisch isoliert.

Kritik an der Europäischen Kommission

Europaweit sorgte der WJC im Dezember 2003 dadurch für Aufsehen, dass er einen von der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) beim Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung in Auftrag gegebenen, aber seit Erhalt im Januar nicht veröffentlichten Bericht zum Antisemitismus in Europa, der Öffentlichkeit zugänglich machte. Die EUMC vertrat den Standpunkt, der Bericht weise qualitative Mängel auf (was das Berliner Zentrum zurückwies) und müsste vor einer Veröffentlichung erst überarbeitet werden. Der WJC kritisierte hingegen, dass zwar dieser Bericht zurückgehalten werde, weil er die Beteiligung moslemischer Minderheiten an antisemitischen Vorfällen in Europa zum Inhalt hat und so die Islamophobie anheizen könnte, die Europäische Kommission aber kurz zuvor eine Meinungsumfrage veröffentlicht hatte, in der 59 % der Befragten Israel als größte Gefahr für den Frieden in der Welt genannt hatten. In diesem Zusammenhang hatten die beiden Präsidenten des WJC, Edgar Bronfman sen. und Cobi Benatoff, der Kommission, in einem Beitrag für die Financial Times, Antisemitismus vorgeworfen.

Der Konflikt wurde schließlich nach Gesprächen zwischen Vertretern der Europäischen Kommission unter Kommissionspräsident Romano Prodi und des WJC sowie des Europäischen Jüdischen Kongresses (EJC) beigelegt. Von Seiten der Kommission wurde zugesagt, ein zuvor abgesagtes Seminar mit jüdischen Organisationen zur Bekämpfung des Antisemitismus doch durchzuführen.

Weitere jüdische Interessenvertretungen

Siehe auch

Weblinks


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