Justizvollzugsanstalt Celle

Justizvollzugsanstalt Celle
Torgebäude der 1710–24 erbauten „Anstalt“.
JVA Celle (Wachturm)

Die Justizvollzugsanstalt Celle (kurz JVA Celle) ist die Justizvollzugsanstalt mit der höchsten Sicherheitsstufe in Niedersachsen und ein so genanntes Hochsicherheitsgefängnis.

Inhaltsverzeichnis

Sachliche und örtliche Zuständigkeit

Gefängnismauer vom gegenüberliegenden Allerufer aus gesehen

In die JVA Celle werden zentral für ganz Niedersachsen alle männlichen, erwachsenen Gefangenen eingewiesen, in deren Urteil auf lebenslange Freiheitsstrafe oder eine zeitige Freiheitsstrafe von mehr als 14 Jahren erkannt wurde, oder gegen die die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Außerdem besteht ein Vollstreckungsabkommen mit dem Bundesland Bremen, wonach auch Bremer Gefangene mit einer lebenslangen Strafe oder Sicherungsverwahrung in der JVA Celle untergebracht werden. Verurteilte mit Freiheitsstrafen bis zu 14 Jahren werden seit Inkrafttreten des Einweisungs- und Vollstreckungsplan des Landes Niedersachsen vom 31. Juli 2007 nicht mehr in die JVA Celle eingewiesen. Vor Inkrafttreten dieses Einweisungs- und Vollstreckungsplans aus Anlass der Fertigstellung der Justizvollzugsanstalt Rosdorf (bei Göttingen) als letztem der drei niedersächsischen Gefängnisneubauten (JVAs Oldenburg, Sehnde, Rosdorf) war die JVA Celle für den Vollzug von Freiheitsstrafen ab 10 Jahre zuständig. Der aktuell geltende Einweisungs- und Vollstreckungsplan für Niedersachsen datiert vom 1. Januar 2010.

Organisatorisch ist der JVA Celle die Justizvollzugsanstalt Salinenmoor (JVA Celle, Abt. Salinenmoor) angegliedert, in der kürzere Freiheitsstrafen vollzogen werden und auch offener Vollzug praktiziert wird.

Belegungsfähigkeit

Die JVA Celle verfügt über 460 Haftplätze (Hauptanstalt 236, die Abteilung Salinenmoor 224) (Stand 1. Februar 2010) und mit 320 Mitarbeitern im Vollzugs-, Sozial- und Werksdienst über das zahlenmäßig beste Verhältnis zwischen Gefangenen und Bediensteten aller JVAs in Niedersachsen.

Geschichte

Chur-Hannoversches Wappen im Innenhof
Das „Werck- Zucht- und Tollhaus“ um 1800

Die Haftanstalt entstand 1710–1724, nach dem Vorbild französischer Schlösser, unter der Bezeichnung „Werck-, Zucht- und Tollhaus“. Gebaut von Johann Casper Borchmann, dem Oberbaumeister des Herzogs Georg Wilhelm.

Zu dieser Zeit lag sie noch etwa einen Kilometer außerhalb der Stadt in der Westceller Vorstadt. Sie wurde mit dem Leitgedanken gegründet, die Gefangenen nicht mehr ihrem Schicksal zu überlassen, sondern zu erziehen. Auf die Zweckbestimmung weist auch der lateinische Spruch über dem Toreingang hin.

„Puniendis facinorosis custodiendia furiosis et mente captis publico sumptu dicata domus“ (Zur Bestrafung der Übeltäter, zur Bewachung der Tobsüchtigen und Geisteskranken aus öffentlichen Mitteln errichtetes Haus)

Im historischen Innenhof des Gebäudekomplexes findet man das Chur-Hannoversche Wappen mit dem Spruch des HosenbandordensHoni soit qui mal y pense“ (ein Schelm, wer Böses dabei denkt), und dem Wahlspruch der englischen Krone „Dieu et mon droit“ (für Gott und mein Recht). Zu Baubeginn (1710) regierte Georg I. Ludwig, Ritter des Hosenbandordens und später auch König von Großbritannien.

Es gab damals sowohl die Prügelstrafe als auch einen Gebetsplan, der penibel eingehalten werden musste. Innerhalb der Anlage befand sich eine Anstaltskirche. Im Jahre 1833 wurden alle Geisteskranken aus dem Haus nach Hildesheim verlegt. Danach war diese Anstalt ein reines Strafgefängnis. In der Folge wechselten die Bezeichnungen, zum Beispiel 1941 in „Zuchthaus und Sicherungsanstalt“. Ab 1934 wurden politische Gefangene in Haft genommen, darunter der Celler KPD-Vorsitzende Otto Elsner und Arbeiter der Widerstandsgruppe Hanomag. Einer der Anstaltsleiter in der Zeit des Nationalsozialismus war Otto Marloh. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs starben von Januar bis zum Einmarsch der Briten am 15. April 1945 insgesamt 228 Häftlinge unter den schlechten Haftbedingungen des überbelegten Gefängnisses. Die Toten wurden nicht auf Friedhöfen bestattet, sondern auf dem Zuchthausgelände verscharrt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gefängnis umbenannt in „Strafanstalt“, 1952 in „Strafgefängnis“. 1972 erhielt die Anstalt ihren heutigen Namen.

Bekannte Vorfälle

Historischer Innenhof
Historischer Torturm am Eingang

Am 21. Mai 1984 nahmen die Strafgefangenen Peter Strüdinger und Norman Kowollik mit selbstgebauten Schusswaffen einen JVA-Beamten als Geisel und erzwangen die Flucht mit einem BMW und 300.000 D-Mark Lösegeld. Sie konnten bereits am nächsten Tag in Bremen wieder verhaftet werden, da ihr Fluchtwagen mit einem Peilsender ausgerüstet war.

Am 21. Oktober 1991 überwältigten vier Häftlinge mithilfe selbst gebastelter Waffen drei JVA-Beamte und legten ihnen mit Sprengstoff gefüllte Halskrausen um. Mit einem Fluchtwagen und zwei Millionen D-Mark Lösegeld verließen die Täter die JVA. Am nächsten Tag gab die Polizei die Identität der Flüchtenden bekannt: Es handelte sich um Bruno Reckert, Samir El-Atrache, Ivan Jelinic und den als „extrem gefährlich“ eingestuften Dirk Dettmar. Nach mehreren Autodiebstählen und Geiselnahmen konnten die vier Täter zwei Tage später wieder verhaftet werden; El-Atrache und Reckert wurden widerstandslos in Karlsruhe aufgegriffen, Jelinic und Dettmar nach einem Schusswechsel in Ettlingen.

Am 21. Mai 1995 gelang Peter Strüdinger erneut die Flucht. Mit seinem Mithäftling Günther Finneisen nahm er erneut einen JVA-Beamten als Geisel und erzwang erneut die Flucht aus der Haftanstalt. Diesmal flüchtete er mit einem Porsche und 200.000 D-Mark Lösegeld. Erst nach 51 Stunden gelang es der Polizei, die beiden Entflohenen in Osnabrück wieder zu verhaften. Finneisen kam daraufhin in Isolationshaft, in der er sich mehr als 16 Jahre befand. Kriminologen und einzelne Politiker bewerten den Fall als inhuman und als „Folter“.[1][2]

Am 26. Februar 1996 fesselte, knebelte und vergewaltigte der wegen Mordes und Vergewaltigung einsitzende Häftling Holger Möhlenbein seine 40-jährige Sozialarbeiterin während eines Beratungsgesprächs in der Abteilung Salinenmoor. Der mit einem Messer und einer Schere bewaffnete Täter drohte die Frau danach umzubringen, weshalb sich die Gefängnisdirektorin als Ersatzgeisel anbot und den Täter überreden konnte, die Beschäftigte freizulassen. Möhlenbein misshandelte sie in gleicher Weise, ehe er einen Fluchtwagen und Lösegeld forderte. Erst nach viereinhalb Stunden konnte der Täter zur Aufgabe überredet werden. In der Zelle Möhlenbeins, über den bereits Sicherungsverwahrung verhängt worden war, fanden die Beamten noch 20 weitere Messer.

Am 19. Januar 2008 kam es in der Abteilung Salinenmoor zu sexuellen Misshandlungen an einem Gefangenen durch zwei Zellengenossen, bei denen das Opfer lebensgefährliche Verletzungen erlitt.

Bekannte Gefangene

Politaffäre um das Celler Loch

Am 25. Juli 1978 war die JVA Celle Schauplatz eines vom Landesamt für Verfassungsschutz Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der GSG 9 inszenierten Sprengstoffanschlags, der unter dem Begriff Celler Loch in die Geschichte einging. Mit der Aktion sollte ein V-Mann des Verfassungsschutzes per Kontaktaufnahme über die in Celle inhaftierten Mitglieder der linksterroristischen Gruppierung RAF in diese Vereinigung eingeschleust werden. Der Plan, für den Anschlag offiziell die linksextreme Szene verantwortlich zu machen, scheiterte jedoch. Die Affäre wurde 1986 durch Presserecherchen publik und brachte den damaligen niedersächsischen Innenminister Wilfried Hasselmann in Bedrängnis.

Literatur

  • Katharina Bennefeld-Kersten: Die Geisel. Eine Gefängnisdirektorin in der Gewalt des Häftlings. Hamburg 1998
  • Matthias Blazek: Die Anfänge des Celler Landgestüts und des Celler Zuchthauses sowie weiterer Einrichtungen im Kurfürstentum und Königreich Hannover 1692–1866. ibidem, Stuttgart 2011 ISBN 978-3-8382-0247-1

Weblinks

 Commons: JVA Celle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 15 Jahre Isolationshaft, in: taz vom 2. März 2011.
  2. Gefangener aus Isolation entlassen, in taz vom 27. Mai 2011.
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