Judenpogrom in Straßburg 1349

Judenpogrom in Straßburg 1349

Beim Judenpogrom in Straßburg am 14. Februar 1349 (Valentinstag) wurden infolge gewaltsamer Ausschreitungen mehr als 2.000 jüdische Bürger der Stadt Straßburg getötet.

Seit dem Frühjahr 1348 kam es – beginnend in Frankreich – zu Pogromen an den Juden in europäischen Städten. Über Savoyen griffen sie dann bis November desselben Jahres auf deutschsprachiges Gebiet über.[1] Im Januar 1349 fanden in Basel und Freiburg Judenverbrennungen statt, und am 14. Februar wurde die jüdische Gemeinde in Straßburg vernichtet.

Dieses Ereignis ist eng verbunden mit einem Zunftaufstand fünf Tage zuvor, der die Ablösung der Meister, eine Zurückdrängung des bisher fast allein herrschenden patrizischen Bürgertums, und eine stärkere Gewichtung der am Umsturz beteiligten Gruppen nach sich zog: Die 1332 aus Rat und Ämtern verdrängten Adelsfamilien der Zorn und der Müllenheim erhielten einen Großteil der Macht zurück, die Zünfte – bisher ohne politische Mitwirkungsmöglichkeiten – konnten das bedeutendste Amt der Stadt besetzen, das des Ammanmeisters. Zu dem Umsturz war es gekommen, weil der Großteil der Bevölkerung einerseits die Macht der Meister, insbesondere die des damaligen Ammanmeisters Peter Swarber, für zu groß hielt [2] und man andererseits die „judenschonende“ Politik unter Peter Swarber beenden wollte. [3]

Inhaltsverzeichnis

Einzelheiten

Der Judenhass in der Bevölkerung

Ursachen für den zunehmenden Judenhass sind leicht auszumachen. Reichen Nährboden fand seine Entwicklung in den über Jahrhunderte vertieften religiösen und gesellschaftlichen Ressentiments gegenüber den Juden (Bekannte Vorwürfe: Hostienschändung, Ritualmord, Christusmord, Weltverschwörung u. a.).

Die Juden nahmen durch ihre Rolle als Kreditgeber eine wichtige Position in der städtischen Wirtschaft ein. Doch waren damit gravierende Probleme verbunden. Die Chronisten teilen mit, dass man den Juden ihre geschäftlichen Praktiken vorwarf: Sie seien so überheblich, dass sie niemandem den Vorrang zugestehen wollten, und wer mit ihnen zu tun habe, könne sich kaum mit ihnen einigen. [4] Diese scheinbare Rücksichtslosigkeit der Juden hatte aber seinen Grund nicht in einer besonderen Hartherzigkeit, sie war vielmehr bedingt durch die enormen Abgaben und Steuern, die ihnen vor allem für die Gewährung von Schutz abverlangt wurden. Formal gehörten die Juden zwar noch zur Kammer des Königs, die Rechte hatte dieser faktisch jedoch schon längst an die Stadt abgegeben (die Bestätigung der betreffenden städtischen Rechte durch Karl IV. erfolgte bereits 1347[5]). Straßburg nahm also den größten Teil der jüdischen Steuern ein, hatte dafür aber den Schutz der Juden zu übernehmen (die genauen Steuerleistungen regelten Verträge, z. B. der Trostbrief des Jahres 1338, als Reaktion auf die antijüdische Armlederbewegung im Elsass ausgestellt). Um die Forderungen der Stadt bewältigen zu können, mussten die Juden entsprechend wirtschaften und förderten damit wieder den Hass von seiten der Bevölkerung und vor allem von Seiten der Schuldner.[6]

Dazu kam zu dieser Zeit vor dem Hintergrund der drohenden Pest der Vorwurf der Brunnenvergiftung. Er bürdete den Juden die Schuld am Schwarzen Tod auf und trug somit in sich bereits die Forderung nach Vergeltung. So verwundert es nicht, dass nun auch offen gefordert wurde, man solle sie verbrennen.[7]

Die Judenschutzpolitik der Regierung

Im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung hielten der Rat und die Meister an der Politik des Judenschutzes fest und versuchten, das Volk zu beruhigen und einen unkontrollierten Pogrom zu verhindern.

Taktische Maßnahmen

Der Rat versuchte zunächst, das Gerücht von der Brunnenvergiftung zu entkräften, indem er ein Gerichtsverfahren gegen einige Juden anstrengte und sie foltern ließ.[8] Obwohl wie erwartet kein Geständnis der Angeklagten erfolgte,[9] ließ man sie aufs Rad flechten. Des Weiteren sperrte man das jüdische Wohnviertel und ließ es von bewaffneten Leuten bewachen, mit dem Ziel, die Juden vor dem Volk und vor eigenen Überreaktionen zu sichern.[10] Die Meister wollten also den Rechtsweg gegenüber den Juden einhalten, was in ihrer Situation, in der sie selbst angefeindet wurden, eine Frage der Selbsterhaltung und Machtsicherung war.[11] Ein Pogrom konnte sich leicht zu einem unkontrollierbaren Volksaufstand ausweiten, wie es ein Jahrzehnt vorher die Armlederbewegung schon gelehrt hatte. Dass die Gefahr eines Aufruhrs nun für akut gehalten wurde, beweist ein Brief des Kölner Stadtrats vom 12. Januar 1349 an die Straßburger Führung, der warnt, dass in anderen Städten solche Zusammenrottungen des einfachen Volkes schon zu vielerlei Übel und Verwüstung geführt hätten.[12] Darüber hinaus konnten die Unruhen den Gegnern die Möglichkeit geben, die Macht zu ergreifen. Die Bürger selbst waren ja auf ähnliche Weise an die politische Führungsposition gekommen, als sie den offen ausgebrochenen Streit zwischen den Adelsfamlien der Zorn und Müllenheim zur Machtübernahme genützt hatten[13].

Die Schutzpflicht gegenüber den Juden

Als faktischer Judenherr hatte die Stadt die Pflicht, ihre Juden zu schützen, zumal diese dafür beträchtliche Summen als Gegenleistung erbrachten. Darauf wies auch Peter Swarber hin: Die Stadt habe sich bezahlen lassen und dafür eine befristete Sicherheitsgarantie - mit Brief und Siegel - gegeben. Das solle die Stadt den Juden gegenüber auch einhalten.[14] So konnte und wollte er einer Judenvernichtung nicht zustimmen, worin ihn die Angst vor negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt sicherlich noch bestärkte. Eine Schwächung der Stadt bedeutete auch eine Schwächung des bürgerlichen Patriziats, das für die Betreibung des Fernhandels auf geregelte politische Verhältnisse und eine gesunde städtische Wirtschaft angewiesen war.[15] Gerade den Juden fiel dabei eine wichtige Rolle zu: Bei größeren Investitionen war man von ihren Krediten abhängig, sie sorgten durch ihre überregionale Tätigkeit als Bankiers für eine positive Handelsbilanz Straßburgs und füllten überdies mit ihren Steuerleistungen die Stadtkasse.[16] Es gab also genügend Gründe, am Judenschutz festzuhalten.

Der Umsturz

Die Motivation der Meister blieb den übrigen Straßburgern wohl verborgen, ihnen schien im Gegenteil eine andere Ursache viel wahrscheinlicher: Man munkelte, die Meister hätten sich von den Juden bestechen lassen, dass sie sie so vehement gegen den Willen der Allgemeinheit schützten.[17] Deshalb galt es nun zunächst die Meister zu entmachten, um dann den Volkswillen durchsetzen zu können.

Der Aufruhr der Handwerker

Durch die Schilderungen der Chronisten ergibt sich ein detailliertes Bild von den Vorgängen um die Absetzung der Meister. Am Montag, dem 9. Februar, kamen die Handwerker vor dem Münster zusammen und eröffneten den Meistern vor versammelter Menge, dass sie sie nicht mehr in ihrem Amt lassen wollten, weil sie zu viel Macht hätten.[18] Diese Aktion war allem Anschein nach unter den Zünften abgesprochen, denn sie trugen ihre Zunftbanner mit sich und traten zünftisch geordnet auf.[19] Die Meister versuchten ihrerseits, die Handwerker zur Auflösung der Versammlung zu bewegen, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg, sie machten aber auch keine Anstalten, der Forderung der Aufrührer nachzukommen.[20] Die Handwerker entschlossen sich nach einer eingehenden Beratung, an der neben Vertretern der Zünfte auch die Vornehmsten der Ritter, der Dienstleute und der Bürger[21] teilnahmen, zu einem neuen Anlauf. Jetzt wurde den Meistern endgültig klar, dass niemand mehr hinter ihnen stand, so dass sie ihre Ämter aufgaben. Ein Handwerker wurde Ammanmeister, es war „Betscholt der metziger“[22] Damit hatten die Zünfte ihre Ziele erreicht: Das letzte Hindernis auf dem Weg zu der von ihnen geforderten Judenvernichtung war beseitigt und eine größere Mitwirkungsmöglichkeit in der Stadtpolitik war verwirklicht.[23] Bisher war ihnen diese verwehrt worden, obwohl sie 1332 dem bürgerlichen Patriziat zur Vorherrschaft verholfen hatten.

Die Hintermänner des Umsturzes

Die damals von der Macht verdrängten Adelsfamilien der Zorn und der Müllenheim versuchten, ihre alte Stellung zurückzugewinnen, doch dazu mussten sie mit den Zünften koalieren.[24] In den Chroniken wird diese Zusammenarbeit immer wieder deutlich: Sie bewaffneten sich gleichzeitig mit den Handwerkern, als diese vor das Münster gingen,[25] sie waren an den Beratungen während des Aufstandes beteiligt, und Adelige waren es auch, die die Forderungen im Namen der Handwerker an die Meister stellten.[26] Die Adligen kooperierten aber nicht nur mit den Zünften, sondern auch mit dem Straßburger Bischof. Dies beweist das Treffen, das einen Tag vor dem Umsturz stattgefunden hatte und bei dem es um die „Judenangelegenheit“ gegangen war.[27] Es hatte bei diesem Treffen nur darum gehen können, auf welche Weise man sich der Juden entledigte, denn dass man sich ihrer entledigte, war schon knapp einen Monat vorher beschlossen worden. Damals waren der Straßburger Bischof, Vertreter der drei Städte Straßburg, Freiburg und Basel, und elsässische Herrschaftsträger in Benfeld zusammengekommen, um das Verhalten gegenüber den Juden abzusprechen (die Teilnehmer hatten sich 1345 in einem Landfriedensbündnis zusammengeschlossen, gerichtet gegen jede Art von Aufruhr[28]) Um dieses Engagement des Bischofs und des elsässischen Landadels wusste auch Peter Swarber, weshalb er warnt: Wenn der Bischof und der höhere Adel sich ihnen gegenüber in der „Judenangelegenheit“ durchsetzten, so würden sie nicht ruhen, bis ihnen dies auch in allen anderen Fällen gelänge.[29] Doch konnte er damit niemand von der judenfeindlichen Einstellung abbringen.

Das Resultat des Umsturzes

Der Umsturz lohnte sich für alle aktiven Parteien: Die alten Adelsgeschlechter bekamen einen Großteil ihrer früheren Macht zurück, die Zünfte politische Mitwirkungsmöglichkeiten, und schließlich konnte man dank der neuen politischen Führung eine baldige Lösung der Judenproblematik erwarten (während zwischen 1332 und 1349 kein einziger Adeliger ein Meisteramt bekleidet hatte, waren nun zwei von vier Stadtmeistern Adelige[30]). Auch der Forderung nach einer Machtminderung der Meisterämter kam man nach.[31] Die alten Meister wurden bestraft (die Stadtmeister durften 10 Jahre nicht in den Rat gewählt werden, der vielen verhasste Peter Swarber wurde verbannt, sein Vermögen eingezogen[32]), der Rat wurde aufgelöst und in den folgenden drei Tagen neu konstituiert, wieder einen Tag später konnte man sich dann schon mit den Juden befassen.

Der Pogrom

Verlauf

„An dem fritage ving man die Juden, an dem samestage brante man die Juden, der worent wol uffe zwei tusend alse man ahtete.“[33] Die neuen Machthaber gingen entschlossen zur Sache und scherten sich weder um den Schutzvertrag mit den Juden noch um die finanziellen Verluste, die der Stadt durch den Pogrom entstanden. Den beiden abgesetzten Stadtmeistern fiel die Aufgabe zu, die Juden unter dem Vorwand, sie aus Straßburg weisen zu wollen, zum Verbrennungsort zu führen.[34] Dort war ein hölzernes Haus aufgebaut worden, in welchem die Juden verbrannt wurden. Der Verbrennung – sie soll sechs Tage gedauert haben[35] – entgingen nur Taufwillige, Kinder und schöne Frauen.[36]

Ergebnis

„Waz man den Juden schuldig waz, daz wart alles wette, unde wurdent alle pfant und briefe die sie hettent uber schulde wider geben.“[37] Nachdem man sich nun der Juden entledigt hatte, ging es ans Verteilen ihrer Habe. So entblößte sich jetzt der wahre Grund für den Mord an den Juden: „wan werent sü arm gewesen und werent in die landesherren nüt schuldig gewesen, so werent sü nüt gebrant worden.“[38] Die Schuldner sahen im Judenmord eine Möglichkeit, sich selbst zu „sanieren“, und nützten diese konsequent. Viele derjenigen, die den Umsturz gefördert hatten, hatten bei den Juden Schuldbriefe liegen, womit sich der Zusammenhang zwischen der Ablösung der Meister und dem Pogrom offenbart. Neben Straßburger Adeligen und Bürgern war auch der Bischof Berthold von Buchegg bei den Juden verschuldet (seine verbliebenen Rechte an den Straßburger Juden waren verglichen mit seinen Schulden wohl bedeutungslos), ebenso einige Landadlige und sogar bedeutende Landesfürsten wie der Markgraf von Baden und die Grafen von Württemberg.[39] Das Bargut der Juden wurde nach dem Willen des Rats an die Handwerker verteilt,[40] wohl als eine Art „Belohnung“ für die Unterstützung bei der Absetzung der Meister. Dies war ihnen wahrscheinlich schon vorher versprochen worden, wobei sie die Aussicht auf einen Anteil am Reichtum der Juden – der wohl auch überschätzt wurde – noch mehr zum Judenmord angespornt haben dürfte.[41]

Sicherung des Judenerbes

Nachdem nun innerhalb der Bürgerschaft die Verteilung des Judengutes geregelt war, musste man dafür sorgen, dass es von niemandem streitig gemacht wurde. Denn König Karl IV. begann mit dem Straßburger Judenerbe Politik zu treiben, indem er großzügig Judenschuldtilgungen gewährte. Womöglich wollten auch die wenigen noch lebenden Straßburger Juden ihre Rechte am Erbe wahrnehmen.[42] So entschloss man sich zu Gegenmaßnahmen: Man schloss am 5. Juni 1349 ein Bündnis mit dem Bischof und den elsässischen Landadeligen: Straßburg bot die Hilfe im Kriegsfall und garantierte die Rückgabe aller Pfand- und Schuldbriefe, dafür erhielt es die Zusicherung, dass Bischof und Adelige Straßburg gegen jeden unterstützten, der es für den Judenmord und die Einziehung des Judengutes zur Rechenschaft ziehen wollte.[43] Darüber hinaus forderte der Straßburger Rat seine Bündnispartner auf, selbst gegen die Juden vorzugehen. Die Städte und Herren, die dem nicht nachkamen, versuchte der Rat sogar mittels Landfriedens dazu zu zwingen.[44] Mit diesen Maßnahmen gelang es ihm dann auch, das Judenerbe vollständig unter Straßburger Verfügung zu halten. In einer Urkunde vom 12. Juli 1349 gibt auch Karl IV. seine Ansprüche auf.[45]

Die reichspolitische Dimension des Pogroms

Straßburg war im Spätmittelalter die bedeutendste Stadt am Oberrhein. Seit sie 1262 die bischöfliche Oberherrschaft abgestreift hatte, war die Stadt selbständig und faktisch reichsunmittelbar.[46] So schlugen sich die Thronstreitigkeiten zwischen der luxemburgischen Partei (mit Karl IV.) und der wittelsbachischen Partei (mit Ludwig dem Bayern (bis 1347) und Günther von Schwarzburg) auch auf stadtpolitischer Ebene nieder, indem von beiden Seiten versucht wurde, Parteiungen zu bilden. Die bürgerlich-patrizische Führung war bis zum Tod Ludwigs auf Seiten der Wittelsbacher, danach schwenkten sie zu Karl IV. um,[47] der Stadtadel unterstützte im Gegensatz dazu nun Günther von Schwarzburg.[48]

Die Gegensätze beider Gruppierungen spiegeln sich auch im Thronstreit wieder. Durch den Thronstreit wurde auch das Judenregal zu einem politisch missbrauchten Machtinstrument. Die Streitigkeiten verursachten hohe Kosten, die man durch Verpfändung der königlichen Judenrechte auszugleichen suchte.[49] In Straßburg entstand so die interessante Situation, dass das dem Königtum dort verbliebene Recht an den Juden von den Rivalen an verschiedene Adressaten vergeben wurde (Karl IV. verpfändete es am 12. Dezember 1347 an den Grafen v. Öttingen und Günther am 2. Januar 1349 an den Grafen v. Katzenelnbogen[50]). Dadurch entstanden rechtliche Unsicherheiten, da nicht klar war, wer für den Judenschutz zu sorgen hatte.

Obwohl Karl IV. seine ursprünglichen Nutzungsrechte an den Straßburger Juden verloren hatte, stellt sich die Frage, weshalb er nichts zu deren Schutz unternahm und seinen Parteigänger Peter Swarber nicht stützte. Dabei waren seine Möglichkeiten allerdings begrenzt, und ob sie die gewünschten Folgen gezeitigt hätten, ist mehr als fraglich. Dennoch: Er hätte den Initiatoren des Pogroms zumindest drohen können, indem er sie von einer Amnestiegewährung ausgeschlossen hätte (Amnestie konnte nur der König gewähren[51]). Vielleicht lag ihm aber auch gar nichts am Schutz der Straßburger Judengemeinde, da sich ihm die Chance bot, durch den Judenmord wieder an den verlorengegangen Rechten zu verdienen. Immerhin erhob er sofort nach dem Pogrom Forderungen an den Straßburger Rat, mit der Begründung, der rechtmäßige Judenherr und damit auch Erbe der Judengüter zu sein.[52] Doch widersprechen dem seine allgemeinen Äußerungen über die Juden[53] und die Tatsache, dass ihm seiner Ansicht nach die Judenmorde großen Schaden zugefügt hätten.[54]

Zusammenfassung

Der Straßburger Judenmord stellt sich als gut geplante Aktion dar, die auf dem Judenhass breiter Bevölkerungsschichten aufbaute und als Hauptziel die Schuldenbefreiung hatte. Die Grundvoraussetzung lag jedoch in der besonderen gesellschaftlichen Stellung der Juden im Mittelalter. Sie schienen ein Störfaktor der religiösen Homogenität und waren Menschen minderen Rechts. Dadurch, dass sie eine „Gemeinde innerhalb der Gemeinde“ bildeten, waren sie der übrigen Bevölkerung wohl fremd, was Mutmaßungen und Gerüchten Vorschub leistete. So darf nicht verwundern, dass das Gerücht von der Brunnenvergiftung durch Juden bereitwillig geglaubt wurde.

„Wellen der Irrationalität“[55], die im Zusammenhang mit der Pest auftraten, setzten die Hemmschwelle im Volk so weit herab, dass es zu Gewaltaktionen bereit war. Die Adeligen scheinen dies erkannt zu haben und lenkten diese Aggressionen auch auf die Meister um, indem dem Volk deutlich gemacht wurde, dass die Lösung der Judenfrage nur durch die Absetzung der Meister erreicht werden konnte.

Den Meistern scheinen die Gründe für ihr Festhalten am Judenschutz so bedeutend gewesen zu sein, dass sie glaubten, sich über die Meinung der Allgemeinheit hinwegsetzen zu können. Indessen waren ihre Gegner nicht nur Adelige und Handwerker, auch das Bürgertum beteiligte sich am Aufstand.[56] Hierfür lassen sich vor allem zwei Gründe anführen. Der erste lag in der Beschaffenheit der Meisterämter: Die Meister wurden auf Lebenszeit gewählt und insbesondere der Ammanmeister besaß eine große Machtfülle. Zudem kamen ausgeprägte Antipathien gegenüber dem damaligen Inhaber des Amtes, Peter Swarber.[57] Zusammen war dies für viele wohl eine untragbare Situation. Der zweite Grund bestand darin, dass die Schuldnerschaft bei den Juden nicht nur beim Adel existierte, es gab wohl auch einige verschuldete Bürger.

In Straßburg bestand wie anderswo nach dem Pogrom die Tendenz, das Morden auf eine legale Stufe zu stellen, indem man behauptete, die Juden seien rechtmäßig verurteilt.[58] Man versuchte auch die Federführung der Oberschichten zu vertuschen, dadurch, dass dem „vulgus“, also dem niederen Volk, das Judenpogrom in die Schuhe geschoben wurde (Ansätze dazu sind bei v. Neuenburg erkennbar, der häufig den Ausdruck „vulgus“ benutzt). Haverkamp stellt hierzu fest: „Für die nicht im Rat vertretene Stadtbevölkerung unter Einschluss der ,Stadtarmut‘ lässt sich eine allgemein verbreitete Agitation gegen die Juden aus den Quellen nicht belegen. In jedem Falle aber waren diese ,Volksmassen‘ an dem Entscheidungsprozess über die Juden ebenso wenig beteiligt wie sie bei der Ratsveränderung eine wesentliche Rolle gespielt haben.“[59]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kalendarium dazu bei Alfred Haverkamp 1981, S. 35-38.
  2. Der Chronist Fritsche Closener schreibt dazu: „sü woltent den gewalt minren und glichern.“ (Closener, S. 128, Z. 14f)
  3. Drei Chronisten schildern ausführlich die Geschehnisse in Straßburg: 1. Closener; 2. Twinger von Königshofen; 3. Mathias von Neuenburg.
  4. „[Die Juden seien] also hochtragenden můtes, daz sü niemanne woltent vorgeben, und wer mit in hette zů dunde, der kunde kume mit in uberein kummen.“(Closener, S. 127, Z. 7-9).
  5. s. Haverkamp 1981, S. 69, ohne Angabe der Quelle.
  6. Dilcher, S. 24.
  7. „Des murmelte daz volk gemeinliche, und sprochent man solt sü verburnen.“ (Closener, S. 127, Z. 12).
  8. Closener, S. 127, Z. 16f.
  9. Closener, S. 127, Z. 15f; Neuenburg, S. 267, Z. 4-6, mit anderer Tendenz.
  10. Closener, S. 127, Z. 17-24.
  11. Haverkamp 1977: „In dieser Furcht [vor Aufständen] drückt sich zweifellos auch die Labilität der Herrschaftsverhältnisse in den damals noch weit überwiegend patrizisch beherrschten größeren deutschen Städten aus.“ (S. 82f)
  12. Haverkamp 1981, S. 66 (s. dort Anm. 156).
  13. Vgl. Closener, S. 122f.
  14. „men hette gůt genomen von den Juden und hette sü getrœstet uf ein zil und hette in des besigelte briefe geben, das solte in die stat ouch halten.“ (Twinger v. Königshofen, S. 761, Z. 4-6).
  15. Dollinger zufolge sind die Bürger „im wesentlichen Kaufleute und vor allem große Handelsherren“ (Dollinger, S. 198), denen es darauf ankommt, „die Geschäfte zu fördern und in Friedenszeiten den Wohlstand der Stadt zu sichern, der die Grundlage ihres eigenen Wohlstandes bildet“ (ebd., S. 200).
  16. Nach Battenberg verbietet die Kirche den Christen die Zinsnahme und so fällt den Juden die Aufgabe zu, „das Kreditbedürfnis der mittelalterlichen Gesellschaft“ zu befriedigen (Battenberg, S. 134f). Zum Zinsverbot siehe Ex 22,24 EU und Lev 25,36 EU, die sich beide auf Darlehen an Arme beziehen, sowie die allgemein gehaltetenen Stellen Dtn 23,20ff EU und Ps 15,5 EU
  17. „[Sie] sprochent under einander, die drige meister hettent gůt genomen von den Juden, das sü sü also fristetent wider aller mengliches wille.“ (Twinger von Königshofen, S. 761, Z. 10f.)
  18. „[Sie] sprochent do offenlich zu den meistern, sü woltent sü nüt me zu meistern haben, wand irs gewaltes were zu vil.“ (Closener, S. 128, Z. 13f.)
  19. Closener, S. 128, Z. 8f.
  20. Ausführlicher als bei Closener, Twinger v. Königshofen, S. 761, Z. 15-28.
  21. Vgl. Closener, S. 128, Z. 23
  22. Twinger von Königshofen, S. 763, Z. 3f.
  23. Closener, S. 128, Z. 24 – S. 129, Z. 19.
  24. Vgl. Graus, S. 176.
  25. Twinger von Königshofen, S. 761, Z. 12-15.
  26. Twinger von Königshofen, S. 761, Z. 34 – S. 762, Z. 15; nach Haverkamp war der Groshans Marx Ritter, Claus Lappe ein Zorn (Haverkamp 1981, S. 64).
  27. Neuenburg, S. 267, Z. 14-16.
  28. Siehe Haverkamp 1977, S. 82; das Benfelder Treffen bei Twinger von Königshofen, S. 760.
  29. „Si episcopus et barones in hoc eis prevaluerint, nisi et in aliis prevaleant, non quiescent.“ (Neuenburg, S. 266, Z. 7f.). Swarber warnt also vor einer Gefährdung der städtischen Unabhängigkeit.
  30. Vgl. Twinger von Königshofen, S. 764, Z. 1-4.
  31. Closener, S. 129, Z. 34-36.
  32. Vgl. Closener, S. 130.
  33. Closener, S. 130, Z. 5f. Übersetzung: „Am Freitag nahm man die Juden gefangen, am Samstag verbrannte man sie, es waren etwa zweitausend, wie man schätzte."
  34. Neuenburg, S. 268, Z. 7-9.
  35. Diessenhoven, S. 70.
  36. Neuenburg, S. 268, Z. 12-14.
  37. Closener, S. 130, Z. 9-11. Übersetzung: "Was man den Juden schuldete, das war alles beglichen, und alle Pfänder und Kreditbriefe, die die Juden besaßen, wurden zurückgegeben."
  38. Twinger von Königshofen, S. 764, Z. 1-3. Übersetzung: "Wenn sie arm gewesen wären und ihnen die adeligen Landbesitzer [?] nichts geschuldet hätten, so wären sie nicht verbrannt worden."
  39. MGH Const. IX, Nr. 227, S. 172/173, Nr. 240, S. 186/187.
  40. Closener, S. 130, Z. 11f.
  41. Einige scheint doch das schlechte Gewissen geplagt zu haben; vgl. Twinger von Königshofen, S. 764, Z. 3-5.
  42. Graus, S. 185.
  43. Graus, S. 185.
  44. Vgl. MGH Const. IX, Nr. 433 (S. 330).
  45. Vgl. Graus, S. 185.
  46. Zum Kampf zwischen Bischof und Stadt vgl. Twinger v. Königshofen, S. 652-663.
  47. Graus, S. 232, u. Haverkamp 1981, S. 69f.
  48. Haverkamp 1981, S. 69.
  49. Graus, S. 232.
  50. Vgl. Haverkamp 1981, S. 69.
  51. Vgl. Graus, S. 234.
  52. Graus, S. 185.
  53. „darumb gebieden wir uch ernstliche und bij unsern hulden, daz ir (…) die Juden an libe und an gude unbeschediget laßet“; MGH Const. IX, Nr. 445, S. 341.
  54. „wanne es [der Judenmord] uns und den Reich grozzen schaden bringet“; MGH Const. IX, Nr. 433, S. 330.
  55. Dilcher, S. 26.
  56. Closener, S. 128, Z. 21-24, legt dies nahe.
  57. Closener, S. 129, Z. 20-29.
  58. Graus, S. 183 (besonders Anm. 94).
  59. Haverkamp 1981, S. 65.

Literatur

Quellen

  • Chronica Mathiae de Nuwenburg. In: Adolf Hofmeister (Hrsg.): Scriptores rerum Germanicarum, Nova series 4: Die Chronik des Mathias von Neuenburg (Chronica Mathiae de Nuwenburg) Berlin 1924, S. 264–269 (Monumenta Germaniae Historica; Digitalisat) Handschrift B [= Neuenburg].
  • Chronik 1400 (1415) des Jakob Twinger von Königshofen. In: E. Hegel (Hrsg.): Chroniken der deutschen Städte. Bde. 8/9: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Bde. 1/2, Leipzig 1870 [= Twinger von Königshofen].
  • Heinricus de Diessenhoven. In: A. Huber (Hrsg. aus dem Nachlass J. Böhmers): Fontes Rerum Germanicarum. Bd. 4, Stuttgart 1868, ND 1969 [= Diessenhoven].
  • Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperator et regum. Bd. IX, bearb. v. M. Kühn, Weimar 1974–1983 [= MGH Const. IX].
  • Straßburger Chronik des Fritsche Closener. In: E. Hegel (Hrsg.): Chroniken der deutschen Städte. Bd. 8: Die Chroniken der oberrheinischen Städte. Bd. 1, Leipzig 1870 [= Closener].

Darstellungen

  • Friedrich Battenberg: Zur Rechtsstellung der Juden am Mittelrhein in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 6, 1979, S. 129–183 [= Battenberg].
  • Neithard Bulst: Der Schwarze Tod: Demographische, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Aspekte der Pestkatastrophe von 1347–1352. Bilanz der neueren Forschung. In: Saeculum 30, S. 45–67 [= Bulst].
  • Gerhard Dilcher: Die Stellung der Juden in Recht und Verfassung der mittelalterlichen Stadt. In: Karl E. Grözinger (Hrsg.): Judentum im deutschen Sprachraum. Frankfurt a. M., 1991 S. 17–35 [= Dilcher].
  • Philippe Dollinger: Das Patriziat der oberrheinischen Städte und seine inneren Kämpfe in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In: Heinz Stoob (Hrsg.): Altständisches Bürgertum. Bd. II, Darmstadt 1978, S. 194–209 [= Dollinger].
  • František Graus: Pest – Geißler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 86) Göttingen 1987 [= Graus].
  • Alfred Haverkamp: Die Judenverfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes im Gesellschaftsgefüge deutscher Städte. In: ders. (Hrsg.): Zur Geschichte der Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 24) 1981, S. 27–93 [= Haverkamp 1981].
  • Alfred Haverkamp: Der Schwarze Tod und die Judenverfolgungen von 1348/49 im Sozial- und Herrschaftsgefüge deutscher Städte. In: Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier. Sonderheft 2, 1977, S. 78–86 [= Haverkamp 1977].

Weblinks


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