Joseph Schumpeter

Joseph Schumpeter

Joseph Alois Schumpeter (* 8. Februar 1883 in Triesch, Mähren; † 8. Januar 1950 in Taconic, Connecticut, USA) war ein österreichisch-amerikanischer Ökonom und Politiker, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Schumpeter ist bekannt geworden als Theoretiker des Kapitalismus, dessen Wesen er als schöpferische Zerstörung charakterisierte. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911) und Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Joseph Alois Schumpeter wurde als einziges Kind eines Tuchfabrikanten in Triesch (Mähren) geboren. Mit vier Jahren verlor er seinen Vater. 1893 heiratete seine verwitwete Mutter einen deutsch-ungarischen Feldmarschallleutnant der österreichisch-ungarischen Armee. Die Ehe wurde 1906 geschieden. Sein Stiefvater soll großen Einfluss auf Schumpeters Erziehung gehabt haben. Schumpeter wurde 1893 Zögling der Wiener Eliteschule Theresianum, die als Vorstufe zu einer Karriere im Staatsdienst galt. Gleich nach der Schule studierte er von 1901 bis 1906 Rechtswissenschaften in Wien. Zu diesem Studium gehörten damals auch zahlreiche nationalökonomische Vorlesungen und Prüfungen.

Einer seiner Lehrer war der ehemalige Finanzminister Eugen Böhm von Bawerk, dessen Kapitaltheorie ihn beeinflusst haben soll. In den Studienjahren pflegte er auch Kontakte zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, wo er u. a. Otto Bauer kennenlernte. Dieser unterstützte 1919 seine Berufung zum Finanzminister. Schumpeter eignete sich auch profunde Kenntnisse der marxistischen Theorie an. 1906 legte er sein Doktorexamen ab, darauf folgten Aufenthalte in Berlin, Paris und England.

1907 heiratete er. Von 1907 bis 1908 arbeitete er als Anwalt in Kairo für eine italienische Kanzlei. 1909 habilitierte er sich und wurde zum Privatdozenten ernannt. In den Jahren 1909 bis 1911 erhielt er seine erste Professur in Czernowitz in der Bukowina. Von 1911 bis 1921 erhielt er – trotz des Widerstands vieler Grazer Professoren – eine Professur an der Karl-Franzens-Universität Graz. Aus seiner Zeit in Graz ist bekannt, dass er sich mit dem Leiter der Bibliothek ein Duell lieferte, als er längere Bibliotheksöffnungszeiten für die Studenten durchsetzen wollte.

Von 1914 bis 1924 arbeitete er im Dienste von Staat und Wirtschaft, allerdings ohne Fortüne. Schumpeter war 1919/20 sieben Monate lang österreichischer Finanzminister. Er zeigte sich in dieser Zeit häufig mit Prostituierten in der Öffentlichkeit, was ein Skandal war. Zudem war Schumpeter – anders als die meisten Kabinettskollegen – gegen den Anschluss Österreichs an Deutschland. Auch die Duldung des Verkaufs des damals größten Unternehmens Österreichs, der Alpine Montan, an ein italienisches Konsortium, schadete seinem Ruf. Der Vorgang war nicht mit der erklärten Regierungspolitik der Sozialisierung zu vereinbaren. Nach einem Kabinettsrücktritt im Gefolge des Friedensvertrags von Saint-Germain wurde er nicht wieder ins Kabinett berufen.

Zwischen 1921 und 1925 war er Präsident der privaten Biedermann-Bank, die trotz Bevorzugung des Instituts durch die konservative Regierung während der Großen Inflation bankrott ging, wobei er selber sein gesamtes Vermögen verlor und auch später noch zur Schuldentilgung beitragen musste. Dieses Debakel beschädigte allerdings nicht seinen Ruf als Theoretiker.[1] 1925 heiratete er Annie Reisinger, eine Frau aus einfachen Verhältnissen. Sie starb 1926 bei der Geburt des ersten Kindes; auch das Kind überlebte die Geburt nicht. Von diesem Schicksalsschlag erholte sich Schumpeter nie.

Von 1925 bis 1932 war er Professor für „wirtschaftliche Staatswissenschaft“ der Universität Bonn. Hierzu hatte er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Danach wirkte er von 1932 bis 1950 an der Harvard University. 1937 heiratete er die Nationalökonomin Elisabeth Boody Firuski. In den USA geriet Schumpeter während des Zweiten Weltkriegs politisch und persönlich zunehmend in die Isolation, da er sich mehrfach antisemitisch und zugunsten der Achsenmächte äußerte. Zunehmend geprägt von Depressionen, verfasste er unter großen Anstrengungen neben seiner sehr engagierten Lehrtätigkeit verschiedene größere Werke. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit wurde ihm vielfältige Anerkennung in der Fachwelt zuteil. Schumpeter starb am 8. Januar 1950 an einem Gehirnschlag.

Beitrag zur Volkswirtschaftslehre

Innerhalb der Neoklassik nimmt Schumpeter eine Außenseiterrolle ein. Der Kapitalismus ist für Schumpeter nicht nur ein Wirtschaftssystem, sondern eine "Kulturform". Deshalb bezog er systematisch Erkenntnisse aus Geschichte, Soziologie und Psychologie in seine Forschung ein. Anders als bei Karl Marx macht der Kapitalismus den Arbeiter bei Schumpeter nicht zum "Klassenkämpfer", sondern zum teilhabenden Konsumenten, da mit steigender Produktivität auch die Preise sinken.[2] In seinen Werken hat Schumpeter folgende zentrale Beiträge geliefert:

  • Neuprägung der Begriffe Innovation, Innovator und Ausarbeitung ihres Stellenwertes für lange Wellen in der ökonomischen Entwicklung, denen er die Bezeichnung Kondratjew-Zyklus gab.
  • Gedanken zum Wesen und zur Motivationsgrundlage des Unternehmers: er unterscheidet Arbitrage-Unternehmer oder "Wirte" von "schöpferischen Unternehmern".
  • Intensive Auseinandersetzung mit den Themen Kapitalismus und Sozialismus. Schumpeter hielt den Kapitalismus nicht für überlebensfähig.[3] Er sah ihn aber – im Gegensatz zu Karl Marx – nicht primär durch seine Widersacher, das Proletariat, gefährdet, sondern durch die auf ihn selbst zurückwirkenden Konsequenzen seines Erfolgs, insbesondere durch das Veralten der Unternehmerfunktion, die Zerstörung der ihn schützenden gesellschaftlichen Schichten und die wachsende Ablehnung der Intellektuellen gegenüber dem Kapitalismus.
  • Eine wichtige These Schumpeters war die Unterscheidung zwischen Kapitalist und Unternehmer (Entrepreneurs). Unternehmer zeichnen sich seiner Meinung nach dadurch aus, dass sie ihre wirtschaftliche Position ständig durch Innovationen verbessern wollen. Demnach ist es der Unternehmergeist, welcher Innovationen erzeugt und damit Wirtschaftswachstum und sozialen Wandel vorantreibt. Der Zusammenhang zwischen Innovationstätigkeit und Diffusion der Innovationen bleibt aber bei Schumpeter ungeklärt.

Schumpeter begründete in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911) Pionierleistungen nicht vorwiegend mit ökonomischem Eigennutz, sondern mit psychologischen Motiven, zu denen auch die „Freude am Gestalten“[4] gehört. Schumpeter zufolge stellt sich jeder innovative Unternehmer zunächst als Monopolist dar. Erst wenn Nachahmer auftreten, verblasst die Stellung der schöpferischen Unternehmer. Schumpeter erkannte damit das Wechselspiel aus Innovation und Imitation als Triebkraft des Wettbewerbs. Es bildet die Grundlage für eine Reihe von Konjunkturmodellen.[5]

Es wird angenommen, dass John Kenneth Galbraith in seiner Arbeit The New Industrial State von Schumpeters Sichtweisen der Kooperation beeinflusst wurde. Ferner wird ein Einfluss Schumpeters auf den Entwicklungsökonomen Ragnar Nurkse diskutiert.[6] Im späten 20. Jahrhundert wurden Schumpeters Ideen auch in verschiedenen Wachstumstheorien wieder aufgegriffen (Neo-Schumpeterianer).

Beiträge zu Nachbarwissenschaften

Namentlich durch das schon in der amerikanischen Emigration während des Zweiten Weltkrieges erschienene berühmte Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie wirkte Schumpeter weit in die Politikwissenschaft (Demokratietheorie) und die Soziologie hinein, dort früh auch besonders auf die Finanzsoziologie.

Interessant ist sein Beitrag zur Imperialismus-Diskussion, wo er in direkter Kritik an Lenin den Imperialismus nicht als spätkapitalistische Suche nach neuen Märkten, sondern als Ausdruck von letztlich irrationalem, meist innenpolitisch motiviertem und benutztem Chauvinismus von Oberschichten verstand.

Ehrungen

Ihm zu Ehren benannte die VolkswagenStiftung ein Programm zur Forschungsförderung Schumpeter-Fellowship.[7] Das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung vergibt ein Schumpeter-Stipendium. An der Bergischen Universität Wuppertal hat der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft zum Wintersemester 2008/2009 seinen Namen um den Zusatz Schumpeter School of Business and Economics erweitert.[8]

In Linz gibt es seit 1965 eine nach ihm benannte Schumpeterstraße. Im Jahr 1994 wurde in Wien Floridsdorf (21. Bezirk) der Schumpeterweg nach ihm benannt. Auch in Deutschland gibt es mehrere Orte, die Schumpeter mit einer Straßennamenbenennung ehren: Berlin: Schumpeterstraße, Bonn: Joseph-Schumpeter-Allee, Dortmund: Schumpeterweg.

An der Karl Franzens Universität Graz, wo Schumpeter von 1911 bis 1921 lehrte, wurde 2005 das Graz Schumpeter Centre (GSC) gegründet, um sich zeitgenössischen sozio-ökonomischen Analysen und Entwicklungen zu widmen.

Das britische Magazin The Economist benannte eine seit September 2009 wöchentlich erscheinende Kolumne über Wirtschaft und Innovation ihm zu Ehren Schumpeter und begründete dies damit, dass er einer der wenigen Intellektuellen gewesen sei, die das Wesen des unternehmerischen Handelns tatsächlich verstanden hatten.[9]

Siehe auch

Werke

Literatur

Einzelnachweise

  1. Thomas Chorherr: Große Österreicher. Verlag Carl Ueberreuter.
  2. Dieter Schnaas: Die Zivilisationsmaschine. Porträt über Joseph Schumpeter In: Wirtschaftswoche, 1. Oktober 2011, Seite 46 - 49 (hier: Seite 46).
  3. Joseph Schumpeter: Capitalism, Socialism and Democracy. 1942 (Zitat:„Can capitalism survive? No. I do not think it can.“)., sowie: „... capitalist order tends to destroy itself and ... socialism is ... a likely heir“, „My final conclusion therefore does not differ ... from that of all Marxists.“ Zitiert bei Alfred Müller: Die Marxsche Konjunkturtheorie - Eine überakkumulationstheorietische Interpretation. PapyRossa Köln, 2009 (Dissertation 1983), S. 338.
  4. Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997 (1911), S. 138
  5. Frank Schohl: Die markttheoretische Erklärung der Konjunktur. Tübingen 1999; G. Haag, W. Weidlich, G. Mensch (1987): The Schumpeter Clock, in: D. Batten, J. Casti, B. Johansson (eds.): Economic Evolution and Structural Adjustment. Berlin S. 187-226.; Wolfgang Weidlich, Günter Haag: Concepts and Models of a Quantitative Sociology - The Dynamics of Interacting Populations. Berlin, Heidelberg, New York 1983. Chapter 5 „Non-Equilibrium Theory of Investment: ‚The Schumpeter Clock‘“
  6. Hans-Heinrich Bass: Ragnar Nurkse's Development Theory: Influences and Perceptions, in: R. Kattel, J. A. Kregel, and E. S. Reinert (eds.): Ragnar Nurkse (1907-2007). Classical Development Economics and its Relevance for Today. London: Anthem Press, S. 183-2002.
  7. Schumpeter-Fellowships. In: VolkswagenStiftung. Abgerufen am 8. September 2008.
  8. Schumpeter School of Business and Economics. Abgerufen am 4. Juni 2009.
  9. The Economist: Schumpeter - taking flight

Weblinks

 Commons: Joseph Schumpeter – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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